Das Forschungsinteresse am Kariesmanagement mithilfe von Silberdiamin-fluorid (SDF) hat in den letzten Jahren zugenommen. Dies begründet sich vor-nehmlich in der weltweit nach wie vor hohen Prävalenz unbehandelter Karies und dem Paradigmenwechsel hin zur minimalinvasiven Zahnheilkunde. Im "Off-Label Use" wird SDF bereits seit einiger Zeit zur Kariesarretierung und -prävention angewendet.

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Zusammenfassung

Silberdiaminfluorid (SDF) wird zur Reduktion von Dentinüberempfindlichkeiten sowie zur Kariesprävention und -arretierung eingesetzt. Enthaltene Silberionen wirken antimikrobiell, Fluoridionen sind kariesarretierend, und Ammoniak alkalisiert das Milieu. In der Kinderzahnheilkunde eignet sich die einfache und kostengünstige Anwendung von SDF zum Kariesmanagement bei noch nicht kooperativen Kindern. Durch die Kariesarretierung lässt sich Zeit gewinnen, bis die Kinder älter und kooperativer im Rahmen von Behandlungen werden.

Einleitung

In der Medizin und der Zahnheilkunde hat die Verwendung von Silberverbindungen aufgrund ihrer antimikrobiellen Wirksamkeit eine lange Tradition [1]. Silberdiaminfluorid wurde bereits Ende der 1960er-Jahre in Japan für den Einsatz in der Zahnheilkunde entwickelt [2] und wird in einigen Ländern seit vielen Jahren angewendet [3].

Die Zulassung von SDF für die Behandlung dentaler Hypersensibilitäten erfolgte 2014 durch die U.S. Food and Drug Administration [4, 5, 6]. Zusätzlich wird SDF in der heutigen Zeit im "Off-Label Use" zur Kariesarretierung und -prävention verwendet [4, 6].

Die American Academy of Pediatric Dentistry hat 2018 eine Leitlinie mit Behandlungsempfehlungen zum Kariesmanagement mithilfe von 38-prozentigem SDF bei Kindern und Jugendlichen publiziert [7].

Insbesondere in den vergangenen fünf Jahren hat das globale Forschungsinteresse an SDF zugenommen [8]. Dieser Interessenzuwachs resultiert unter anderem aus dem Interventionsbedarf aufgrund der weltweit nach wie vor hohen Prävalenz unbehandelter Karies [9], dem Paradigmenwechsel in der Zahnheilkunde hin zur "minimal intervention dentistry" [10, 11] und der Notwendigkeit zur Minimierung aerosolgenerierender Behandlungsmaßnahmen während der durch das "severe acute respiratory syndrome coronavirus type 2" (SARS-CoV-2) ausgelösten Pandemie [12, 13].

Merke:

  • Im "Off-Label Use" wird SDF zur Kariesarretierung und -prävention angewendet

Was ist Silberdiaminfluorid und wie wirkt es?

Silberdiaminfluorid ist eine farblose und alkalische Flüssigkeit [14, 15]. Basis ist Silberfluoridsalz, das durch Zugabe von Ammoniak in Wasser gelöst wird [15]. Verschiedene Konzentration von SDF sind erhältlich, wobei die 38-prozentige Lösung am geläufigsten ist. Diese enthält rund 44.800 ppm Fluoridionen und 253.900 ppm Silberionen [15].

Silberdiaminfluorid reagiert mit den Hydroxylapatitkristallen der kariösen Zahnhartsubstanz zu Silberphosphat, Kalziumfluorid und Ammoniumhydroxid [1, 14, 16]. In Anwesenheit von Chlorid aus dem menschlichen Speichel reagiert Silberphosphat weiter zu Silberchlorid, dem hauptsächlichen Präzipitat nach der SDF-Applikation [17].

Die Reaktionsprodukte unterstützen die Kariesarretierung aufgrund ihres antimikrobiellen Effekts und der remineralisierenden Eigenschaften [1]. Basierend auf dieser Reaktion wird SDF eine antimikrobielle Wirksamkeit zugeschrieben, da Silber- und Fluoridionen den Metabolismus und das Biofilmwachstum kariogener Mikroorganismen stören [17, 18]. Unter kariogenen Bedingungen werden eine weitere Demineralisation der Zahnhartsubstanz reduziert [18, 19, 20] und die Voraussetzung für eine Remineralisation der kariösen Läsion verbessert [19]. Zuletzt werden die freigelegten Dentintubuli mechanisch verschlossen, wodurch die überempfindlichkeitsauslösende Flüssigkeitsbewegung in den Dentinkanälchen reduziert wird [4].

Merke:

  • Die geläufigste, 38-prozentige SDF-Lösung enthält rund 44.800 ppm Fluorid- und 253.900 ppm Silberionen

Indikationen und Kontraindikationen

Die ursprüngliche Indikation zur Anwendung von SDF war die Reduktion von Dentinüberempfindlichkeiten [4, 6]. Des Weiteren findet eine zulassungsüberschreitende Anwendung (Off-Label Use) des SDF im Rahmen des Kariesmanagements statt [21].

Silberdiaminfluorid wird zur Kariesprävention [4, 6, 17, 22] und Kariesarretierung [4, 6, 14, 16, 20, 22] bei Kindern mit koronaler Karies an Milchzähnen [16, 23, 24, 25, 26, 27, 28] und bei älteren Patient:innen mit Wurzelkaries an bleibenden Zähnen verwendet [29, 30, 31, 32]. Indikationen und Kontraindikationen der SDF-Behandlung sind in Tabelle 1 zusammengefasst.

Tab. 1 Indikationen und Kontraindikationen der Behandlung mit Silberdiaminfluorid (SDF).

Therapeutischer Einsatz

Eine gewisse Kooperation des Kindes wird bei der Behandlung mit SDF benötigt, um zu vermeiden, dass das Weichgewebe versehentlich mit SDF in Berührung kommt [16]. Auch wenn die Behandlung als sicher gilt, sollte aufgrund der hohen Fluoridkonzentration nicht mehr als ein Tropfen SDF pro Sitzung appliziert werden (Infobox; [16]).

Nach zwei bis vier Wochen sollte der Behandlungserfolg, das heißt die Arretierung der kariösen Läsion, überprüft werden. Bei ausbleibendem Erfolg kann die Behandlung wiederholt werden (Abb. 1, Abb. 2; [16]).

Abb. 1
figure 2

Ausgangssituation der Milchmolaren 64 und 65 vor Applikation von Silberdiaminfluorid bei einem noch nicht kooperativen, zweijährigen Patienten

Abb. 2
figure 3

Milchmolaren 64 und 65 desselben Patienten sechs Monate nach der Applikation von Silberdiaminfluorid (Riva Star [Flüssigkeit 1 - SDF]; Fa. SDI Germany GmbH, Köln) mit dunkler Verfärbung der demineralisierten Zahnhartsubstanz

Die einmalige SDF-Anwendung erscheint für einen nachhaltigen Effekt unzureichend [6], weshalb eine halbjährliche bis jährliche Behandlung zur Aufrechterhaltung der Wirksamkeit indiziert sein kann [6, 16].

Tipp für die Praxis

Zu einem späteren Zeitpunkt kann bei guter Kooperation des Kindes eine definitive Restauration der kariösen Läsion angestrebt werden; diese kann in Kombination mit einem "atraumatic restorative treatment" als "silver modified atraumatic restorative treatment" (SMART; Abb. 3) oder als konventionelle Füllungstherapie erfolgen [16].

Abb. 3
figure 4

Nach Applikation von Silberdiaminfluorid (SDF; Riva Star; Fa. SDI Germany GmbH) am Milchmolar 74 wurde die Kavität im Verlauf mit einem niedrigviskösen Glasionomerzement (GC Fuji TRIAGE® CAPSULE; Fa. GC Europe, Leuven, Belgien) versorgt. Die dunklen Verfärbungen im Randbereich resultieren aus der SDF-Behandlung

Vor- und Nachteile

Zu den Vorteilen der Behandlung mit SDF zählt, dass es sich um eine nichtinvasive, kostengünstige, einfache und schnelle Methode handelt [3, 14, 22], bei der kein Aerosol entsteht. Dies hat sich vor allem in Zeiten der SARS-CoV-2-Pandemie als vorteilhaft zur Reduktion des Risikos der Virustransmission erwiesen [3]. Den hauptsächlichen Nachteil von SDF stellt die irreversible, dunkle Verfärbung der demineralisierten Zahnhartsubstanz durch Präzipitation des Silbers dar [4, 6, 7, 14, 17, 22]. Die anschließende Applikation von gesättigter Kaliumjodidlösung wird zur Minimierung der dunklen Verfärbung empfohlen [4, 14, 17]. Der langfristige Nutzen dieser Anwendung zur Verbesserung des ästhetischen Ergebnisses ist jedoch zum jetzigen Zeitpunkt nicht abschließend geklärt [34, 35].

Des Weiteren können Kleidung und Oberflächen irreversibel sowie die Haut reversibel nach versehentlichem Kontakt mit SDF verfärbt werden [4, 6, 14].

Bei direktem Kontakt von SDF mit der Gingiva lassen sich Irritationen erkennen [14, 22]; diese manifestieren sich klinisch als Erythem oder als kleine, weißliche, schmerzhafte Läsionen mit Spontanremission [6, 14, 36]. Darüber hinaus wird der metallische Geschmack von SDF als nachteilig bewertet [6, 14].

Tipp für die Praxis

Eine sorgfältige Aufklärung mit nachfolgender Einverständniserklärung ist von Bedeutung [7], insbesondere vor dem Hintergrund der zu erwartenden dunklen Verfärbung der Läsion [16] und aufgrund der Tatsache, dass es sich im Rahmen der Kariesprävention und -arretierung um eine zulassungsüberschreitende Anwendung handelt [4, 6].

Merke:

  • Hauptsächlicher Nachteil des SDF ist die irreversible, dunkle Verfärbung der demineralisierten Zahnhartsubstanz

Evidenz

Basierend auf vorhandenen Studienergebnissen gibt es Hinweise auf die Effektivität von SDF zur Arretierung koronaler Karies im Milchgebiss sowie zu Prävention und Arretierung von Wurzelkaries bei älteren Menschen [37]. Sowohl für die Kariesprävention im Milchgebiss als auch für die Kariesprävention und -arretierung bleibender Zähne von Kindern gibt es aktuell aufgrund der Studienlage weiteren Forschungsbedarf, um eine valide Aussage über die Wirksamkeit von SDF treffen zu können [37].

Merke:

  • Bezüglich einer validen Aussage zur Wirksamkeit von SDF in bestimmten Altersgruppen besteht weiterer Forschungsbedarf

Fazit für die Praxis

  • In der Kinderzahnheilkunde hat sich die zulassungsüberschreitende Anwendung von Silberdiaminfluorid (SDF) als effektiv für die Kariesarretierung bei Milchzähnen erwiesen [37].

  • Nach sorgfältiger Abwägung kann die Behandlung mit SDF eine Option für noch nicht kooperative Kinder mit symptomfreien, nichtinfizierten kariösen Läsionen darstellen, um durch die Kariesarretierung Zeit zu gewinnen, bis diese Kinder kooperativer im Rahmen zahnärztlicher Behandlungsmaßnahmen werden [14].