Im Sinne konstruktivistischer Lerntheorien gründet die Initiierung nachhaltiger Lernprozesse auf der Ermöglichung aktiven Handelns (vgl. Reif, 2001). Denn „auch die beste Erklärung erreicht nicht automatisch Verstehen, das widerspräche grundlegenden Annahmen von Lehren und Lernen“ (Dorgerloh & Wolf, 2020, S. 71). So erfordert auch professionelles Lehren, neben dem Wissen, das Können und die Reflexion (Reinhardt, 2009). Dies gilt in besonderem Maße, wenn Lehre das Erreichen von Lernzielen verfolgt, die über das reine „Verstehen“ hinausgehen. Ein Bildungsbereich, der sich bedingt durch die Profession des angestrebten Berufsfeldes über solche Lernziele definiert (vgl. Blotzheim, Kamper, & Schneider, 2008), ist die Sportlehrer*innenbildung.

Die Lehramtsausbildung im Allgemeinen muss geprägt sein durch das Wechselspiel von Theorie und Praxis. „Denn Theorie bleibt ohne Praxis unbegriffen, [aber auch die] Praxis bleibt ohne Theorie blind“ (Reinhardt, 2009, S. 23; vgl. Schnurrenberger & Schuwey, 2004) im Sinne einer lediglich rezeptgesteuerten und unveränderbaren Routinenreproduktion (vgl. Ukley et al., 2019). Auch die Diskussion zur Gestaltung der Lehramtsausbildung im Fach Sport im Speziellen, das in Abgrenzung zu anderen Studienfächern „unter dem Primat der Bewegung steht“ (Blotzheim et al., 2008, S. 2), thematisiert das Verhältnis von sportwissenschaftlicher Theorie und sportpraktischem Handeln (Theine, 2004). Frühere Studien deuten an, dass aus Sicht angehender Sportlehrkräfte die Vermittlung „handwerklichen Durchführungswissens“Footnote 1 gegenüber theoretischen Studieninhalten einen zu geringen Stellenwert besitzt (Roth & Memmert, 2001, S. 275). So hält die Frage nach der Gewichtung und Verknüpfung von Theorie und Praxis zur Vorbereitung auf die Schulwirklichkeit Einzug in sportartspezifische Diskurse der dvs(Deutsche Vereinigung für Sportwissenschaft)-Kommission Gerätturnen (Roscher, 2004). Hier definiert Theine (2004) jede aktive Bewegungshandlung angehender Sportlehrkräfte als zentral, „in der etwas auf eine Art erfahren werden kann, wie es theorievermittelt nicht zu leisten ist“ (S. 88). In der turnspezifischen Lehramtsausbildung zielen derartige Erfahrungen auch, aber nicht ausschließlich auf den eigenen sportmotorischen Kompetenzerwerb zur Entwicklung einer Demonstrationsfähigkeit ab (vgl. Blotzheim et al., 2008; DSHS, 2018). Die reflektive Sensibilisierung für die Bedeutsamkeit der Sicherheitserziehung im Schulsport stellt ein weiteres Kennzeichen des Ausbildungsprozesses dar (Kastrup, 2009), das bei der aktiven Ausführung turnerischer Bewegungshandlungen erfahren werden kann. Werden die Förderung der sozialen Anschlussfähigkeit, der Eigeninitiative und des Mitgestaltungswillens der Schüler*innen als Merkmale der Sportlehrer*innenprofession gesehen (Kastrup, 2009, S. 77 f), so vermag im Bezugsfeld schulischer Sicherheitserziehung insbesondere der Kompetenzerwerb zur aktiven, gegenseitigen händischen Hilfeleistung für das sichere Üben turnerischer Fertigkeiten (MSB NRW, 2020) solche Facetten dieser Profession zu vereinen.

Der Gegenstandsbereich des Helfens und Sicherns in der Turnausbildung für das Lehramt Sport steht repräsentativ für den Stellenwert der Interaktion bei der Produktion von Wissen und Können im Rahmen von Bildungs- und Lernprozessen (Gerling, Rohleder, & Becker, 2020; Kastrup, 2009). Die Erkenntnis und Reflexion dessen ist für Sportlehrkräfte wertvoll für die Vermittlung (weil für Schüler*innen essenziell für die Entwicklung) sowohl sozialer Handlungskompetenzen als auch für wirkungs- und verantwortungsvolles Bewegungslernen (Gerling et al., 2020). Universitäre Modulhandbücher betonen beide Aspekte dahingehend, dass „gegenseitiges Helfen und Sichern (...) Anlässe für soziales Lernen“ schafft (DSHS, 2018, S. 11), dass aber zugleich das sichernde Unterstützen des Erlernens turnspezifischer Fertigkeiten zur Beherrschung des grundlegenden fachlichen Rüstzeugs der Turnvermittlung gehört (WWU Münster, o.J.). In der Vernetzung dieser Kompetenzen finden angehende Sportlehrkräfte, und infolgedessen die Schüler*innen, Zugänge zur Auseinandersetzung mit verschiedenen pädagogischen Perspektiven (MSB NRW, 2014). Beispielsweise vermag die taktile Wahrnehmung helfender Handgriffe, motorische Lernprozesse zu fördern, Leistung und Erfolg werden durch gegenseitige Hilfegebung gemeinsam erarbeitet, (Sicherheits‑)Risiken werden erkannt und Verständigung und Kooperation im Lernprozess stimuliert (MSB NRW, 2014; Tab. 1). „Hilfsbereitschaft, Hilfe geben und Hilfe annehmen wird erlebbar“ (Gerling et al., 2020, S. 118), womit der Gegenstandsbereich seine Bedeutsamkeit für die Sportlehrer*innenbildung im Sinne der Mehrperspektivität bestärkt (vgl. Scharenberg, 2004).

Tab. 1 Erfahren der pädagogischen Perspektiven auf den Sport in der Schule durch das Helfen und Sichern im Turnen. (MSB NRW, 2014, S. 6–12)

Betrachten wir die Sicherung und Weiterentwicklung derartiger Theorie-Praxis-Verknüpfung als Leitlinie guter Lehre (vgl. DSHS, 2020), so wird diese maßgeblich beeinträchtigt durch die Bedingungen einer Pandemiesituation. Sportstudierende unter Berücksichtigung von Kontaktbeschränkungen und gänzlichen Ausfällen von Präsenzlehre aktiv handeln zu lassen, beschreibt eine wesentliche Herausforderung bei der Entwicklung adaptierter Lehr-Lernkonzepte. Um kompetenzorientierten Lernzielen der Lehramtsausbildung (vgl. DSHS, 2018) jedoch auch in Zeiten von Kontaktbeschränkungen gerecht zu werden, erfordert es eine vermehrte Bewusstmachung des wortwörtlichen Sinns des Begriffs der Vermittlung bzw. der Vermittlungskompetenz (Vogt, 2020). Die Wortwurzel des Mittels beschreibt die erforderliche Kompromisssuche bei der Distanzüberbrückung zwischen Lernenden und Lerninhalten (vgl. Scherer, 2019). Eben dies gehört zur professionellen Aufgabe einer Lehrperson (Kastrup, 2009), die durch pandemiebedingte Voraussetzungen in ungewohnt intensiver Weise erschwert wird.

Potenziale zur konkreten, zeitgemäßen Umsetzung einer Distanzüberbrückung birgt im Bildungswesen der gezielte Einsatz digitaler Medien (Bäder, 2020). Dies mag einerseits die physische Prägung und Intention des Schulsports als dessen Alleinstellungsmerkmal verfehlen, zumal der Schulsport vor diesem Hintergrund nicht als Protagonist der Digitalisierung erscheinen muss (vgl. Vogt, Rehlinghaus, & Klein, 2019). Andererseits erscheint in der Pandemiesituation die Erschließung digitaler Lehr-Lernkonzepte auch für die universitäre Ausbildung von Sportlehrkräften nahezu alternativlos, um reduzierte oder entfallene Lerninhalte der Präsenzlehre zu ergänzen bzw. zu ersetzen.

Vor dem dargelegten Hintergrund stellt sich allgemein die Frage, wie auf digitalem Weg die Qualitätssicherung der Lehre zu gewährleisten ist. Im Speziellen ist für die Turnausbildung im Lehramt Sport zu eruieren, ob das Helfen und Sichern im Turnen jenen Gegenstandsbereichen angehört, die nur auf praktischem Wege erlernt werden können (vgl. Theine, 2004)? Gibt es diesbezüglich Teillernziele, deren Erreichen auch „kontaktlos“ zu leisten ist? Ob und, wenn ja, in welchem Maße der Herausforderung einer mediendidaktischen Vermittlung des Helfens und Sicherns im fertigkeitsorientierten Turnen adäquat begegnet werden kann, soll für das nachfolgend vorgestellte Lehr-Lernkonzept diskutiert werden.

Lehr-Lernkonzept

Kompetenzorientierte Lehr-Lerninhalte und deren mediale Aufbereitung

Das im Folgenden vorgestellte mediendidaktische Lehr-Lernkonzept ist initial entwickelt für die sportpraktische Lehrveranstaltung Gerätturnen innerhalb des Moduls Sportliche Bewegungen verstehen und vermitteln im Rahmen der gymnasialen Lehramtsausbildung an der Deutschen Sporthochschule Köln (DSHS, 2018). Das Modul flankiert die sportpraktische Lehrveranstaltung durch zwei Vorlesungen zu sportpsychologischen Grundlagen des motorischen Lernens sowie zu den biomechanischen Grundlagen. Dem Grundverständnis des Moduls zur Folge sind turnerische Bewegungen sowie auch das Helfen und Sichern biomechanisch geprägt (Scharenberg, 2004), weshalb die anwendungsorientierte Turnausbildung angehender Sportlehrkräfte auch aus diesem Grund die Entwicklung von Grundkenntnissen zu mechanischen Wirkmechanismen fördern sollte (Rohleder, Becker, & Gerling, 2020). Durch „die Auseinandersetzung mit komplexen Bewegungstechniken, den zugrunde liegenden mechanischen Gesetzmäßigkeiten und den ablaufenden Lernprozessen [wird] die Bedeutung einer situationsangemessenen Bewegungsführung“ greifbar (DSHS, 2018, S. 17). Zudem ist nicht nur das Turnen selbst, sondern auch das automatisierte Handeln beim Helfen und Sichern als Bewegungslernen mit dem Ziel eines motorischen Fertigkeitserwerbs (vgl. Scharenberg, 2004) zu sehen und bei der Gewichtung berufsrelevanter Lerninhalte in der Lehramtsausbildung nicht zu unterschätzen. Die Vermittlung des Helfens und Sicherns im Turnen bietet folglich für das Modul veranstaltungsübergreifende Transferpotenziale, welche das mediendidaktische Lehr-Lernkonzept wie folgt aufzugreifen versucht:

Zentrales digitales Medium des pandemiebedingt angepassten Lehr-Lernkonzeptes ist die Implementierung des Video-Learnings (Bäder & Kasper, 2020). Dieses wird durch Einpflegung eigens erstellter Erklärvideos (Dorgerloh & Wolf, 2020) in Form nichtgelisteter YouTube-Links in die universitätsinterne Moodle-Lernplattform (Moodle Pty Ltd., Version 3.7, West Perth, Australia) veranlasst. Auf diese Weise werden den Studierenden wesentliche Lerninhalte virtuell zur Verfügung gestellt. In Orientierung an Dorgerloh und Wolf (2020) werden die folgenden grundlegenden Qualitätsmerkmale und Kriterien guter Lehrvideos berücksichtigt:

  • Schaffen persönlicher Bindung zu den Lernenden durch lehrkraftzentriertes Agieren (aus dem Home-Office heraus),

  • Nutzung exemplarischer Darstellungsformen und Modelle zur Veranschaulichung (z. B. mittels einer Bewegungspuppe) und adäquate Einbeziehung verschiedener Tools und Begleitmaterialien (Abb. 1; vgl. Bäder, 2020),

  • Involvierung der Zielgruppe durch „Handlungsaufforderungen“ und Lernaufgaben zur selbstständigen Vertiefung des Erklärten.

Abb. 1
figure 1

Exemplarische Einblicke in die Begleitmaterialien, die das Erklärvideo des Lehr-Lernkonzeptes ergänzen. a Sportpraktisches Lehrvideo zum Flick-Flack. b Tafelbild mit Bewegungssequenzen aus dem theoretischen Lehrvideo zum Salto vorwärts gehockt mit dem Mini-Tramp. c Abfrage-Quiz zur Lernerfolgskontrolle des theoretischen Hintergrundwissens zum Helfen und Sichern beim Flick-Flack

Konzipiert sind die erstellten Erklärvideos für die Vermittlung des Helfens und Sicherns bei den turnerischen Fertigkeiten Flick-Flack im Bodenturnen (7:56 min) und Salto vorwärts gehockt mit dem Mini-Tramp (8:25 min). Beide Fertigkeiten stehen für in den Lehrplänen verankerte Inhalte (z. B. „Flick-Flack“; MKJS BW, 2016, S. 26), und auch die dafür erforderlichen Techniken der Hilfegebung finden in den Lehrplänen explizit Erwähnung (z. B. „Drehgriff“; HKM HE, 2010, S. 36). Mittels einer Bewegungspuppe werden den Studierenden sowohl die zweckmäßigen Ansatzpunkte für die helfenden Hände als auch deren (mechanische) Einflüsse auf die Bewegungsausführung der übenden Person demonstriert und geschildert (Abb. 2 und 3). Weiterhin wird die korrekte Bewegungsausführung im Vorgang des Helfens visualisiert und zur lernfördernden Nachahmung durch Üben am Modell angeregt. Flankierende Anmerkungen, beispielsweise zur realen Hilfegebung zu zweit (vgl. Schmidt-Sinns, 2020) oder zu dynamischen Differenzen im Vergleich zur realen Hilfeleistung, regen dabei zur kritischen Reflexion anFootnote 2. Nachfolgend werden die biomechanischen Aspekte (exemplarisch anhand des Flick-Flacks) und die Bewegungsausführung der Hilfegebung (exemplarisch anhand des Saltos vorwärts gehockt) spezifiziert.

Erklärvideo Flick-Flack: mechanische Einflüsse helfender Hände auf die Bewegung

Mit Hilfe der Bewegungspuppe kann veranschaulicht werden, dass beim Flick-Flack die körperfernen Hände der beiden Helfenden mit Ansatzpunkt an der lumbosakralen Wirbelsäule der übenden Person (vgl. Gerling, 2018, S. 196 ff) durch die Nähe zum Körperschwerpunkt die Flugkurve in der Flugphase von den Füßen auf die Hände maßgeblich bestimmen können (Abb. 2a). Der Ansatzpunkt der körperfernen Hände kommt folglich der Drehachse gleich und beeinflusst entscheidend die Höhenlage des Körperschwerpunkts. Anders als ein Ansatzpunkt im Brustwirbelsäulenbereich, wie es zur Angstüberwindung und Entlastung der Lendenwirbelsäule für langsamere Bewegungsausführungen Unerfahrener empfohlen wird (vgl. Bessi, 2009; Gerling, 2018; Knirsch, 2000), unterstützt dies zudem die Einnahme der für den Flick-Flack charakteristischen Überstreckung des unteren Rückens. Die körpernahen Hände hingegen setzen an der Oberschenkelrückseite und somit entfernt vom Körperschwerpunkt an (Abb. 2b). Auf diese Weise obliegt es den Helfer*innen, mittels dieses Griffansatzes und des resultierenden Hebelarms ein Drehmoment wirken zu lassen und die Generierung des erforderlichen Drehimpulses zu unterstützen. Dies geschieht nach dem Prinzip „so viel wie nötig, so wenig wie möglich“ (Gerling et al., 2020, S. 115), um einerseits einer zu stark ausgeprägten Rückenüberstreckung vorzubeugen (so viel wie nötig) und um andererseits ein unfunktionales Schließen des Bein-Rumpf-Winkels zu vermeiden (so wenig wie möglich). Die helfenden Hände in Kombination (Abb. 2c) gewährleisten folglich einen adäquaten Winkel zwischen Körperschwerpunkt, Handaufsatz und Untergrund und resultierend Steuerungsoptionen für einen gelenkschonenden Kompressionsdruck im Moment des initialen Bodenkontakts (Abb. 1a).

Erklärvideo Salto vorwärts gehockt: motorisches Erlernen des Drehgriffs vorwärts

Am Beispiel des Saltos vorwärts gehockt wird die Ausführung des sog. Drehgriffs vorwärts vermittelt (vgl. Gerling, 2018; Abb. 3). Dabei handelt es sich um eine Variante des Klammergriffs am Oberarm, die für ein technisch nicht ausgereiftesFootnote 3, aber sicheres Erfahren der Überkopfrotation beim Salto vorwärts gehockt geeignet ist. Die körpernahen Hände der beiden helfenden Personen werden außenrotiert am Bizeps der übenden Person angesetzt. Gleichsam kreuzen und überqueren die körperfernen Hände den Unterarm der jeweiligen körpernahen Hand und greifen innenrotiert am Trizeps der übenden Person (Abb. 3a). Dieser Griffansatz erlaubt es den Helfenden, durch die gesamte 360°-Breitenachsenrotation der Saltobewegung ohne Lösen des Griffs zu begleiten und zu steuern (Abb. 3b). Dies geschieht durch die Rück- und Weiterrotation der helfenden Hände (die körpernahe Hand bewegt sich von der Außen- in eine Innenrotation, für die körperferne Hand gilt Gegenteiliges; Abb. 3c). Bewegungsausführung und Mechanismus des Drehgriffs vorwärts können mittels Bewegungspuppe veranschaulicht werden. Um aber anwendungsbezogene Lerneffekte auch außerhalb der Präsenzsituation im Setting Turnhalle zu erzielen, wird die Nachahmung des Drehgriffs mittels eines beliebigen Haushaltsgegenstands nahegelegt, der in seiner Form dem zu greifenden Oberarm gleicht und somit ersetzt (z. B. eine Getränkeflasche oder eine Taschenlampe; Abb. 3d). Mit Hilfe dieses Gegenstands können einzelne Aspekte des erforderlichen Bewegungslernens (von der korrekten Körperpositionierung über den angemessenen Griffansatz bis hin zur motorisch korrekten Bewegungsausführung der Arme) geschult werden. Dies offeriert Studierenden am heimischen Schreibtisch den kontaktlosen, gefahrenfreien Erwerb von berufsrelevanten Teilkompetenzen im Feld des Helfens und Sicherns im Turnen (Abb. 3e).

Einbettung in ein mediendidaktisches Lehr-Lernkonzept

Die Erklärvideos wurden in den nachfolgend skizzierten didaktischen Gesamtrahmen integriert (Wittwer & Renkl, 2008), der gemäß den sich wandelnden Bedingungen in der Pandemiesituation ebenfalls anpassungsfähig sein muss. Der entsprechend variable didaktische Prozess ist durch folgende Struktur gekennzeichnet:

  1. 1.

    Lehrkraftzentrierte, instruktionale und reflektierende Erklärung grundlegender Grifftechniken des fertigkeitsorientierten Helfens und Sicherns mittels Erklärvideo unter Einbeziehung passender Begleitmaterialien,

  2. 2.

    Initiierung der handwerklichen Durchführung zum motorischen Erwerb der GrifftechnikFootnote 4 durch Erprobung am Modell,

  3. 3.

    Kontrolle des Lernerfolgs zum motorischen Erwerb der Grifftechnik mittels Videodokumentation der handwerklichen Durchführung der Grifftechnik am ModellFootnote 5,

  4. 4.

    Wenn möglich (in Präsenzlehre mit Kontaktbeschränkung): kontaktloses Simulieren und Reflektieren der sportpraktischen Anwendung der Grifftechnik in der Präsenzlehrveranstaltung im Rahmen methodischer, für die Zielbewegung relevanter Vorübungen,

  5. 5.

    wenn möglich (in Präsenzlehre ohne Kontaktbeschränkung): sportpraktische Anwendung und Reflexion der Grifftechnik in der Präsenzlehrveranstaltung in Interaktion mit direktem (Körper‑)Kontakt mit übenden Studierenden.

In seiner Zielform offeriert der skizzierte didaktische Prozess in der Kombination aus Elementen der digitalen Lehre und Präsenzlehre die Implementierung des Modells des „inverted classrooms“ (vgl. Bäder & Kasper, 2020). Welche Qualität dieses mediendidaktische Konzept bei (pandemiebedingt) reduzierter oder gar ausgesetzter Präsenzlehre (also: ohne die Elemente 4 und 5) für Turnausbildung im Lehramt Sport bietet, ist neben der kritischen Reflexion des Sensibilisierungspotenzials für die pädagogischen Perspektiven auch im Kontext einer Realisierung kompetenzorientierter Lehr-Lerninhalte zu erörtern.

Diskussion

Der vorliegende Beitrag beleuchtet die Herausforderung der Qualitätssicherung der universitären Lehramtsausbildung in einer Pandemiesituation für den Gegenstandsbereich des Helfens und Sicherns im Turnen. Im Bezugsrahmen der Profession der Sportlehrkraft sowie der Kompetenzerwartungen und Lernziele in der Sportlehrer*innenbildung wird im Folgenden das vorgestellte mediendidaktische Lehr-Lernkonzept zur Vermittlung der turnspezifischen Hilfegebung einer kritischen Diskussion unterzogen.

Die erläuterten Erklärvideos als zentrale Medien des Lehr-Lernkonzeptes thematisieren den korrekten Griffansatz der helfenden Hände im Kontext der biomechanisch geprägten Theorie zur Ausführung der Hilfegebung. Diese inhaltliche Schwerpunktsetzung bedient zentrale, im Modulhandbuch verankerte Inhaltsbereiche der Praxislehrveranstaltung Gerätturnen (DSHS, 2020) sowie veranstaltungsübergreifende Transferpotenziale. Der Theorie- und Wissensvermittlung als wesentlicher Baustein professionellen Unterrichtens wird somit der erforderliche Stellenwert eingeräumt, um die Basis für eine anpassungsfähige Anwendung, die über die rein intuitive, auswendig gelernte Reproduktion hinausgeht (vgl. Reinhardt, 2009), zu legen. Dies wiederum setzt jedoch voraus, dass jenes theoretische Wissen tatsächlich verstanden wird. Denn „alle Theorie der Sache und der Bildung ist unverbindlich, wenn sie nicht in der Praxis des Lehrens und Lernens erscheinen kann“ (Reinhardt, 2009, S. 26). Sich dieser Herausforderung stellend, bemüht sich das vorgestellte Lehr-Lernkonzept um die Verknüpfung der Videoinhalte mit praktischem Handeln unter pandemiebedingten Einschränkungen. Im Spiegel kompetenzorientierter Lernziele im Sinne der Profession der Sportlehrkraft sind diesbezüglich folgende Punkte anzumerken:

Der motorische Erwerb der Grifftechnik durch Üben am Modell kann im engen Sinne des Erlernens eines korrekten Ansetzens und Rotierens der helfenden Arme und Hände initiiert werden. Geschieht dies erfolgreich, verkörpert es hingegen nicht den erforderlichen Kompetenzerwerb, sondern lediglich das Fundament für diesen, da die Komplexität der räumlichen, dynamischen und kinästhetischen Bedingungen des realen Prozesses der Hilfegebung auf diese Weise nicht erfahren werden kann. Bleiben diese Aspekte pandemiebedingt im Lehr-Lernkonzept unberührt, so wird die angehende Sportlehrkraft die Vermittlung von Theorie und Praxis für den Gegenstandsbereich des Helfens und Sicherns im Berufsleben lediglich bereden, aber nicht verkörpern können (Reinhardt, 2009). Als einen ersten Schritt für die Aneignung der Hilfetechnik als motorische Kompetenz kann das Üben am Modell allenfalls eine ideomotorische Übung darstellen, die es zu reflektieren gilt. Ohne Möglichkeit der Anwendung in der Präsenzlehre (also: ohne die Elemente 4 und 5 des Konzepts) ist das Element der Videodokumentation einer korrekten Bewegungsausführung als Lernerfolgskontrolle maßgeblich, um zumindest die erforderlichen Voraussetzungen für den Kompetenzerwerb zu schaffen (Dorgerloh & Wolf, 2020).

Um den „Weg vom Wissen zum Handeln bzw. Können“ (Blotzheim et al., 2008, S. 9) ebnen zu können, bedarf es auch für den Gegenstandsbereich des Helfens und Sicherns im Gerätturnen der Interaktion (Kastrup, 2009). Dies erfordert von angehenden Sportlehrkräften konkret die Einnahme der Rolle der Helfenden und der Übenden, um die notwendigen Theorie-Praxis-Verknüpfungen zu ermöglichen (Gerling et al., 2020). Der ohnehin bestehenden Kompetenzasymmetrie zwischen Dozierenden und Studierenden (vgl. Kastrup, 2009) kann ohne praktisches Nachvollziehen ansonsten nur unzureichend entgegengewirkt werden. Die Bearbeitung von Problemstellungen, die aus der Interaktion hervorgehen (z. B. Sicherheitsrisiken durch Differenzen der Körperhöhen und variierende Bewegungsgeschwindigkeiten; Scharenberg, 2004), kann nicht digital gelehrt, sondern muss selbstständig in Eigeninitiative und -erfahrung gelernt werden. Der erforderlichen Anregung eines Mitgestaltungswillens der Lernenden fehlt ohne Optionen zur praktischen Anwendung jeglicher Antrieb (vgl. Kastrup, 2009).

Sofern professionelles Lehren als eine adäquate Gewichtung von Wissen, Können und Reflexion betrachtet wird (Reinhardt, 2009), so vermag die mediendidaktische Einbindung der Erklärvideos also primär theoretisches Wissen, jedoch nur sehr begrenzt handwerkliches Durchführungswissen (Roth & Memmert, 2001) für das Helfen und Sichern zu vermitteln. Die erforderliche Distanzüberbrückung zwischen Lerngegenstand und Lernenden (vgl. Kastrup, 2009; Scherer, 2019) gelingt demnach nur mit massiven Einbußen. In einer Pandemiesituation kann und muss die Reflexion (z. B. via Videokonferenz oder in Zeiten hybrider Lehre in Präsenz) dazu beitragen, dass diese Limitationen den angehenden Sportlehrkräften zumindest bewusst gemacht werden. Dies unterstreicht, dass resultierend auch die Reflexion selbst entsprechenden Limitationen unterliegt, da Inhaltsbereiche lediglich auf Basis von Schilderungen der Lehrkraft reflektiert werden können. Möglichkeiten, um „zum eigenen Erfahrungswissen in ein selbstreflektiertes Verhältnis zu treten“, entfallen (Blotzheim et al., 2008, S. 2). Im konkreten Beispiel des Moduls Sportliche Bewegungen verstehen und vermitteln betrifft dieser Umstand keineswegs nur die Erfahrung biomechanischer Wirkmechanismen der Hilfegebung am eigenen Leib, sondern auch und insbesondere psychologische Aspekte wie beispielsweise die emotional-motivationale Beeinflussung von motorischen Lernprozessen (z. B. Lernen und Angst; DSHS, 2018; Theine, 2004).

Weiterhin muss eingestanden werden, dass der Zugang zu den pädagogischen Perspektiven vorwiegend die Voraussetzung des Gemeinsamen und Gegenseitigen in der sozialen Interaktion der Lernenden eint. Zweifellos muss ein Gegenstandsbereich nicht auf alle pädagogischen Perspektiven transferierbar sein. Da der Gegenstandsbereich des Helfens und Sicherns im Gerätturnen jedoch diese Chancen in sich birgt, erscheinen diese Verluste besonders bedauerlich. Festzuhalten ist: Das umfassende Potenzial des Gegenstandsbereichs in der Sportlehrer*innenbildung zur Erschließung verschiedenster pädagogischer Perspektiven (Tab. 1; MSB NRW, 2014) bleibt im vorgestellten mediendidaktischen Lehr-Lernkonzept nahezu unausgeschöpft. Gleiches gilt für die anzustrebende Sensibilisierung angehender Sportlehrkräfte für die Bedeutsamkeit der Sicherheitserziehung im Schulsport (Kastrup, 2009). Bei Betrachtung des Sicherheitserlasses für den Sportunterricht des Landes Nordrhein-Westfalen (MSB NRW, 2020, S. 27) ist zu konstatierten, dass das vorgestellte Lehr-Lernkonzept ohne den vollständigen didaktischen Prozess mit Anwendung im Setting Turnhalle zwar „Kenntnisse von Maßnahmen zum Helfen und Sichern und deren Auswirkungen“ schafft. Die Entwicklung der fachlichen Voraussetzung einer „praktische[n] Erfahrung, insbesondere auch beim Helfen und Sichern“, ist jedoch immens limitiert. Vom „Beherrschen“ des grundlegenden fachlichen Rüstzeugs (WWU Münster, o.J., S. 18) kann daher nur vor dem Hintergrund der dargestellten Grenzen entsprochen werden.

Fazit und Ausblick

Die kritische Diskussion zeigt vereinzelte Chancen, jedoch insbesondere augenscheinliche Grenzen des vorgestellten mediendidaktischen Lehr-Lernkonzeptes zur kontaktlosen Vermittlung des Helfens uns Sicherns im Turnen auf. Im Spiegel der Profession der Sportlehrkraft und damit einhergehender Kompetenzerwartungen und Lernziele ist zu konstatieren, dass das vorgestellte Konzept in Zeiten von Kontaktbeschränkungen eine Sicherung der Studienqualität in der Lehramtsausbildung nur bedingt für die Vermittlung theoretischen Wissens, und kaum für die Entwicklung praktischen Könnens im Sinne reflektierten Handelns bei der turnerischen Hilfegebung leisten kann (vgl. Reinhardt, 2009).

Beleuchtet man die Leitlinien guter Lehre (vgl. DSHS, 2020) nicht unter dem Aspekt der Sicherung, sondern der Weiterentwicklung der Studienqualität, so sei mit nachhaltigem Blick abschließend eine optimistischere Betrachtung gestattet: „Ein Video kann den Unterricht gut eröffnen – ihn aber selten [und im Fall des Helfens und Sicherns im Gerätturnen nicht annähernd] vollständig ersetzen“ (Dorgerloh & Wolf, 2020, S. 129). In einem mediendidaktischen Lehr-Lernkonzept können Erklärvideos lediglich als didaktisches Hilfsmittel dienen (Vogt, 2020), das für sich alleinstehend jedoch keine hinreichenden Lernerfolge garantieren kann und das für das Erreichen kompetenzorientierter Lernziele einer Flankierung durch weitere Methoden bedingt. Dennoch bleibt festzuhalten, dass die Zwänge der Pandemiesituation ein mediendidaktisches, integriertes Lehr-Lernkonzept nach dem Modell des „inverted classrooms“ erschließen ließen, das für eine Lehre ohne Kontaktbeschränkungen außerhalb von Pandemiezeiten eine bessere Verzahnung von Präsenz- und Selbststudium schaffen kann. Davon dürfen sich mehr Kapazitäten in der Präsenzzeit und daraus resultierend eine gesteigerte Qualität und Professionalisierung der Lehre erhofft werden (Dorgerloh & Wolf, 2020; DSHS, 2020). Empirische Nachweise stehen bislang aus.