1 Ausgangslage

Die zunehmende Durchdringung des Alltags mit vor allem digitalen Medien verändert das gesellschaftliche Zusammenleben nachhaltig. Dies hat enormen Einfluss auf die Ausformung und -gestaltung der Lebenswelten u. a. von Heranwachsenden. Die empirisch nachgezeichnete umfangreiche Ausstattung dieser mit digitalen Medien (vgl. u. a. mpfs 2022) sowie darüber hinaus die selbstverständliche Nutzung verdeutlichen die Relevanz von Medien für das soziale Handeln von Kindern und Jugendlichen (vgl. Schleck und Witzel 2020, S. 57).

Der Mediatisierungsansatz nach Friedrich Krotz (u. a. Krotz 2020) ist für die Analyse dieser Entwicklungen hilfreich. Dieser beschreibt vor allem, „dass immer mehr soziale Handlungen von immer mehr Akteur*innen in medialen Bezügen vollzogen werden“ (Schleck und Witzel 2020, S. 56) und dient im hier vorgestellten Dissertationsprojekt als theoretische Folie, mit welcher der Wandel von Alltag, sozialen Beziehungen, Gesellschaft und Kultur im Kontext des Wandels von Medien (vgl. Krotz 2020, S. 33) gefasst werden kann. Der Mediatisierungsansatz versteht Digitalisierung als aktuellen Mediatisierungsschub, wobei Digitalisierung im Verständnis von Krotz ein „bloß technischer Begriff“ (2020, S. 30) ist, der nur unzureichend in der Lage ist, technologischen Wandel und den Wandel von Alltag, Kultur und Gesellschaft in ihren Zusammenhängen zu beschreiben. Der Mediatisierungsansatz „umfasst [demnach] auch Prozesse der Digitalisierung“ (Schleck und Witzel 2020, S. 56). Im Titel sowie vor allem im Interviewleitfaden wird aufgrund der alltagssprachlichen Verwendung mit dem Begriff der Digitalisierung gearbeitet.

Aufgrund der medialen Durchdringung der (Alltags‑)Praktiken von Fachkräften genauso wie von Heranwachsenden ist Soziale Arbeit aufgefordert, sich mit Aspekten von Digitalisierung kritisch-reflexiv auseinanderzusetzen. Dies betrifft ebenfalls das Arbeitsfeld der Schulsozialarbeit, also einem räumlich in Schule verorteten Angebot der Kinder- und Jugendhilfe (vgl. Speck 2006, S. 23), welches den Handlungsprinzipien einer modernen, lebensweltorientierten Sozialen Arbeit folgt. So gehen Stange, Baur und Rahn mit Bezug zum Arbeitsfeld davon aus, dass insbesondere im Zuge der Corona-Pandemie digitale Medien „als ein Aspekt jugendlicher Lebenswelten immer relevanter für eine Schulsozialarbeit [werden], die sich an ihren Adressat*innen orientieren will“ (2023, S. 306).

Das Tätigsein von Sozialarbeiter*innen im machtvollen (vgl. Reinecke-Terner 2017, S. 27) schulorganisatorischen Kontext und die dem Arbeitsfeld inhärente Bedeutsamkeit der Kooperation mit Lehrkräften ermöglichen und erfordern das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Orientierungen und Werthaltungen zweier berufskulturell differierender Professionen (siehe hierzu bspw. Schleck 2017, S. 69–72). Dies führt zu einem wachsenden Interesse, das Arbeitsfeld unter professionstheoretischen Gesichtspunkten empirisch zu beleuchten. So fragt Reinecke-Terner in ihrer 2017 erschienenen ethnographisch angelegten Studie was Schulsozialarbeiter*innen da eigentlich im Ort Schule herstellen und betont das „Handeln im sinnbildlichen Zwischen“ (Reinecke-Terner 2017, S. 11; Herv. i. O.). Anhand dessen wird deutlich, dass sozialpädagogisches Agieren in der Schule immer auch als „Akt des ‚Balancehaltens‘“ (ebd., S. 38) im Grenzraum von Schul- und Sozialpädagogik und damit zwischen genuin sozialpädagogischer Expertise und im Umgang mit Heranwachsenden (Das Eigene) und notwendigen Anpassungsleistungen an die Komponenten schulischer Funktionslogik (Das Andere) verstanden werden kann. Einen anderen Fokus setzt Katrin Haase, die in ihrer ebenfalls 2017 veröffentlichten biographieanalytischen Studie nach den beruflichen Selbstverständnissen von Schulsozialarbeiter*innen fragt und dabei Selbstbestimmung und Andersheit als zentrale Kennzeichen herausarbeitet. Die selbstbestimmte Andersheit von Schulsozialarbeiter*innen wird durch eine Doppelzugehörigkeit definiert (vgl. Haase 2017, S. 370) und damit eben auch durch die von Reinecke-Terner adressierte Ambivalenz zwischen Sozialer Arbeit und Schule.

2 Erkenntnisinteresse und Forschungsfragen

Trotz zunehmender Relevanz im Fachdiskurs ist der Zusammenhang von Digitalisierung und schulsozialarbeiterischer Praxis empirisch bisher nur marginal untersucht worden. Das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit wird durch folgende vier Fragestellungen geleitet:

  1. 1.

    Was bedeutet Digitalisierung für und in der Praxis von Schulsozialarbeitenden?

  2. 2.

    Welche Anforderungen nehmen Schulsozialarbeitende im Kontext von Digitalisierung in der alltäglichen Praxis am Ort Schule wahr?

  3. 3.

    Welche handlungsleitenden (berufsbezogenen) Orientierungen entfalten sich in der schulsozialarbeiterischen Praxis in Bezug auf Digitalisierungsprozesse und die damit verbundenen pädagogischen Herausforderungen?

  4. 4.

    Wie wird die Zusammenarbeit mit Lehrkräften erfahren und welche Rolle spielt diese für die Bearbeitung medienpädagogischer Herausforderungen?

Eine zentrale Annahme besteht darin, dass unterschiedliche Wissensformen es pädagogischen Fachkräften ermöglichen, der Komplexität im von Handlungsdruck geprägten beruflichen Alltag gerecht werden zu können, ohne von dieser dauernd überfordert zu sein. Ein im Arbeitsalltag angeeignetes Erfahrungswissen beeinflusst demzufolge maßgeblich berufliche Praxis, ist jedoch reflexiv nur schwer zugänglich (siehe hierzu Dewe und Radtke 1991; Combe und Kolbe 2008).

3 Forschungsdesign: Methodisch-methodologisches Vorgehen

Da sich das Forschungsinteresse zuvörderst auf implizite Wissensbestände bezieht, die vor allem in der Handlungspraxis der befragten Schulsozialarbeiter*innen eingelagert sind, eignet sich die Einnahme einer praxeologisch-wissenssoziologischen Perspektive. Deshalb ist das Forschungsprojekt in der Dokumentarischen Methode fundiert. Diese „dient der Rekonstruktion der praktischen Erfahrungen von Einzelpersonen und Gruppen, in Milieus und Organisationen, gibt Aufschluss über die Handlungsorientierungen, die sich in der jeweiligen Praxis dokumentieren, und eröffnet so einen Zugang zur Handlungspraxis“ (Nohl 2017, S. 4). Die Praxeologische Wissenssoziologie (siehe hierzu Bohnsack 2017) der Dokumentarischen Methode unterscheidet zwischen kommunikativ-generalisiertem Wissen, das reflexiv verfügbar und demnach abfragbar ist, und konjunktivem (Erfahrungs‑)Wissen, das als handlungspraktisches Wissen verstanden wird.

Um diesen Zugang zu eröffnen, wurden narrativ fundierte, leitfadengestützte Einzelinterviews mit insgesamt 13 Schulsozialarbeiter*innen geführt. Der Leitfaden ist so konzipiert, dass vor allem das atheoretisch-konjunktive Wissen und somit die handlungsleitenden Orientierungen im Hinblick auf berufliche Praxis und Digitalisierung erfasst werden können. Auch wird auf das theoretisch-kommunikative Wissen abgezielt, um auf diese Weise die Möglichkeit der Analyse des Verhältnisses der unterschiedlichen Wissensbestände zueinander und der Bearbeitung zwischen normativer und habitueller Orientierung zu eröffnen.