1 Mediatisierungsprozesse in Kindertageseinrichtungen

Die Institutionen der Kindheit sind durch ihre zwischenmenschliche Unmittelbarkeit geprägt: In der direkten Interaktion zwischen den Kindern sowie zwischen Kindern und Erwachsenen liegt ein Wesensmerkmal von Kindertageseinrichtungen. Sinnliche Wahrnehmung und soziale Erfahrungen sind die zentralen Faktoren für Entwicklungs- und Bildungsprozesse im (frühen) Kindesalter (Schäfer 2019). Lange war dies ein Grund dafür, Kindertageseinrichtungen nicht als Einsatzort digitaler Medien wahrzunehmen oder ihre Verwendung dort sogar als ungeeignet anzusehen. Dies hat sich jedoch geändert; die Digitalisierung ist inzwischen auch für Kitas ein wichtiges Thema (siehe z. B. Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz 2022). Insbesondere bei der „mittelbaren pädagogischen Arbeit“ (Knauf 2020, S. 235) wurde in den vergangenen Jahren ein breites Spektrum an medial vermittelten Angeboten und Instrumenten für Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen entwickelt. Zahlreiche Apps für die Kommunikation mit Eltern, für Beobachtung, Diagnostik und Dokumentation sind entstanden (Cohen et al. 2021; Holand et al. 2019; Reichert-Garschhammer 2021). Fortbildungen finden zunehmend virtuell statt; das Internet ist zu einer der wichtigsten Quellen für die Vorbereitung der Fachkräfte auf ihre pädagogische Arbeit geworden (Knauf 2019a). Diese Entwicklung kann im Kontext eines umfassenden Transformationsprozesses gesehen werden, wie ihn das Konzept der Mediatisierung beschreibt. Dabei wird die Einführung, Verbreitung und Nutzung digitaler Werkzeuge nicht technologisch gedeutet, sondern als gesellschaftliches Phänomen, das das gesellschaftliche Zusammenleben als Ganzes betrifft (Krotz 2015). Mit Mediatisierung wird eine langfristige Entwicklung beschrieben, die sich „kulturell abhängig, technologisch bezogen, sozial eingebettet, aber auch ungleichzeitig sowie nicht linear und nicht kausal“ vollzieht (a. a. O., S. 440). Die Perspektive der Mediatisierung regt dazu an, die Auswirkungen auf den verschiedenen gesellschaftlichen Funktionsebenen (z. B. soziale Beziehungen, Bildung, Arbeit) empirisch zu erfassen (ebd.). Mit Hepp (2018, S. 31) ist danach zu fragen „welchen Stellenwert medienvermittelte Kommunikation für die soziale Konstruktion der Wirklichkeit hat“. Diesem Anliegen folgt auch die hier vorgestellte Studie, indem sie die Veränderungen untersucht, die mit der Mediatisierung von Bildungsdokumentation in Kindertageseinrichtungen einhergehen.

1.1 Beispiel für Mediatisierung: Bildungsdokumentation

Bildungsdokumentation ist ein pädagogischer Schlüsselprozess in Kindertageseinrichtungen (Alasuutari et al. 2020; Dahlberg et al. 2013; Formosinho und de Sousa 2019; Knauf 2019a; Project Zero und Reggio Children 2011). Durch Bildungsdokumentation soll eine hochwertige Bildungsarbeit auch mit jungen Kindern unterstützt werden; indem Bildungsprozesse von Kindern in der Dokumentation sichtbar werden, können sie reflektiert und weiterentwickelt werden (Project Zero und Reggio Children 2011; Tan und Yang 2022). Deshalb wird Dokumentation auch im politischen Raum als wichtig erachtet (OECD 2015) und ist fester Bestandteil nationaler Curricula in vielen Ländern, z. B. in Deutschland (Kultusminister- und Jugendministerkonferenz 2022), Finnland (Lindh und Mansikka 2022) und Schweden (Skolverket 2018), in englischsprachigen Ländern oftmals auch als Assessment, wie beispielsweise in Neuseeland (Ministry of Education 2017).

Die am weitesten verbreitete Form der Dokumentation ist das Portfolio (OECD 2015). Dabei handelt es sich um eine Sammlung von Produkten des Kindes, Lerngeschichten, Fotos, Berichten und anderen Dokumenten (Knauf 2019b). Daneben gibt es auch Wand- und Projektdokumentationen, die vor allem im Kontext der Reggio-Pädagogik verbreitet sind („sprechende Wände“; Project Zero und Reggio Children 2011; Rinaldi 2006). Die Praxis des Dokumentierens umfasst insbesondere das Beobachten, Fotografieren und Analysieren, aber auch die Kommunikation mit Kindern, Kolleg*innen und Eltern darüber.

Der Umsetzung der Dokumentation im Kita-Alltag stehen jedoch verschiedene Barrieren gegenüber, die dazu führen, dass tatsächlich weniger dokumentiert wird, als es sinnvoll wäre. Ein zentraler Grund hierfür ist, dass zu wenig Zeit zur Verfügung steht (Grant et al. 2016; Viernickel et al. 2013). Als weiteres Hemmnis erweist sich die mangelnde fachliche Kompetenz für das Dokumentieren, so dass oftmals andere als die eigentlich intendierten Ziele verfolgt werden, etwa indem die optisch ansprechende Sammlung hübscher Bilder die analytische oder bildungsanregende Funktion verdrängt (Müller und Zipperle 2011). Zu beobachten ist auch, dass die Kinder nur vordergründig Adressaten der Dokumentation sind und eigentlich die Eltern angesprochen werden sollen (Birbili 2022; Knauf 2017). Organisatorische Rahmenbedingungen sind ein entscheidender Faktor für Umfang und Qualität der Bildungsdokumentation (Knauf 2020; Schönborn und Kuhl 2020; Viernickel et al. 2013). Generell wird eine große Diskrepanz zwischen hohen professionellen Anforderungen und unzureichenden Ressourcen sichtbar.

Vor diesem Hintergrund erscheinen digitale Formen eine mögliche Lösung, wie sich Bildungsdokumentationen vereinfachen lassen: Mit Hilfe von Apps kann die gesamte Bildungsdokumentation von Datenaufzeichnung, -visualisierung und -archivierung mit einem einzigen Gerät ausgeführt werden. Ein Portfolio, das mit Hilfe einer App auf dem Tablet geführt wird, kann möglicherweise besser in den Workflow der pädagogischen Fachkräfte integriert werden. Dadurch sollen sich Erleichterungen und Zeitersparnisse ergeben (Bostelmann et al. 2017; Burghardt und Knauf 2015; Holand et al. 2019; Knauf 2020; Kumpulainen und Ouakrim-Soivio 2019; Lepold und Ullmann 2018).

Dank mobiler Technologie ist es möglich, in situ zu dokumentieren; d. h., der Zeitpunkt des Dokumentierens liegt eng an der dokumentierten Situation. Auch kann schneller dokumentiert werden, da beispielsweise nicht erst auf entwickelte Fotos aus einem Labor gewartet werden muss. Die Hoffnung besteht, dass die Qualität der Dokumentation durch digitale Werkzeuge verbessert wird, weil sie durch bessere Übersichtlichkeit und eine engere Menüführung ein systematischeres Vorgehen als bei einer freien Portfoliogestaltung sicherstellt. Bildungsprozesse können durch Fotos und Videoaufnahmen besonders umfassend und differenziert festgehalten werden (Kumpulainen und Ouakrim-Soivio 2019). Auch ist es möglich, dass Kinder und Eltern besser als bei der Verwendung analoger Portfolios am Dokumentationsprozess partizipieren und sich die Kommunikation mit Eltern über Bildungsprozesse intensiviert (Aras et al. 2021; Buchholz und Riley 2020; Einarsdóttir 2005; Gallagher 2018; Hooker 2019; Knauf 2020; Knauf und Lepold 2021; Parnell und Bartlett 2012).

In den vergangenen Jahren sind digitale Werkzeuge für Dokumentation entwickelt worden, welche die analoge Portfolioarbeit ergänzen oder ersetzen können (Bostelmann et al. 2017; Buchloh 2017). Typischerweise kommen dabei Apps für Tablets zum Einsatz (Burghardt und Knauf 2015; Lepold 2015). Insgesamt wird dieser Technik ein großes Potenzial zugesprochen; es wird in den kommenden Jahren von einer vermehrten Nutzung ausgegangen (Holand et al. 2019; Knauf 2020). Tatsächlich zeigt sich, dass Portfolio-Apps in vielen Ländern eine stärkere Verbreitung finden (Alanko et al. 2019; Gallagher 2018; Lim 2017). In Deutschland werden Portfolio-Apps bislang wenig genutzt (Kluwer 2020; Knauf 2019b, 2020; Schönborn und Kuhl 2020; Schulze 2019). Hierfür werden verschiedene Gründe genannt: So ist die Ausstattung mit Hard- und Software sowie mit Internetzugang in vielen Einrichtungen unzureichend (Knauf 2019b). Viele pädagogische Fachkräfte sind skeptisch gegenüber der Nutzung digitaler Portfolios (Schönborn und Kuhl 2020). Hinzu kommen Unklarheiten beim Datenschutz, denn viele pädagogische Fachkräfte sind unsicher, ob und inwieweit die digital produzierten Daten geschützt sind, und wie sie mit diesen angemessen verfahren sollen (Knauf 2020; Schulze 2019). Schließlich ist zu berücksichtigen, dass privatwirtschaftliche Akteure an Einfluss gewinnen (Förschler 2021). So sind die zur Dokumentation eingesetzten Apps in der Regel kostenpflichtig, bedürfen der langfristigen Beratung und Begleitung durch den Appentwickler sowie einer entsprechenden Infrastruktur in Form von digitalen Endgeräten und Datenspeichern.

Internationale Forschung betrachtete die Auswirkungen aus professionstheoretischer Perspektive. Albin-Clark (2022) untersuchte, wie sich durch das digitale Dokumentieren die Arbeitsanforderungen verändern; sie konnte zeigen, dass die Nutzung digitaler Dokumentationsapps zu einer Verwischung der Grenzen zwischen Berufs- und Privatrolle der pädagogischen Fachkräfte führt. In einer Untersuchung in Australien und Neuseeland wurde deutlich, dass durch die Struktur der Dokumentationssoftware bestimmte Wahrnehmungsfilter bei den Fachkräften aktiviert werden. Dadurch nahmen die befragten Fachkräfte beispielsweise vor allem solche Bildungsprozesse von Kindern wahr, die leicht mit Schlagworten zu versehen waren oder in denen ein in sich abgeschlossener Bildungsprozess stattfand – andere Bildungsprozesse hingegen wurden eher übersehen (White et al. 2021).

Vor diesem Hintergrund war es Ziel der hier vorgestellten Analyse herauszufinden, welche Veränderungen Fachkräfte in ihrer pädagogischen Arbeit im Kontext der wachsenden Bedeutung digitaler Werkzeuge beobachten und wie sie diese deuten. Dies soll am Beispiel des pädagogischen Kernprozesses des Dokumentierens herausgearbeitet werden.

2 Methodisches Vorgehen

Um die Erfahrungen von Fachkräften mit Digitalisierung zu untersuchen, wurde ein qualitativer Ansatz gewählt; dieser ermöglicht eine Rekonstruktion der Perspektiven der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Untersuchung. Für die Untersuchung wurde das Instrument der Gruppendiskussion ausgewählt. Gruppendiskussionen haben (gegenüber Interviews) den Vorteil, dass die Interaktion der Teilnehmenden durch den Austausch über Erfahrungen, Meinungen, Einstellungen und Interpretationen zu zusätzlichen Gedanken anregt (Kühn und Koschel 2011). Durch dieses dynamische Element können Themen besonders umfassend und vielfältig beleuchtet werden, Argumentationslinien lassen sich in der Abgrenzung voneinander oftmals klarer herausschälen: „Erst im Gespräch sieht man sich gezwungen, die eigene Meinung zu benennen und zu behaupten, wodurch tieferliegende Einstellungen und ein größerer Bereich von Reaktionsweisen zum Vorschein kommen“ (Vogl 2019, S. 696). Dieses Vorgehen erschien für die hier vorgestellte Untersuchung besonders sinnvoll, weil den teilnehmenden Fachkräften ihre Erfahrungen mit Digitalisierung bzw. Mediatisierung möglicherweise nicht oder nur teilweise bewusst sind und sich diese – so die Hoffnung – im gegenseitigen Austausch leichter herausarbeiten lassen. Die Teilnehmenden waren nicht nur in der Rolle derjenigen, über die geforscht wird, sondern sie wurden durch die gemeinsame Rekonstruktion der Erfahrungen im Diskurs zugleich selbst zu Forschenden ihrer eigenen Erfahrungen und Perspektiven.

Für die Gruppendiskussion wurden nur Fachkräfte einbezogen, die intensiv mit digitalen Portfolios gearbeitet hatten. Genutzt wurde die App „Kitalino“. Funktionen sind die Erstellung von Portfolioseiten, das Einfügen von Audioaufnahmen, Fotos und Videos, die Zuordnung zu (mehreren) Kindern und die Bereitstellung der Portfolioeinträge über eine Cloud für die Eltern. Für die Studie wurden zwei Gruppendiskussionen durchgeführt, an denen jeweils fünf Personen teilnahmen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren in verschiedenen Kindertageseinrichtungen desselben Trägers (Fröbel) beschäftigt. An der Gruppendiskussion nahmen pädagogische Fachkräfte aus Berlin (w = 5) und Leipzig (w = 2, m = 3) teil. Alle Fachkräfte hatten mindestens seit zwei Jahren mit digitalen Tools gearbeitet.

Die Gruppendiskussionen wurden von einer der Forscherinnen moderiert und audiovisuell aufgezeichnet. Zur Strukturierung der Diskussionen wurde ein Leitfaden entwickelt und eingesetzt. Der Leitfaden sollte sicherstellen, dass bestimmte Themen behandelt werden; zugleich war er so offen gestaltet, dass eine möglichst natürliche Gesprächsatmosphäre entstehen konnte. Die durch den Leitfaden eingebrachten Themen waren Einstellung zur digitalen Bildungsdokumentation, Erfahrungen mit dem Einsatz im Arbeitsalltag und Erfahrungen mit der Nutzung durch Kinder und Eltern. Als Anfangsimpuls wurden den Teilnehmenden Figuren mit verschiedenen Gesichtsausdrücken zur Auswahl vorgelegt. Die Teilnehmenden sollten einen Gesichtsausdruck auswählen: „Wo sehen Sie sich, wenn sie an digitale Bildungsdokumentation denken?“ Dieser Impuls ermöglichte einen intuitiven, spontanen Einstieg, der an die in Messenger-Diensten verbreitete Kommunikation über Emojis anknüpft. Dieser Einstiegsimpuls wurde von den Untersuchungsteilnehmer*innen intensiv aufgegriffen.

Die Gruppendiskussionen fanden im November 2021 in Präsenz und im Januar 2022 in Form einer Videokonferenz (aufgrund der damals herrschenden Infektionsschutzreglungen) statt; sie dauerten 45 bzw. 60 min. Im Anschluss wurden die Diskussionen im Wortlaut transkribiert. Die visuelle Aufzeichnung ermöglichte die Zuordnung der Wortbeiträge zu einzelnen Sprecherinnen bzw. Sprechern.

Die Auswertung der Gruppendiskussionen orientierte sich am Forschungsparadigma der Grounded Theory (Corbin und Strauss 2015; Muckel 2011). Das Ziel der Analyse war die Rekonstruktion subjektiver Theorien über die Mediatisierung in Kindertageseinrichtungen am Beispiel des Einsatzes digitaler Portfolios. Als subjektive Theorien werden implizit vorhandene „Kognitionen [verstanden], in denen sich die subjektive Sichtweise des Erlebens und Handelns niederschlagen“ (Mandl 1998, S. 98). Sie dienen dazu, das eigene Verhalten und das der Umgebung zu verstehen und zu erklären, so dass sie Orientierung und Handlungsfähigkeit ermöglichen.

Die Gruppendiskussionen wurden zunächst gesichtet und anschließend kodiert. Die Kodierung erfolgt dabei aus dem Material heraus in mehreren Schritten: Zunächst wurden die Transkripte nach den Erfahrungen der Fachkräfte mit digitaler Dokumentation makroskopisch analysiert (Breuer et al. 2019). In einem zweiten Kodierdurchlauf wurden mit mikroskopischen Filtern die wahrgenommenen Veränderungen durch Nutzung digitaler Dokumentation identifiziert. Als für die Befragten bedeutsame Codes erwiesen sich die Veränderungen des Dokumentierens, die sie insgesamt in drei verschiedenen Dimensionen wahrnehmen:

  • Inhalte der Dokumentation

  • Prozess des Dokumentierens

  • Interaktion unter den Beteiligten

Die Zuordnung zu den Codes wurde mit dem Ziel der Verbesserung der Intercoderreliabilität von den Forscherinnen jeweils unabhängig unternommen. Deutlich wurde in diesem Schritt, dass die drei Dimensionen eng miteinander verschränkt sind. Zugleich konnte aber auch eine klare Abgrenzung der Kategorien voneinander erreicht werden, wie sie für eine eindeutige Kategorienbildung notwendig ist (Kelle und Kluge 2010).

3 Ergebnisse

3.1 Inhalte der Dokumentation

Ein wesentlicher Unterschied der digitalen zur analogen Form der Dokumentation ist die durch die App gegebene Option, auch Audio- und Videoaufzeichnungen zu integrieren. Die an der Untersuchung beteiligten Fachkräfte beschrieben dies als eine zentrale Veränderung. Eine Fachkraft merkte dazu an:

„Das Tablet ist immer in Reichweite und ich kann schnell Videoaufzeichnungen durchführen, zum Beispiel, wenn die Kinder spielen. Somit [entsteht] eine ganz andere Möglichkeit der Dokumentation, da erkennbar ist, wie sich das Kind in diesen Situationen verhält“. (GD_B_B2, Pos. 15)

Diese Möglichkeit wurde als Bereicherung beschrieben, entsprechend äußerte sich eine andere Fachkraft in Bezug auf Audioaufnahmen:

„… man kann eben auch Lerngeschichten mit dem Sprachmodus aufnehmen. Das finde ich super“. (GD_B_B2, Pos. 4)

Als besonders positiv wurde hervorgehoben, dass durch Sprachaufnahmen die Kinder unmittelbar etwas zur Dokumentation beitragen können. Dadurch, dass die Kinder selbst von ihren Erfahrungen und Beobachtungen erzählen, ließen sich ihre Sichtweisen stärker einbeziehen.

Eine weitere Veränderung sei die stärkere Fokussierung der im Portfolio festgehaltenen Inhalte auf die Bildungsprozesse statt auf die Darstellung von Ergebnissen. Für die analoge Dokumentation beschrieben die pädagogischen Fachkräfte es als besonders aufwändig, Interaktionsprozesse nachzuzeichnen, wohingegen durch die mediale Vielfalt der digitalen Dokumentation (Fotos, Videos, Sprachaufzeichnungen) verschiedene Phasen der Entwicklung leichter zu erfassen seien. Zugleich steige mit zusätzlichen Dokumentationskanälen der Detailreichtum, weil beispielsweise mehr Zitate der Kinder oder bestimmte Zwischenschritte erfasst werden können. Gerade durch Videoaufnahmen könne eine Situation umfassend dokumentiert werden. Ton und Bild können so eingefangen werden, so dass auch Details einer Interaktion erhalten bleiben, die bei einer Beschreibung in Form von Text ausgeschlossen werden. Mit dem Fokus auf Prozesse sparen die Fachkräfte Zeit ein: Mit einem einzigen Gerät (dem Tablet) werden die Aufnahmen erstellt und in der Folge in das Portfolio oder die Gruppenportfolios gespeichert. Die Dokumentation erfolgt in der Situation selbst; der Schritt der nachträglichen Verschriftlichung entfällt. Dadurch, so berichteten die Fachkräfte, dokumentieren sie häufiger und die Entwicklungen der Kinder können engmaschiger erfasst werden.

Bei der Nutzung der in der Portfolio-App hinterlegten standardisierten Diagnostikinstrumente nehmen die Fachkräfte ebenfalls Veränderungen wahr. Diese Instrumente sollen sprachliche Fähigkeiten (BaSIK, liseb, Seldak, Sismik), sozial-emotionale Kompetenzen (PERiK) oder Entwicklungsauffälligkeiten und -abweichungen (EBD) erfassen. Zwar wurden solche Diagnostikinstrumente auch vor Einführung der App in einer Paper-and-Pencil-Version verwendet; die App regt aber zu einem häufigeren Einsatz an. Vor allem aber erleben sich die Fachkräfte bei der Anwendung der Instrumente am Tablet offenbar als kompetenter und in ihrer Professionsrolle als pädagogische Fachkräfte aufgewertet, wie dieses Zitat verdeutlicht:

„Man hat tatsächlich mal die Möglichkeit, wie ein Arzt oder Psychologe anerkannt zu werden“. (GD_L_B5, Pos. 144)

Insgesamt beobachten die Befragten eine Vereinheitlichung der Dokumentation, weil sie durch die verschiedenen in der App vorgegebenen (und nicht individuell veränderbaren) Vorlagen und Formulare strukturiert ist. Eine Fachkraft sieht in der Folge weniger Möglichkeiten, das Portfolio individuell zu gestalten: Sie bewertete dies als „Vereinheitlichung […], dass es nicht so individuell ist, auch in der Gestaltung nicht“ (GD_L_B2_ Pos. 154). Dies erleben einige Fachkräfte als Einschränkung, weil sie etwa eine mit der Hand geschriebene Dokumentation als persönlicher und aussagekräftiger einschätzen. Andere beurteilen die Einheitlichkeit und die damit verbundene Anonymität positiv. Unterschiede in der Kompetenz der Fachkräfte werden ausgeglichen, und die entstehenden Portfolios entsprechen einem einheitlichen Qualitätsstandard, wie eine Fachkraft anmerkte:

„Eine digitale Dokumentation verleiht jedem halbwegs gebildeten Menschen die Möglichkeit, das gleiche Produkt wie jemand anderes zu machen, der vielleicht fachlich besser ist. […] und kann jedem ermöglichen, seine Arbeit zu präsentieren und so zu glänzen“. (GD_L_B5, Pos. 150)

3.2 Prozess des Dokumentierens

Nicht nur das Dokument selbst, sondern auch der Entstehungsprozess der Portfolios verändert sich, wenn mit einem digitalen Instrument gearbeitet wird. Einen breiten Konsens gab es in den Gruppendiskussionen darüber, dass die Kinder stärker in das Dokumentieren eingebunden werden sollen. In allen Einrichtungen, in denen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Gruppendiskussionen arbeiten, werden Tablet und Portfolio-Apps zusammen mit den Kindern genutzt. Eine Fachkraft beschrieb:

„Wenn ich […] ein Portfolio für ein einzelnes Kind […] schreibe, dann nehme ich mir das Kind meistens mit dazu. Entscheide mit dem Kind gemeinsam, welche Bilder packen wir rein […] dann schreibe ich da auch gemeinsam mit den Kindern dran: ‚Nenn mir mal Details. Was ist da alles drin verbaut?‘ Da kommen wunderschöne Geschichten zusammen, die man da gestalten kann“ (GD_L_B4, Pos. 186).

Die Kinder nehmen zum Beispiel die Fotos auf, treffen eine passende Auswahl und suchen die digitalen Formulare in der App aus. Eine Fachkraft beschrieb, wie Bildungsprozesse auf diese Weise intensiver und nachhaltiger werden:

„Ein Foto, das ich selbst gemacht habe, daran kann ich mich nach Jahren noch erinnern. Ich glaube, wenn wir in der Lage sind, Kindern die technischen Geräte in die Hand zu geben, dass sie das Bild, den Moment und den Prozess selber beschreiben und genau das dokumentieren, dann haben wir tatsächlich das Kind dort, dass es sich an die Dokumentation, was durch sie gemacht worden ist, tatsächlich erinnern kann“. (GD_L_B5, Pos. 162)

Der Prozess des Dokumentierens verändert sich insbesondere dadurch, dass der zeitliche Abstand zwischen der dokumentierten Situation und dem Dokumentieren verringert wird. Die mobile Technik und die Integration von Foto‑, Audio- und Videoaufnahmen in die App erlauben eine zeitnahe Verarbeitung des Geschehenen. Die Fachkräfte müssen nicht warten, bis Fotos erst Tage oder Wochen später entwickelt wurden und die betreffenden Situationen bei den Kindern in dieser Zeit schon in Vergessenheit geraten sind, sondern sie können unmittelbar einen Text zum ausgewählten Foto erstellen. Hierdurch können die dokumentierten Situationen präziser erinnert und treffender analysiert werden. Weitere Zeitersparnisse ergeben sich, weil auf Formulare, Vorlagen und Checklisten zurückgegriffen werden kann, wie diese Fachkraft beschrieb:

„Das ‚mit dem Tablet zu machen, bringt tatsächlich die Zeit und Auswertungsersparnis, die man sich erhofft‘“. (GD_L_B5, Pos. 144)

3.3 Kommunikation unter den Beteiligten

Aus Sicht der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Gruppendiskussion hat sich mit der Einführung der digitalen Dokumentation die Interaktionsqualität und -dichte unter den Akteuren stark erhöht. Dies betrifft erstens die Interaktion zwischen Fachkräften und Kindern. So wurde mehrfach geäußert, dass auf der Grundlage des Mitwirkens der Kinder vielzählige Gesprächsanreize entstehen, die zu mehr verbaler Interaktion zwischen den Kindern und pädagogischen Fachkräften führen, wie das folgende Zitat verdeutlicht:

„Man kann sich ja mit den Kindern auch direkt austauschen. Schau mal, da ist ein Foto von dir. Da hast du das und das gemacht. Dann hat man es gleich erfasst im Digitalen und kann es jederzeit schnell aufrufen und man muss nicht irgendwie im Sprachlerntagebuch schnell herumblättern und suchen. Wo ist jetzt der Moment, wo ich dich beobachtet habe und wo ich gerade mit dir darüber reden kann“. (GD_B_B6, Pos. 164)

Zweitens hat sich auch die Kommunikation der Fachkräfte mit den Eltern intensiviert. Dies liegt auch daran, dass diese mit Hilfe der App besser erreichbar seien, denn sie können auch über ihre Mobiltelefone auf das Portfolio zugreifen. Die Eltern würden häufiger in die Dokumentation schauen und sich auch selbst daran beteiligen, wie eine Fachkraft berichtete:

„Die Eltern haben jederzeit Zugriff auf dieses digitale Portfolio von zuhause aus und können mit dem Kind ins Gespräch gehen“. (GD_L_B3_32)

Durch die Portfolio-App wird aus Sicht der Fachkräfte auch eine individuellere Kommunikation mit den Eltern möglich, da sich durch die App ein privaterer Kanal zum Austausch eröffnet, der orts- und zeitunabhängig von beiden Akteuren genutzt werden kann. Die Verstärkung dieses digitalen Kanals führt aber auch dazu, dass weniger direkt kommuniziert wird, wie diese Fachkraft erlebt:

„Früher hat man dann so ein bisschen mit den Eltern auch vielmehr noch gesprochen. [Jetzt hat man] Vielmehr Interaktion, man verschickt einfach. Man teilt einfach und irgendwie geht das [persönliche Gespräch] dadurch auch so ein bisschen zurück“. (GD_B_B2, Pos. 33)

Dieser Wahrnehmung widersprachen andere Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Diskussion jedoch, weil für sie die Kommunikation mit Eltern über den digitalen Kanal lediglich eine Ergänzung zur direkten Kommunikation sei.

Die Dokumentation in den für die Eltern zugänglichen digitalen Portfolios wird als eine Form der positiven Präsentation der eigenen Arbeit gesehen. Das folgende Zitat verdeutlicht, dass durch das digitale Portfolio eine neue Bühne eröffnet wird, auf der die Fachkräfte ihre Arbeit in einem guten Licht darstellen können:

„Da […] waren digitale Portfolios eine grandiose Möglichkeit, die eigene Arbeit zu präsentieren. Zu zeigen, was man getan hat, zu sehen, was man für das Geld gemacht hat, aber keine Kinder betreut hat. Konnte man prima eben zeigen. Zack, zack, zack, zack, zack, das auch an die Eltern kommunizieren“. (GD_L_B5, Pos. 57)

Die Teilnehmerinnen und -teilnehmer der Gruppendiskussionen berichten zum Teil mit großer Freude, wie sich die Kommunikation mit Eltern durch die digitalen Tools verändert hat, sie empfänden diese gewachsene Intensität als Anerkennung ihrer Arbeit. Diese Zufriedenheit bezieht sich auch auf das Erfolgserlebnis, wenn Kinder stärker in die Dokumentation einbezogen werden. Das damit verbundene Selbstwirksamkeitserleben beschrieben die Fachkräfte als einen besonderen Vorteil.

Nicht nur die Kommunikation zwischen Fachkräften und Eltern hat sich intensiviert, auch die Kommunikation zwischen Eltern und Kindern über Themen in der Kita habe sich verstärkt. Mit Hilfe der vielfältigen Medien ergeben sich nach Beobachtung der Teilnehmenden im familiären Umfeld neue und andere Gesprächsanlässe. Eine Fachkraft beschrieb:

„Damit die Eltern das auch mal so ein bisschen aus der Kindsicht haben, was dem Kind da gerade wichtig ist. Das Ganze schafft auch einfach Gesprächspotenzial bei den Familien zu Hause. Was uns positiv gespiegelt wird, dass wenn wir den Eltern etwas senden oder etwas aushängen […], dass die Eltern dann auf uns zukommen“. (GD_L_B4, Pos. 186)

Schließlich beschrieben die Diskussionsteilnehmerinnen und -teilnehmer auch den stärkeren Austausch im Team als eine Veränderung, die mit dem digitalen Dokumentieren einhergeht. Dies wird vor allem dadurch möglich, dass alle Portfolioeinträge an einem einzigen (virtuellen) Ort abgelegt werden und so für das gesamte Team zugänglich sind. Das systematische Ablagesystem in der App erleichtert das Auffinden von Portfolioeinträgen. In der Folge wird es möglich, Material zu einzelnen Kindern zu finden und mit den eigenen Beobachtungen zu diesem Kind zu vergleichen.

4 Diskussion

Die vorliegende Studie verdeutlicht, dass die Umstellung von einer analogen auf eine digitale Dokumentation auch die Inhalte der Dokumentation selbst verändert. Die digitale Technik mit ihrer Integration verschiedener Dokumentationskanäle ermöglicht es, Situationen anders zu dokumentieren und dabei insbesondere die Kinder stärker zu beteiligen. Anstelle von fertigen Produkten (Bilder, Bauwerke, ausgefüllte Arbeitsblätter) werden nach Aussage der Fachkräfte stärker die Entstehungsprozesse der Produkte und vor allem Interaktionen und Situationen dokumentiert, die gar nicht in einem Produkt münden (z. B. Kinder, die beobachten, miteinander verhandeln, spielen). So betonen die befragten Fachkräfte, wie umfassend, prozessorientiert und zeitnah sie mit Hilfe des digitalen Verfahrens dokumentieren können. Hier ist ein Blick auf das interessant, was von den Fachkräften nicht berichtet wird: So thematisieren sie etwa nicht, dass sie die Bedürfnisse, Interessen oder Bildungsprozesse der Kinder dadurch besser verstehen. Es stellt sich daher die Frage, ob die Bilder, Filme und Audioaufnahmen nun eher für sich selbst stehen sollen und die Fachkräfte den Eindruck haben, dass sich durch die Dokumentation in situ weitere Analysen erübrigen. Da die App mit einer Fingerbewegung die Zuordnung der beobachteten Aktivtäten zu einem Bildungs- und Entwicklungsbereichen ermöglicht, besteht die Gefahr, dass sich die Interpretation auf diese Zuordnung beschränkt, eine Erklärung, Einordnung und Reflexion jedoch nicht stattfindet. Auch das Nachdenken über anknüpfende Förder- und Anregungsmöglichkeiten, welches ein wesentlicher Teil der Dokumentation und zugleich Ausweis der fachlichen Kompetenz der Pädagoginnen und Pädagogen ist (Maldonado-Ruiz und Soto Gómez 2021; Rintakorpi 2016), könnte dadurch ausgelassen werden. Gerade die Systematik der App und die von den Fachkräften wahrgenommene professionelle Ausstrahlung des Tablets verleiteten dann dazu, diese inhaltlichen Schritte zu überspringen oder für weniger wichtig zu erachten. Hierfür geben die Aussagen der Fachkräfte, die im Rahmen der hier vorgestellten Untersuchung getroffen wurden, nur erste Hinweise. Die Analyse von Portfolioeinträgen aus digitalen Dokumentationen könnte hier Klarheit verschaffen. Eine Hypothese wäre hier, dass zwar mehr kommuniziert wird, aber diese Kommunikation eher zu den Inhalten der Bildungsdokumentation erfolgt und weniger pädagogisch reflektiert wird. Träfe dies zu, bestünde Gefahr, dass mit der Digitalisierung der Dokumentation eine größere Oberflächlichkeit einhergeht.

Selbst wenn diese Analyse zutreffend wäre, wäre dies jedoch kein spezifisches Merkmal digitaler Dokumentation, denn Untersuchungen analoger Portfolioeinträge zeigen, dass auch hier oftmals nicht oder nur wenig analysiert wird (Knauf 2017). Deutlich würde aber werden, dass auch digitale Dokumentationsverfahren die Lücke zwischen den hohen Erwartungen an Dokumentation einerseits und einer oftmals banalen Dokumentationspraxis andererseits nicht schließen können.

Andere Grundprobleme der Bildungsdokumentation hingegen könnten sich durch die Verwendung von Dokumentations-Apps hingegen verringern. So haben die Fachkräfte den Eindruck, dass insbesondere das zentrale Hindernis des Zeitmangels (Grant et al. 2016; Viernickel et al. 2013) reduziert werden kann. Wie bereits Burghardt und Knauf (2015) zeigen konnten, scheinen sich die verschiedentlich geäußerten Erwartungen in die Digitalisierung der Dokumentation (Kumpulainen und Ouakrim-Soivio 2019; Lepold und Ullmann 2018; Holand et al. 2019) hier zu bestätigen.

Die digitalen Kanäle führen zu einer intensiveren Kommunikation zwischen den beteiligten Akteuren. Insbesondere beschreiben die Fachkräfte einen stärkeren Austausch mit den Eltern, den sie als eine Zunahme fachlicher Interaktion erleben. Fachkräfte haben die Gelegenheit, sich als kompetente Begleiter der Bildungsprozesse der Kinder zu zeigen und so einen inhaltlichen Austausch anzustoßen (im Gegensatz zu den oftmals in Fachkraft-Eltern-Interaktionen dominierenden organisatorischen Fragen). Dadurch erleben die Fachkräfte sich nicht nur als professionell, sondern fühlen sich auch besonders gewürdigt – ein gerade in Zeiten des Fachkräftemangels nicht zu unterschätzender Faktor zur Steigerung der Attraktivität des Berufs. Die in der Literatur als problematisch beschriebenen möglichen Auswirkungen auf die pädagogische Arbeit und die Fachkräfte selbst (z. B. steigender Erwartungsdruck, weniger Zeit mit den Kindern, verzerrte Wahrnehmung; Albin-Clark 2022; Schönborn und Kuhl 2020; White et al. 2021) wurden in den Gruppendiskussionen nicht thematisiert. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer scheinen diese Auswirkungen in ihrem Arbeitsalltag (noch) nicht wahrzunehmen. Auch die verschiedentlich problematisierte Hypertransparenz durch die dauerhaft präsente Dokumentation (z. B. Knauf 2020) wurde von den Untersuchungsteilnehmern nicht thematisiert.

An die Ergebnisse schließen sich neue und weiterführende Fragen an. Gerade mit Blick auf die Identifikation unerwünschter Folgen wäre eine erneute Befragung zu einem späteren Zeitpunkt wichtig. Auch der Vergleich von digital erstellen Portfolios mit analogen Portfolios sowie die Analyse der App selbst (z. B. über eine Artefaktanalyse) wären sinnvolle nächste Schritte, um die im Kontext von Kindertageseinrichtungen im Allgemeinen und bei der Bildungsdokumentation im Besonderen stattfindenden Prozesse Mediatisierungsprozesse besser zu verstehen.

Die in den hier analysierten Gruppendiskussionen zum Ausdruck kommenden Erfahrungen dokumentieren und konkretisieren, was Mediatisierung im Kontext von Bildungsinstitutionen bedeutet: eine zunehmende Verstrickung von technischen Instrumenten und sozialen Praktiken, die Hepp (2018) als tiefgreifende Mediatisierung beschreibt. Wie Abb. 1 verdeutlicht, besteht die Praxis des Dokumentierens aus den Elementen des Beobachtens, des Auswählens geeigneter Situationen, des Festhaltens in Wort, Bild und Ton, des Austauschs über das Festgehaltene, ggf. der Veränderung des Festgehaltenen und der Präsentation bzw. Ablage der Dokumentation.

Abb. 1
figure 1

Elemente der Praxis des Dokumentierens

Die Äußerungen der Fachkräfte deuten darauf hin, dass sich diese Elemente deutlich verändern, wenn sie mit digitaler Technologie begleitet werden. Bereits die Auswahl der für die Dokumentation geeigneten Situationen (Abb. 1, 1.) verändert sich, weil sich der Fokus hin zu den Prozessen (der Interaktion, der Bildung) und weg vom Ergebnis verschiebt. Damit in Zusammenhang steht die Veränderung des Festhaltens (2.), weil sich hier eine Verlagerung von verbalen auf audiovisuelle Aufzeichnungen abzeichnet. Die von den Fachkräften betonte Intensivierung des Austausches (3.) kann auch als Folge dieser Verlagerung gesehen werden, möglicherweise weil die Reduktion schriftlich festgehaltener Beschreibungen und Analysen nach mehr Mündlichkeit verlangt. Über Grad und Umfang der Veränderung der Dokumentation aufgrund des Austauschs (4.) lässt sich aufgrund der hier vorliegenden Daten keine Aussage treffen, Gleiches gilt für die Ablage der Dokumentation (5.).

Hieraus ergeben sich zwei wichtige Hinweise, für die hier Hypothesen formuliert werden: Erstens ist das Dokumentieren mit Hilfe digitaler Technologie nicht nur ein Hilfsmittel für die physischen bzw. analogen sozialen Praktiken des Dokumentierens, sondern verändert diese maßgeblich. Dabei könnte eine Verschiebung von Schriftlichkeit zu Mündlichkeit und von Verbalität zur Visualität stattfinden. In Verbindung mit der Beobachtung der Fachkräfte, dass die digital unterstützte Dokumentation weniger zeitintensiv ist, wachsen durch die Digitalisierung möglicherweise die Ressourcen für den Austausch mit Eltern.

Zweitens ergibt sich in der Folge dieser Verschiebung ein geringerer Grad an Materialität der Dokumentation. Ferraris (2013) beschreibt mit dem Begriff der Documentality eine durch die Dauerhaftigkeit der abgelegten, archivierten Dokumente entstehende hohe Wirkmächtigkeit. Mündlichkeit und Visualität könnten als flüchtigere Formen der Dokumentation weniger dauerhafte und Spuren in Form fixierter Deutungen hinterlassen und so deren Charakter als Inskription reduzieren. Wenn etwas eine Situation zwischen zwei Kindern von der Fachkraft gefilmt, einem Bildungsbereich zugeordnet wird und dann im Portfolio abgelegt wird, um mit den Eltern und dem Kind darüber ins Gespräch zu kommen, bleibt die gefilmte Situation als Inskription weitgehend offen und multivalent; im Gespräch kommt es dann möglicherweise zu (gemeinsamen) Interpretationen, die für den Bildungsverlauf des Kindes produktiv sein können, die aber nicht fixiert werden.

Ob sich diese Hypothesen zur tiefgreifenden Mediatisierung der Dokumentation in Kindertageseinrichtungen erhärten lassen, kann anknüpfende Forschung zeigen. Hierbei wäre es sinnvoll, den Fokus auf die Beobachtung der Praxis des Dokumentierens zu legen, aber auch eine Dokumentenanalyse könnte weitere Klarheit bringen. Angesichts der derzeit zu beobachtenden starken Zunahme bei der Verwendung von Dokumentations-Apps in Kindertageseinrichtungen ist eine solche Forschung besonders wünschenswert.

Die hier vorgestellten Ergebnisse unterliegen verschiedenen Limitationen. Durch die kleine Stichprobe sind die getroffenen Aussagen nur für diese gültig. Möglicherweise können unter anderen Rahmenbedingungen, vor allem aber zu einem Zeitpunkt in der Zukunft, an dem digitale Werkzeuge möglicherweise noch selbstverständlicher geworden sind oder andere Softwarelösungen angeboten werden, auch andere Dimensionen der Veränderung von Bedeutung sein. Es sei hier auch noch einmal explizit darauf hingewiesen, dass die Untersuchung die Perspektive der Fachkräfte in den Mittelpunkt stellt, so dass in dieser Studie nur Aussagen über deren berichtete Erfahrungen getroffen werden können; möglicherweise haben andere Akteure (vor allem Kinder, Eltern, Träger) andere Perspektiven; mit anderen Forschungsmethoden (z. B. teilnehmende Beobachtung, Dokumentenanalysen) können andere Dimensionen der Veränderung hinzukommen oder die hier genannten relativiert werden.