1 Einleitung

Am 16. September 2022 starb Jina Mahsa Amini in Polizeigewahrsam, nachdem sie drei Tage zuvor von den iranischen Sicherheitsbehörden verhaftet wurde. Der Vorwurf: Sie trug ihr Kopftuch nicht im Einklang mit den in Iran geltenden Bekleidungsvorschriften für Frauen. Der Tod der 22-jährigen Kurdin löste weitreichende und anhaltende Proteste im ganzen Land aus. Die Proteste unter dem Slogan „Jin. Jiyan. Azadi.“ (Frauen. Leben. Freiheit.), der seinen Ursprung in der kurdischen Frauenbewegung hat, wenden sich allerdings nicht einzig gegen die Unterdrückung der Frauen in Iran, sondern darüber hinaus gegen die langjährige Repression der Bevölkerung durch das iranische Regime. Es wäre daher unvollständig, die zu Recht oft als feministische Revolution bezeichneten Proteste einzig auf die Abschaffung der Kopftuch-Pflicht oder andere einzelne Reformvorhaben zu reduzieren. Sie haben sich vielmehr zu einem intersektionalen Aufstand mit revolutionärem Charakter entwickelt (Zamirirad 2023, S. 2). Im Folgenden werden zunächst die Hintergründe der Proteste (Kap. 2) sowie die Geschehnisse seit ihrem Beginn (Kap. 3) skizziert, bevor anschließend auf Reaktionen der internationalen Gemeinschaft eingegangen (Kap. 4) und ein kurzer Ausblick (Kap. 5) in die Zukunft gegeben wird.

2 Hintergründe der Proteste

Den Protesten seit September 2022 gehen zahlreiche weitere – etwa von 1999, 2009, 2017/2018 und 2019 – voraus, gegen die das iranische Regime bereits in der Vergangenheit brutal vorgegangen ist. Insbesondere die landesweiten Proteste von 2017 gelten dabei als ein Wendepunkt, der den Beginn eines längerfristigen revolutionären, nicht mehr nur reformorientierten, Prozesses markiert (Ghasseminejad et al. 2020; Fathollah-Nejad 2020). Die wesentlichen Gründe dafür sollen im Folgenden überblicksartig dargestellt werden.

Unreformierbares politisches System.

Zum ersten weist das politische System des Iran erhebliche rechtsstaatliche und demokratische Defizite auf und gilt als quasi nicht reformierbar (Bagheri 2022; Fathollah-Nejad 2020, S. 24–27). Mit dem Ende der sog. „Islamischen Revolution“ 1979 wurde die Monarchie von einer Theokratie mit republikanisch-demokratischen Elementen abgelöst. Das höchste Amt in dieser islamischen Republik ist dem sog. Religionsführer, derzeit ausgeübt durch Ali Khamenei, vorbehalten. Er definiert die Politik des Staates, überwacht ihre Ausführung und ernennt alle wesentlichen Amtsträger (Artikel 110 Iranische Verfassung)Footnote 1. Gewählt wird der Religionsführer von einem Expertenrat auf Lebenszeit (Artikel 107 Iranische Verfassung). Der vom Volk gewählte Staatspräsident hat nur das zweithöchste Amt im Staat inne. Seine faktische Macht ist in Anbetracht der weitreichenden Befugnisse des Religionsführers begrenzt und wird weiter durch den zwölfköpfigen Wächterrat eingeschränkt, der alle Gesetze vor ihrem Inkrafttreten auf die Vereinbarkeit mit islamischem Recht überprüft und ggfs. zurückweisen kann (Artikel 72, 94–96 Iranische Verfassung), die Interpretationshoheit über die Verfassung besitzt (Artikel 98 Iranische Verfassung) und alle Kandidat*innen für Parlaments‑, Präsidentschafts- und Expertenratswahlen auf ihre Eignung überprüfen kann (Artikel 99, 110, 118 Iranische Verfassung). Bei den Parlamentswahlen 2020 hat der Wächterrat so 7.296 der knapp 14.500 registrierten Kandidat*innen disqualifiziert (Azizi 2020). Damit kontrolliert der Wächterrat de facto Wahlen und Gesetzgebung. Eine nachgelagerte gerichtliche Kontrolle von Gesetzen auf ihre Verfassungsmäßigkeit, etwa in Form eines Verfassungsgerichts, oder einen Durchsetzungsmechanismus für die in der iranischen Verfassung ohnehin nur begrenzt enthaltenen Grund- und Menschenrechte gibt es zudem nicht (Tofighi Darian 2022). Religionsführer und Wächterrat, die beide nicht vom Volk legitimiert sind, üben folglich nahezu alle Macht im Staat ohne unabhängige Kontrolle aus. Die demokratische Legitimation des Regimes war damit von Beginn an schwach, sie hat aber vor allem in den letzten Jahren immer weiter abgenommen (Tofighi Darian 2022). Dies zeigt sich u. a. in der konstant sinkenden Wahlbeteiligung, die sowohl bei den Parlamentswahlen 2020 (Azizi 2020) als auch den Präsidentschaftswahlen 2021 (Hafezi 2021) bei unter 50 % lag.

Sozioökonomische Krise.

Gleichzeitig leidet die iranische Bevölkerung seit Jahren unter der schlechten wirtschaftlichen Lage, stark steigenden Preisen und hoher Inflation infolge weitreichender Sanktionen der internationalen Gemeinschaft. Dies macht sich u. a. in Armut sowie hoher Wohnungs- und Arbeitslosigkeit, insbesondere unter der jungen Bevölkerung, bemerkbar (Fathollah-Nejad 2020, S. 20–21). In seinem Wahlkampf 2013 versprach der spätere Präsident Rouhani, die Lebensbedingungen der Iraner*innen durch die Aufhebung von Sanktionen im Wege eines internationalen Atomabkommens zu verbessern (Kamali Dehghan 2013). 2015 wurde mit dem Joint Comprehensive Plan of Action tatsächlich ein Abkommen zwischen Iran und den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats plus Deutschland und der EU zum Abbau des iranischen Atomprogramms im Austausch gegen schrittweise Sanktionserleichterungen geschlossen. Der darauffolgende wirtschaftliche Aufschwung begünstigte jedoch hauptsächlich die gesellschaftlichen Eliten (Fathollah-Nejad 2020, S. 10–11; Ghasseminejad et al. 2020). Die breite Bevölkerung profitierte kaum. Dies wurde auch in den Protesten von 2017 und 2019 deutlich, die 2017 infolge eines 50 %-igen Anstiegs des Preises für Eier (einem der wenigen zuvor noch bezahlbaren Grundnahrungsmittel) und 2019 nach der Verdreifachung der Treibstoffpreise ausbrachen (Fathollah-Nejad 2020, S. 9–12; 2023a). Zusätzlich verschärft wurde die Lage seitdem durch die Wiedereinsetzung aller US-Sanktionen unter Präsident Trump (White House 2018) sowie den Ölpreisverfall infolge der Covid 19-Pandemie.

Unterdrückung der Zivilbevölkerung.

Auch die Menschenrechtslage in Iran verschlechtert sich seit Jahren. Zwar bekennt sich Iran auf dem Papier zu menschenrechtlichen Gewährleistungen, denn die Islamische Republik hat wesentliche UN-Menschenrechtsverträge wie den Zivilpakt, den Sozialpakt sowie die Kinderrechtskonvention ratifiziert. In der Realität ist die Liste der Menschenrechtsverletzungen jedoch lang, wie Berichte von Menschenrechtsorganisationen oder des eigens 2011 vom UN-Menschenrechtsrat bestellten Sonderberichterstatters für die Menschenrechtslage in Iran immer wieder aufzeigen. So war Iran 2022 für 65 % der weltweit bekannt gewordenen Hinrichtungen verantwortlich (Amnesty International 2023a). Todesurteile werden in Iran völkerrechtswidrig auch wegen Drogendelikten – ein klarer Verstoß gegen die Vorgaben des Artikel 6 Absatz 2 Zivilpakt (Schabas 2019, S. 155–156) – und gegen Minderjährige verhängt (Rehman 2022, Rn. 15–20, 24–25). Willkürliche Inhaftierungen sowie Folter, Misshandlungen und die Vorenthaltung medizinischer Versorgung in Gefängnissen sind an der Tagesordnung (Rehman 2022, Rn. 8–9, 35–38; Amnesty International 2023b). Zudem wird wiederholt von Vergewaltigungen und sexueller Gewalt in Gefängnissen berichtet (Amnesty International 2023c; Human Rights Watch 2009; Human Rights Watch 2022; Qiblawi et al. 2022). Die Pressezensur nimmt immer weiter zu, demokratische Freiheiten sind massiv eingeschränkt, Journalist*innen werden verhaftet, und Proteste regelmäßig gewaltsam niedergeschlagen (Rehman 2022, Rn. 64–72). So wird die Zivilbevölkerung systematisch unterdrückt.

Die Einschüchterung der Zivilbevölkerung durch das Regime reicht auch über die iranischen Grenzen hinaus. In der Vergangenheit wurden wiederholt im Ausland lebende Iraner, teils mit doppelter Staatsangehörigkeit, nach Iran entführt. Dazu gehören Fälle wie der des Deutsch-Iraners Jamshid Sharmahd, der 2020 in Dubai festgenommen wurde, seitdem in Iran in Isolationshaft sitzt und Anfang 2023 zum Tode verurteilt wurde (Spiegel Online 2023a), oder des in Frankreich lebenden Iraners Ruhollah Zam, der 2019 nach Irak gelockt und später in Iran hingerichtet wurde (Zeit Online 2020). Die Inhaftierungen dienen einerseits der Einschüchterung der iranischen Diaspora weltweit und andererseits als „Faustpfand“ für Gefangenenaustausche.

Diskriminierung verschiedener Bevölkerungsgruppen.

Hinzu kommt die systematische Diskriminierung und Verfolgung von LGBTQIA+-Personen und Angehörigen ethnischer und religiöser Minderheiten, wie der belutschischen, kurdischen, arabischen und aserbaidschanischen Bevölkerung sowie der Baha’i, Jüd*innen, Christ*innen und sunnitischen Muslim*innen (Amnesty International 2023b; Fathollah-Nejad 2020, S. 21–22). Ferner werden Frauen in nahezu allen Bereichen des sozialen, kulturellen und politischen Lebens diskriminiert. Sie sind u. a. verpflichtet, sich zu verschleiern, haben ein eingeschränktes Scheidungsrecht, genießen keinen Schutz gegen häusliche Gewalt oder Vergewaltigung in der Ehe und ihre Zeugenaussagen sind qua Gesetz nur halb so viel wert wie die von Männern (Amnesty International 2023b). Gegen diese staatliche Unterdrückung wendet sich die iranische Frauenbewegung bereits seit nahezu einem Jahrhundert durch wiederkehrende Proteste, zivilen Ungehorsam und die Rückeroberung öffentlicher Räume und Freiheiten im Alltag (Tohidi 2016, S. 80).

Die landesweiten Proteste seit dem Tod Aminis sind somit Teil eines bereits länger andauernden revolutionären Prozesses, der in der massiven Unterdrückung durch das Regime gepaart mit einer sozioökonomischen Krise und einem nicht reformierbaren politischen System wurzelt. Obgleich im Zentrum der gegenwärtigen Protestbewegung weiterhin vor allem vier Gruppen – Frauen, Jugendliche, Student*innen und marginalisierte Ethnien, die alle unverhältnismäßig stark unter dem Regime leiden, – stehen, unterscheiden sich diese Proteste von vorherigen gerade darin, dass sich Iraner*innen aus allen Provinzen und Bevölkerungsschichten an den Protesten beteiligen und sie dadurch ein bisher ungekanntes Ausmaß erreichen (Fathollah-Nejad 2023).

3 Brutales Vorgehen des Regimes

Das erkennt auch das Regime und geht brutal gegen die Proteste vor. Seit ihrem Beginn wurden mehrere Hundert Demonstrierende und Passant*innen durch Sicherheitskräfte getötet und mindestens 20.000 Personen verhaftet, darunter jeweils viele Kinder und Jugendliche (Rehman 2023, Rn. 8, 23–25; Amnesty International 2023c). Inhaftierte werden mittlerweile, sei es offen wegen ihrer Beteiligung an den Protesten oder auf Grund eines Vorwands, ohne faires Verfahren zum Tode verurteilt und hingerichtet. Allein in der ersten Hälfte des Jahres 2023 wurden bereits 307 Hinrichtungen bekannt (Iran Human Rights 2023). Angehörige ethnischer und religiöser Minderheiten, insbesondere Belutsch*innen und Kurd*innen, sind dabei überproportional von den Repressionen betroffen (Rehman 2023, Rn. 28–30, 67–69; Sahebi 2023a). Seit November 2022 mehren sich ferner Berichte über wiederholte Vergiftungen an mehr als 90 Schulen, insbesondere Mädchenschulen, in verschiedenen Provinzen in Iran (OHCHR 2023a). Teil der Repression sind auch gezielte Internetsperren und eine weitreichende Zensur der sozialen Medien (Rehman 2023, Rn. 8, 50), um die Organisation der Proteste und das Nach-Außen-Dringen von Informationen und Bildern zu erschweren. Bereits seit 2009 arbeitet das Regime vermehrt daran, den freien Zugang der Bevölkerung zum Internet einzuschränken und gleichzeitig seine eigenen Überwachungstechnologien, insbesondere Gesichtserkennung mithilfe von überall vorgeschriebenen Überwachungskameras, auszubauen (Fathollah-Nejad 2020, S. 33). Trotz der massiven Repressionen dauern die Proteste an. Auch wenn nicht mehr täglich im ganzen Land protestiert wird, kommt es nahezu täglich zu Streiks und zivilem Ungehorsam (Sahebi 2023b).

4 Internationale Reaktionen

Auf internationaler Ebene haben verschiedene Expert*innen und Gremien der Vereinten Nationen das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen die iranische Bevölkerung öffentlich verurteilt (OHCHR 28,29,a, b, 2023b). Der UN-Menschenrechtsrat hat zudem einen unabhängigen Mechanismus zur Aufklärung der Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit der Gewalt gegen Protestierende, insbesondere gegen Frauen und Kinder, eingerichtet (UN-Menschenrechtsrat 2022). Dieser soll u. a. der Beweissammlung und -sicherung zur Vorbereitung möglicher Gerichtsverfahren dienen. Kurz darauf beschloss außerdem der Wirtschafts- und Sozialrat der UN, Iran bis zum Ende seines Mandats 2026 aus der UN-Kommission zur Rechtsstellung der Frau auszuschließen (ECOSOC 2022).

Daneben haben verschiedene Staaten Sanktionen eingeführt, wiedereingesetzt oder verschärft, darunter auch die EU. Zu den Maßnahmen unter dem 2020 eingeführten EU-Sanktionsregime wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen (Europäische Union 2020) gehören insbesondere Einreisesperren, das Einfrieren von Vermögenswerten sowie das Verbot der Bereitstellung von Geldern oder wirtschaftlicher Ressourcen für die gelisteten Personen und Organisationen. Von diesen seit Oktober 2022 sukzessive erweiterten Sanktionsmaßnahmen sind seit Erlass des achten Sanktionspakets mittlerweile 216 Individuen und 37 Organisationen erfasst (Rat der EU 2023).

Lauter wird in diesem Zusammenhang die Forderung – u. a. vom Europäischen Parlament (Europäisches Parlament 2023) – nach einer Einstufung der Iranischen Revolutionsgarde (IRGC) als Terrororganisation. Die USA gingen diesen Schritt bereits 2019 (White House 2019). Die IRGC, eine dem Religionsführer unterstehende militärische Eliteeinheit, hat einen maßgeblichen Anteil an der Brutalität des Regimes gegen die Demonstrierenden und kontrolliert einen Großteil der iranischen Wirtschaft. Die Listung der IRGC unter dem Anti-Terror-Regime würde ähnliche Maßnahmen wie unter dem allgemeinen Sanktionsregime der EU ermöglichen (Rat der EU 2001). Fraglich ist daher, ob die Listung zusätzliche sanktionsrechtliche Folgen auslösen würde, da die IRGC als Organisation schon unter dem EU-Sanktionsregime zu Massenvernichtungswaffen im Iran gelistet ist und einzelne Mitglieder der IRGC bereits von der EU-Terrorliste und/oder den bestehenden EU-Sanktionspaketen in Reaktion auf die Niederschlagung der Proteste erfasst sind. Zum Teil wird daher nicht nur die Sinnhaftigkeit des Vorhabens bezweifelt, sondern sogar negative Auswirkungen befürchtet (Zamirirad 2023, S. 5; Adebahr 2023). Nicht zu unterschätzen wäre allerdings das politische Signal, erstmals reguläre Streitkräfte eines Staates als terroristische Organisation einzustufen, was gleichzeitig aber wohl auch die Beeinträchtigung oder gar den Abbruch diplomatischer Kommunikationskanäle mit Iran bedeuten würde (Lawal 2023).

Es stellen sich zudem verfahrensrechtliche Hürden. So muss der Rat der EU über eine entsprechende Listung gemäß Artikel 31 Absatz 1 des Vertrags über die Europäische Union einstimmig beschließen (Rat der EU 2016). Ferner lehnte der Hohe Vertreter für Sicherheits- und Außenpolitik Josep Borrell eine Listung bisher mit der Begründung ab, die nötigen Voraussetzungen seien nicht erfüllt, da noch kein Gericht innerhalb der EU die IRGC als Terrororganisation eingeordnet hätte (Grischek 2023). Tatsächlich kann die Einstufung zwar ebenso durch eine andere Justizbehörde oder auch den UN-Sicherheitsrat vorgenommen werden (Rat der EU 2001, Artikel 1 Absatz 4), gleichwohl sind diese Voraussetzungen bisher wohl nicht erfüllt (ausführlich: Grischek 2023).

5 Ausblicke

Insgesamt mehrt sich aber Kritik an dem Verhalten westlicher, insbesondere europäischer, Staaten. Dies betrifft Gefangenenaustausche, wie den Austausch eines belgischen Entwicklungshelfers gegen einen wegen Terrorvorwürfen verurteilten iranischen Diplomaten (Spiegel Online 2023b), aber vor allem die fortlaufenden Bemühungen der EU um ein neues Atomabkommen mit dem iranischen Regime (Reuters 2022). Die bestehenden Maßnahmen werden außerdem als nicht ausreichend betrachtet, insbesondere in Anbetracht des Bekenntnisses einiger westlicher Staaten zu einer Feministischen Außenpolitik (so auch Deutschland, vgl. Auswärtiges Amt 2023; zur Kritik: Sahebi 2023c; Gerster 2023).

Darüber, welche Maßnahmen eine Feministische Außenpolitik konkret gebietet, lässt sich diskutieren. In jedem Fall gehören dazu wohl Maßnahmen, die sich nicht nur gegen den Staat Iran richten, sondern auch die gesellschaftlichen Akteure gezielt unterstützen, bspw. durch die Beschleunigung von Visa- und Asylverfahren für Iraner*innen sowie das Bereitstellen technischer Unterstützung zur Umgehung der Internetzensur, etwa durch die kostenlose Bereitstellung von VPN- und Clouddiensten (Zamirirad 2023, S. 8). Kontrovers wird darüber hinaus debattiert, ob ein Abbruch diplomatischer Beziehungen ein starkes Signal an Teheran senden würde oder eher (speziell konsularische) Unterstützungsmöglichkeiten der Bevölkerung vor Ort einschränken würde (Zamirirad 2023, S. 8; Adebahr 2023). Jedenfalls von deutscher Seite scheint ein vollständiger Abbruch der diplomatischen Beziehungen derzeit nicht geplant (Deutscher Bundestag 2023), was wohl auch mit den Hoffnungen auf ein neues Atomabkommen und dem generellen Wunsch nach politischer Stabilität in der Region zusammenhängt.

Nicht vernachlässigt werden sollte zuletzt die (juristische) Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen, mit dem Ziel, Täter*innen zur Verantwortung zu ziehen. In den vergangenen Jahren haben Teile der iranischen Diaspora nichtoffizielle Tribunale organisiert und öffentlichkeitswirksam abgehalten, bspw. 2012 zur Aufarbeitung der Massenhinrichtungen politischer Gefangener in den 1980er-Jahren (Akhavan 2017) sowie 2021 zur Verhandlung der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste von 2019 (Iran Human Rights 2021). Die Tribunale hatten jedoch keinerlei juristische Konsequenzen für die Täter*innen. Hinsichtlich der derzeitigen Proteste sollten Staaten daher auch das Völkerstrafrecht nicht aus dem Blick verlieren, insbesondere vor dem Hintergrund, dass UN-Sonderberichterstatter Rehman bei der Vorstellung seines jüngsten Berichts nicht ausgeschlossen hat, dass das Vorgehen des iranischen Regimes die Schwelle des Tatbestands der Verbrechen gegen die Menschlichkeit überschritten hat (UN News 2023). Ein Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof scheitert allerdings an der fehlenden Unterwerfung des Iranischen Regimes unter dessen Gerichtsbarkeit sowie der zu erwartenden Blockade im UN-Sicherheitsrat, um dieses Hindernis zu umgehen. Gleichwohl können Staaten nach dem völkergewohnheitsrechtlich anerkannten „Weltrechtsprinzip“ Verbrechen des Völkerstrafrechts auch dann verfolgen, wenn auf den ersten Blick kein offensichtlicher Bezugspunkt zu den Verbrechen besteht. Deutschland hat dieses Prinzip im Völkerstrafgesetzbuch festgeschrieben und davon bereits mehrfach, etwa im Zusammenhang mit dem Syrienkonflikt, Gebrauch gemacht (Kroker 2019). Der vom Menschenrechtsrat eingerichtete UN-Mechanismus könnte bei der Beweissicherung und -bereitstellung solch komplexer Verfahren Unterstützung leisten (vgl. Kim 2022).

6 Fazit

Der revolutionäre Prozess in Iran wird in Anbetracht einer mittlerweile unüberbrückbar gewordenen Kluft zwischen Staat und Gesellschaft voraussichtlich weiter anhalten (Zamirirad 2023, S. 3; Fathollah-Nejad 2023). Seinen genauen Ausgang kann derzeit jedoch niemand vorhersagen. Die internationale Gemeinschaft muss weitere Maßnahmen folgen lassen, um die iranische Bevölkerung gezielt zu unterstützen. Nur so kann sie ihren Bekenntnissen zu Menschenrechten und Feministischer Außenpolitik gerecht werden. Dabei sollte auch die Aufarbeitung der Verbrechen des Regimes nicht aus dem Blick geraten.