Anti-Gewalttrainings sind gewaltpräventive Maßnahmen, die weit in der Bundesrepublik verbreitet sind (vgl. Repp et al. 2004) und die bei den Teilnehmer*innen zu einer nachhaltigen Verhaltensänderung und höheren Reflexionsfähigkeit führen sollen. Sie zielen auf eine Aggressivitätsreduktion, die Erhöhung der Hemmschwellen für die Anwendung von Gewalt und die Einübung gewaltfreier Handlungsalternativen in Konfliktsituationen. Dieser Wandel im Handeln der Kursteilnehmer*innen wird vorrangig dadurch angestrebt, dass ihnen Wissen über Gewalt vermittelt wird. In den Kursen wird darüber gesprochen, was als Gewalt gilt, warum Gewalt ausgeübt wird und wie sie wirkt, wie Gewaltanwendungen zu beurteilen sind, welche rechtlichen Konsequenzen sich aus Gewalttaten ergeben und welche „Wege aus der Gewalt“ von Täter*innen, Opfern, aber auch Dritten beschritten werden können. Kurzum: Wissen über Gewalt bildet den Kern gewaltpräventiver Trainingsangebote.

Ausgehend von diesem Befund stellt sich jedoch die Frage, wie dieses Wissen produziert, vermittelt und sozial wirkmächtig wird. In der Forschung erscheinen Anti-Gewalttrainings zunächst als Blackboxes. Wenig ist darüber bekannt, welches Wissen über Gewalt in den Situationen tatsächlich zum Ausdruck kommt und verhandelt wird. Ein Gros der Untersuchungen basiert auf Befragungen und standardisierten Erhebungen, in denen die Trainingseffekte, Einstellungs- und Verhaltensänderungen und der nachhaltige Wissenserwerb abgefragt werden (vgl. Ferguson et al. 2007; Fischelmanns et al. 2006; Kleiber et al. 2014; Lemmer und Wagner 2013; Ohlemacher et al. 2001; Schanzenbächer 2003). Auf Basis der Erkenntnisse über die Kurs-Outputs werden oftmals Empfehlungen zur Effizienzsteigerung und Optimierung gegeben. Doch trotz dieser Fülle an standardisierten Untersuchungen wurde die Wirksamkeit von Anti-Gewalttrainings nicht eindeutig nachgewiesen (vgl. Ohlemacher et al. 2001). Teilweise wird sogar davon ausgegangen, dass sich ein Verhaltenswandel von Gewalttäter*innen eher aus Faktoren ergibt, die außerhalb entsprechender Anti-Gewaltprogramme zu verorten sind (vgl. Edin und Nilsson 2014). Die Recherche nach Studien, die nicht (nur) untersuchen, was aus den Kursen resultiert, sondern wie die Beteiligten mit-, für- und gegeneinander handeln und sich kommunikativ zueinander positionieren, ist noch ernüchternder. Forschungsliteratur, die sich mit der konkreten Trainingssituation und den darin stattfindenden Interaktionen befasst, ist rar und wendet sich eher den sozialen Beziehungen zwischen Trainer*innen und Kursteilnehmer*innen zu (vgl. z. B. Porsché und Negnal 2017). Die Funktion von Anti-Gewalttrainings als Situationen der Aushandlung und Vermittlung eines Wissens über Gewalt ist bisher jedoch nicht in den Vordergrund gerückt worden.

Vor diesem Hintergrund beleuchtet der vorliegende Beitrag Anti-Gewalttrainings aus einer spezifischen wissenssoziologischen Perspektive: dem kommunikativen Konstruktivismus (Knoblauch 2017; Keller et al. 2013). Dieser wird zunächst in seinen Grundzügen dargestellt, und es wird der darauf aufbauende Feldzugang erläutert. Daraufhin werden Anti-Gewalttrainings als „gewaltbezogene Institutionen“ (Coenen 2021, S. 184) dargestellt, in denen eine Wissensordnung der Gewalt stabilisiert wird und die Abweichungen von institutionalisierten Wirklichkeitsvorstellungen entgegenwirken sollen. Dabei lassen sie sich als „Technologien des Selbst“ (Foucault 1993) begreifen, durch die die Kursteilnehmer*innen im wechselseitigen Wirkhandeln eine spezifische Subjektposition einüben, nämlich die des gewaltbefreiten Subjekts. Daran anschließend wird gezeigt, dass diese Subjektivierung in konditionalen und konzessiven Anti-Gewalttrainings stattfindet. Erstere wenden sich an Personen, die tatsächlich von der institutionalisierten Wirklichkeitsvorstellung abgewichen sind und somit gesellschaftlich als Gewalttäter*innen eingestuft werden, während Letztere auf eine Klientel zielt, die potenziell von den gängigen Normen abweichen könnte, obwohl noch keine Gewalt aufgetreten sein muss. Abschließend wird gezeigt, dass den Kursleiter*innen eine wichtige Rolle im Subjektivierungsprozess und der Wissenskommunikation über Gewalt zukommt. Neben Wissen darüber, was Gewalt ist, wie sie zu beurteilen ist und vermieden werden kann, werden durch sie auch Wertbindungen, Legitimationen und Weltbilder vermittelt.

1 Erforschung der Wissensordnung in Anti-Gewalttrainings

Einen Ansatz, um die Produktion, Vermittlung und soziale Wirkmächtigkeit von Wissen über Gewalt zu untersuchen, bildet der kommunikative Konstruktivismus (Knoblauch 2017; Keller, Knoblauch und Reichertz 2013). Hierbei handelt es sich um eine Weiterentwicklung des Sozialkonstruktivismus, in der nicht mehr das Subjekt im Mittelpunkt der Betrachtung steht. Stattdessen bildet die Grundlage der gesellschaftlichen Wirklichkeitskonstruktion das kommunikative Handeln, d. h. ein „auf Wechselseitigkeit angelegtes zeichenhaftes Wirkhandeln“ (Knoblauch 1995, S. 51). Anti-Gewalttrainings stellen vor diesem Hintergrund keine Situationen dar, in denen die Sinnkonstruktion ausschließlich an die beteiligten Subjekte delegiert wird, sondern vielmehr geht diese aus der Relationalität zwischen den Beteiligten und ihren kommunikativen Handlungen hervor. Handeln wird zum Gewalthandeln, indem durch Objektivierungen auf diesen Status hingewiesen wird (Coenen 2023). Gleichsam lassen sich Täter*innen- und Opferzuschreibungen als Resultate kommunikativer Prozesse verstehen. Somit gibt es auch keine vorsozialen Subjekte, die eine eigene Substanz aufweisen. Subjektivität bildet sich erst im kommunikativen Handeln aus (Knoblauch 2019). Erst durch die Deutung eines Handelns als Gewalthandeln werden Akteur*innen zu „Gewaltausübenden“ und „‑erleidenden“ (Lindemann 2017), und verinnerlichen im Zuge die ihnen zugeschriebene Subjektposition.

Für den vorliegenden Beitrag wurde der kommunikative Konstruktivismus methodologisch mit der Grounded-Theory-Methodologie in der Spielart von Juliet Corbin und Anselm Strauss (2015) verbunden. Diese bezieht die Vorannahmen der Forscher*innen in den Forschungsprozess mit ein und berücksichtigt somit auch theoretische Vorkenntnisse. Dabei kommt der methodenopportunistische Ansatz der Grounded-Theory-Methodologie – „all is data“ (Glaser 2007, S. 57) – dem kommunikativen Konstruktivismus entgegen. Denn um der Verschiebung des Analyseschwerpunktes von dem Subjekt hin zum kommunikativen Handeln gerecht zu werden, ist ein möglichst vielfältiger Datenkorpus notwendig. Zur sukzessiven Theoriebildung wurde dementsprechend ein heterogenes Theoretical Sampling erstellt, bestehend aus Feldaufenthalten in Anti-Gewalttrainings, Interviews mit Anti-Gewalttrainer*innen, Handbüchern für gewaltpräventive Kurse sowie entsprechenden Sachbüchern, dokumentarischen Filmen und Homepages. Auch Online-Kurse, die insbesondere im Zuge der Corona-Pandemie an Bedeutung gewonnen haben, wurden in die Analyse einbezogen. Es wurde darauf geachtet, die Heterogenität des Forschungsfeldes auch in den Daten abzubilden und möglichst kontrastive Kursangebote in das Sampling aufzunehmen. Zum Zeitpunkt der Verschriftlichung dieses Beitrags wurden Kurse begleitet, die sich an Straftäter*innen, verhaltensauffällige Jugendliche und Schulklassen und Vereine richten.

Ein „sensitizing concept“ (Blumer 1954), das den Forschungsprozess initial angeleitet hat, war das „Gewaltwissen“, verstanden als sozial gewordener und sedimentierter Sinn von Gewalt (vgl. Coenen 2021, S. 177–179). Die Kurse wurden hierbei als „Wissensfeld“ (Tuma 2017, S 86f.) konzipiert: Sie sind Situationen, die durch eine institutionalisierte Wissensformation konstituiert werden, auf welche sich die untersuchten Handlungen beziehen. Das Feld wird durch ein Sonderwissen strukturiert und „in seiner Spezifik von Akteuren getragen, in Aushandlungsprozessen gegliedert und abgegrenzt, machtvoll strukturiert und strukturierend inkorporiert, beständig reproduziert und durch Objektivierungen stabilisiert“ (ebd., S. 86). Eine soziologische Untersuchung des Gewaltwissens in Anti-Gewalttrainings umfasst somit die Beobachtung des kommunikativen Handelns und der damit verbundenen Objektivierungen, Institutionen und kommunikativen Formen, welche die Wissensordnung der Gewalt konstituieren (vgl. Coenen 2021, S. 178). Der Kodierprozess und die Theoriebildung orientierten sich also daran, wie die Beteiligten von Anti-Gewalttrainings aushandeln, was als Gewalt gilt, wie sie zu bewerten ist und auch wie ihr entgegengewirkt werden kann. Die Analyse stützt sich somit auf einen ethnomethodologischen Zugriff (Garfinkel 2020) auf Gewalt anstelle eines positiven Gewaltverständnisses. Im Verlauf der Analyse kristallisierte sich eine charakteristische Subjektposition der Kursteilnehmer*innen heraus, die in zwei Typen von Anti-Gewalttrainings eingeübt und durch die Kursleiter*innen geprägt wird. Die im selektiven Kodieren fokussierte Kernkategorie lautet Gewaltbefreiung. Die Ergebnisse des Analyseprozesses werden in den folgenden Abschnitten behandelt.

2 Anti-Gewalttrainings als Institutionen zur Erzeugung gewaltbefreiter Subjekte

Aus einer wissenssoziologischen Perspektive lassen sich Anti-Gewalttrainings zunächst als Institutionen verstehen. Sie sind wiederholt auftretende, auf Typenbildung aufbauende Interaktionsmuster (vgl. Berger und Luckmann 1969, S. 49ff.), die sich auf bestimmte Problemlagen beziehen. Die Etablierung und Weiterführung von Institutionen basiert „auf ihre[r] gesellschaftliche[n] Anerkennung als ‚permanente‘ Lösung eines ‚permanenten‘ Problems“ (ebd., S. 74). Gewalthandeln bildet ein solches Problem, das zur Ausbildung von Institutionen führen kann, in denen Gewaltwissen verfestigt zum Ausdruck kommt. Anti-Gewalttrainings lassen sich als „gewaltbezogene Institutionen“ (Coenen 2021, S. 183) verstehen, die zwar auf Gewalthandlungen aufbauen, in denen Gewalt jedoch nicht zwingend zur Anwendung kommt. Die Teilnehmer*innen an diesen Kursen sind entweder in der Vergangenheit straffällig geworden, indem sie körperliche Gewalt ausgeübt haben, oder sie gehören einer Organisation an (Schulen, Vereine, Kindergärten, Unternehmen etc.), die eine entsprechende Maßnahme zur Gewaltprävention anfragt, da sie ein organisationsinternes Gewaltpotenzial festgestellt hat, dem entgegengewirkt werden soll. Da jedes institutionalisierte Handeln vom Wissen um und für die Institution bestimmt wird (vgl. Berger und Luckmann 1969, S. 72), werden auch diese gewaltpräventiven Kurse durch eine entsprechende Wissensordnung der Gewalt geprägt. Gewaltpräventiv zu handeln und Beteiligte*r an einem Anti-Gewalttraining zu sein heißt, in einer sozialen Welt zu leben, die vom Wissen um Gewalt und für Gewalt bestimmt wird und unter seiner Kontrolle steht.

Die Gewerkschaft der Polizei definiert ein Anti-Gewalttraining beispielsweise als einen „Kurs zur Prävention und zum Abbau aggressiven Verhaltens, in dem etwa gewalttätige Jugendliche oder Straftäter theoretisch und praktisch geschult werden. […] Ziel des Anti-Aggressions-Trainings ist es, Menschen, die sich im Alltag aggressiv verhalten, zu einer konstruktiven Konfliktlösung zu bewegen. Somit soll Gewalttaten vorgebeugt werden.“ (Gewerkschaft der Polizei o.J.) Anhand dieser Beschreibung wird deutlich, dass Anti-Gewalttrainings auf einer „konsequent täterzentrierten Grundidee“ (Heilemann 1994, S. 332) basieren. Sie zielen auf eine Verhaltensänderung und einen Zugewinn nichtgewaltsamer Handlungsoptionen in Alltags- und Konfliktsituationen. Die Gewaltausübungen in einer Gesellschaft sollen reduziert werden. An die Kurse sind „Hoffnungen auf den Rückgang von Jugendgewalt – innerhalb und außerhalb der Jugendhaftanstalten – geknüpft“ (Neuber 2007, S. 254). Dahinter verbirgt sich die Aufrechterhaltung der spätmodernen Vorstellung eines gewaltfreien Zusammenlebens: Ein gewaltsames Leben, ein „brutalized life“ (Beauchez 2021), sei nicht ohne Weiteres mit der institutionalisierten Wirklichkeitsvorstellung und den Normen der spätmodernen Gesellschaft in Einklang zu bringen (vgl. Reemtsma 2008, S. 23–99).

Durch Anti-Gewalttrainings werden gesellschaftlich etablierte Normen zur Gewaltausübung stabilisiert. Diese Kurse lassen sich somit als das verstehen, was Berger und Luckmann als „Therapie“ bezeichnen. Eine therapeutische Maßnahme soll sicherstellen, „daß wirkliche und potenzielle Abweichler bei der institutionalisierten Wirklichkeitsbestimmung bleiben“ (Berger und Luckmann 1969, S. 121). Anti-Gewalttrainings fassen Gewalt als etwas, das im Verlauf der Sozialisation erlernt wird und im Zuge der Kurse „bewusst zugänglich“ verändert werden kann (vgl. Neuber 2007, S. 258). Durch unterschiedliche Methoden der Gewaltprävention soll ein Einfluss auf den subjektiven Wissensvorrat der Kursteilnehmer*innen ausgeübt werden, damit sie zukünftig in der Lage sind, Handlungen als Gewalt zu identifizieren, deren Illegitimität zu erkennen, sie als etwas Negatives zu beurteilen und auf alternative nichtgewaltsame Handlungen zurückzugreifen. Hierbei sollen die Teilnehmer*innen „sich von ihrer Gewaltbereitschaft ab- und einem neuen Blick ihres Selbst zuwenden“ (Ohlemacher et al. 2001, S. 3; Herv. d. A.). Durch die Rekonstruktion von Bedeutung und Identität fungieren Anti-Gewalttrainings somit auch als „Technologien des Selbst“ (Foucault 1993). Sie ermöglichen den Kursteilnehmer*innen, ihr Verhalten und Denken durch körperliche und geistige Übungen nachhaltig zu ändern (Knoblauch 2019) und sich der gesellschaftlichen Einstellung zur Gewalt anzupassen.

Welche Subjektposition soll aber nun in und durch Anti-Gewalttrainings von den Teilnehmer*innen eingenommen werden? Einen Hinweis geben die Beschreibungen einzelner charakteristischer Methoden, die in Handbüchern für die Gewaltprävention vorgeschlagen werden. Eine Übung, die häufig im Kontext von Anti-Gewalttrainings erwähnt wird, ist der sogenannte heiße Stuhl. Tim Bärsch (2011, S. 331) beschreibt diese Übung in einem Praxisbuch für Anti-Gewalttrainings folgendermaßen: „Bei dem ‚heißen Stuhl‘ gruppieren sich die Trainer, die Jugendlichen und die Tutoren in einer räumlich engen Gegebenheit um den Täter und bedrängen ihn mit ihrer physischen und psychischen Nähe. Durch die ehrliche Auseinandersetzung mit seiner Tat und seinem bisherigen Leben soll der Täter die Sinnlosigkeit seiner Gewalttaten bemerken. Der Gebrauch von Neutralisierungstechniken oder Lügen seitens der Jugendlichen wird dabei stark konfrontiert.“

An der Beschreibung dieser Übung sind mehrere Aspekte bemerkenswert, die auf eine für Anti-Gewalttrainings charakteristische Positionierung und Subjektivierung der Teilnehmer*innen sowie Methodizität hindeuten. Erstens werden hier Vorurteile über die Kursteilnehmer*innen zum Ausdruck gebracht, die typisch für Texte über Anti-Gewalttrainings sind und den Beteiligten eine bestimmte Subjektivität zuschreiben (Positionierung). Gewalttäter*innen würden per se auf Neutralisierungstechniken und Lügen zurückgreifen und sich nicht von sich aus für ihr Gewalthandeln verantwortlich fühlen (vgl. Walter 1999). Dies sei etwas, das von den Teilnehmer*innen erkannt und geändert werden müsse. Die gewählte männliche Form (Täter, Tutoren, Trainer) impliziert, dass Anti-Gewalttrainings vor allem männlich gelesene Personen betreffen, und reproduziert somit das Stereotyp, dass Gewalt vor allem männlich konnotiert sei (vgl. Neuber 2007, S. 259). Zweitens wird hier erneut ersichtlich, dass die Kursteilnehmer*innen in den Anti-Gewalttrainings eine neue Einstellung zum (eigenen) Gewalthandeln einüben (Subjektivierung). Sie sollen die Sinnlosigkeit von Gewalttaten bemerken und ihre eigenen Gewalthandlungen nicht mehr legitimieren können. Hier ist also eine Abkehr von vergangenen Gewalthandlungen und -deutungen sowie dem vergangenen Selbst vorgesehen. Drittens ist hervorzuheben, dass in dieser Beschreibung die Machtverhältnisse in den Anti-Gewaltkursen verdeckt werden. Die Einsicht der Person in der Mitte des Stuhlkreises wird methodisch forciert (Methodizität). Hinter dem Verweis auf eine ehrliche Auseinandersetzung wird verschleiert, dass es strukturelle und institutionelle Gründe gibt, warum einzelne Personen an den Kursen teilnehmen (z. B. als Auflagen seitens des Jugendgerichts), dass es Anreize gibt, wenn sich die Kursteilnehmer*innen einsichtig zeigen (z. B. die Aussicht auf Strafmilderung) und dass der Person, die auf dem heißen Stuhl sitzt, schlichtweg die „Kommunikationsmacht“ (Reichertz 2009) verwehrt bleibt, sich glaubhaft rechtfertigen zu können, da eine „bedrängende“ Gruppe dermaßen vehement auf sie einredet – sie eben „stark konfrontiert“.

Die Ausführungen zu dem heißen Stuhl verweisen schließlich auf die zentrale Funktion von Anti-Gewalttrainings. Entgegen zahlreicher Selbstbeschreibungen führen die Kurse nämlich nicht in die Gewaltlosigkeit. Die Kursteilnehmer*innen üben ein, ihre eigene Gewaltgeschichte fortan als ein identitäts- und orientierungsstiftendes Moment wahrzunehmen. Die vergangenen Gewalterfahrungen sollen nicht verdrängt, sondern auch zukünftig als „Gepäckwissen“ (Benkel 2020) wirksam werden und in die eigenen Handlungsentwürfe einfließen. Anti-Gewalttrainings können somit zwar als „Bildungsveranstaltung“ (Porsché und Negnal 2017, S. 104) verstanden werden. Sie sind somit nur vordergründig Teil einer „Erziehung zum gewaltlosen Bürger“ (ebd., S. 103; Herv. d. A.) – indem eben das zukünftige Handeln gewaltlos sein soll. Demgegenüber lernen die Teilnehmer*innen reflexiv mit ihrem vergangenen Gewalthandeln umzugehen, es als Teil ihrer Identität wahrnehmen und ihr subjektives Wissen über Gewalt ändern. Es geht eben um eine Auseinandersetzung mit den eigenen Taten, die Übernahme von Verantwortung für das eigene Handeln, die Abkehr von Gewalt und die Wertschätzung eines friedvollen Zusammenlebens. Gewalt soll als eine Handlungsmöglichkeit begriffen und gegenwärtig gehalten werden, die es zu vermeiden gilt. Anti-Gewalttrainings sind folglich keine Institutionen zur Erzeugung gewaltloser, sondern gewaltbefreiter Subjekte.

3 Konditionale und konzessive Anti-Gewalttrainings

Unter welchen Bedingungen wird nun die Position des gewaltbefreiten Subjekts eingeübt? Aufgrund ihrer Heterogenität lassen sich gewaltpräventive Kurse auf den ersten Blick nur schwer systematisieren. In der Perspektive, dass diese Kurse als Therapie für Personen zu verstehen sind, die von einer institutionalisierten Wirklichkeitsbestimmung abweichen und welche die Position gewaltbefreiter Subjekte einnehmen sollen, können jedoch zwei Idealtypen voneinander unterscheiden werden, die mit je spezifischen Voraussetzungen, Zusammensetzungen der Kursteilnehmer*innen, Gewaltverständnissen und Anforderungen an die Kursleiter*innen einhergehen (Tab. 1).

Tab. 1 Gegenüberstellung konditionaler und konzessiver Anti-Gewalttrainings

Erstens gibt es konditionale Anti-Gewalttrainings, die auf bereits ausgeübte Gewalt reagieren. An diesen Kursen nehmen Personen teil, die in der Vergangenheit gewalttätig geworden und somit tatsächlich von der institutionalisierten Wirklichkeitsvorstellung abgewichen sind und im Zuge dessen gegen die etablierten gesellschaftlichen Normen zur Gewaltausübung verstoßen haben. Konditionale Anti-Gewalttrainings sind dementsprechend Maßnahmen der tertiären Gewaltprävention. Die Begründung der Kursteilnahme liegt somit schwerpunktmäßig in der Vergangenheit. Oftmals sind es Straftäter*innen und Jugendliche, die von einem Gericht die Auflage erhalten haben, ein Anti-Gewalttraining zu absolvieren, oder denen mit einer erfolgreichen Kursteilnahme eine Strafminderung in Aussicht gestellt wird. Die Teilnahme ist somit verpflichtend oder zumindest in hohem Maße extrinsisch motiviert. Zwar werden in diesen Kursen verschiedene Gewaltverständnisse angesprochen – so wird mit den Teilnehmer*innen zum Beispiel auch über psychische, emotionale und strukturelle Gewalt gesprochen –, dennoch wird in ihnen letztendlich ein tendenziell enggeführtes Gewaltverständnis aufgegriffen und reproduziert. Hierauf weist auch TobiasFootnote 1 hin, der Anti-Gewalttrainings anbietet, an denen Personen teilnehmen, die von der Jugendgerichtshilfe dazu verpflichtet wurden:

„Also in den sozialen Trainingskursen, die wir anbieten, (.) ist auch mehr die KÖRPERLICHE Gewalt Thema, weil eben das DAS ist, wodurch die Leute straffällig werden, ne? Wir sind ja in der Prä/Wir sind ja in der SEKUNDÄREN Prävention, das heißt, nachdem die Jugendlichen straffällig geworden sind. Und psychische Gewalt ist ja oft noch kein TATBESTAND. So. Sondern die werden eben dafür verurteilt, weil sie (.) jemand anderen eine reingehauen haben, Raub, Drogen, solche Sachen. Deswegen/ (.) Da spielt/ Da spielt psychische Gewalt keine große Rolle. Also, wir haben auch ganz wenig Leute, die jetzt irgendwie in die/ in die Richtung/ Also ich kenne jetzt NIEMANDEN, der jetzt irgendwie in die Richtung STALKING oder andere psychische Gewalt einfach geht. Das sind/ Also das ist nicht Thema bei uns.“ (Auszug aus dem Interview mit „Tobias“)

Das enggeführte Gewaltverständnis resultiert vorwiegend daraus, dass es eben physische Gewalttaten sind, wegen denen die Kursteilnehmer*innen durch das Gericht zu den Anti-Gewalttrainings verpflichtet wurden. Körperliche Gewalttaten sollen zukünftig vermieden werden. Psychische und strukturelle Gewalt gelten nicht als Tatbestand, weswegen entsprechende Dispositionen auch seitens der Gerichtshilfe nicht schwerpunktmäßig in den Kursen behandelt und überwunden werden müssen. Dabei reproduzieren diese Anti-Gewalttrainings zugleich die Sicht der staatlichen Instanzen, durch die den Teilnehmer*innen der Kurs als erzieherische Maßnahme auferlegt wurde. Zudem wird den Kursteilnehmer*innen die Auflage des Kursbesuches mit ihren vergangenen physischen Gewalttaten begründet. Es sind demnach körperliche Gewalthandlungen, die vorwiegend in konditionalen Anti-Gewalttrainings behandelt werden. Die Kurse finden dabei sowohl in Gruppen- als auch in Einzelsitzungen statt. Die Teilnehmer*innen sollen sich im Gruppensetting zu ihrer gewalttätigen Vergangenheit bekennen, sich mit den Gewalttaten anderer auseinandersetzen und soziale Kompetenzen (weiter)entwickeln. Einzelsitzungen ermöglichen hingegen eine vertiefende Auseinandersetzung mit der individuellen Gewaltgeschichte sowie dem eigenen Wertesystem und einer Erarbeitung eigener Lösungsstrategien für Konfliktsituationen.

Zweitens gibt es konzessive Anti-Gewalttrainings, die durchgeführt werden, obwohl noch keine Gewalttat stattgefunden haben muss. Diese Kurse wenden sich an Personen, die bisher nicht – oder von denen nur wenige – gewalttätig geworden sind. Die Teilnehmer*innen sind vielmehr Personen, die potenziell von der institutionalisierten Wirklichkeitsvorstellung abweichen können. Die Begründung der Kursteilnahme liegt schwerpunktmäßig in der Zukunft. Schulen, Hochschulen, Vereine, Betriebe und andere Organisationen fragen entsprechende Kursanbieter*innen in der Regel an (vgl. Becker 2004; Kleiber et al. 2014; Wesely 2012). Dabei sind konzessive Anti-Gewalttrainings vorwiegend im Bereich der primären und sekundären Gewaltprävention zu verorten. Sie schaffen die Voraussetzungen dafür, dass Gewalt gar nicht erst auftreten soll bzw. bestehende Konflikte, die zu Gewalt führen können, aufgelöst werden. Auch wenn es organisationale Dynamiken oder Zwänge geben mag, die eine Teilnahme an den Anti-Gewalttrainings forcieren, so steht seitens der Kursleiter*innen oftmals die freiwillige Teilnahme im Vordergrund. Wer nicht aktiv an den Kursen teilnehmen möchte, muss dies nicht tun. Das Gewaltverständnis solcher konzessiven Anti-Gewalttrainings ist tendenziell sehr weitgefasst. Oft wird mit den Kursteilnehmer*innen erarbeitet, dass unterschiedliche Erfahrungen, die sie in der Vergangenheit verletzt haben oder von denen sie denken, dass sie verletzend wirken können, als Gewalt verstanden werden können. Porsché und Negnal (2017, S. 114f.) haben am Beispiel polizeilicher Gewaltpräventionskurse verdeutlicht, dass in diesen Kursen ein weiter Gewaltbegriff dazu genutzt werden kann, um nahezu alle Kursteilnehmer*innen als (potenzielle) Täter*innen und Opfer zu adressieren. Indem in den Kursen eine Täter*innenpotenzialität erarbeitet wird, wird das Thema Gewaltprävention für alle Beteiligten als relevant verhandelt. Gewalt sei etwas, von dem jede*r Kursteilnehmer*in schon einmal betroffen war bzw. sein wird oder das von ihnen beobachtet wurde. Da es in den konzessiven Kursen nicht vorrangig darum geht, individuelle Gewaltgeschichten zu reflektieren und konkrete Gewalthandlungen zu diskutieren, sondern eine möglichst hohe Zahl an Personen für Gewalthandeln und das Gewaltpotenzial in ihrem eigenen Leben und sozialen Umfeld zu sensibilisieren, finden sie häufig als Gruppensitzungen statt.

Anti-Gewalttrainings bauen im Kern auf Beziehungsarbeit auf (Porsché und Negnal 2017). Vor dem Hintergrund der eben erwähnten Merkmale konditionaler und konzessiver Anti-Gewalttrainings zeigt sich, dass diese Kurstypen jeweils unterschiedliche Anforderungen an die Kursleiter*innen mit sich bringen, damit diese erfolgreich soziale Beziehungen zu den Kursteilnehmer*innen aufbauen und festigen können. Dies verdeutlicht beispielsweise auch „Maik“, der Anti-Gewalttrainings an Grund- und weiterführenden Schulen gibt. Danach gefragt, was die Kursleiter*innen für Kompetenzen vorweisen sollten, betont er die Fähigkeit, die Teilnehmer*innen „entertainen“ zu können. Dabei vergleicht er seine Kurse mit denen zweier Kollegen, „Sebastian“ und „Marcel“, die im selben Verein zur Gewaltprävention angestellt sind, jedoch Kurse für straffällig gewordene Jugendliche mit Migrationshintergrund durchführen:

„Ich glaube, Entertainment braucht man dort NICHT. Das ist, glaube ich/ Das ist ein GANZ anderes Arbeiten mit denen. Da BRAUCHTS zum Beispiel ganz, ganz viel AUTHENTIZITÄT. Man muss für das Klientel, mit/ mit dem die Jungs dort arbeiten, muss man ein ganz authentischer, super vertrauensvoller Charakter sein. ICH muss teilweise einfach auch so/ Da kommt der SPAẞ-Maik. Das ist wichtig, (.) weil die Kinder dann Spaß haben und ich ja genau das WILL. Ich will ja, dass die Spaß auch mit meinen Methoden haben, weil die dadurch gut lernen. Das ist bei der Arbeit, was/ was Sebastian und Marcel machen/ Mit Sicherheit haben die AUCH Methoden. Die (.) funktionieren ÄHNLICH und das soll bestimmt auch Spaß machen. Aber die müssen noch ein paar andere Dinge mitbringen, weil die auch/ weil die ja ganz viel mit TÄTERN arbeiten und vor allen Dingen mit Tätern mit einem Migrationshintergrund, das heißt im großen Ganzen, selber mit traumatisierten Menschen, (.) müssen die da eben ganz sehr geschult sein, ein ganz sehr krasses vertrauensvolles Verhältnis zu denen aufbauen.“ (Auszug aus dem Interview mit „Maik“)

Maik verdeutlicht, dass die Kurse sich darin unterscheiden, dass die Teilnehmer*innen verschiedene Voraussetzungen und Erfahrungen mitbringen. Anti-Gewalttrainings an Schulen würden sich vor allem am kindlichen Erleben orientieren und müssten Spaß machen, damit die Kinder etwas lernen. Dementsprechend müssten die Kursleiter*innen auch gut ausgebildete Entertainment-Qualitäten mitbringen. Ihre Aufgabe sei es, Beziehungen zu den Kindern aufzubauen und deren Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Idealtypisch sind in konzessiven Anti-Gewalttrainings also „coole Spaßmacher*innen“ als Kursleiter*innen vorzufinden, auf deren Besuch sich die Teilnehmer*innen freuen. Derartige Kompetenzen beschreibt Maik für konditionale Anti-Gewalttrainings eher als nachrangig. Stattdessen stehe ein „authentischer“, aber auch „vertrauensvoller“ Umgang mit den Kursteilnehmer*innen im Vordergrund. Dadurch werde es möglich, sich detailliert mit deren bisherigen Gewalterfahrungen auseinanderzusetzen. Insofern sind diese Trainer*innen idealtypisch auch keine Spaßmacher*innen, sondern sie treten entweder als rechtschaffende Personen auf – insbesondere im Fall polizeilicher Gewaltprävention – oder als bekehrte, ehemalige Gewalttäter*innen, die Erzählungen über ihre eigene Gewaltvergangenheit weitergeben und ihre Wissenskommunikation über Gewalt somit als authentisch rahmen können.

Das Trainer*in-Sein ist als eine Inszenierung zu verstehen, in der Rollen kommunikativ ausgespielt werden, die für die Vermittlung und Festigung einer spezifischen Wissensordnung der Gewalt förderlich sind. Die Beweggründe, wegen denen die Kurse besucht werden, die Rahmenbedingungen, aber auch das dominierende Gewaltverständnis haben einen Einfluss auf die Rollenanforderungen der Anti-Gewalttrainer*innen. Damit diese für die Kursarbeit hilfreiche Beziehungen mit den Kursteilnehmer*innen aufbauen können, müssen sie bestimmte Kompetenzen mitbringen und die entsprechenden Idealtypen performativ verkörpern.

4 Anti-Gewalttrainer*innen, symbolische Sinnwelten und die Vermittlung von Gewaltwissen

Den Kursleiter*innen in Anti-Gewalttrainings kommt eine wichtige Rolle zu, da sie in sozialpädagogischer Funktion soziale Kontrolle ausüben und Wissen über Gewalt kommunizieren. Sie lassen sich als „Gewaltexpert*innen“ (Coenen 2021, S. 184) verstehen, die ein Sonderwissen zur Lösung von Problemen vorweisen können, welche mit Gewalt in Verbindung stehen und zudem die Problemursachen und Lösungsprinzipien von Gewalt begründen können. Hierbei stützen sie sich in ihrer Tätigkeit auf (zumeist kriminalitäts- und aggressionstheoretisch fundierte) Theorien und Modelle (vgl. z. B. Burschyk et al. 1997; Michl 2002; Weidner 2001), mit denen sie gewaltsames Handeln erklären und auf deren Basis sie Handlungsalternativen einüben und pädagogische Maßnahmen auswählen und durchführen. Sie sind zugleich, wie Knoblauch (2014, S. 292) für Expert*innen im Allgemeinen festhält, „Träger von Legitimationen, des Sinnes von Sonderwissen und betreiben dadurch die ‚Theoretisierung‘“. In der Subjektivierung der Kursteilnehmer*innen nehmen sie somit eine Schlüsselposition ein, da sie aufgrund ihrer Rollenzuschreibung über ein gewisses Maß an Autorität verfügen, ihre Aussagen über Gewalt qua Expert*innenstatus legitimiert werden und sie das Kursgeschehen methodisch-didaktisch steuern.

Anti-Gewalttrainer*innen geben nun jedoch nicht nur das Wissen aus entsprechenden Gewaltmodellen und Handreichungen wieder, sondern sie werden im Vermittlungsprozess selbst produktiv. Ein näherer Blick auf die Trainingspraxis zeigt, dass die Werte, Einstellungen und Deutungsmuster der Trainer*innen sich auf das Training und somit auch auf die Subjektivierung der Teilnehmer*innen auswirken. Dies soll im Folgenden anhand einer Kurseinheit von Maik verdeutlicht werden, der bereits im vorherigen Abschnitt erwähnt wurde. Der Fokus auf dieses Datum begründet sich dadurch, dass mit Maik ein vergleichsweise auffälliger Charakter vorliegt, der unverhohlen seine Weltanschauung in das Anti-Gewalttraining einfließen lässt. Ähnliche Effekte lassen sich jedoch auch – wenn oftmals wesentlich subtiler – bei anderen Trainer*innen vorfinden.

Maik bezeichnet sich selbst als Marxisten, der zudem von Adornos Werk und der Kritischen Theorie geprägt sei. Sein Vorgehen in Anti-Gewalttrainings begründet er vorrangig aus dieser Perspektive. Beispielsweise basiere seiner Meinung nach der systemische Ansatz der Gewaltprävention „eigentlich auf dem historischen Materialismus“ – man dürfe ihn heute, gerade in den Neuen Bundesländern, wo Maik lebt und arbeitet, „nur nicht mehr als marxistisch bezeichnen“. Den heutigen gesellschaftlichen Verhältnissen stehe er äußerst kritisch gegenüber. Kapitalismus sei „toxisch“ und führe permanent zu „Riesenkrisen“. Der Planet würde dadurch „zugrunde gewirtschaftet“ werden, und es seien „keine Umgangsformen in diesem System möglich“, mit denen Menschen erträglich miteinander leben könnten und sollten. Als Sozialarbeiter fühle er sich deshalb wie „Don Quijote“, der in einem ungerecht eingerichteten System gegen „Windmühlen“ kämpfe. Er arbeite zwar dagegen an, dass in der Gesellschaft ein hohes Gewaltpotenzial und soziale Ungleichheit herrsche. „Das System“ würde aber unablässig seinen Beitrag dazu leisten, dass die Gewalt in der Gesellschaft zunehme.

Maik hebt in den Gesprächen mit ihm hervor, dass seine Kurse „überhaupt nicht“ „direkt politisch“ seien. Dies begründet er durch seine Rollenzuschreibung. Politik und politische Bildung seien nicht die Aufgabenbereiche von Anti-Gewalttrainer*innen. Dennoch räumt Maik ein, dass es „natürlich“ Bezüge zu seiner Sichtweise auf die Welt gebe. Dies verdeutlicht er jedoch nicht an Kursinhalten, sondern daran, wie er die Kursteilnehmer*innen wahrnimmt. Die Art und Weise, wie er die Welt sieht, habe einen großen Anteil daran, wie er seine Kurse aufbaut und welche Kursteilnehmer*innen er als Opfer wahrnimmt. Da er die Welt als hochgradig ungerecht empfinde, seien tendenziell viele Schulkinder, die in seinen Kursen sitzen, zunächst als „Opfer ihrer Sozialisation und ihrer Umstände“ anzusehen – auch wenn sie vielleicht selbst zu aggressiven und gewalttätigen Handeln neigen.

Dass Maiks Weltanschauung sich jedoch nicht nur auf seine Wahrnehmung von den Kursteilnehmer*innen, sondern auch auf die Kursinhalte auswirkt, zeigte sich zum Beispiel, als er mich mit zu einer Kurseinheit für eine 6. Klasse an einer Oberschule mitnahm. Wir bildeten mit den Schüler*innen einen Stuhlkreis. Die Schüler*innen waren sehr unruhig, und immer wieder musste Maik insbesondere mit drei Jungen diskutieren, damit sie leise sind. Diese stichelten sich untereinander, gelegentlich schlugen sie sich wechselseitig auch mit den Fäusten auf die Oberschenkel oder den Arm. In diesen Momenten grinste Maik. Später erzählt er mir, dass nicht jeder Schlag als Gewalt betrachtet werden sollte. Dass sich pubertierende Jungs ab und an schlagen und treten sei seiner Meinung nach altersgerecht. Zudem war Maik der Ansicht, dass jede*r die „Hackordnung“ einmal erlebt, durchlaufen und verinnerlicht haben müsse. Jede*r solle in seinem Leben erfahren haben, wie Ungleichheiten und Machtverhältnisse ausgefochten werden bzw. werden können.

Während des Stuhlkreises sollten die Kinder nun Schimpfworte nennen, die sie als „besonders schlimm oder desaströs“ empfinden würden. Die Schimpfwörter sammelte Maik auf einem großen Blatt Papier. Nach jedem Schimpfwort, das von den Kindern erwähnt wurde, stellte Maik ihnen drei Fragen: „Was bedeutet das Wort?“, „Was wisst ihr darüber?“ und „Warum ist dieses Wort verletzend?“ Er wollte durch dieses Vorgehen, so erzählte er mir anschließend, die Schüler*innen dafür sensibilisieren, dass oftmals nur wenig über die Beleidigungen, die ausgesprochen würden, gewusst werde und dass sie über ihre genaue Wortwahl in Konflikten nachdenken sollten. Während Maik mit den Schüler*innen die gesammelten Wörter diskutiert, brachte er nun auch seine eigene Perspektive auf die Welt ein, bei der seine von ihm sogenannte „marxistische“ Prägung zu merken war. Beispielsweise fragt er, nachdem ein Schüler ihm gesagt hatte, dass ein „Hurensohn“ das Kind einer Frau sei, die ihren Körper für Geld verkaufe, was denn so schlimm daran sei, seinen Körper für Geld zu verkaufen, denn schließlich würden auch Fließbandarbeiter in einer Autofabrik und eine Pflegekraft ihre Körper für Geld verkaufen – wobei insbesondere die Fabrikarbeiter geknechtet würden und einem Knochenjob nachgingen. Als es um den Begriff „Zigeuner“ ging, erwähnte Maik, dass „wir“ scheinbar dazu neigen, Menschen aus ärmeren Ländern für „minderwertig“ zu halten. Dabei seien diese Länder aber nur arm, „weil wir sie unterdrücken und ausbeuten“ würden. Dass „fett“ eine Beleidigung sei, könne er nicht verstehen, da Vielfalt – auch im Stoffwechsel – der Grund sei, warum die Evolution des Menschen so erfolgreich verlaufen sei. Warum solle etwas derart Positives eine Beleidigung sein? Und als das Wort „Schwuchtel“ erwähnt wurde, erzählte Maik den Schüler*innen, dass der „Flächenbrand der Homophobie“ im Mittelalter durch die Kirche ausgelöst worden und die Kirche die Wurzel dieses Übels sei. Beim Begriff „Pickelfresse“ sagte Maik, dass es „eigentlich erstaunlich“ sei, dass etwas, „was alle durchmachen“, als eine Beleidigung gilt. Jede*r sei gleich und bekomme in der Pubertät Pickel – auch die Schüler*innen, die in dieser 6. Klasse seien. Das zeige, dass jede Beleidigung „über zwei bis drei Ecken“ immer auch diejenigen treffen würden, die sie aussprechen. Es sage etwas über deren Weltbild aus.

Maik erklärte in diesem Kurs nicht nur, dass Beleidigungen verletzend sein können. Vielmehr brachte er in seinen Ausführungen zu den einzelnen Schimpfwörtern auch stets eigene Weltdeutungen ein. Dadurch wurde mit den Kindern nicht nur die Illegitimität psychischer Gewalt behandelt, und es wurde nicht nur darüber gesprochen, dass Beleidigungen verletzend sein und dass die Worte teils unbedacht gewählt werden können. Stattdessen wurden zudem die Illegitimität und die Beurteilung von Beleidigungen durch eine spezifische Wirklichkeitsvorstellung untermauert – in diesem Fall mit jener, die Maik als „marxistisch“ begreift. Es wurde beispielsweise Kritik am Kapitalismus und an der sozialen Ungleichheit in einer globalisierten Welt geäußert, die Kirche wurde als homophobe Organisation bezeichnet, und die Evolutionstheorie sowie die Anpassungsfähigkeit des Körpers wurden hervorgehoben. Dies weist darauf hin, dass die Wissenskommunikation, die Maik im Rahmen seiner gewaltpräventiven Kurse tätigte, von seiner eigenen Weltanschauung und seinen Deutungsmustern von Gewalt geprägt wurde.

In den zurückliegenden Ausführungen habe ich gezeigt, dass Anti-Gewalttrainings als Institutionen verstanden werden können, in denen gewaltbefreite Subjekte erzeugt werden. Dieser Subjektivierungsprozess wird hochgradig von den Kursstrukturen beeinflusst. Dabei liegen mit konditionalen und konzessiven Anti-Gewaltkursen zwei Kurstypen vor, die unterschiedliche Rahmenbedingungen und Zielstellungen für die Gewaltprävention bieten. Das Wissen, welches in diesen Kursen vermittelt wird, wird maßgeblich vom kommunikativen Handeln der Kursleiter*innen beeinflusst. Dabei hängt es nicht nur davon ab, welche Methoden die Trainer*innen anwenden. Wichtig ist ebenfalls, wie sie sich in den Kursen inszenieren, ob sie den jeweiligen Anforderungen gerecht werden, aber auch, auf welchen Deutungsmustern und Weltanschauungen ihre professionelle Tätigkeit aufbaut. In den Anti-Gewalttrainings wird nicht nur Wissen darüber weitergegeben, was Gewalt ist und wie sie verhindert werden kann. Es werden auch Wertbindungen, Legitimationen und Weltbilder im Rahmen der Subjektivierungsarbeit mit vermittelt.

Um zu verstehen, welches Wissen in Anti-Gewalttrainings zum Ausdruck kommt, ist es wichtig, dem tieferen Verständnis von Gewalt und dessen Subjektivität nachzuspüren. Dieser Beitrag zeigt, dass ein Schlüssel hierzu in der Untersuchung des kommunikativen Handelns, der Institutionen und kommunikativen Formen liegt. Das Wissen über Gewalt, welches in Anti-Gewalttrainings zum Ausdruck kommt, wird im wechselseitigen Wirkhandeln aller Beteiligten erzeugt. Indem sie darauf verweisen, was als Gewalt gilt, wie sie zu beurteilen ist und wie ihr entgegengewirkt werden kann, positionieren sie sich zueinander. Dadurch werden verschiedene Subjektpositionen eingeübt – die der (devianten) Kursteilnehmer*innen, die zu gewaltbefreiten Subjekten gewandelt werden sollen, und die idealtypischen Rollen der Kursleiter*innen. Geprägt werden diese Positionierungen durch Handreichungen, gewaltpräventive Modelle, die massenmediale Berichterstattung, die Gewaltverständnisse staatlicher Instanzen etc. Die Frage, wie Wissen über Gewalt in Anti-Gewalttrainings produziert, vermittelt und sozial wirkmächtig wird, lässt sich dabei nicht durch standardisierte Erhebungen beantworten. Stattdessen bedarf es eines qualitativen Zugriffs auf die Trainingssituation, der das kommunikative Handeln innerhalb der Kurse und deren Institutionalisierung beleuchtet.