Dem wissenschaftlichen Interesse an Arbeitsbündnissen zwischen Sozialarbeiter*innen und ihren Adressat*innen schließt sich die Frage an, wie deren Zusammenarbeit verhandelt wird. Zivilgesellschaftlich organisierte Tätigkeiten im Kontext von Migration hierfür ebenso in den Blick zu nehmen, begründet sich aus dem Narrativ „Ohne Zivilgesellschaft wäre es nicht gegangen“ (Speth 2017) und knüpft an das Forschungsprojekt ProZiSFootnote 1 an.

Der Stand der Forschung zu Soziale Arbeit und Migration beschreibt machtvolle Positionierungsprozesse (vgl. Braches-Chyrek et al. 2019, S. 13 ff.). Dimensionen der Ungleichheit, mögliche Ursprünge, Wechselwirkungen oder Bedingungen in der konkreten Interaktion bieten Anknüpfungspunkte für eine postkoloniale Perspektive: Der Umgang mit diesen (Macht‑)Verhältnissen kann auf dichotome Konstruktionen (vgl. Said 2017, S. 13 ff.) verweisen und das Handeln von sozial arbeitenden PersonenFootnote 2 bedingen. Denkbar ist auch eine Betrachtungsweise die eine „asymmetrische Machtbeziehungen zwischen denjenigen Personen, die soziale Dienstleistungen erbringen, und den hilfebedürftigen Klientinnen und Klienten“ (Becke und Bleses 2015, S. 8) voraussetzt.

1 Forschungsfrage und methodisches Vorgehen

Das hier skizziertes DissertationsprojektFootnote 3 untersucht mit diesen Perspektiven die Beschaffenheit von Arbeitsbündnissen mit dem Konzept von Christine Resch (1998) und Heinz Steinert (1998). Hierbei das Handeln von Sozialarbeiter*innen und zivilgesellschaftlich Engagierten gleichermaßen zu fokussieren, eröffnet die Komparationsmöglichkeit unterschiedlicher Herangehensweisen, die auf sich unterscheidenden Voraussetzungen, Aufträgen, Mandaten, Motiven, Vorstellungen etc. beruhen. Mit Bezug auf Arbeitsbündnisse, die nicht ausschließlich als dyadische Beziehungen verstanden werden, gilt es dann, „den Blickwinkel zu weiten für die spezifischen Dynamiken des Untersuchungsfeldes anstatt die vorgefundene Praxis an einem normativen Modell zu messen“ (Müller 2015, S. 486).

Der funktionale Ausgangspunkt der empirischen Untersuchung sind Beratungssituationen. Diese stellen grundsätzlich ein kommunikatives Handeln dar. Beratungen zielen „in unbestimmter Weise auf die Erkundung, Bewahrung und Stärkung lebenspraktischer Handlungsfähigkeit der oder des Ratsuchenden“ (Mecheril 2004, S. 8 f.). Fokussiert wird der Prozess der Auftragsklärung zwischen Berater*innen und zu Beratenden, um die „Klärung des Gegenstandes“ (Müller 1991, S. 95) zu berücksichtigen sowie die Mittel der beteiligten Personen zu bestimmen, wie sie diese als Strukturierung und Situierung von Arbeitsbündnissen einsetzen. Unter anderemFootnote 4 werden dazu konkrete Beratungssituationen in Anlehnung an die Konversationsanalyse auf ihre Gesprächspraktiken hin untersucht, um die Interaktion passiv registrierend zu dokumentieren (vgl. Deppermann 2008, S. 21) und Prozesse der Positionierung in ihrer „Vollzugswirklichkeit“ (Bergmann 1988, S. 52 ff.) hinsichtlich ihrer Produktion und Verhandlung zu rekonstruieren.

2 Erste Ergebnisse

Bereits der Feldzugang reproduzierte theoretische Annahmen. So wurden Anfragen der pseudonymisierten Beratungsaufzeichnungen durch die haupt- und ehrenamtlichen Berater*innen ohne Rücksprache mit ihrer Zielgruppe zurückgewiesen – begründet damit, dass „Flüchtlinge“ die Forschung nicht einschätzen könnten. Zudem zeigen die bisherigen Auswertungen des Datenmaterials, dass Hilfe sich meist nicht „als wechselseitige Interaktion, als Zusammenarbeit“ (Fleischmann 2016, o. S.) darstellt, sondern zumeist als „lineares und einseitiges Verhältnis zwischen Geber und Empfänger“ (Fleischmann 2016, o. S.), welches sich exemplarisch an Gesprächsaussagen von einem freiwillig engagierten Beratenden zu einer Person, die sich bei ihm Unterstützung erhofft, illustrieren lässt: „Um sieben Uhr ist mein Büro zu. Ich habe keinen afghanischen Tagesablauf.“

Weiter wird ersichtlich, dass Auftragsklärung in den untersuchten professionellen und zivilgesellschaftlichen Konstellationen ähnlich verläuft. Aufträge werden meist einseitig durch die sozial arbeitenden Personen gesetzt und nicht zur Verhandlung freigegeben. Unter ungleichen „Beteiligungsvoraussetzungen“ (Reitemeier 2010, S. 120) muss die*der Adressat*in versuchen, das Unverhandelte (nach) zu verhandeln. Diese „Nachverhandlung“ wehren Berater*innen durch verschiedene kommunikative Strategien ab: U. a. werden Fragen beantwortet, die nicht gestellt, aber in den Aussagen der Gesprächspartner*innen vermutet werden; Handlungsempfehlungen der haupt- und ehrenamtlichen Berater*innen werden so oft wiederholt, bis die Gegenseite ihr Anliegen nicht weiter (re-)formuliert. Einige Gespräche deuten zudem auf Relevanzverschiebungen hinsichtlich der Gesprächsthemen durch die Berater*innen und damit auf eine Konstituierung von (Definitions-)Macht hin (vgl. Messmer 2018, S. 265 ff.).

Die Perspektive der Nutzer*innen einnehmend, lassen sich ebenso Gesprächspraktiken identifizieren, die den dargestellten „Abwehrstrategien“ entgegenstehen. Sie fokussieren den Gegenstand des gemeinsamen Handelns durch ein beständiges Einfordern. Zudem wird die Beratung so ausgestaltet, dass es möglich ist, mehrere Themen zu platzieren. In diesem Sinne produzieren dann auch die Adressat*innen das Erbringungsverhältnis. Mit Blick auf das Arbeitsbündnis heißt das, die Themensetzung, die Vielfalt der Themen etc., sind nicht als festgelegte Bedingung einer Beratungssituation zu verstehen, sondern sie werden in der Situation variabel produziert. Diese und weitere Dimensionen der Arbeitsbündnisse typologisch zu beschreiben, wird einschließlich der möglichen Unterschiede zwischen zivilgesellschaftlich und professionell organisierten Beratungen, in der weiteren Analyse des Materials geleistet.