1 Einleitung

Sowohl die Leitlinien für eine feministische Außenpolitik (FAP) des Auswärtigen Amtes (AA) als auch die Strategie für eine feministische Entwicklungspolitik (FEP) des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), die am 1. März 2023 vorgelegt wurden, verstehen sich als transformative Ansätze, die das auswärtige Handeln sowie die Arbeitsweisen der Ministerien grundlegend verändern und zu einem „Kulturwandel“ (AA 2023a, S. 14) bzw. „systemischen Wandel“ (BMZ 2023, S. 15) verhelfen sollen. Die kritische Auseinandersetzung mit staatlicher Politik, die für sich beansprucht, feministisch zu sein, schließt aus kritisch-feministischer Perspektive die Frage ein, inwieweit dieser Anspruch diskursiv und empirisch eingelöst wird. Gehen die beiden Ressortkonzepte argumentativ und geht ihre Umsetzung über Gleichstellungspolitik und Gender-Mainstreaming hinaus, so dass sie das Adjektiv „feministisch“ zu Recht tragen? Wirkt sich das Bekenntnis zu FAP auf der Ebene wichtiger außenpolitischer Entscheidungen, also der high politics, aus? Und wenn dies zu verneinen wäre: Leisten diese Konzepte zumindest einen (bescheidenen) Beitrag zur Aufdeckung und zum Abbau diskriminierender, unterdrückender und friedensgefährdender Machtstrukturen? Oder bergen sie die Gefahr, zu einem Verlust an Glaubwürdigkeit des behaupteten feministischen Anspruchs beizutragen, einem falschen Verständnis von Feminismen Vorschub zu leisten oder gar als verharmlosendes Framing eher der Legitimation und Verfestigung ungerechter (Gewalt‑)Verhältnisse zu dienen?

Im Mittelpunkt meiner Analyse steht weniger die abschließende Beantwortung dieser Fragen als vielmehr, ausgehend von ihnen, die Herausarbeitung der Kritik an sowie der Ambivalenzen und Widersprüche von einer feministischen deutschen Außenpolitik in Zeiten des Krieges. Ich verstehe diesen Artikel als Beitrag zur Diskussion über Potenziale, Grenzen und Nebenfolgen einer FAP nach der sogenannten Zeitenwende. Der Weg zu diesem Erkenntnisziel erfolgt in fünf Schritten: In den ersten beiden werden die deutschen Ressortkonzepte politisch-institutionell eingeordnet (Kap. 2) und inhaltlich charakterisiert (Kap. 3). Daran schließt sich ein Überblick über die feministische Kritik an den Konzepten an (Kap. 4). Es folgt eine Problematisierung des Verhältnisses von FAP und „Zeitenwende“ (Kap. 5). In einem Fazit (Kap. 6) werden die deutsche FAP und FEP vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen und feministischer Grundsätze und Standpunkte diskutiert.

2 Ressortkonzepte statt Strategien der Bundesregierung

Nicht alle Regierungen, die sich zu einer FAP bekennen, veröffentlichen auch ein entsprechendes Strategiepapier. Ein solches Dokument ist weder Voraussetzung noch Garantie für eine feministische Gestaltung der Außenpolitik. Die Erarbeitung einer FAP-Strategie, insbesondere wenn sie nach innen in den Institutionen und nach außen unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft partizipativ erfolgt, kann jedoch Verständigungs- und Aushandlungsprozesse befördern sowie der öffentlichen Darstellung und Kommunikation dienen. Darüber hinaus können die textlichen Festlegungen als Maßstab für die Bewertung der umgesetzten Politik herangezogen werden (Reineke und Zilla 2024).

In Deutschland haben das AA und das BMZ ihre jeweiligen feministischen Ansätze in separaten Ressortpapieren veröffentlicht. Bezüge zu einer FAP bzw. einer feministischen Gestaltung internationaler Politik hatte es zuvor in Anträgen von Bundestagsparteien und im Bundestagswahlprogramm 2021 von Bündnis 90/Die Grünen (2021, S. 219, 246) gegeben. Die Ampelparteien verankerten den (englischen!) Begriff dann in ihrem Koalitionsvertrag 2021/2022 (SPD et al. 2021).Footnote 1 Die Absicht, eine Feminist Foreign Policy zu verfolgen, war hier allerdings nicht mit der Ankündigung verbunden, ein Konzeptpapier erarbeiten zu wollen, wie dies bei der „China-Strategie“ oder der „Nationalen Sicherheitsstrategie“ (SPD et al. 2021, S. 124, 114) der Fall war.

Während es sich bei diesen beiden, mittlerweile im Jahr 2023 vorgelegten Konzepten um Strategien der Bundesregierung handelt, an deren Erarbeitung mehrere Ressorts beteiligt waren und die vom Bundeskabinett beschlossen wurden, haben die FAP-Leitlinien und die FEP-Strategie lediglich den Status von Ressortpapieren. Sie stellen ein Leitbild dar, das für das Portfolio des AA bzw. BMZ und dessen Instrumente gilt.Footnote 2 Schon aus dieser politisch-institutionellen Perspektive erscheint es vermessen, von einer feministischen Außen- oder Entwicklungspolitik der Bundesregierung oder Deutschlands zu sprechen.

3 Zwischen reformerischer Umgestaltung und transformativer Neugestaltung

Die FAP-LeitlinienFootnote 3 des AA und die FEP-StrategieFootnote 4 des BMZ greifen auf den von Schweden geprägten 3R-Ansatz zurück, der die Gleichstellungspolitik in den Mittelpunkt stellt: Die Außenpolitik soll in allen Bereichen die Rechte, die Repräsentation und den Zugang von Frauen (auch von Mädchen und marginalisierten Gruppen) zu Ressourcen fördern. Auch Gender Budgeting und damit Gender-Mainstreaming sind in beiden Ressortpapieren verankert: Bis 2025 sollen laut AA 85 % der Projektmittel gendersensibel und 8 % gendertransformativ verausgabt werden, laut BMZ entsprechend dem (nicht gleichzusetzenden) internationalen Gendermarker GG1 bzw. GG2.Footnote 5 Vor diesem Hintergrund soll es ein zentrales Anliegen beider Ressorts sein, sich auf bilateraler und multilateraler Ebene für die Belange von Frauen und Angehörigen marginalisierter Gruppen einzusetzen sowie auf nationaler und lokaler Ebene Akteur*innen und zivilgesellschaftliche Organisationen, die diesem Ziel dienen, politisch und finanziell zu unterstützen (AA 2023; BMZ 2023).

Gleichstellungspolitik, Gender-Mainstreaming und Projektarbeit sind wichtig und notwendig und in dieser Form für das AA ein neuer Fokus, aber sie machen noch keine FAP aus. Die feministische Dimension wird erst durch eine Reihe von Prinzipien und Zielen eingebracht, die im Einklang mit feministischen Erkenntnissen und Anliegen stehen, die über Geschlechtergerechtigkeit hinausgehen und auf den Abbau vielfältiger, miteinander verschränkter, diskriminierender, unterdrückender und friedensgefährdender Strukturen abzielen (Kappert 2022; Zilla 2022). In diesem Sinne wird der eigene Ansatz in den FAP-Leitlinien und der FEP-Strategie als transformativ, postkolonial, antirassistisch und intersektional charakterisiert (AA 2023, S. 9; BMZ 2023, S. 17), wobei in den Ressortkonzepten unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt werden.

Als friedens- und sicherheitsrelevante Prioritäten einer FAP werden in den Leitlinien des AA neben der Förderung von Vielfalt (AA 2023, S. 10, 18, 43, 55, 59), der Schutz von Frauen und Mädchen in bewaffneten Konflikten (AA 2023, S. 20), die Stärkung einer humanitären bzw. gendersensiblen Rüstungskontrolle und Rüstungsexportkontrolle sowie Abrüstung mit dem Ziel einer sicheren Welt ohne Atomwaffen (AA 2023, S. 16, 20, 27, 28) genannt. Zu den zentralen Anliegen der durch das AA laut Ressortpapier angestrebten FAP gehören darüber hinaus „Menschliche Sicherheit und der Schutz der Zivilbevölkerung, gerade der vulnerabelsten Gruppen, vor unterschiedslos wirkender Gewalt und der Schutz aller Menschen vor inhumanen Waffensystemen“ (AA 2023, S. 27). In diesem Zusammenhang wird auch die Relevanz der von der UN-Resolution 1325 ausgehenden Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“ hervorgehoben, auf die bereits im Koalitionsvertrag Bezug genommen wurde und die umgesetzt und weiterentwickelt werden soll (AA 2023, S. 16, 20).

Zu den im hier untersuchten Kontext relevanten Grundlagen einer FEP zählt das BMZ einen menschenrechtsbasierten sowie einen Do No Harm-Ansatz (BMZ 2023, S. 15, 16). Demnach sollen „mögliche negative Folgen der Entwicklungszusammenarbeit frühzeitig erkannt, vermieden und abgemildert werden. Programme in Krisenkontexten beispielsweise müssen nach diesem Prinzip konfliktsensibel gestaltet werden“ (BMZ 2023, S. 36). Ziel ist es, bestehende geschlechtsspezifische Ungleichheiten, Benachteiligungen oder Diskriminierungen nicht zu verfestigen oder zu verstärken.

Insgesamt finden sich also auf konzeptioneller Ebene sowohl in den FAP-Leitlinien des AA als auch in der FEP-Strategie des BMZ Elemente eines reformorientierten und eines transformativen Ansatzes, die teilweise als komplementär dargestellt, teilweise aber auch gleichgesetzt werden.

4 Defizite und Grundsatzkritik aus feministischer Perspektive

In der (veröffentlichten) feministischen Kritik an der deutschen FAP bzw. FEP lassen sich grob zwei verschiedene Perspektiven identifizieren. Diese sind nicht als Gegensätze zu verstehen, sondern setzen – jenseits von Überschneidungen – unterschiedliche Akzente, die einerseits die Potenziale und Defizite, andererseits die Widersprüche und Risiken einer FAP bzw. FEP betonen.

Eine eher pragmatische Perspektive setzt auf die Möglichkeit einer feministischen Prägung institutioneller Politik durch FAP bzw. FEP und damit auf die Integration feministischer Anliegen und Belange in staatliche Strukturen und deren längerfristige Transformation. Die Tatsache, dass ausgerechnet ein besonders patriarchal organisiertes Politikfeld wie die Außenpolitik den feministischen Anfang in der Regierung macht, wird mit der dringenden Notwendigkeit seiner Umgestaltung und der Hoffnung auf Ausstrahlungseffekte auf andere Politikbereiche verbunden (Zilla 2024). Aus diesem Blickwinkel wurde daher schon früh kritisch auf die begrenzte Reichweite rein ressortbezogener Konzepte hingewiesen (Deutscher Frauenrat 2023; Heinlein et al. 2023; Zilla 2023). Zum einen bleibe der Ansatz einer Dichotomisierung von Außen- und Innenpolitik verhaftet und werde der Komplexität und faktischen Verschränkung verschiedener Politikfelder nicht gerecht. Zum anderen gehe er nicht von einer Verständigung innerhalb des Kabinetts über die Neuausrichtung der Außenpolitik aus. Damit bleibe unklar, ob er als Auftrag der gesamten Bundesregierung zu verstehen ist.

Aus pragmatischer Perspektive wurden auch thematische Leerstellen in den Konzepten problematisiert. Neben einer Kapitalismuskritik (Zilla 2023, S. 4) fehle u. a. ein Bezug zu feministischer Handelspolitik (Heinlein et al. 2023, S. 9), obwohl es entsprechende Entwicklungen auf bilateraler und multilateraler Ebene gebe (Rudloff und Stoll 2024), sowie zu den Macht- und Abhängigkeitsstrukturen im internationalen Finanzsystem (Heinlein et al. 2023, S. 9). Zwar wird in den FAP-Leitlinien von Abrüstung und Rüstungs(export)kontrolle gesprochen, eine kritische Auseinandersetzung mit der Rüstungsproduktion bzw. -industrie findet jedoch nicht statt (Reineke und Zilla 2024). Auch eine Beendigung der nuklearen Teilhabe Deutschlands wird nicht thematisiert, obwohl in den FAP-Leitlinien eine nuklearwaffenfreie Welt explizit angestrebt wird (AA 2023, S. 16, 20, 27). Darüber hinaus finden sich keine Passagen zu den Themenfeldern Migration, Flucht und Grenzregimen (Heinlein et al. 2023, S. 11), die Gegenstand aktueller politischer Debatten und Maßnahmen sind und sich durch eine starke Versicherheitlichung und massive Menschenrechtsverletzungen auszeichnen (Standke-Erdmann 2023; Knapp und Koch 2024; Biehler und Meier 2024). Zwar enthalten beide Konzepte Verweise auf die historische Verantwortung und die koloniale Vergangenheit Deutschlands (ohne jedoch Restitution oder Wiedergutmachung zu erwähnen), doch verwundert es, dass sowohl in den FAP-Leitlinien als auch in der FEP-Strategie jeglicher Bezug auf den Zweiten Weltkrieg, den Holocaust oder das NS-Regime fehlt (Zilla 2023, S. 5; Asseburg 2024, S. 39).

Auch eine Reihe von Konkretisierungen bzw. Erläuterungen werden vermisst. Insgesamt bleibt offen, was und wie verändert werden soll und welche Praktiken Deutschland aufgeben wird. In den FAP-Leitlinien fehlen Definitionen zentraler Begriffe wie „gendersensibel“, „gendertransformativ“ und „gendergerecht“ (Heinlein et al. 2023, S. 4). Wie die Zivilgesellschaft in die Politikformulierung und Weiterentwicklung des von AA und BMZ als work in progress verstandenen feministischen Ansatzes einbezogen werden soll, wird nicht ausgeführt (Heinlein et al. 2023, S. 3; Hauschild und Stamm 2024). In diesem Zusammenhang wurde auch der geringe Grad an Transparenz und Inklusion kritisiert, der die Konsultationsprozesse zur Erstellung der FAP-Leitlinien gekennzeichnet habe (Fröhlich und Scheyer 2023).

Aus einer eher grundsätzlich-kritischen Perspektive wird der Fokus auf den in den Ressortkonzepten zugrundeliegenden Ansatz gelegt und die (Un‑)Möglichkeit einer FAP bzw. FEP stärker problematisiert (Khaled-Ibrahim und Schaefer 2022; Löw 2022; Ruppert 2022, 2023; Salwan Daher 2022; Sauer 2023). FAP und FEP sehen lediglich kosmetische Anpassungen der Außenpolitik und internationalen Zusammenarbeit im Rahmen unveränderter kapitalistischer und neokolonialer Machtasymmetrien vor. Aus dem grundsätzlichen Spannungsverhältnis zwischen einem herrschaftskritisch-emanzipatorischen Feminismus und dem Nationalstaat ergäben sich gerade für eine FAP starke Widersprüche. Feministische Politikgestaltung in einem Feld, das wie kaum ein anderes von patriarchalen Denkmustern und Strukturen durchdrungen ist, sei ein nahezu aussichtsloses Unterfangen. Und sie stelle in Zeiten von Kriegen „mit ihrer extrem maskulinistischen Gewaltlogik“ ein „unauflösliches Paradox“ dar (Ruppert 2022, S. 500, 504). Daraus ergebe sich nicht nur die Gefahr, dass Feminismus durch staatliche Vereinnahmung ausgehöhlt werde, sondern auch, dass FAP zu einer rhetorischen Legitimationsfigur für nicht-feministische bis antifeministische Praktiken werde.

Neben dem Krieg in der Ukraine, nach der Vollinvasion Russlands am 24. Februar 2022, prägt nun auch der Krieg in Gaza nach den grausamen Terroranschlägen der Hamas in Israel am 7. Oktober 2023 das internationale Umfeld. Gleichzeitig lassen eine Reihe von Entscheidungen der Bundesregierung sowie politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen in Deutschland nicht nur die pragmatisch-reformerischen Hoffnungen auf FAP und FEP schwinden (Both 2023; Hecht 2023), sondern auch Befürchtungen hinsichtlich ihrer Funktionalisierung aufkommen.

5 Feministische Außenpolitik nach der Zeitenwende

Die deutsche FAP entstand vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine (Pierobon 2024). Der Erstellung der Ressortkonzepte ging der Aufruf von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zur Zeitenwende voraus. Die Leitlinien des AA werden bereits auf der ersten Seite der Einleitung von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) mit einem engen Bezug zum russischen Angriffskrieg gerahmt (AA 2023, S. 1; Zilla 2023, S. 3). In der Diskussion um deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine hob die Bundesaußenministerin wiederholt hervor, dass FAP nicht gleichbedeutend mit Pazifismus sei – so steht es auch in den Leitlinien (AA 2023, S. 13). Auch in feministischen Kreisen in Deutschland und vor allem in der Ukraine erhielt eine militärische Unterstützung der Ukrainer*innen breiten Zuspruch bzw. wurde sogar gefordert (Mühlenhoff und Hoijtink 2022).

Bei allen Differenzen in dieser und anderen Fragen ist verschiedenen feministischen Perspektiven die Einsicht gemeinsam, dass Kriege nicht plötzlich und isoliert ausbrechen, sondern sich als Zuspitzung bestehender Gewaltverhältnisse entwickeln, aus Verhältnissen entstehen, die als Unfrieden bezeichnet werden (Birckenbach 2023, S. 9); dass die Bearbeitung struktureller Ursachen und der Abbau von Gewalt vorrangige Ziele sind und dass Militarismus als Ausdruck und verschärfender Faktor patriarchaler Strukturen zu verstehen ist (Bernarding et al. 2021). Zwar kann bewaffnete Selbstverteidigung (oder bewaffneter Befreiungskampf) aus feministischer Sicht situativ gerechtfertigt sein oder die zeitweilige Suspendierung feministischer Prinzipien erfordern.Footnote 6 Das Hauptanliegen muss jedoch ein Antimilitarismus bleiben (Mühlenhoff und Hoijtink 2022), der umfassende und vielfältige Bemühungen um zivile, friedensfördernde Konfliktbearbeitung anleitet. Statt einer militarisierten Sicherheitslogik sollte eine gewaltreduzierende Friedenslogik (Birckenbach 2023) im Zentrum der Politik stehen. Hiervon scheint Deutschland sich politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich zunehmend zu entfernen.

In seiner Regierungserklärung in der Sondersitzung des Deutschen Bundestages zum Krieg gegen die Ukraine am 27. Februar 2022 in Berlin markierte der Bundeskanzler den russischen Überfall auf die Ukraine als Zeitenwende in der Geschichte Europas. Es gehe nun darum, „die Kraft aufzubringen, Kriegstreibern wie Putin Grenzen zu setzen“, was eigene Stärke voraussetze (Scholz 2022, S. 9). Vor diesem Hintergrund identifizierte der Bundeskanzler fünf Handlungsaufträge, darunter Waffenlieferungen an die Ukraine, die Ausweitung, Verlängerung und Neubeschlussfassung militärischer Maßnahmen zur Stärkung der Beistandsverpflichtung in der NATO sowie die Einrichtung eines Sondervermögens Bundeswehr in Höhe von einmalig 100 Mrd. € und die Verwendung von jährlich mehr als 2 % des Bruttoinlandsprodukts für Investitionen in Sicherheit. Seitdem wurde die deutsche Militärhilfe für die Ukraine sukzessive quantitativ und qualitativ ausgeweitet.

Die von der Bundesregierung genehmigten Rüstungsexporte erreichten 2023 ein Rekordniveau, sie stiegen gegenüber 2021 um 25 % und gegenüber 2022 um 40 % (Tagesschau 2023b). Die genehmigten Rüstungsexporte nach Israel haben sich 2023 im Vergleich zum Vorjahr verzehnfacht (Tagesschau 2023b). Ein Großteil der Einzelgenehmigungen wurde nach den massiven Terroranschlägen der Hamas erteilt. Ende 2023 wurden erstmals seit 2018 wieder Waffenlieferungen an Saudi-Arabien genehmigt (Tagesschau 2024), dessen Regierung für schwere Menschenrechtsverletzungen (paradigmatisch der Fall J. Khashoggi) und ihre Beteiligung am Krieg im Jemen bekannt ist.Footnote 7 Nach der Annäherung an Israel gilt das Land – so die Bundesaußenministerin – nun als „Stabilitätsanker“ in der Region. Dies sind nur einige Beispiele für Entscheidungen, die der erklärten Absicht der Ampelregierung, Rüstungsexporte restriktiver zu behandeln, sowie den Aussagen der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, Waffenlieferungen in Kriegs- und Krisengebiete abzulehnen, zuwiderlaufen. Das sowohl im Koalitionsvertrag als auch in den FAP-Leitlinien angekündigte Rüstungsexportkontrollgesetz wurde bis heute nicht vorgelegt (SPD et al. 2021, S. 250; AA 2023a, S. 28).

Indes erklärte Bundesminister der Verteidigung Boris Pistorius (SPD) im November 2023: „Wir brauchen Führungsfähigkeit, wir brauchen Wehrhaftigkeit“; „für die Bundeswehr wie für unsere Gesellschaft bedeutet das: Wir müssen kriegstüchtig werden“; „wir müssen uns wieder an den Gedanken gewöhnen, dass die Gefahr eines Krieges in Europa drohen könnte“ (AFP Deutschland 2023). In diesem Zusammenhang wird auch die Wiedereinführung der seit 2011 ausgesetzten Wehrpflicht (Tagesschau 2023a) sowie über Atombomben für Deutschland bzw. die EU diskutiert. Mit „Quadriga 2024“ im Rahmen der NATO-Übung „Steadfast Defender“ fand im Januar 2024 das größte Militärmanöver der Bundeswehr seit 30 Jahren statt, das als ein weiterer Ausdruck deyr Zeitenwende angesehen wird (Kohlhöfer 2024). Im selben Monat wurde in Berlin das erste Veteranenbüro der Bundeswehr eröffnet (Friedmann 2024) und ab 2024 soll der 12. November, Gründungstag der Bundeswehr 1955, als Veteranentag eingeführt werden (Reservistenverband 2023).

Über die Außen- und Verteidigungspolitik hinaus hält die Kriegslogik auch in anderen Politikfeldern Einzug: Laut Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) braucht es auch eine Zeitenwende für das Gesundheitswesen. Dieses müsse sich auf mögliche Krisen vorbereiten, wozu auch der Bündnisfall bzw. eventuelle militärische Konflikte gehören (BMG 2024). Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) will die militärische Forschung in Deutschland fördern; Innovationen im Bereich Sicherheit und Wehrhaftigkeit sollen gestärkt werden (Fasse et al. 2024). Dieser Vorstoß folgt dem Plädoyer der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) für eine engere Verzahnung von ziviler und militärischer Forschung (Finsterbusch 2024).

Aus feministischer Perspektive liegt diesen Entwicklungen ein patriarchal geprägtes Verständnis von Stärke und Sicherheit zugrunde, dem zufolge Stärke in der Fähigkeit besteht, Gewalt auszuüben, während Sicherheit (allein bzw. in erster Linie) militärisch definiert wird, im Sinne von Wehr- bzw. Kriegsfähigkeit. Sie stehen im Kontext einer Reihe von Positionierungen der Bundesregierung, die die politischen und rechtlichen Möglichkeiten der Kontrolle und Reduzierung von Gewalt sowie des Schutzes und der Unterstützung der Zivilbevölkerung gemäß einer FAP und FEP nicht fördern bzw. einschränken. Hier sind zwei Fälle hervorzuheben: Im November 2023 lehnte die Außenministerin einen sofortigen Waffenstillstand in Gaza ab und befürwortete nur die Forderungen nach humanitären Feuerpausen (Deutschlandfunk 2023). Die Bundesregierung hat den Antrag Südafrikas an den Internationalen Gerichtshof, in einem Eilverfahren die sofortige Einstellung der israelischen Militäroperationen im Gazastreifen wegen Verstoßes gegen die Völkermordkonvention anzuordnen, für unbegründet erklärt. Sie hat zudem angekündigt, Israel im Hauptverfahren als Drittpartei unterstützen zu wollen (Schulten 2024). Diese Entscheidungen der Bundesregierung werden mit einer bedingungslosen Unterstützung Israels unter Berufung auf die aus der deutschen Geschichte abgeleitete Figur der Staatsräson begründet. Nach den Prinzipien einer FAP wäre jedoch zu argumentieren, dass Menschen und nicht Staaten im Mittelpunkt der Politik stehen sollten. Aus der historischen Verantwortung ließe sich ebenso ein universalistischer Ansatz ableiten (Lintl 2024), der zu einer differenzierten Bewertung von Regierungshandeln und zu einem unbedingten Eintreten für den Schutz der Zivilbevölkerung verpflichtet. Im Widerspruch zu einer solchen feministischen Prioritätensetzung und einer Fokussierung auf die (lokale) Zivilgesellschaft scheint auch die Entscheidung der Bundesregierung zu stehen, die deutsche Unterstützung für zivilgesellschaftliche Organisationen in den palästinensischen Gebieten (vorübergehend) auszusetzen und sie einer eingehenden Prüfung hinsichtlich personeller Verbindungen zur Hamas und ihrer politischen Haltung zu Israel zu unterziehen. Damit werden gerade jene Akteur*innen stigmatisiert und zu einem kritischen Zeitpunkt geschwächt, die eigentlich als Gegengewicht zu Hamas und dem bewaffneten Kampf gestärkt werden sollten. Die Folgen sind nachhaltig: Obwohl die Überprüfung abgeschlossen ist, wird immer mehr lokalen Organisationen die außenpolitische Unbedenklichkeit nicht mehr zuerkannt. Die seit Februar lauter werdenden Appelle der deutschen Außenministerin an die israelische Regierung, im Krieg gegen die Hamas-Terroristen auf den Schutz der Zivilbevölkerung in Gaza zu achten, haben im komplexen Kontext der politischen, rechtlichen und militärischen Entscheidungen Deutschlands wenig Aussicht auf Erfolg.

Vor dem Hintergrund der beschriebenen prominenten Beispiele stellt sich mit Blick auf high politics die Frage nach den Wirkungen einer FAP bzw. FEP, die nicht nur aus feministischer Sicht in Wissenschaft und Praxis, sondern auch gemäß den Ressortpapieren des AA und des BMZ das menschliche Individuum, den Schutz vulnerabler Gruppen, Abrüstung, eine Welt ohne Atomwaffen sowie die Verwirklichung der Menschenrechte und einen Do No Harm-Ansatz in den Vordergrund stellt. Oder kontrafaktisch formuliert: Inwieweit hätte die Bundesregierung ohne das Bekenntnis des AA zu einer FAP und des BMZ zu einer FEP anders gehandelt? Die Antwort auf diese Frage ist ernüchternd: Selbst eine verkürzte Funktion von FAP bzw. FEP als flankierendes Programm zur Schadensbegrenzung ist mit Bezug auf die oben genannten Konfliktkonstellationen nicht erkennbar. Feministische Perspektiven, z. B. auf Waffenlieferungen, wurden von den Ressorts zumindest nicht öffentlich in die Entscheidungsprozesse eingebracht. Die Perspektive eines möglicherweise feministisch gestalteten Wiederaufbaus nach nicht- bzw. antifeministischer Gefährdung und Zerstörung von Leben und Lebensgrundlagen erscheint hier – zumal angesichts der zu beobachtenden Militarisierung – nicht hinreichend, um feministische Politik glaubwürdig zu begründen.

6 Die notwendige kritische Selbstreflexion

Wenn FAP bzw. FEP im Sinne feministischer Forderungen und Belange keine handlungsleitende Wirkung auf Akteur*innen auf der Ebene der high politics hat, kann von einem transformativen Ansatz, wie ihn AA und BMZ für sich reklamieren und von dem sie sich einen Kultur- bzw. systemischen Wandel erhoffen, nicht die Rede sein. Es bleibt zu prüfen, ob sie nicht vielmehr als legitimierender Rahmen für eine Politik dienen, die feministischen Anliegen entgegensteht. Vor ersten Anzeichen dafür wurde bereits gewarnt (Ruppert 2022; Sauer 2023; Standke-Erdmann 2023). Reduziert auf die Rolle eines bloß erhöhten normativen Maßstabs zur Bewertung von Regierungspolitik, können FAP und FEP Ausgangspunkte für feministische Kritik an problematischen Entwicklungen sein, auch wenn dies den Schaden einer Banalisierung feministischer Ansprüche in der Außenpolitik möglicherweise nicht kompensieren kann.

Zu beachten ist zudem, dass die beschriebenen politischen Entscheidungen in einer Wechselwirkung mit gesellschaftlichen Entwicklungen stehen. Hierzu gehört die Verengung politisch-öffentlicher Kommunikation (Senghaas-Knobloch 2022). Die Kriegsrhetorik und der zunehmende Militarismus beziehen sich auf und stärken zugleich dichotomisierende Denkweisen (Freund vs. Feind; „die freie Welt“, „der Westen“, „unsere Werte“ vs …), nationale und nationalistische Emotionen sowie rassifizierende und kulturalisierende Deutungen (Liebsch & Ruppert 2022). So entsteht ein binärer, in zwei Lager strukturierter und polarisierter öffentlicher Diskursraum, in dem einseitige, übereindeutige individuelle Positionierungen und gruppenbezogene Bekenntnisse gefördert und gefordert werden. Dies erschwert es, das Aufzeigen von Ambivalenzen und das Bemühen um ein umfassendes und geschichtsbewusstes Begreifen der strukturellen Bedingungen von Gewalteskalation im Kontinuum von Gewaltverhältnissen als legitim und notwendig anzuerkennen.

Damit im feministischen Sinne eine Friedenslogik an die Stelle einer Kriegslogik tritt, ist es notwendig, über Möglichkeiten nachzudenken, verschiedene Optionen auszuloten. Aussagen wie „Auf Putins Aggression konnte es keine andere Antwort geben“ (Scholz 2022, S. 9) widersprechen nicht nur der feministischen Forderung nach Selbstreflexivität (auch) in der Außenpolitik (Cheung et al. 2021), sondern wirken auch entpolitisierend, da Politik ein Denken und Handeln in Alternativen erfordert, während (vermeintliche) Alternativlosigkeit von (politischer) Verantwortung entbindet.

Von patriarchalen Gewaltverhältnissen auszugehen, bedeutet in der internationalen Politik, anzuerkennen, dass die Gewalt „der Anderen“ in ein Gefüge regionaler und globaler Machtasymmetrien eingebettet ist, zu dem auch „wir“ gehören und zu deren Verfestigung „wir“ womöglich beitragen. Es geht um ein differenziertes und differenzierendes Verstehen von Komplexität jenseits manichäischer Deutungsmuster. Verstehen ist nicht gleichzusetzen mit Rechtfertigen, sollte aber jeder Bewältigungsstrategie vorausgehen, vor allem solchen, die schwerwiegende Folgen, und seien es scheinbar nur Nebenfolgen, zeitigen.