In der Forschung zur kulturellen Bildung im Jugendalter spielte die Frage, wie sich kulturelle Bildungsarbeit unter den Bedingungen ländlicher Regionen herstellt und mit welchen Herausforderungen dies einhergeht lange Zeit eine eher untergeordnete Rolle (zu Jugendarbeit insgesamt: Beetz und Funk 2018; Faulde 2021). In den letzten Jahren wird jedoch die Diskussion um kulturelle Teilhabe und kulturelle Bildung sowie damit verbundene Fragen sozialer Ungleichheiten immer mehr auch unter einer regionalen Perspektive geführt. Dabei steht häufig im Zentrum, wie der Abwanderung von Jugendlichen aus ländlichen Regionen entgegengewirkt werden kann und was kulturelle Aktivitäten und Angebote dazu beitragen können (z. B. Neu 2009; Kegler 2022). Eingebettet ist dies zumeist in Beobachtungen infrastruktureller Ausdünnung ländlicher Sozialräume oder der Vereinzelung von Jugendlichen in dörflichen strukturschwachen Regionen angesichts von Abwanderungs- und demografischen Wandlungsprozessen, die vor allem in ländlichen Regionen in Ostdeutschland lokalisiert werden (Schubarth und Speck 2009). Während dieser Diskurs dazu tendiert, zum einen die Heterogenität wirtschaftlicher, politischer und sozialer Bedingungsstrukturen, innerhalb des Konstruktes ländlicher Raum außer Acht zu lassen (vgl. hierzu z. B. Küpper 2016; Wiegandt und Krajewski 2020) und so auch komplexitätsreduzierende, dichotomisierende und stigmatisierende Narrative sowohl mit Blick auf Ost und West als auch bezogen auf Stadt und Land zu verfestigen (Reutlinger 2020), werden zum anderen an Aktivitäten und Angebote kultureller Bildungsarbeit Hoffnungen geknüpft, Jugendliche stärker an die Region zu binden (z. B. Retzar und Eller 2021, S. 92). Jugendarbeit insgesamt und kulturelle Bildung im Besonderen werden so weniger in ihrem Eigenwert, sondern vielmehr in einer regionalentwicklungsbezogenen Transferlogik adressiert und als Potenzial regionaler Bindungs- und Identitätsarbeit entworfen, aus der heraus auch ihr konzeptionelles Selbstverständnis neu diskutiert wird (Faulde et al. 2020). Demgegenüber bleiben die Hervorbringungsprozesse, Spannungsverhältnisse und sozialen Eigenlogiken kultureller Bildungsarbeit für und mit Jugendlichen in ihren regionalen Bezügen bislang eher ausgeblendet.

Der Beitrag möchte deshalb peripherisierungs- und raumtheoretisch sensibilisiert anhand von Expert:inneninterviews den empirischen Blick darauf lenken, wie Angebote kultureller Bildungsarbeit für Jugendliche über regionale Bedingungen mit hervorgebracht werden und Raumkonstruktionen ländlicher Regionen selbst mit hervorbringen.

1 Kulturelle Bildungsarbeit und peripher(isiert)e ländliche Regionen: ein Problemaufriss

Kulturelle Bildungsarbeit ist nicht nur in ländlichen Regionen als Produkt ineinander verwobener sozialer, politischer, wirtschaftlicher und diskursiver Praktiken zu betrachten, die in je spezifische Akteurskonstellationen eingebettet sind. Für strukturschwache, dünn besiedelte ländliche Regionen gilt jedoch, dass Akteur:innen kultureller Bildungsarbeit in Prozesse der sozialräumlichen Abkopplung eingebunden sind, die über Zentralisierungsbewegungen – etwa durch die Sicherung der öffentlichen Daseinsvorsorge über die Konzentration von Infrastruktur nach Kriterien des Zentrale-Orte-Konzeptes (MKRO 2016) – hervorgebracht werden und sich als Peripherisierungsprozesse dynamisieren. Mit dem Begriff Peripherisierung rücken hier Prozesse der „wechselseitige[n] Verstärkung sozialer und räumlicher Ungleichheiten“ (Beetz 2008, S. 11) in den Blick, über die sich Handlungsspielräume sowohl für Akteur:innen kultureller Bildungsarbeit als auch Teilhabechancen Jugendlicher an gesellschaftlich relevanten Lebensbereichen transformieren. So werden mit Peripherisierungsprozessen ländlicher Regionen zumeist ausgedünnte Infrastrukturen, Abhängigkeiten von Zentren, anhaltende Abwanderung und geringe ökonomische Wettbewerbsfähigkeit verbunden, mit denen Abwärtsspiralen der regionalen Entwicklung und eingeschränkte Partizipationschancen einhergehen (Kühn und Weck 2013; Dünkel et al. 2019). Gerade dann, wenn Peripherie als sozialstrukturelle Eigenschaft verhandelt wird, geraten ländliche Regionen primär defizitorientiert und kaum differenziert in den Blick. Qualitäten und soziale Eigenlogiken von peripher(isiert)en ländlichen Räumen sowie Handlungsstrategien der involvierten Akteur:innen erhalten demgegenüber noch wenig Aufmerksamkeit. Auch wenn auf die Relevanz entsprechender Forschung hingewiesen wird, werden aktuell deutlich mehr Forschungsdesiderate als -befunde konstatiert (im Überblick Kegler 2022, S. 19) und gerade die spezifischen sozialen Dynamiken und Verwobenheiten unterschiedlicher Teilöffentlichkeiten in ihrer Relevanz für die Hervorbringung kultureller Bildungsräume in ländlichen Regionen als blinder Fleck markiert. Diese Desiderate sind angesichts zugeschriebener Chancen und Funktionen kultureller Bildung etwa als Wirtschafts- und Standortfaktor, als Moment der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse, als Befähigung zu sozialer Teilhabe, oder als Bewahrung des „materielle[n] und immaterielle[n] kulturelle[n] Erbe[s]“ (Kegler 2022, S. 26) umso relevanter, je mehr sie als Potenzial peripher(isiert)er ländlicher Regionen verhandelt werden. So stehen den positiven Erwartungen an die Wirkmächtigkeit jene negativ konnotierten Beobachtungen gegenüber, die z. B. rückläufige Erfolge bei der Gewinnung und Bindung von Adressat:innen, den Rückgang ehrenamtlicher Unterstützungsstrukturen oder infrastrukturelle Abhängigkeiten betonen, aus denen sich räumliche Konflikt- und Spannungsfelder für die Akteur:innen kultureller Bildungsarbeit ergeben können.

Spannungsverhältnisse sind bereits im Zentrale-Orte-Konzept angelegt, das über die Zentralisierung öffentlich geförderter, hochkultureller Angebote in Ober- und Mittelzentren (Einig 2015) gleichzeitig Mobilitätszwänge (nicht nur) für Jugendliche erzeugt und Teilhabe an Mobilität bindet. Darüber hinaus stehen angesichts knapper Kassen kommunale Haushalte unter einem dauerhaften Priorisierungs- und Effizienzdruck, der sich gerade bei freiwilligen Leistungen zeigt, zu denen etwa soziokulturelle Angebote offener Kinder- und Jugendarbeit, non-formale Angebote von Musik- und Jugendkunstschulen oder auch die Förderung von Kulturschaffenden zählen (Richter und Schiller 2020; Faulde 2021; Kegler 2022). Die Hervorbringung und Gestaltung kultureller Bildungsangebote verweist dann nicht nur auf überregionale Prozesse, sondern auch auf die Verschachtelung lokaler und regionaler Handlungsstrategien unterschiedlicher Akteure, wie Pädagog:innen, Kulturschaffende sowie kommunale oder auch regionale Entscheidungsträger:innen. Für pädagogisches Handeln im Kontext außerschulischer Angebote kultureller Bildungsarbeit für Jugendliche ergibt sich daraus die Anforderung, in dieser Gemengelage Wege zu finden, um handlungsfähig zu werden oder zu bleiben. Dabei sind sowohl Fragen der Zentralisierung und Dezentralisierung sowie der innerregionalen Peripherisierung zwischen Dörfern, Klein- und Kreisstädten und damit verbundene Mobilitäts- und Erreichbarkeitsfragen auszutarieren (auch Beetz und Funk 2018) als auch die darüber erzeugten lebensweltlichen Realitäten der Jugendlichen in den Blick zu nehmen. Gerade der Fokus auf die regional-räumliche Positionierungs- und Konstitutionspraxis kultureller Bildungsarbeit in peripher(isiert)en ländlichen Regionen sowie zukünftiger Projektionen der Regionalentwicklung verspricht Aufschluss über die Eigenlogiken dieser Herstellungspraxis. Nicht zuletzt spiegeln sich darin auch Prozesse der Hervorbringung und Positionierung von Jugend selbst.

So wird im Diskurs um Jugend in ländlichen Regionen zentral das Problem verhandelt, dass in peripher(isiert)en ländlichen Regionen wohnortnahe Orte kultureller Bildung immer seltener werden und von einer eingeschränkten oder verwehrten Mobilität von Jugendlichen auszugehen ist, die sich auf Teilhabechancen und Angebote auswirken (Vogelgesang et al. 2018; Krüger und Schön 2021; Flasche und Jörissen 2021; Kegler 2022). So wie es Castells (2001, S. 481) am Beispiel einer Vorstadt in Südkalifornien deutlich macht, scheint auch die Perspektive auf Jugendliche in peripheren ländlichen Gebieten die zu sein, dass ihr Erfahrungsraum zunehmend „nach innen auf das Haus zu“ wie auch auf den Standort der Schule hin „einschrumpft“. Die Beobachtung allgemeiner Scholarisierungstendenzen und von Prozessen der Verhäuslichung verbinden sich hier mit der Ausweitung von Mobilitätserfordernissen, die darüber hinausgehende Raumerfahrungen minimieren. Vielmehr wird den Bahnenräumen im Sinne Löws (2020, S. 156) bzw. dem „Raum der Ströme“ im Sinne Castells zugeschrieben, „einen zunehmenden Teil der Zeit und des Raumes in Beschlag“ (Castells 2001, S. 481) zu nehmen. Allerdings sind es gerade die Bahnen, die Verbindungen zwischen Orten überhaupt ermöglichen und damit nicht nur Orten eine Relevanz in Netzwerk- oder Territorialräumen verleihen, sondern Flächenräume überhaupt erst konstituieren (Löw und Knoblauch 2021, S. 38) und Orte als erreich- und erfahrbare hervorbringen. Eine Abkoppelung von Orten durch verwehrte Bahnenräume, so formuliert es Castells recht drastisch, führt zu ihrem „wirtschaftlichen, sozialen und physischen Verfall“ (Castells 2001, S. 468). Bahnenräume sind somit grundlegende Infrastruktur und damit Ermöglichungsbedingung von Raumerfahrungen. Sie bringen – egal ob als Straßen, Schienen, Radwege oder Internetleitungen – ortsübergreifende Erfahrungsräume allererst hervor und sind immer auch mit Machtprozessen verbunden, indem sie in- und exkludierende Wirkung entfalten. Über Bahnenräume stellt sich nicht nur her, welche Orte überhaupt, sondern auch, welche besser, schlechter, schneller, langsamer, virtuell oder physisch erreichbar sind. Sie weisen darüber immer auch Hierarchien aus und sind selbst unterschiedlich zugänglich.

Sowohl Jugendliche als auch Angebote kultureller Bildung sind in ihrer (noch) sehr stark ortsbezogenen Verankerung (Grunert et al. 2022) auf Bahnenräume angewiesen. Angebote kultureller Bildung streben zudem danach, für Jugendliche mit Identität aufgeladene, sinnlich erfahrbare Ortsräume (Löw 2020) zu schaffen. In peripheren ländlichen Gebieten konkurrieren sie jedoch in besonderer Weise mit den zeitlich und räumlich ausgedehnten Bahnenräumen sowie der Schule als einem zentralen Ort in der Lebenswelt Jugendlicher, der in den letzten Jahren im Zuge des Ausbaus von Ganztagsschulen (Rother et al. 2020) ebenso einer zeitlichen Ausdehnung unterliegt. Gerade periphere ländliche Regionen halten insbesondere für noch nicht selbstständig mobile Jugendliche nur eingeschränkt funktionale Bahnenräume bereit. Nicht nur dort, wo Jugendliche keinen Zugang zum Internet haben, sondern auch dort, wo etwa Straßen oder Schienen grundsätzlich vorhanden sind, wird Mobilität nur eingeschränkt ermöglicht. Unflexible Schulbuszeiten, schlechter ÖPNV oder die Angewiesenheit auf die Transportdienste von Eltern oder Geschwistern erweisen sich bereits auf der Ebene der Bahnenräume als Teilhabehindernisse an Angeboten kultureller Bildung und Momente sozialer Ungleichheit (ähnlich Kegler 2022, S. 27). Die beschriebenen Platzierungsprozesse solcher Angebote, die sich primär auf die kleinstädtischen Zentren konzentrieren, führen nicht nur zu ihrer Ausgliederung aus den Lebenszusammenhängen des Dorfes, sondern sorgen mit dafür, dass sich räumliche Strukturen in periphereren Lagen zeitlich und räumlich ausdehnen und Mobilitätsabhängigkeiten weiter steigern.

Formate, die an den lebensweltlichen Realitäten der Jugendlichen anschließen und auf „mobile und dezentrale Ortskonzepte“ setzen, werden zwar im aktuellen Diskurs um kulturelle Bildung in peripheren ländlichen Regionen stark gemacht (Kegler 2022, S. 20), sie scheinen jedoch nicht nur seltener, sondern auch fragiler zu sein. So stellen Flasche und Jörissen (2021, S. 83) fest, dass Jugendarbeit in den von ihnen untersuchten ländlichen Regionen „als prekär und bedroht erlebt wird“ und in sich wiederholende Projekt- und Fördermittelabhängigkeiten eingebunden ist (vgl. auch Janowitz 2022). Zudem seien Jugendarbeit und kulturelle Angebote für Jugendliche in kleinen Gemeinden zusätzlich auf die Anerkennung durch ältere Generationen und politische Entscheidungsträger:innen angewiesen (Flasche und Jörissen 2021, S. 84), so dass entsprechende Aushandlungsprozesse zum konstitutiven Teil der Herstellung von Orten kultureller Bildung in ländlichen Regionen werden. Gleichzeitig betonten bereits Böhnisch und Funk (1989), dass Jugendliche in ländlichen Regionen nicht mehr nur auf das konkrete Dorf, sondern regional orientiert seien und das Dorf als mit jugendkultureller Identität aufgeladener Ortsraum an Relevanz verliere. Regionalorientierung ist dabei nicht nur Notwendigkeit, sondern auch Gelegenheit, sich der sozialen Kontrolle der Herkunftsdörfer zu entziehen. Sie ermöglicht auch „die Ablösung aus dörflichen und familiären Bindungen und gleichzeitig eine selbstbewusstere Rückbindung in das dörfliche Leben“ (Beetz und Funk 2018, S. 1380). Gleichzeitig ist sie auf Bahnenräume verwiesen und erzeugt ökonomische, soziale und zeitliche Abhängigkeiten.

Akteur:innen kultureller Bildungsarbeit stellt dies einerseits vor die Frage, wie angesichts von Peripherisierungsprozessen ihre Angebote zu platzieren und als für Jugendliche mit Identität aufgeladene Orte überhaupt herstellbar sind. Andererseits sind sie immer auch in politische Entscheidungsprozesse involviert, die Anerkennungs‑, Legitimitäts- und Finanzierungsfragen aufwerfen, über die auch Machtverhältnisse und Deutungshoheiten auszuhandeln sind.

2 Kulturelle Bildungsarbeit und ländliche Regionen als Forschungsgegenstand – methodisches Vorgehen

Wie sich Akteur:innen kultureller Bildungsarbeit in diesem Feld bewegen und in ländlichen Regionen wirksam werden, haben wir anhand von 23 Expert:inneninterviews im vom BMBF geförderten Projekt „KUMULUS – Kulturell-musische Bildung für Jugendliche des ländlichen Raums“ untersucht. Die Ausschreibung zur Förderlinie zielte auf jene Regionen, die – nach Kategorien des BBSR (2010Footnote 1) – dem sehr peripheren Raumtyp zugeordnet sind. Regionen also, die sich durch eine große Fläche, geringe Einwohnerdichte und größere Pendelentfernung zu großstädtischen Ballungsräumen auszeichnen. Darüber geraten solche politisch und administrativ markierten Regionen in den Blick, die im Diskurs um Abwärtsspiralen von Peripherisierungsprozessen adressiert werden. Der damit einhergehenden Reifizierungsproblematik von zugeschriebenen Raumqualitäten und des diskursiv erzeugten Charakters der Regionen wird mit einen multimethodischen Forschungszugang begegnet, der die Verwobenheit kultureller Bildungsarbeit in differente regionale Bedingungskonstellationen in peripheren ländlichen Regionen fokussiert und die Heterogenitäten und Dynamiken von Regionalisierungsprozessen sichtbar macht. Neben quantitativen Daten zu Angeboten kultureller Bildungsarbeit und kulturellen Aktivitäten Jugendlicher wurden im Projekt auch qualitative Interviews mit Expert:innen und Jugendlichen in zwei Flächenlandkreisen in Ostdeutschland erhoben (Grunert et al. 2021). Die Expert:inneninterviews gewähren dabei tiefergehende Einblicke in die räumlichen Strukturen und Hervorbringungspraktiken kultureller Bildungsarbeit in ihren regionalen Bezügen. Als Expert:innen betrachten wir solche Akteur:innen, die über ein spezifisches Wissen zum Handlungsfeld, dessen Regeln und Strukturen verfügen, das zudem das Potenzial hat, „die Handlungsbedingungen anderer Akteure […] in relevanter Weise“ mitzustrukturieren (Bogner und Menz 2002, S. 46). Dabei ruft die Ansprache als relevante Auskunftsperson auch dazu auf, diese Zuschreibung zu legitimieren und sich zur forschungsinduzierten Adressierung der Region zu positionieren (Meyer und Miggelbrink 2018). Auch wenn sich dies nicht im Grundsatz auflösen lässt, haben wir versucht, der Reifizierung ländlicher Regionen als peripherisierte einerseits über einen Leitfaden mit weitgehend offenen, erzählgenerierenden Fragen zur Struktur des Feldes, zur professionellen Praxis, zur Relevanz von Jugendlichen sowie den Strukturbedingungen kultureller Bildungsarbeit in ländlichen Regionen zu begegnen. Andererseits haben wir uns bei der Auswertung vor allem darauf fokussiert, welche Relationierungen von Region und kultureller Bildungsarbeit die Akteur:innen selbst vornehmen.

Da Peripherisierungsprozesse nicht auf einen konkreten Ort verweisen, sondern allererst über die Verwobenheit verschiedener Akteur:innen und Ebenen hervorgebracht werden, sind auch Angebote kultureller Bildungsarbeit in ländlichen Regionen als Produkte dieser Gewebe zu betrachten. Berücksichtigt wurde dies im Sampling über die Befragung von Akteur:innen, die sowohl in konkreten Angeboten außerschulischer Bildungsarbeit in kommunaler oder freier Trägerschaft tätig sind und zwischen eher hoch- und eher soziokulturellen Angeboten kontrastieren (z. B. Musik‑, Kunstschulen, Vereine, Schulen, offene Kinder- und Jugendarbeit) als auch solche, die auf kommunaler oder Landkreisebene für diesen Bereich (Mit‑)Verantwortung tragen und so die Rahmenbedingungen kultureller Bildungsarbeit mit hervorbringen (z. B. Bürgermeister:innen). Zudem haben wir Akteur:innen aus größeren und kleineren Kommunen bzw. Gemeinden berücksichtigt.

Die Auswertung erfolgte im Rückgriff auf die Methodologie der Grounded Theory. In Anlehnung an Strauss und Corbin (Strauss und Corbin 1996; Corbin und Strauss 2015) wurde zunächst offen kodiert. Aus einer raum- und peripherisierungstheoretisch sensibilisierten Perspektive wurden die Codes zu Kategorien verdichtet und gestützt auf das Kodierparadigma Bedingungen, Handlungsstrategien und Konsequenzen im Umgang mit dem Phänomen „Raumzugänge gestalten als Praxis kultureller Bildungsarbeit“ rekonstruiert.

3 „Raumzugänge gestalten als Praxis kultureller Bildungsarbeit“ – empirische Rekonstruktionen

Eine zentrale Eigenschaft des Phänomens ist das Ringen um die Erreichbarkeit Jugendlicher nicht nur in mobilitätsbezogener, sondern auch sozialer Hinsicht. Dies verbindet sich mit einer durchaus selbstverständlich verbürgten Zuständigkeit für eine größere Fläche bzw. größere Einzugsgebiete. Strategien der Ermöglichung kultureller Bildungsangebote für Jugendliche formieren sich so im Spannungsfeld von Zentralisierungs- und Dezentralisierungsbewegungen, die im Zusammenspiel mit den infrastrukturellen Bedingungen und Perspektiven auf Jugendliche als Zielgruppe zu unterschiedlichen Konsequenzen für Gestaltungspraktiken sowie Teilhabemöglichkeiten führen. Für die Akteur:innen kultureller Bildungsarbeit kann dabei durchaus ein Druck auf das berufliche Selbstverständnis rekonstruiert werden, der sich entlang der verschränkten (Selbst‑)Responsibilisierung als Pädagog:innen und als Regionalentwicklungsakteure herstellt.

3.1 Raumzugänge gestalten als Ringen mit verfestigten Orts- und Mobilitätsverknüpfungen

In einer Reihe von Fällen werden mit kultureller Bildungsarbeit in erster Linie institutionalisierte, pädagogisch arrangierte Settings verbunden, in denen Jugendliche Fähigkeiten erwerben, die sowohl für ihre Persönlichkeitsentwicklung als auch für Qualifikationserfordernisse als relevant erachtet werden. Jugendliche werden dabei primär als Lernende und weniger als selbst Kunst- bzw. Kulturschaffende adressiert. Dafür sind feste Orte notwendig, die sowohl über pädagogisches Personal als auch eine materielle Ausstattung (z. B. Instrumente, Kreativmaterialien, Bühnen etc.) verfügen, und es bedarf Möglichkeiten des Vorführens und Präsentierens. Damit geht nicht nur die Notwendigkeit einer Bindung an feste, identifizierbare Orte einher, sondern auch eine Platzierungsstrategie in Kreis- oder Kleinstädten, die zugleich auch Schulstandorte sind. Erst das Zusammenspiel mit an den Schulbesuch gekoppelten Bahnenräumen ermöglicht die Gestaltung und Aufrechterhaltung der Angebote, so dass Synergieeffekte mit der politisch und administrativ gesetzten Zentralisierung von Schulen entstehen. Vor dem Hintergrund der gleichzeitig auch kritisch diskutierten infrastrukturellen Bedingungen der Region erzeugt diese Praxis der Raumkonstruktion jedoch Abhängigkeiten und stellt Stabilitäten in Frage. Die Expert:innen stellen dabei insbesondere Mobilitätszumutungen und die Angewiesenheit auf Transportleistungen der Eltern als intervenierende Bedingungen deutlich herausFootnote 2:

figure a

Hier werden Exklusionskriterien formuliert, die eine Nichterreichbarkeit des Angebots über zwar teilweise vorhandene, aber für Kinder und Jugendliche nicht selbstständig nutzbare Bahnenräume mit ihrer Nichterreichbarkeit durch das Angebot gleichsetzen. Der ÖPNV wird dabei über alle Interviews hinweg als defizitär oder kaum existent markiert und Schulbussen wird eine zusätzlich exkludierende Wirkung zugeschrieben. Die Platzierung der Angebote in der Kleinstadt, die vor allem in ihrer Funktion als Schuleinzugsgebiet zum zentralen, alltagsstrukturierenden Ort Jugendlicher aus umliegenden Dörfern wird, bindet sie an schulische Zeit- und davon abhängige Mobilitätskonzepte. Handlungsspielräume werden sowohl für die Jugendlichen als auch für die kulturellen Angebote als eingeschränkt markiert. Mit räumlichen Ungleichheiten verbinden sich somit nicht nur soziale Ungleichheiten der Ermöglichung kultureller Teilhabe, sondern auch kulturelle Angebote geraten unter Legitimitätsdruck, wenn notwendige Teilnehmendenzahlen nicht erreicht werden. So sind Jugendliche und zentralisierte Angebote gleichermaßen auf funktionierende, flexible Bahnenräume angewiesen. Die bestehenden werden jedoch als problematisch und zugleich unveränderbar thematisiert werden. Gleichzeitig geht mit der Verbindung von geringer Teilnehmendenzahl und Mobilität die Imagination einer prinzipiell möglichen Erreichbarkeit der Zielgruppe einher. Kinder und Jugendliche, denen die Position Buskind nicht zugeschrieben wird, werden als im Grunde erreichbar positioniert, während Buskinder für jegliche Bemühungen am Schulstandort außerhalb der Schulzeiten als verloren zu gelten scheinen.

Die Adressierung nicht außerschulisch erreichbarer Kinder und Jugendlicher als Buskinder reduziert diese dann auch auf die Problematik nicht funktionaler Bahnenräume und verweist auf fundamentale Abhängigkeiten, die nicht nur die potenzielle Teilhabe an zentralisierten kulturellen Angeboten, sondern auch Selbstständigkeitspotenziale verhindern. Buskind zu sein und nicht über Transportmöglichkeiten durch Eltern zu verfügen, erzeugt eine Steigerungslogik von Exklusionsdynamiken und wird mit der Defizitzuschreibung nicht vorhandener elterlicher Ressourcen und/oder deren fehlender Selbstresponsibilisierung für die kulturelle Bildung ihrer Kinder (Krüger und Schön 2021) verbunden. Gleichzeitig werden vor allem die Eltern (auch Großeltern oder ältere Geschwister) als diejenigen adressiert, die als einzige funktionierende Bahnenräume herstellen können und von deren Transportleistungen auch die Stabilität der Angebote im kleinstädtischen Zentrum – sei es am Nachmittag in der Schule, der Musik- oder Kunstschule – abhängig ist. Auch darüber wird die Legitimität der zentralisierten Platzierungsstrategie in Frage gestellt und geraten Akteur:innen unter Handlungsdruck. Nicht nur, dass über den Faktor Mobilität die Arbeitsbündnisse mit den Jugendlichen selbst auf dem Spiel stehen und Teilhabe auch an physische Erreichbarkeiten geknüpft ist. Vielmehr machen die Transportleistungen der Eltern einen wichtigen Teil des pädagogischen Arbeitsbündnisses aus, das immer auch mit ihnen geschlossen werden muss (Krüger und Schön 2021; Helsper 2021, S. 164–165).

figure b

Konsequenz für die Konstitutionspraxis der kulturellen Angebote ist dann ein gesteigerter Einfluss der Eltern selbst, indem etwa ihre Zeitressourcen in der Planung mit berücksichtigt werden müssen oder sie über das Einklagen digitalisierter Formate auch Veränderungsdruck ausüben können (Grunert et al. 2022). Die Herstellung digitaler Bahnenräume zum Angebot wird dann in erster Linie als Entlastung der Eltern und weniger als Annäherung an die lebensweltlichen Realitäten der Jugendlichen verhandelt.

Dass Zentralisierungsdynamiken kultureller Bildungsangebote auch aus gescheiterten Strategien zur Etablierung mobiler oder dezentraler Ortskonzepte resultieren, verdeutlicht der Fall der Leiterin einer Kunstschule, die schon mehrfach vergeblich entsprechende Förderanträge gestellt hat. Zum einen sollten in Schulen oder Gemeinderäumen mobile Angebote unterbreitet und so Bahnenräume in das periphere Umland der Kreisstadt hergestellt werden. Diese flexiblen räumlichen Arrangements ohne feste, verlässliche Orte werden jedoch als ungeeignet markiert, da die Angebote auf eine materielle und räumliche Ausstattung angewiesen sind, die in den Schul- und Gemeinderäumen nicht zur Verfügung steht. Demgegenüber wird die Notwendigkeit einer festen räumlichen Struktur betont und mit deren Erlebnisqualität als besonderem Erfahrungsraum begründet. Dies markiert dann auch die Grenzen solcher Dezentralisierungskonzepte, denen es nicht gelingt, in den Dörfern mit Identität aufgeladene Ortsräume hervorzubringen.

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So ist ein zweiter Antrag darauf gerichtet, die Angebote zwar dezentral und vor Ort zu bewerben, dann aber über die Organisation von „Fahrgemeinschaften“ (Peters, 134) eine Unterstützungsstruktur zu entwickeln, die den „Teilnehmern hilft zu uns zukommen“ (Peters, 135–136). Hier wird zwar eine Arbeit an der Etablierung neuer, der räumlichen und zeitlichen Platzierung des kulturellen Angebotes angepasster Bahnenräume deutlich, die Ablehnung der Anträge wird jedoch zugleich als doppelte Scheiternserfahrung markiert, die zu Resignation und einer Verfestigung der zentralisierten Raumkonstruktion führt.

figure d

Das Erreichen von Jugendlichen in Regionen außerhalb der Stadt wird darüber als abhängig von Zufälligkeiten verhandelt, die an das Engagement Einzelner gekoppelt sind und Teilhabeungleichheiten mit bedingen.

Regionalisierung sozialer Ungleichheit, die zu Differenzen in den kulturellen Teilhabemöglichkeiten Jugendlicher führt, findet in allen Fällen nicht nur entlang der großen Linie von Großstadt und ländlichem Raum statt. Sie wird auch über Differenzerzählungen von Klein- oder Kreisstädten und dem ländlichen Umland diskursiv hergestellt. Damit verfestigen sich eher territoriale Raumkonstruktionen, die sich durch starke Grenzziehungen auszeichnen und Dahinterliegendes als unerreichbar, defizitär oder unbekannt markieren. Trotz dieser Wahrnehmung werden zentralisierte Platzierungskonzepte kultureller Bildungsarbeit insbesondere von politischen und administrativen Entscheidungsträger:innen im Sample kaum in Frage gestellt. Die Klein- oder Kreisstadt, insbesondere in ihrer Eigenschaft als Schulstandort, erscheint als (jugend-)kulturelle Insel und wird als zentralisierte Komm-Struktur entworfen, während erst der Raum dahinter als abgehängt gekennzeichnet wird.

figure e

Das Land oder der ländliche Raum wird hier als peripherisierter Raum der Chancenlosigkeit und des Abgekoppeltseins nicht nur im Hinblick auf selbständige Mobilität markiert, sondern auch auf kulturelle Vielfalt und Teilhabemöglichkeiten junger Menschen. Jugendliche werden dabei als Opfer regionaler und infrastruktureller Defizite entworfen, nicht zuletzt indem sie zugespitzt als „kleine arme Schweine“ (Böhm, 477), die in der „Einöde“ (Böhm, 395) leben adressiert werden. Damit geraten nicht nur die Eigenlogiken und Qualitäten der bezeichneten Orte und Räume und des Handelns Jugendlicher darin aus dem Blick. Vielmehr wird über „Semantisierungen von Peripherie“ (Hefner et al. 2018, S. 107), die sich aus einer Entgegensetzung kultureller Vielfalt und Teilhabemöglichkeiten der Stadt bestimmen, die Abhängigkeit der Existenz auch (klein-)städtisch verankerter kultureller Angebote von der Teilnahme der nicht-städtischen Jugendlichen und entsprechenden Bahnenräumen und Mobilitätskonzepten eher ausgeblendet.

3.2 Raumzugänge gestalten als Ringen um flexible Orts- und Mobilitätskonzepte

Während in einigen Fällen die Nichterreichbarkeit der Jugendlichen außerhalb der kleinstädtischen Zentren eher im Modus der territorialen Differenzerzeugung als räumliche Gewissheit verhandelt wird, mit der scheinbar unverrückbare Handlungseinschränkungen einhergehen, wird sie in anderen Fällen als zentrales Handlungsproblem gefasst. Begründungsfiguren dafür werden ebenso in den Mobilitätszumutungen zentralisierter Angebote gesucht. Zuständigkeiten für größere Flächen sowie das Bestreben, sich stärker in den Raum außerhalb der Kleinstadt zu vernetzen, bündeln sich hier in Gestaltungspraktiken, die eine Dezentralisierung kultureller Angebote in den Mittelpunkt rücken. In diesen Raumkonstruktionen stehen die von Mobilitätseinschränkungen geprägten lebensweltlichen Realitäten der Jugendlichen deutlich stärker im Mittelpunkt.

figure f

Gerade aus der Perspektive soziokulturell orientierter Angebote wie Jugendclubs geraten Eltern als Agent:innen der Kompensation dysfunktionaler Bahnenräume gar nicht erst in den Blick, während ihre (Selbst‑)Responsibilisierung bei eher hochkulturellen Angeboten ganz selbstverständlich scheint. Anders gesagt erzeugen hochkulturelle Angebote stärkere Kompensationsleistungen durch elterliche Unterstützungsstrukturen und bringen darüber zusätzliche Momente sozialer Ungleichheit hervor. Angebote der offenen Jugendarbeit sind damit deutlich stärker mit Mobilitätszumutungen für Jugendliche verbunden. So überrascht es auch nicht, dass sich Dezentralisierungsbestrebungen in peripherere Gebiete im Sample insbesondere auf diese Settings beziehen. Sie werden zum einen eher klassisch als mobile Jugendarbeit entworfen, die punktuell in Gemeinden Angebote macht, dort jedoch über keinen festen Ort verfügt und ihr Zentrum weiterhin im Städtischen hat. Zum anderen stützen sie sich aber auch auf die Um- und Mitnutzung vorhandener Räume in kleineren Gemeinden und erinnern stärker an das Konzept eines Jugendzentrums, das sich zumindest als Zukunftsvision in einer Netzwerklogik über den Flächenraum der Region entwirft (für Kulturzentren Michałowski 2017). Einzelne Gemeinden werden dann zu Knoten in diesem Netzwerkraum, die es ermöglichen sollen, den Mobilitätsaufwand für Jugendliche zu reduzieren.

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Dezentralisierungsstrategien setzen damit an mobilitätsgestützten Bahnenräumen an, gehen jedoch mit ganz anderen Konsequenzen einher als die Ansiedlung kultureller Bildungsangebote in städtischen Zentren. So stellen sie Jugendarbeiter:innen vor die Herausforderung, mit den Gemeinden nicht nur finanzielle und räumliche Bedarfe auszuhandeln, sondern auch, Angebote für Jugendliche mit einem Mehrwert für alle Generationen verknüpfen zu müssen (ähnlich Flasche und Jörissen 2021, S. 83). Aufgabe pädagogisch professionell Tätiger ist es so zunächst, die Interessen der Jugendlichen sowohl mit den Ansprüchen der politischen Entscheidungsträger:innen als auch den Erwartungen der erwachsenen Bewohner:innen zu vermitteln und Anerkennungsstrukturen für das jeweilige Vorhaben in den Gemeinden aufzubauen. So wird etwa die Teilnahme an der Gemeinderatssitzung für einen Jugendarbeiter zur Bewährungsprobe, indem er das Vorhaben gegenüber der imaginierten Dorföffentlichkeit verteidigen muss. Der Gemeinderat als politisches Entscheidungsgremium und die Dorföffentlichkeit scheinen ineinander zu verschmelzen und werden über Mentalitätszuschreibungen in Differenz zur Stadt kollektiviert:

figure h

Kulturelle Bildungsarbeit wird damit durch politische Abhängigkeiten und Vermittlungsnotwendigkeiten in den Gemeinden durchaus auch inhaltlich bestimmt. Diese organisationale Abhängigkeit als generelles Spannungsmoment professionellen pädagogischen Handelns (Helsper 2021, S. 149f.) scheint sich in kleinen Gemeinden zu potenzieren. Nicht nur, dass Jugendliche hier eine stark minorisierte Gruppe sind, über deren Belange zumeist Erwachsene entscheiden (Beetz und Funk 2018, S. 1379). Darüber hinaus wird das Dorf in vielen Fällen als eigensinniger Vergemeinschaftungsmodus verhandelt, über den sich ein stark mit Identität aufgeladener Ortsraum (Löw 2020, S. 156) herstellt, der im Hinblick auf die Integration und Unterstützung kultureller Bildungsangebote durchaus politisches Handeln anleitet. Insofern binden Dezentralisierungsstrategien, die sich an kleinere Gemeinden wenden, nicht nur zeitliche Ressourcen und erfordern ein Einlassen auf den Eigensinn des Ortes sowie politisches Geschick der pädagogisch Tätigen. Sie bewegen sich zudem durch die Abhängigkeit von der Dorföffentlichkeit auch im Spannungsfeld zwischen der Einschränkung von Handlungsoptionen und der Ermöglichung kultureller Bildungsarbeit mit Jugendlichen. Räume für Jugendliche schaffen als Aufgabe für die Jugendarbeit heißt dann nicht nur, zuvor funktional und von der Dorföffentlichkeit anders besetzte Orte zu nutzen, sondern auch Freiräume auszuhandeln, diese Orte im Sinne Jugendlicher umzugestalten, um die Grundlage dafür zu legen, dass sie für Jugendliche zu mit Identität aufgeladenen Ortsräumen werden können.

figure i

Während dies mit Blick auf soziale Kohäsion und Kontrolle bereits länger als konzeptionelle Anforderung an Jugendarbeit in ländlichen Sozialräumen diskutiert wird (vgl. zsf. Oelkers 2022), steigert sie sich in kommunalen Entwürfen einer flächendeckenden oder mobilen Jugendarbeit, in denen die Kommune einzelne Träger mit Dezentralisierungskonzepten beauftragt. Der Anspruch einer sich regional-räumlich verstehenden Jugendarbeit geht damit nicht nur aus einer Professionslogik hervor, sondern spiegelt sich auch in regionalpolitisch flankierten Konzepten, mit denen jedoch eine gesteigerte Verantwortungsverlagerung für Regionalentwicklungsfragen in die Jugendarbeit einhergeht.

figure j

Während aus der Perspektive der Kommunalpolitik flächendeckende Jugendarbeit mit der Beauftragung des Jugendclubs als realisiert erscheint, führt die doppelte Responsibilisierung als Akteur:in der Jugendarbeit und der Regionalentwicklung auf der Ebene der Professionellen zu Spannungsmomenten. Das in die Zukunft projizierte Projekt eines vernetzten Jugendzentrums bindet durch die notwendige Vermittlung von räumlich-regionalen, politischen und generationalen Bedingungskonstellationen Ressourcen an ganz unterschiedlichen Orten und in unterschiedlichen Teilöffentlichkeiten, die finanziell und personell nicht aufgefangen werden können. Die nur knapp zur Verfügung gestellten Mittel der Kommune, die dem flächendeckenden, regionalen Auftrag an die Jugendarbeit auf symbolischer Ebene Nachdruck verleihen, treffen auf im Berufsethos verankerte Ansprüche, so dass Akteur:innen der Jugendarbeit für die Gewinnung notwendiger, weiterer Ressourcen für die Umsetzung dezentraler Konzepte responsibilisierbar werden. Dies befördert jedoch einerseits vor allem eine weitere Selbst-Prekarisierung:

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Andererseits wird die Arbeit an Netzwerkräumen damit nicht nur hinsichtlich der Herstellung von mobilitätsreduzierenden Knotenpunkten der Einrichtungen in der Region selbst relevant, sondern auch bezogen auf die Etablierung von Bahnenräumen zu politischen, administrativen und sozialen Strukturen in der Region. Aus dieser räumlichen Komplexitätssteigerung entstehen im Zusammenspiel mit Prekarisierungsbedingungen und damit einhergehenden Personalfluktuationen eher punktuelle und fragile Orte für Jugendliche außerhalb von Kleinstädten, die deutlich auf die Grenzen der Responsibilisierung von Jugendarbeit für Regionalentwicklung verweisen.

Solche Grenzen werden auch dort deutlich, wo Akteur:innen der Kommunalpolitik kulturelle Angebote mit dem Anspruch verbinden, Wirtschaftsfaktor für die Region zu sein. So zeigt sich am Fall eines Vereins, der u. a. punktuelle, kleinere und größere Musikevents für und mit Jugendlichen der Region organisiert die Konflikthaftigkeit differenter regionalentwicklungsbezogener Handlungsstrategien. Diese Events finden einerseits dezentralisiert über eine kleinere mobile Bühne statt. Andererseits werden für Events im größeren Maßstab und mit überregionaler Ausstrahlung geeignete, feste Bühnenräume in der Kreisstadt genutzt und in der Kombination jugendkulturelle Netzwerkräume als regionale Angebotsstruktur gestaltet. Allerdings sind die Mieten für die Räume der größeren Events „so exorbitant hoch geworden“ (Wagner, 626), dass sie „weit weit über“ (Wagner, 630) denen in weiter entfernt liegenden Großstädten liegen und für den Verein nicht mehr finanzierbar sind. Darüber wird auch eine Verlagerung des Angebotes in eine Großstadt wahrscheinlich. Die gestiegenen Mieten werden als Resultat veränderter lokaler, politischer Handlungsstrategien verhandelt, die „Kultur wirtschaftlich hochrechnen“ (Wagner, 633) und darüber auch Vereine als Einnahmequelle für kommunale Haushalte adressieren. An diesem Konflikt um konkrete Orte treten beispielhaft Begrenzungsdynamiken kultureller Bildungsarbeit für Jugendliche hervor, die aus differenten Bedeutungs- und Funktionszuschreibungen auch von Regionalentwicklungsfragen resultieren. Im Fallsample kalibrieren sich die Strategien von politischen und administrativen Entscheidungsträger:innen auf unterschiedlichen Ebenen primär um ein Konzept von Kultur als Standort- und Wirtschaftsfaktor, das es allererst zu ermöglichen scheint, angesichts knapper kommunaler Ressourcen im politischen Feld über kulturfördernde Strukturen zu verhandeln. Dabei geht es jedoch oftmals weniger um die Steigerung der Attraktivität der Region für die ansässigen Jugendlichen, sondern darum, touristische Anziehungspunkte und die Region als Zuzugsraum zu etablieren. Im Fall soziokultureller Akteur:innen, die sich ebenfalls im Horizont von Regionalentwicklung entwerfen, dabei jedoch an der Etablierung von Möglichkeitsräumen der Erprobung und Entfaltung (sub)kultureller Praktiken sowie der Schaffung von mit Identität aufgeladenen Orte in den Netzwerkräumen Jugendlicher ansetzen, erzeugt dies allerdings begrenzende bis verunmöglichende Kontextbedingungen.

4 Diskussion

Die makrostrukturellen Sensibilisierungen des Peripherisierungsdiskurses machen auf die Bedeutung territorial markierbarer Räume und Orte (Löw 2020) aufmerksam, die Ziel und Ausdruck räumlicher Grenzziehungen und Kategorisierungen darstellen und Raumpraktiken in einer Art und Weise verfestigen, die sie dann als Strukturbedingung des Handelns in diesen Regionen erscheinen lassen (Ludwig 2021). Darüber geht mit regionalen Fragestellungen nicht nur die Problematik der Containerisierung von Lebenswelten einher, sondern auch der Stigmatisierung von Bewohner:innen peripherisierter ländlicher Regionen, die diesen Bedingungen passiv unterliegen würden (Werlen 2005; Schroer 2008). Regionale Semantiken wie die vom ländlichen Raum und vor allem die der Peripherisierung werden daher zunehmend auf ihre komplexitätsreduzierende Wirkung und Festschreibung von Differenzen insbesondere zu städtischen regionalen Gebilden hin befragt (Hefner et al. 2018) und ihre, die Eigenlogiken verdeckenden, peripherisierungsverstärkenden Wirkungen hervorgehoben. Damit ist ein Blickwechsel gefragt, um Peripherisierungsprozesse nicht fatalistisch als fortdauernde „Abwärtsspirale“ (Dünkel et al. 2019, S. 110) zu betrachten oder – gegengleich – ländliche Räume zu romantisieren (Reutlinger 2020). Vielmehr muss es darum gehen, sie in ihren multiplen Verschränkungen in den Blick zu nehmen, die über unterschiedliche Raum- und Akteurskonstellationen hervorgebracht werden. Damit bleibt zwar der Fokus auf sich darüber herstellende ungleichheitserzeugende Regionalisierungsprozesse weiterhin relevant, jedoch schärft sich der Blick für die Handlungspraktiken und -strategien der Akteur:innen, die in diese Dynamiken eingebunden sind, mit ihnen umgehen müssen und sie immer auch mit hervorbringen. Denn Peripherisierung ereignet sich performanztheoretisch gesprochen als Folge von „wirtschaftlichen, politischen, sozialen und kommunikativen Prozessen“ (Dünkel et al. 2019, S. 110) auf verschiedenen Ebenen und über differente Teilöffentlichkeiten als Arenen der Macht. In diesem Sinne machen die Rekonstruktionen deutlich, dass auch Akteur:innen der kulturellen Bildungsarbeit in die Hervorbringung von Peripherisierungsbewegungen verstrickt, aber auch an der Transformation der räumlichen Konstitutionsbedingungen in ländlichen Regionen beteiligt sind und „sich gewissermaßen an vorgefundenen Territorialitäten ab[arbeiten]“ (Felgenhauer 2020, S. 184). Für Jugendliche stellen sich darüber Ein- und Ausschlüsse, Ermöglichungs- und Begrenzungsräume sozialer und kultureller Teilhabe und eigener Suchbewegungen her. Sie potenzieren sich als soziale Ungleichheitsdynamiken in strukturschwachen Regionen insbesondere durch erzwungene Abhängigkeiten von anderen als Mobilitätsungleichheiten und werden durch Stigmatisierungsprozesse verstärkt. Dies erzeugt ungleiche Teilhabeverhältnisse und fördert die „Ausdifferenzierung sozialer Strukturen innerhalb der Dörfer“ (Beetz und Funk 2018, S. 1378), wenn einige Jugendliche über Mobilitätsressourcen verfügen, die – einmal abgesehen von den individuellen Interessen – die Inanspruchnahme überregionaler Angebote kultureller Bildung ermöglichen, andere aber auf die kaum vorhandenen Angebote vor Ort angewiesen sind (Beetz und Funk 2018; Chassé 2019; Ludwig und Grunert 2020).

Die Akteur:innen kultureller Bildungsarbeit kommen dabei als Akteur:innen in den Blick, die über spezifische soziale Praktiken differente Ermöglichungsräume kultureller Bildung und Teilhabe für Jugendliche herstellen, und darüber selbst an der Erzeugung von Strukturbedingungen ländlicher Regionen beteiligt sind. Die Fallrekonstruktionen machen deutlich, dass sie sich dabei im Spannungsfeld von Zentralisierung und Dezentralisierung kultureller Angebote bewegen und es je nach Akteursposition durchaus unterschiedlich bearbeiten. Dieses Spannungsfeld wird im Sample sehr stark im Kontext dysfunktionaler Bahnenräume verhandelt, die insbesondere für jüngere, transportabhängige Jugendliche außerhalb der kleinstädtischen Zentren als Teilhabehindernisse markiert werden. Kulturangebote an schulischen Standorten zu zentralisieren ermöglicht diese zwar, erzeugt aber auch Abhängigkeiten von verfestigten Bahnenraumstrukturen aus defizitärem ÖPNV und elterlicher Kompensation, die stark exkludierende Wirkung entfalten. Als eigenes Handlungsproblem werden diese Abhängigkeiten vor allem von Akteurspositionen aus thematisiert, die in konkreten kulturellen Angeboten verankert sind und diese legitimieren und aufrechterhalten müssen. Demgegenüber stellen politische Akteur:innen im Sample dies weniger ins Zentrum und setzen stärker auf Strategien der Erhöhung der Sichtbarkeit, Attraktivität oder auch grundsätzlich der Aufrechterhaltung von lokalen, vor allem hochkulturellen Angeboten. Diese werden primär in ihrer Funktion als Wirtschafts- und Standortfaktor oder auch als institutionalisierte Lerngelegenheiten verhandelt. Vor allem in den Erzählungen der politischen Akteur:innen dokumentieren sich darüber containerhafte Raumkonstruktionen, die administrativen Regionalisierungen folgen und in denen sich Abgrenzungen von Stadt und Land als innerregionale Zentralisierungsdynamiken verfestigen. Dysfunktionale Bahnenräume werden dann in erster Linie dem Territorium außerhalb des eigenen Zuständigkeitsbereichs zugeschrieben. Kulturangebote in städtischen oder verstädterten Regionen zu konzentrieren erweist sich damit vor allem für diejenigen Akteur:innen als funktional, die strikte Territorialraumgrenzen ziehen und Jugendliche in erster Linie als Jugendliche innerhalb dieser Grenzen wahrnehmen. Abhängigkeiten auch der innerstädtisch, zentralisierten Angebote von regionalen Erreichbarkeiten und funktionalen Bahnenräumen werden darüber eher ausgeblendet oder in ihrem defizitären Charakter als unveränderbare Handlungsbedingung angenommen.

Dort wo Dezentralisierungsstrategien auch in den Blick politischer Entscheidungsträger:innen geraten – etwa im Rahmen flächendeckender oder mobiler Jugendarbeit – und neben symbolischen auch finanzielle Ressourcen bereitgestellt werden, ermöglicht dies den Akteur:innen kultureller Bildungsarbeit durchaus begrenzte Handlungsspielräume. Die Etablierung dezentraler Ortskonzepte bleibt jedoch aufgrund von Finanz- und Personalknappheit ebenso fragil wie prekär. Getragen werden diese Handlungsstrategien der Dezentralisierung vor allem von einem professionellen Berufsethos, das über den Anspruch, nicht nur Jugendarbeits-, sondern auch Regionalentwicklungsakteur:in zu sein, herausgefordert und zum Teil auch überfordert wird. Zwar eröffnen sich über die von politischen und pädagogischen Akteur:innen symbolisch geteilte Auffassung von der Notwendigkeit dezentraler Ortskonzepte Gestaltungsspielräume, jedoch entstehen zugleich Entthematisierungen damit verwobener politischer Handlungsnotwendigkeiten zur Schaffung von Raum- und Anerkennungsstrukturen sowie finanzieller und personeller Ressourcen. Anders als im Selbstverständnis der politischen Entscheidungsträger:innen abgelegt, werden darüber kaum innerregionale Netzwerkräume ermöglicht, sondern territoriale Raumgrenzen legitimiert. Deutlich wird so, wie komplexe Dynamiken von Peripherisierungsprozessen in das Pädagogische verlagert und von dort aus in das Politische zurückübersetzt werden müssen. In diesen strukturell miterzeugten Reibungen geraten die pädagogischen Herausforderungen etwa auf Ebene der Gestaltung von Arbeitsbündnissen tendenziell ebenso aus dem Blick wie die Pluralität Jugendlicher selbst.

Auch wenn sich gerade im Spiegel peripher(isiert)er, ländlicher Regionen die Problematik der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse angesichts regionaler Disparitäten besonders deutlich zeigt, verweisen die aufgemachten Perspektiven aus den Expert:inneninterviews darauf, dass diskursiv geteilte Bedeutungszuschreibungen einer Notwendigkeit von Regionalentwicklung und entsprechender Konzepte auf kleinräumiger Ebene durchaus dann janusköpfig werden, wenn dies nicht auch mit einer geteilten Arbeit an und der Umsetzung dafür notwendiger Handlungsstrategien zusammenfällt.