Es handelt sich um ein von den Aufgaben her, vom Einsatzort her und von der Zeit her begrenztes Mandat.Footnote 1

1 Einleitung

Am 22. Dezember 2001 stimmte der Deutsche Bundestag mit großer Mehrheit für die Beteiligung der Bundeswehr an der vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beschlossenen International Security Assistance Force (ISAF) in Afghanistan.Footnote 2 Damit begann die bislang verlustreichste Auslandsmission deutscher Streitkräfte, die einschließlich ihres Engagements für die 2014 an ISAF anschließende Ausbildungsmission Resolute Support bis zum schnellen Abzug der meisten westlichen Militärs im August 2021 knapp 20 Jahre dauern sollte. Teil der internationalen Unterstützung waren auch Maßnahmen des Bundesministeriums des Innern (BMI) für den Polizeiaufbau, des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) für langfristige Strukturhilfe und des Auswärtigen Amtes (AA) für diplomatische Beziehungen sowie die Finanzierung von Nothilfeprogrammen. Die mit dem Ziel der Zerstörung Al-Qaidas und der logistischen Basis für Terrorakte gegen die westliche Welt begonnene militärische Intervention in Afghanistan wurde somit um eine zivile Komponente ergänzt, die sich nach anfänglich humanitären und grundbedürfnisorientierten Schwerpunkten auf Staatsaufbau und wirtschaftliche wie gesellschaftliche Entwicklung erweiterte. Beiden Engagements kann nach 20 Jahren ein nur begrenzter Wirkungsgrad bescheinigt werden.

Die nahezu vollständige Implosion des afghanischen Staatsapparats und die schnelle Niederlage der afghanischen Armee nach der blitzartigen Eroberung des gesamten Staatsgebiets durch die Taliban führten weltweit zu Bestürzung und Unverständnis. Das Ende des Einsatzes wurde unisono als Katastrophe, Debakel oder Fiasko bezeichnet. Nach Aussage der meisten Kommentare ist der beträchtliche personelle und materielle Aufwand angesichts des eklatanten Scheiterns des Westens weitestgehend ergebnislos geblieben. Medienschaffende, Wissenschaftler*innen und politisch Verantwortliche mahnen eine gründliche Überprüfung deutscher InterventionenFootnote 3 in Krisenregionen an, wenn sie nicht gar eine sofortige Abkehr von militärischen Operationen außerhalb Deutschlands und das Ende des westlichen Werteexports fordern. Die Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Evakuierung aus Afghanistan steht praktisch schon fest (Heine 2021, S. 6). Nahezu einmütig verlangten die Fraktionen des 20. Deutschen Bundestags eine ressortübergreifende Evaluierung oder Enquête-Kommission, die bis 2023 eine umfassende Aufarbeitung des deutschen Engagements vorlegen soll (Tagesschau 2021).Footnote 4

Der vorliegende Essay leistet einen Beitrag zur Bewertung aktueller und künftiger Einsätze von Bundeswehr und zivilen Akteuren in Krisengebieten. Nach einem gerafften Überblick über die jüngere Entwicklung Afghanistans wird der deutsche Anteil an der internationalen Operation seit 2001 gewürdigt, wobei neben den Ergebnissen der Militärmission insbesondere die Erfahrungen mit der deutschen entwicklungsbezogenen Hilfe im Fokus stehen. Auch auf den so genannten vernetzten Ansatz und die zivil-militärische Kooperation wird in diesem Zusammenhang eingegangen. Schlussfolgerungen und Lehren für aktuelle und künftige Einsätze in Krisenregionen schließen den Beitrag ab.

Der Aufsatz stützt sich im Wesentlichen auf Erfahrungen, die der Verfasser von 1996 bis 2018 in verantwortlicher Funktion bei staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen, die in Afghanistan tätig waren, gesammelt hat. Neben der verfügbaren Literatur werden auch nicht veröffentlichte oder nicht mehr verfügbare Berichte herangezogen. Gespräche mit Fach- und Führungskräften, die mit Afghanistan befasst oder während eines längeren Zeitraums dort tätig waren, runden die Recherche ab.

2 Afghanistan in a Nutshell: „Eroberungsautobahn“ und „Friedhof der Imperien“

Als „Highway of Conquest“ bezeichnete der US-amerikanische Afghanistankenner Arnold Fletcher (1965) die geographische Zone am Hindukusch, besiedelt von Paschtunen, Usbeken, Tadschiken, Hazara, Turkmenen und anderen Gruppen. Über Jahrhunderte marschierten regionale und internationale Mächte auf ihren Feldzügen durch das Land oder ließen sich temporär nieder, bis sie entweder weiterzogen oder von neuen Besatzern vertrieben wurden (Schetter 2020, S. 15)Footnote 5. In jüngster Vergangenheit waren es insbesondere das „Great Game“ zwischen Russland und dem britischen Empire, das zwischen 1838 und 1919 zu drei blutigen Kriegen führte und Afghanistan letztendlich die staatliche Unabhängigkeit bescherte, sowie der russische Einmarsch 1979, der zehn Jahre später mit einer verheerenden Niederlage für die Sowjetarmee endete, nachdem die Mudschaheddin unter anderem mit US-amerikanischer Hilfe einen erfolgreichen Guerillakrieg gegen die Besatzer geführt hatten (Baberowski 2020; Schlagintweit 2020).

Die zahlreichen Auseinandersetzungen mit ausländischen Kriegsherren und der erfolgreiche Widerstand gegen die Besatzer hatten zwar zu einer wachsenden nationalen Einheit geführt; diese aber blieb aufgrund der stärkeren sozialen Bindungen an den eigenen Clan, die eigene Familie oder zu den jeweiligen lokalen Führern brüchig. Nach der Niederlage der sich langsam auflösenden Sowjetunion, die ab 1992 die von ihr etablierte Regierung unter Präsident Mohammed Nadschibullah nicht mehr materiell unterstützte, führten Machtkämpfe zwischen konkurrierenden Warlords, vor allem dem Tadschiken Achmad Schah Massoud, dem Usbeken Abdul Raschid Dostum und dem Paschtunen Gulbuddin Hekmatyar zu einer weiteren Fragmentierung des Landes. In dieser Gemengelage, an der auch die Gründung der „Nordallianz“ der bisher zerstrittenen Milizenführer (mit Ausnahme der Paschtunen) nichts mehr änderte, errangen 1996 die von Pakistan und bis 1998 von Saudi-Arabien unterstützten Taliban unter ihrem Anführer Mullah Omar die Macht (Rubin 2000, S. 1794).

Aufgrund Omars Weigerung, den für die Anschläge auf die USA vom 11. September 2001 verantwortlichen Osama bin Laden auszuliefern – der sich vermutlich seit 1996 in Afghanistan aufhielt und in Tora Bora, einem Höhlensystem in der Nähe der pakistanischen Grenze, mit seinen Al-Qaida-Kämpfern versteckte –, bombardierten amerikanische Piloten den Standort. Bin Laden konnte trotz der massiven Angriffe und der Belagerung nach Pakistan fliehen; die Taliban bezahlten ihre Gastfreundschaft nach dem Einmarsch US-amerikanischer und britischer Truppen mit dem Verlust der Kontrolle über das Land (Stenersen 2017, S. 58-59; Committee on Foreign Relations 2009).

Dennoch blieben die Taliban während der 20-jährigen internationalen Intervention ein Machtfaktor, der die afghanische Regierung und die sie unterstützende internationale Allianz zunehmend schwächte. Ausgehend von den peripheren Provinzen weiteten die Taliban ihren Einfluss ab dem Jahr 2005 zunächst auf dünner besiedelte Landesteile und bis kurz vor der Einnahme Kabuls auch auf Mittelpunktstädte aus, wo sie teilweise sogar Regierungsaufgaben übernahmen (Ruttig 2021, S. 50). Mit der Übernahme von Hauptstadt und Regierung sowie der eiligen Flucht des Großteils westlicher Bürger*innen zeigten sie ein weiteres Mal, dass der Versuch, Afghanistan langfristig zu beherrschen, auch Großmächten und internationalen Allianzen empfindliche Verluste an Menschen, Material und Ansehen zufügen kann. Die Einschätzung des ehemaligen CIA-Offiziers Milton Bearden (2001), der Afghanistan als „Graveyard of Empires“ bezeichnete, wurde damit einmal mehr bestätigt.

3 Eine vorläufige Bilanz der westlichen Interventionen in Afghanistan

Eine Bilanz ist der Versuch, einen Schlussstrich zu ziehen. Doch lassen sich weder die künftige Entwicklung Afghanistans noch die langfristigen Auswirkungen auf das nordatlantische Bündnis und auf die an Stabilisierung, Wiederaufbau und Unterstützung des afghanischen Staates beteiligten Länder bereits jetzt seriös vorhersagen. Indes ist es auf der Grundlage der bisher gemachten Erfahrungen möglich, anhand einiger Kriterien zu überprüfen, welche Gründe zu den unbefriedigenden Ergebnissen des militärischen und zivilen Eingreifens geführt haben, und welche der gelernten Lektionen für aktuelle und künftige Out-of-Area-Einsätze der Bundeswehr und entwicklungspolitische Maßnahmen in Krisenstaaten von Bedeutung sein können.

Mission Impossible? Enduring Freedom, ISAF und Resolute Support:

Nach 2001 fanden in Afghanistan zeitgleich oder aufeinander folgend mehrere militärische Missionen statt. Zu den wichtigsten gehören Operation Enduring Freedom (OEF), ISAF und Resolute Support Mission (RSM).

OEF, die 2001 begann, wurde durch eine Resolution des UN-Sicherheitsrat de facto gebilligt und von der NATO als Bündnisfall deklariert. Ziel von OEF war, „Führungs- und Ausbildungseinrichtungen von Terroristen auszuschalten, Terroristen zu bekämpfen, gefangen zu nehmen und vor Gericht zu stellen sowie Dritte dauerhaft von der Unterstützung terroristischer Aktivitäten abzuhalten“ (Bundeswehr 2021). OEF wurde 2014 abgeschlossen.

ISAF geht auf die erste Afghanistan-Konferenz auf dem Bonner Petersberg und eine nachfolgende Resolution des UN-Sicherheitsrats zurück und wurde, nach ihrer Gründung 2001, 2003 der NATO unterstellt. Sie umfasste 50 Mitglieder der Vereinten Nationen. Ihre Aufgabe bestand darin, das Gewaltmonopol der afghanischen Regierung über ihr Territorium zu sichern und ein für den Wiederaufbau des Landes sicheres Umfeld durch den Aufbau von Staatlichkeit und funktionierenden Institutionen zu schaffen (NATO 2009).

Mit der Übergabe dieser Aufgabe an die afghanische Armee im Jahr 2014 wurde ISAF von RSM abgelöst, die im Wesentlichen durch Ausbildung, aber auch durch andere Unterstützungsmaßnahmen (train, advise, and assist) die afghanischen Sicherheitskräfte weiter fördern sollte. Sie wurde bis 2021 in regelmäßigen Abständen verlängert und vergrößert; im Jahr 2020 wurde ihr Ende beschlossen (NATO 2021).

Der UN-Sicherheitsrat hat sich seit 2001 in über 60 Resolutionen zur Situation in Afghanistan geäußert und alle Verlängerungen der internationalen Intervention genehmigt (Security Council Report 2021). Von 2002 bis 2021 wurden alle Einsätze von der afghanischen Regierung vertraglich abgesichert und zu einem Großteil vom afghanischen Parlament beschlossen. Ein völkerrechtlich abgesichertes Mandat war damit immer gegeben. Es bleibt jedoch umstritten, ob das militärische Eingreifen über den gesamten Zeitraum die einzige Option war, um die ursprünglichen Zielsetzungen zu erreichen: Bin Laden war geflohen, die Taliban besiegt. Allerdings nährte das Erstarken der sich zunehmend radikalisierenden Widerstandsgruppen die Befürchtung, Afghanistan könne sich destabilisieren, auseinanderfallen und erneut zur Ausgangsbasis terroristischer Anschläge werden, wenn sich das ausländische Militär zurückzieht (Hühnert 2012, S. 454-455), selbst als nach 2005 die in der Petersberg-Konferenz vereinbarten Vorgaben zumindest formal erreicht waren (Verabschiedung einer Verfassung, Einrichtung des Parlaments, Bildung rechtsstaatlicher Institutionen etc.).

Deutschland, das sich bislang nur zögerlich an ausländischen Militäroperationen beteiligte (man denke an die heftig diskutierte Weigerung, 1991 am ersten Irakkrieg mitzuwirken), konnte sich dem internationalen und öffentlichen Druck nach den Anschlägen auf die USA nicht entziehen und beteiligte sich mit der Bundeswehr an OEF und ISAF als Zeichen der Solidarität mit den USA und der NATO. Das Verteidigungsministerium versuchte allerdings, das Risiko für deutsche Soldat*innen zu minimieren. So kam es zur Übernahme der Sicherung des Seewegs am Horn von Afrika als Beitrag Deutschlands an OEF. Auch die Erweiterung des deutschen militärischen Engagements über Kabul hinaus nach Kunduz 2003 ist als Zugeständnis an die verärgerten USA zu werten, denen sich die Bundesregierung in der US-geführten „Koalition der Willigen“ im zweiten Krieg gegen Irak nicht anschließen wollte. Der nachfolgende Aufbau der Feldlager Kunduz und Faizabad im Rahmen von ISAF in den damals ruhigsten Regionen Afghanistans war ebenfalls eine Minimierung des Risikos menschlicher Verluste für die Bundeswehr bei gleichzeitig demonstrierter Bündnistreue (vgl. Struck 2003).

Doch der zunächst zeitlich begrenzte ISAF-Einsatz wurde Opfer des Mission Creep, der schleichenden Ausweitung der Aufgaben über die ursprünglichen Zielsetzungen hinaus. Dies hing zum einen zusammen mit dem Wiedererstarken der Taliban, die nach und nach alle ausländischen Militärstützpunkte ins Visier nahmen mit der Folge, dass auch in den nördlichen Provinzen Angriffe und Attentate zunahmen. Zum anderen wuchs die Einsicht, dass militärische Erfolge ein Mindestmaß an Staatlichkeit, an wirtschaftlicher Entwicklung sowie die Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols erforderten.Footnote 6 Dies schien nur möglich durch die Verstärkung militärischer Präsenz der internationalen Koalition und der afghanischen Armee, was im Gegenzug zu einer Eskalation der bewaffneten Auseinandersetzungen in einem asymmetrischen Krieg führte, der mehr und mehr zivile Opfer forderte. Nach dem Ende von OEF und ISAF im Jahr 2014 folgte die personell stark verkleinerte Ausbildungsmission RSM der Zielsetzung, die afghanische Armee zur Übernahme ihrer Aufgaben zu befähigen. Ein kleineres Kontingent von amerikanischen Soldat*innen setzte militärische Aktionen im Rahmen der Operation Freedom’s Sentinel fort (Gady 2016). Als 2015, kurz nach dem Abzug der Bundeswehr, das Feldlager Kunduz von der afghanischen Armee nahezu kampflos an die Taliban übergeben wurde, dämmerte es auch NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, dass es noch viele Jahre dauern würde, bis ausländische Unterstützung obsolet wäre (Gebauer 2016).

Nach dem Abzug aus Afghanistan wurde seitens der Bundeswehr darauf verwiesen, dass ihr Engagement durchaus Erfolge gezeitigt habe. Der Umstand, dass während der vergangenen 20 Jahre von Afghanistan keine terroristische Gefahr mehr ausging (Zorn 2021), ist sicher nicht gering zu schätzen. Die aktuellen Entwicklungen erlauben jedoch den Schluss, dass Afghanistan weder stabil noch befriedet ist, von den anderen politischen Zielen ganz zu schweigen. Einige Gründe für den Misserfolg der militärischen Operation lassen sich kursorisch identifizieren (vgl. Daase et al. 2021; Lambert et al. 2021; Münch 2011; Nachtwei 2020; SIGAR 2021):

Strategische Fehlstellen: Der generellen Strategie, mit konventionellen Methoden einen unkonventionell operierenden Gegner zu besiegen, war bereits in den als „asymmetrisch“ bezeichneten Kriegen in Afghanistan, Burma, Somalia, Tschetschenien und früher bei der Bekämpfung afrikanischer Befreiungsbewegungen kein Erfolg beschieden. Es ist davon auszugehen, dass dies der politischen und operativen Führung des Militärs bekannt war. Doch der bereits genannte Mission Creep hat dazu beigetragen, dass aus einem zunächst zeitlich, geografisch und operativ begrenzten Einsatz eine Mission Impossible, ein entgrenzter Krieg wurde. Münch (2011, S. 29) erhebt gar den Vorwurf der „Strategielosigkeit“ und begründet dies mit dem NATO-Konsensprinzip, welches die Definition eines klaren politischen Ziels verhindert habe, sowie der Kommunikation allgemeiner Doktrinen, die keine eindeutige Ableitung von strategischen und operativen Vorgaben erlauben, sodass strategische Entscheidungen auf operative Ebenen verlagert wurden. Nachtwei (2020, S. 118) sieht bei der Staatengemeinschaft konträre strategische Ansätze, die kontraproduktive Wirkungen zeitigten: „Militärisch beschränkte Terrorbekämpfung versus Sicherheitsunterstützung und Staatsaufbau; unterschiedliche Einstellungen zur afghanischen Eigenverantwortung, zum Umgang mit Warlords und Korruption, zum Einsatz militärischer Gewalt und zum Schutz der Zivilbevölkerung“. Eine politische Konfliktlösung sei viel zu spät und erst nach dem Erstarken der Taliban gesucht worden – die daran aufgrund ihrer zunehmenden militärischen Überlegenheit immer weniger interessiert waren.

Planungsdefizite: Dass die USA und ihre Verbündeten die für die Operation erforderlichen materiellen, personellen und zeitlichen Ressourcen unterschätzt hatten, lässt sich ablesen an der häufigen Aufstockung der Mannschaftsstärken, der teilweise sehr kurzfristigen Verlängerung der Einsätze, der ständigen Verschiebung des Truppenabzugs und den enormen Kosten, die im Falle Deutschlands alle bisherigen Aufwendungen für Out-of-Area-Missionen überstiegen: Mit ca. 13 Mrd. Euro allein für militärische Leistungen war Afghanistan sicherlich das kostspieligste Engagement der Bundeswehr seit ihrer Existenz (Deutscher Bundestag 2021a, S. 2).

Geringe Eigenverantwortung der afghanischen Führung: Zeitgleich mit der militärischen Intervention wurde begonnen, die nationale Armee Afghanistans (Afghan National Army, ANA) aufzubauen. Dies geschah auch in der Absicht, Operationen in der Fläche den afghanischen Counterparts zu überlassen, statt eigene Soldat*innen einsetzen zu müssen. Begonnen wurde zunächst mit den bereits existierenden Milizen der Nordallianz, bis eine reguläre Rekrutierung stattfand. Bildungs- und Ausbildungsstand der afghanischen Truppen blieben trotz erheblicher Aufwendungen hinter dem Notwendigen zurück, sodass bis 2021 operative Unterstützung durch US-amerikanische Luftstreitkräfte und vor allem (nichtmilitärisches) Instandsetzungspersonal erforderlich blieb. Korruption war endemisch: Die Gehälter unterer Dienstgrade wurden von Vorgesetzten „besteuert“ oder ganz einbehalten, Ausstattungsmaterial verschwand in dunklen Kanälen. Innere Führung war nicht vorhanden. Trotz vieler Anstrengungen überstiegen die Desertionen die Neueinstellungen, sodass ANA nie ihre Sollstärke erreichte. Motivation und Kampfbereitschaft afghanischer Soldaten blieben gering, wie auch ihre Identifikation mit der Staatsspitze und den Werten eines demokratischen Afghanistan.Footnote 7

Entwicklungszusammenarbeit und Humanitäre Hilfe:

Im Jahr 2001 wurde die wirtschaftlich-technische Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Afghanistan wieder aufgenommen. Sie war bereits 1958 begründet worden, endete aber mit Unterbrechungen nach dem Einmarsch der sowjetischen Truppen in Kabul im Jahr 1979 (Hasrat-Nazimi 2015). In dem dazwischen liegenden Zeitraum arbeiteten lediglich nichtstaatliche Organisationen wie die Deutsche Welthungerhilfe mit eher bescheidenen Beträgen im Bereich der humanitären Hilfe zur Versorgung insbesondere der ländlichen Bevölkerung oder bei der Bewältigung von Naturkatastrophen. Öffentliche Entwicklungshilfemittel (ODA) für strukturbildende Entwicklungszusammenarbeit (EZ) wurden erst nach der militärischen Intervention im Jahr 2001 mobilisiert. Im Zeitraum bis 2019 wurden mehr als 5,5 Mrd. Euro ausbezahlt (OECD 2021), darunter über 425 Mio. Euro für humanitäre Hilfe (Deutscher Bundestag 2021b, S. 11). Leistungen aller Geber einschließlich der multilateralen Agenturen beliefen sich bis 2020 auf über 75 Mrd. US-$ (OECD 2021).

Ziele der Bundesregierung bei der Aufnahme der EZ – gemeinsam mit anderen Partnern – waren zunächst zum einen die Herstellung einer staatlichen Ordnung durch die Verabschiedung einer Verfassung und die Wahl eines Präsidenten, zum anderen der Wiederaufbau der nach vielen kriegerischen Auseinandersetzungen zerstörten Infrastruktur sowie die Sicherung von Grundbedürfnissen der afghanischen Bevölkerung.

Etwas später formulierte das AA (2008, S. 5) schon etwas mutiger: „Unser Ziel ist es, dass Afghanistan sich mittelfristig selbst helfen kann. Wir müssen es in die Lage versetzen, seine junge Demokratie aus eigener Kraft gegen die Angriffe seiner Gegner zu verteidigen. Wir dürfen nicht zulassen, dass das Land wieder in extremistische Hände fällt“. Dies sollte erreicht werden durch einen glaubwürdigen Staat, Demokratie und Bürgerrechte; den Menschen sollte es besser gehen als vorher; es sollten Alternativen zum Drogenanbau eröffnet werden; mehr Infrastruktur, mehr Bildung, mehr Gesundheit seien zu schaffen; die Kriegsfolgen sollten beseitigt werden (AA 2008, S. 10-37).

Noch 2018 postulierte die Bundesregierung stichwortartig: „Ziele bleiben Reduzierung des Gewaltniveaus und Minimierung der terroristischen Bedrohung, Aufbau einer legitimen und stabilen Staatlichkeit, nachhaltige wirtschaftliche und soziale Entwicklung, politische Lösung des Konflikts. Engagement dient damit auch der Schwächung von Ursachen für Flucht und Migration“ (Die Bundesregierung 2018, S. 1). Von Demokratie war schon da nicht mehr die Rede; hinzukam das wichtige innenpolitische Thema Migration zur Legitimierung des Engagements am Hindukusch.

Im Zeitablauf lassen sich grob gefasst fünf Phasen der wirtschaftlich-technischen Zusammenarbeit unterscheiden, analog zu den jeweiligen militärischen Zielsetzungen und ihrem Ressourceneinsatz (vgl. SIGAR 2021, S. 23-37; DEval 2014, S. 6-7). In der anfänglichen Post-Konflikt-Phase bis etwa 2005 überwogen kurzfristige Maßnahmen der Not- und Nahrungsmittelhilfe, begleitet von kurzfristig angelegten Vorhaben mit schnell vorzeigbaren Ergebnissen, z. B. im Bereich des Infrastrukturausbaus. In der Folgephase wurden insgesamt fünf Sektoren (Energie, Wirtschaftsentwicklung, Wasser- und Sanitärversorgung, Bildung und gutes Regieren) als prioritär für die deutsche EZ vereinbart und – dem Charakter der Schwerpunkte entsprechend – längerfristige Vorhaben eingeleitet, was auch zu einer erheblichen Steigerung des Mitteleinsatzes führte mit einem Höhepunkt in den Jahren zwischen 2009 und 2011. Zu diesem Zeitpunkt begann die Bundesregierung, im Gefolge der US-Regierung, über einen Ausstieg aus Afghanistan und eine größere Verantwortung der afghanischen Seite nachzudenken, was zu einer erheblichen Verstärkung der Bemühungen um eine fähige Verwaltung auch in dezentralen Gebieten führte. Schließlich führten die zunehmenden Kampfhandlungen und die damit einhergehende Unmöglichkeit, in manchen Regionen Entwicklungsprojekte zu implementieren, auch zu einer gewissen Donor Fatigue und zu zurückgehenden ODA-Zahlen.

Regional konzentrierte sich die deutsche EZ neben Kabul auf die nördlichen Provinzen Afghanistans, in denen auch das militärische Engagement der Bundeswehr am stärksten war (s. Abb. 1). Die synchrone Entwicklung des jeweiligen Mitteleinsatzes und die regionale Konzentration zeigen, dass die EZ hier der militärischen Prioritätensetzung folgte.

Abb. 1
figure 1

Interventionsgebiete deutscher Entwicklungszusammenarbeit in Afghanistan (DEvaL 2014, S. 5)

Geht es den Menschen in Afghanistan nach all diesen Anstrengungen besser als vor dem internationalen Einsatz? Seit 2000 ist der Human Development Index – als Maß für das Wohlergehen der Bevölkerung – von 0,35 auf 0,51 angestiegen (UNDP 2020a). Dies ist im Wesentlichen auf die Steigerung der durchschnittlichen Lebenserwartung und des gestiegenen Bruttoinlandsprodukts (BIP) pro Kopf zurückzuführen (UNDP 2020b). Dennoch hinkt das Land im regionalen Vergleich hinter den Entwicklungsfortschritten der Nachbarländer her. 1996 lag es auf Platz 169 von 174 Ländern; im Jahr 2020 immer noch auf Platz 169 – allerdings von 189 Ländern. Das durchschnittliche BIP pro Kopf sagt freilich nichts über die Einkommensverteilung aus. Die World Inequality Database dokumentiert, dass die ärmsten 50 % der afghanischen Bevölkerung 2008 über lediglich 17,1 % des Nationaleinkommens verfügten und sich dieser Wert bis 2020 auf lediglich 17,8 % verbessert hat (WID 2021). Dem Global Hunger Index (2021) von Welthungerhilfe, International Food Policy Research Institute (IFPRI) und Concern Worldwide ist zu entnehmen, dass insbesondere die Zahl der unterernährten Menschen und die Sterblichkeit unterernährter Kinder unter 5 Jahren abgenommen haben. Dennoch galt Afghanistan im Jahr 2019 mit einem Indexwert von 28,3 als ernsthaft von Hunger bedroht und rangierte auf Platz 103 von 116 untersuchten Ländern. Es ist kein Wunder, dass über die Hälfte der Afghan*innen nach wie vor als „multidimensional arm“ eingestuft wird (NSIA 2019, eigene Übersetzung).

Nicht nur die prekären Lebensumstände veranlassten Bäuerinnen und Bauern, auf die im Vergleich zu anderen landwirtschaftlichen Erzeugnissen lukrative Opiumproduktion umzusteigen. Drogenbarone und Warlords verdienten gut am Handel mit Drogen; Taliban partizipierten an den informellen Zolleinnahmen beim Transport des Stoffs über Regions- und Landesgrenzen. Im Jahr 2020 verzeichnete UNODC (2021) nicht nur den größten jährlichen Zuwachs der Opiumanbaufläche, sondern auch die größte Ausdehnung seit Beginn der Aufzeichnungen. Seit 2002 hat sich die Anbaufläche auf knapp 600.000 Hektar nahezu verdreifacht. Weltweit ist Afghanistan mit einem Anteil von 85 % Marktführer – Tendenz steigend.

Viele der knapp 40 Mio. Menschen in Afghanistan, die für sich keine wirtschaftliche Perspektive sehen, suchen ihr Glück im Ausland. Bereits jetzt leben knapp 6,5 Mio. Afghan*innen außerhalb des Landes; Pakistan und Iran sind mit etwa 2 Mio. Migrant*innen Hauptzielländer der Auswanderung. In Afghanistan selbst gelten über 500.000 Menschen als Binnenvertriebene (vgl. Die Bundesregierung 2018, S. 20). Nach dem Durchmarsch der Taliban haben sich Flüchtlings- und Migrationsströme noch verstärkt.

An den Governance-Indikatoren der Weltbank (World Bank 2021) lässt sich ablesen, dass sich die Werte für die Bekämpfung der Korruption, die Sicherung von Rechtsstaatlichkeit und wirkungsvolles Regierungshandeln seit 2002 kaum verbessert haben, obwohl sie nach 2008 bereits auf einem positiven Weg waren. In Bezug auf die Abwesenheit von Gewalt und Terror haben sich die Werte dagegen noch verschlechtert. Demokratie und bürgerliche Freiheiten, gemessen am Index von Freedom House (2021), sind kaum vorangekommen: Wie 2001 gilt Afghanistan auch 2020 als „unfrei“; gerade einmal von 2005 von 2007 wurde es als „teilweise frei“ eingestuft.

Gemessen an den eingangs genannten Zielen sind die aggregierten Ergebnisse wenig ermutigend für die Zukunft des Landes. Sie sind ernüchternd, setzt man sie ins Verhältnis zu den in den vergangenen 20 Jahren eingesetzten personellen und finanziellen Mitteln der etwa 50 in Afghanistan involvierten Akteure (DEval 2014, S. 31). Bislang fehlt es an einer umfassenden Evaluierung ihrer Beiträge; selbst wenn sie vorlägen, wäre es vermutlich methodisch unmöglich, kausale Zusammenhänge der Wirkungen einzelner Vorhaben mit den oben geschilderten Befunden auf Makroebene zu konstruieren. Allerdings kann die Untersuchung individueller Projekte Anhaltspunkte liefern für die Suche nach Ursachen für das offensichtliche Scheitern der bi- und multilateralen EZ, einer Arbeit, die von vielen afghanischen und ausländischen Fachkräften mit Engagement und Kompetenz unter sehr schwierigen Rahmenbedingungen geleistet wurde.

Bereits 2013 fand eine Konferenz der wichtigsten Geber mit der afghanischen Regierung statt mit dem Ziel, die Resultate der jeweiligen Evaluierungen in den ersten zehn Jahren des Afghanistan-Engagements zusammenzufassen (Wilton Park 2013). Neben den bereits angeführten Leistungen der Projekte (Outputs) wurden in einem Synthesebericht der Weltbank (World Bank 2013) auch die Ergebnisse auf Zielgruppenebene (Outcomes) betrachtet. So sahen die meisten internationalen Geber ihre Maßnahmen an den Prioritäten der afghanischen Regierung ausgerichtet. Die afghanische Seite beklagte dagegen, dass die meisten Geber ihre eigenen Agenden verfolgten, deren Kohärenz untereinander darüber hinaus zu wünschen übrig ließ. Aus ihrer Sicht erklärte dies die geringe Eigenverantwortung der staatlichen Strukturen und Entscheidungsebenen.

Die Effektivität der meisten Projekte war unbefriedigend, da sie selten innerhalb der angestrebten Zeitrahmen durchgeführt werden konnten und nur einen Teil der angestrebten Ergebnisse erreichten. Hier wurden mangelnde Qualifikation internationaler wie nationaler Fachkräfte, verkürzte Planungsprozesse und administrative Hemmnisse als Gründe angeführt. Hohe Kosten, bedingt durch erhebliche materielle und personelle Sicherheitsmaßnahmen, den intensiven Einsatz ausländischer Consultants und außergewöhnliche Verwaltungsaufwendungen, schränkten die Effizienz des Mitteleinsatzes erheblich ein. Darüber hinaus waren die jeweiligen staatlichen Partner häufig mit einer sinnvollen Verwendung der bereitgestellten Ressourcen überfordert.

Die größte Sorge der Konferenzteilnehmer*innen galt der Nachhaltigkeit der eingeleiteten Projekte und Programme: Der Staatshaushalt der Regierung war auf absehbare Zeit nicht in der Lage, die Vorhaben eigenständig zu finanzieren oder auch nur die bereits realisierten Infrastrukturen zu unterhalten. Qualifiziertes Personal war nicht bereit, unter den Anstellungsbedingungen der staatlichen Administration zu arbeiten. Und es wurde klar, dass die Regierung weder willens noch in der Lage war, die von den Gebern kreierten Doppelstrukturen zur Implementierung der Maßnahmen („ein zweiter öffentlicher Dienst“) zu finanzieren.

Auch der Beitrag Deutschlands wurde einige Male extern evaluiert. Zürcher et al. (2010) arbeiteten für die Halbzeit der deutschen EZ immerhin einige positive Ergebnisse heraus: In der Regel wurden die Zielgruppen in den Dorfgemeinschaften von den Entwicklungsmaßnahmen erreicht und zogen Nutzen aus der Unterstützung. Anders als zu Beginn des Engagements wurden die Aktivitäten zunehmend nicht nur der externen Hilfe, sondern auch dem Bemühen der afghanischen Regierung und insbesondere der lokalen Administration zugerechnet, die Lebensbedingungen in ländlichen Regionen zu verbessern. Gleichwohl wurde das ausländische Engagement zunehmend misstrauisch beäugt; lokale und islamische Traditionen seien durch den externen Einfluss in Gefahr. Dies hing aber gegebenenfalls auch mit der zunehmenden Unsicherheit und der stärkeren Präsenz der Taliban in diesen Regionen zusammen.

Zehn Jahre später kommen Zürcher et al. (2020) zu etwas differenzierteren Ergebnissen: So akzentuierten etliche Projekte lokale, bereits vorher existierende Spannungen in den verschiedenen Gemeinschaften und trugen zu einer verstärkten gewaltsamen Austragung von Konflikten bei. Dort, wo die Projekte in sicherem Umfeld – das heißt ohne Präsenz des Militärs – operieren konnten, gelang es, die Verfügbarkeit von öffentlichen Dienstleistungen im Bereich von Gesundheit, Wasserversorgung und Bildung zu erhöhen, wie sich insbesondere bei der Reduzierung von Kinder- und Müttersterblichkeit und der Verbesserung der schulischen Ausbildung zeigte. Zwar waren auch Maßnahmen im Energiebereich erfolgreich, trugen aber nicht zu einer Verstärkung wirtschaftlicher Aktivitäten der Nutznießer bei. Für die Sektoren Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, Wirtschaftsentwicklung und Institutionenaufbau waren keine auswertbaren Wirkungsanalysen verfügbar, wenngleich es etliche Projekte in diesen Arbeitsfeldern gab.

Auch die Bundesregierung (2018, S. 1) konstatiert kurz vor dem Ausstieg aus der EZ mit Afghanistan ernüchtert: Weiterhin sei die Verwaltung nicht effektiv, gebe es Korruption, Flucht und Arbeitslosigkeit. Die erreichten Erfolge seien unzureichend und „brüchig“ (mit anderen Worten: nicht nachhaltig) und bedürften noch länger andauernder externer Unterstützung, um Rückschritte zu verhindern.

Vernetzung der Ressorts und zivil-militärische Zusammenarbeit:

2003 legte die Bundesregierung erstmals ein gemeinsames Afghanistan-Konzept von AA, BMI, Bundesministerium der Verteidigung und BMZ vor, welches 2006 und 2008 aktualisiert wurde. Damit verbunden war die Vorstellung eines aufeinander abgestimmten Vorgehens der mit diplomatischen, militärischen, polizeilichen und entwicklungspolitischen Aktivitäten beauftragten Ministerien und ihrer Vorfeldorganisationen. Erste Konsequenz war die Übernahme des Provincial Reconstruction Teams (PRT) in der Provinz Kunduz durch eine ressortübergreifende Steuerungsgruppe der oben genannten deutschen Ministerien. Die Leitung des PRT bestand aus einer Doppelspitze von Bundeswehr und AA, ergänzt durch eine beigeordnete Vertretung des BMZ. Vorgesehen war eine eher reduzierte Präsenz der Bundeswehr: Anfangs waren es nur 270 Soldat*innen, die durch Tagesfahrten in Kunduz und Umgebung Präsenz zeigten, die Entwaffnung von Kombattanten beobachteten und kleinere Projekte in den Dörfern als vertrauensbildende Maßnahmen durchführten. Bis 2011 wurde die Truppenstärke weiter ausgebaut.

Die zivile Komponente erwies sich in diesem Zusammenspiel als sehr viel schwächer, wie Köhler (2010, S. 94) ausführt:

Eine klare Trennung der von den einzelnen Ministerien beanspruchten Verantwortlichkeiten erweist sich unter Einsatzbedingungen, in denen der Löwenanteil der Ressourcen und der Einsatzkräfte vom Militär auf der einen und einer Vielzahl schwach koordinierter staatlicher und gar nicht koordinierter nicht-staatlicher Entwicklungsakteure auf der anderen Seite bereitgestellt wird, als unmöglich.

Mehr noch: Während sich die staatlichen Durchführungsorganisationen Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) der Konzentration ihrer Vorhaben in den der Bundeswehr zugewiesenen Regionen kaum entziehen konnten, wurden die von staatlichen Weisungen (aber nicht Finanzierungen) unabhängigen deutschen Nichtregierungsorganisationen (NRO) zunehmend vom BMZ in die Pflicht genommen. Entwicklungsminister Dirk Niebel forderte sie unverhohlen auf, entweder mit der Bundeswehr zu kooperieren oder auf Zuschüsse seines Hauses zu verzichten: „Wenn einige Nichtregierungsorganisationen eine besondere Bundeswehrferne pflegen wollen, müssen sie sich andere Geldgeber suchen“ (zit. n. Friederichs 2010). So agierte die EZ nicht vorrangig dort, wo die Beachtung entwicklungspolitischer Kriterien und Voraussetzungen den Erfolg der unterstützten Vorhaben wahrscheinlich machten, sondern in einem Umfeld, welches mit der Zeit durch die zunehmende Präsenz von Taliban-Kämpfern und ein abnehmendes Vertrauen der Zivilbevölkerung im Gefolge von Kollateralschäden der militärischen Intervention noch unsicherer wurde (Preuß 2008a, S. 27).

Die Arbeitsteilung zwischen militärischen und zivilen Akteuren wurde weiter verwischt durch die Umsetzung der so genannten zivil-militärischen Kooperation (Civil-Military Cooperation, CIMIC). Häufig wird dieser Begriff als wertfreie Beschreibung der Interaktionen zwischen Angehörigen internationaler Streitkräfte und Vertretern humanitärer Organisationen verwendet. CIMIC ist jedoch ein militärischer Ansatz, der Bestandteil des militärischen Einsatzes ist und keinerlei entwicklungspolitische Ziele verfolgt:

CIMIC is: The co-ordination and co-operation, in support of the mission, between the NATO Commander and civil actors, including national population and local authorities, as well as international, national and non-governmental organisations and agencies. [...] The immediate purpose of CIMIC is to establish and maintain the full co-operation of the NATO commander and the civilian authorities, organisations, agencies and population within a commander’s area of operations in order to allow him to fulfil his mission. This may include direct support to the implementation of a civil plan. The long-term purpose of CIMIC is to help create and sustain conditions that will support the achievement of Alliance objectives in operations (NATO 2001).

Dazu gehörten vor allem die Erhöhung der Akzeptanz des Militärs sowie die Gewinnung von Informationen über das zivile Umfeld. Mit dem Ziel, durch Kommunikation und bevölkerungsnahe Präsenz Vertrauen herzustellen, wurden so genannte Winning-Hearts-and-Minds-Aktivitäten durchgeführt, die – im Gegensatz zur Not- und Entwicklungshilfe – nicht primär am Bedarf der lokalen Bevölkerung und einer sich langfristig selbst tragenden Entwicklung in den Interventionszonen orientiert waren, sondern militärischen Überlegungen folgten (Preuß 2008a, S. 29-30).

Schlimmer noch: Dort, wo das Militär mit CIMIC operierte, gerieten auch die Entwicklungshelfer*innen in das Fadenkreuz bewaffneter oppositioneller Kräfte. Nicht nur, weil sie in unmittelbarer Nähe zu den Soldat*innen arbeiteten, sondern auch, weil die parallele Durchführung von Entwicklungsmaßnahmen durch Soldat*innen mit und ohne Uniform eine Grauzone schuf, in der zivile Helfer*innen und Militärs nicht mehr klar voneinander unterschieden werden konnten.

4 Schlussfolgerungen und Lehren für künftige Einsätze in Krisenregionen

Das militärische und zivile Engagement in Afghanistan wird nahezu übereinstimmend als gescheitert angesehen; ausweislich der oben dargestellten Misserfolge kann zumindest festgehalten werden, dass die selbst gestellten und im Zeitablauf ambitionierter werdenden Zielsetzungen weit verfehlt worden sind. Zu den Gründen für dieses unbefriedigende Fazit gehören strategische Defizite des Truppeneinsatzes, die Dominanz des Militärischen innerhalb einer „integrierten“ Mission und die Planung von Maßnahmen der EZ, die selbst unter den Rahmenbedingungen „normaler“ Entwicklungsländer als ambitioniert gelten können.

Schlussfolgerungen:

Zu den wesentlichen strategischen Defiziten des NATO-Einsatzes gehört, dass ein umfassender militärischer Einsatz, der über Luftschläge sowie den Einsatz von Spezialkräften hinausgeht, nicht ausreichend auf seine Voraussetzungen für einen Erfolg hin geprüft und vorbereitet wurde. Es hätte Erfahrungen aus der sowjetischen Intervention gegeben, die aber keine Berücksichtigung fanden.

Zur Bekämpfung von Al-Qaida und der Zerstörung ihrer logistischen Basis in Afghanistan wäre ein Krieg in der Fläche gegen die Taliban nicht erforderlich gewesen. Die ausländischen Verbände waren in ihrer Mehrheit nicht auf eine asymmetrische Auseinandersetzung vorbereitet und wendeten einen Großteil ihrer Energie für den Selbstschutz auf. Zudem stellte die Ausweitung der Mission von Terrorbekämpfung und Stabilisierung auf die Absicherung von Staatsaufbau und Demokratisierung die Streitkräfte vor operative Dilemmata, die diese nicht auflösen konnten. Die recht spät begonnene Ausbildung von häufig gering qualifizierten Angehörigen der afghanischen Armee bzw. der militärischen Führung überforderte die soziokulturellen und didaktischen Kompetenzen der meisten damit beauftragten Soldat*innen und war daher wenig erfolgreich.

Endemische Korruption in der afghanischen Kommandostruktur, das Fehlen einer inneren Führung sowie die Tatsache, dass Soldaten in Gefechten mit überlegenen Taliban „verheizt“ wurden, zerstörten Motivation und Kampfwillen der nationalen Truppen und ihre Identifikation mit dem Staat und seinen Repräsentanten. Und nicht zuletzt waren die strategischen Vorgaben für die einzelnen Verbände nicht ausreichend präzise, sodass die jeweiligen Umstände der Einsatzorte und die Spezifika der Truppensteller die operativen Planungen mehr beeinflussten als die generellen Doktrinen der NATO (vgl. Münch 2011, S. 29).

Spätestens seit 2005 versuchte die internationale EZ, mit ihrem Instrumentarium eine Reihe von langfristig laufenden und nachhaltig wirksamen Entwicklungsmaßnahmen umzusetzen. Die Durchführung von komplexen Vorhaben unter den Bedingungen von Konflikt und bewaffneten Auseinandersetzungen musste bei größtenteils inexistenten administrativen Strukturen und limitierten Kompetenzen nationaler Fachkräfte an Grenzen stoßen; darüber hinaus waren sie weit weniger flexibel zu steuern als zeitlich und inhaltlich limitierte Projekte. Erschwerend kam hinzu, dass der in Kap. 3.3 dargestellte vernetzte Ansatz dazu führte, dass ein Großteil der Vorhaben in Regionen stattfinden musste, die auch Einsatzgebiet der Militärs waren, und die im Lauf der Zeit zunehmend unsicher wurden. Die hohen, wenn auch erforderlichen Aufwendungen für Risikomanagement und Sicherheitsmaßnahmen schränkten neben den begrenzten Wirkungsradien der Vorhaben ihre Effektivität und Effizienz erheblich ein. Wirkungen auf übergeordnete politische Zielsetzungen lassen sich aufgrund der dürftigen Datenlage kaum ermitteln, und die Nachhaltigkeit abgeschlossener und laufender Programme ist aufgrund ihrer Unangepasstheit an lokale und nationale ökonomische und soziokulturelle Verhältnisse schwerlich gesichert.

Der Versuch, durch ein Konzept der vernetzten Sicherheit im Rahmen der PRTs eine stärkere Kohärenz des internationalen Engagements herzustellen, ist nur regional gelungen: Entwicklungspolitische Schwerpunkte wurden dort gesetzt, wo auch die Bundeswehr intervenierte. Doch der inhaltliche Fokus der jeweiligen Maßnahmen wurde stärker bestimmt durch die jeweiligen Durchführungslogiken der beteiligten zivilen und militärischen Akteure als durch das zugrundeliegende Konzept. Gelitten hat die Auswahl von Standorten und Zielgruppen, die aufgrund ihrer Ausstattung und Kapazitäten angemessene Aussichten auf Entwicklungserfolge aufgewiesen hätten, sowie die Berücksichtigung besonders vulnerabler Bevölkerungsgruppen. Die gewählten Ansätze blieben unter diesen Umständen viel zu anspruchsvoll.

Lehren für künftige Einsätze in Krisenregionen:

Deutschland beteiligt sich in mehreren Ländern (Kosovo, Libanon, Mali, Südsudan und Syrien) sowohl mit militärischen Kräften als auch mit Maßnahmen der EZ an Stabilisierung und Wiederaufbau. Angesichts seiner Rolle in Europa, seiner Einbindung in die NATO und sich entgrenzender Konflikte in einer Reihe von Ländern ist davon auszugehen, dass auch künftig Forderungen an Bundeswehr, Außenpolitik und EZ gestellt werden, sich gemeinsam mit anderen Partnern an Stabilisierung und Wiederaufbau in (Post‑) Konfliktregionen zu beteiligen. Parlament und Bevölkerung dürften heute solchen Ansinnen noch kritischer gegenüberstehen als vor dem überstürzten Abzug aus Afghanistan. Neben der Aufarbeitung der Erfahrungen braucht es auch neue Konzepte, die die Lehren aus den bisherigen deutschen Engagements berücksichtigen. Die folgenden Elemente sollten in diese noch zu erarbeitenden Ansätze integriert werden:

  1. 1.

    Vorrang vor militärischen Interventionen sollten immer politische Initiativen auf möglichst internationaler, kontinentaler oder regionaler Ebene haben. Auch der Diplomatie stehen neben der Mobilisierung einer möglichst großen Koalition Gleichgesinnter, Optionen politischen Drucks wie Ächtung, Sanktionen etc. zur Verfügung.

  2. 2.

    Wenn eine (Post‑) Konfliktsituation das Engagement sowohl militärischer als auch ziviler Akteure erforderlich macht, ist eine gemeinsam verabschiedete Strategie der beteiligten Partner Voraussetzung für die weitere Konzeption des jeweiligen Vorgehens. Die Dauer des Einsatzes und die benötigten Ressourcen sind unter verschiedenen Szenarien zu kalkulieren.

  3. 3.

    Der Planungshorizont für die Intervention sollte notwendigerweise eine Exit-Strategie umfassen, ohne einen klaren Zeitpunkt zu fixieren. Allerdings sind Milestones und Konditionen für Ausstieg, Bleiben oder Strategieänderung festzulegen.

  4. 4.

    Gesteuert werden sollte die Umsetzung von einer Instanz, an der die verantwortlichen Ressorts der beteiligten Partner auf Augenhöhe mitentscheiden. Zu diesen Partnern gehören nach Möglichkeit auch supranationale Strukturen der betreffenden Region.

  5. 5.

    Im Falle einer asymmetrischen Bedrohung, zum Beispiel wenn vom Gebiet eines Landes terroristische Aggressionen ausgehen, sollten sich nach Prüfung alternativer Optionen militärische Operationen auf die Ausschaltung der Bedrohung beschränken und die Regierung des betreffenden Landes dabei unterstützen, die Etablierung terroristischer Zellen zu unterbinden, oder sie mit geeigneten Mitteln davon abhalten, diese zu dulden bzw. zu unterstützen.

  6. 6.

    Militärische Interventionen sollten sich auf die Kompetenzen des Militärs konzentrieren. Das Spektrum der möglichen Einsätze reicht von Friedenserzwingung bis hin zur Absicherung friedenschaffender Maßnahmen oder der Friedensförderung. Die Abgrenzungen sind hierbei je nach Umfeld nicht exakt zu bestimmen; dafür sollten das internationale Mandat und die militärische Strategie aber eindeutig sein.

  7. 7.

    Militärische Interventionen in einem Land sollten unter einer einheitlichen Führung stehen, die auch von supranationalen Strukturen der betreffenden Region akzeptiert wird, wenn diese nicht selbst für die Führung verantwortlich sind.

  8. 8.

    In (Post‑) Konfliktregionen ist Maßnahmen der humanitären Hilfe bzw. des Wiederaufbaus der Vorrang zu geben vor strukturbildenden Projekten. Als Orientierung dient hier der so genannte Kontiguum-Ansatz des Konzepts Linking Relief, Rehabilitation, and Development (vgl. Wagner 2016). Dieser geht von der Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Problemlagen in den verschiedenen Gebieten eines Landes und bei unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen aus. Daher ist eine rein sequenzielle Abfolge von Nothilfe, Wiederaufbau und Entwicklung wenig sinnvoll; vielmehr sind parallel Maßnahmen einzuleiten, die auf die verschiedenen Schwierigkeiten differenziert antworten und die jeweiligen Selbsthilfekapazitäten berücksichtigen.

  9. 9.

    EZ sollte sich in (post-) konfliktiven Konstellationen auf die nachhaltig befriedeten oder nicht (mehr) von gewaltsamen Auseinandersetzungen betroffenen Gebiete konzentrieren. Hier sind auch Institutional Capacity Building und langfristige Projektansätze durchführbar. Als Faustregel für die Planung von Entwicklungsprojekten sollte gelten: Je stabiler ein Gebiet, desto komplexer können die Vorhaben gestaltet werden; je unsicherer, desto flexibler ist zu agieren.

  10. 10.

    EZ sollte sich von der Vorstellung verabschieden, dass unter den Bedingungen von Konflikt und Krieg die Etablierung demokratischer Institutionen und Verfahren möglich ist, wenn diese nicht vorher schon über eine zufriedenstellende Akzeptanz in einem Großteil der Bevölkerung verfügten.Footnote 8

  11. 11.

    Hoher Mittelabflussdruck der Geber und geringe Absorptionskapazitäten auf lokaler Ebene sind insbesondere in (Post‑) Konfliktregionen an der Tagesordnung. Korruption und Misswirtschaft sind häufig die Folge. Staatliche und nichtstaatliche Organisationen sind an hohen Projektvolumina interessiert, um ihre in diesen Kontexten hohen strukturellen Kosten zu decken. Die Finanziers sollten hier Implementierungsdruck herausnehmen und relativ höhere Aufwendungen für Gemeinkosten (overheads) akzeptieren.

  12. 12.

    Konfliktsensible und soziokulturell angepasste Vorgehensweisen sind für den Erfolg von EZ-Maßnahmen essentiell und erhöhen auch die Sicherheit in den Projektregionen. Das Instrumentarium ist vorhanden und bekannt; seine Nutzung durch die beteiligten Akteure sollte stärker eingefordert werden.

Diese Aufstellung ist unvollständig. Es ist aber davon auszugehen, dass die Aufarbeitung des Afghanistan-Einsatzes unter Mitwirkung militärischer, ziviler und zivilgesellschaftlicher Akteure zusätzliche Gesichtspunkte benennt, die aktuell und künftig zu berücksichtigen sind.

5 What if we were wrong?

Mit dieser Frage drückte Barack Obama nach der Wahl Donald Trumps zum 45. Präsidenten der USA seine Zweifel an der nationalen Akzeptanz seiner kosmopolitischen Außenpolitik aus (Rhodes 2018, S. xvi).

Der Afghanistan-Einsatz wirkt in der Nachbetrachtung, pointiert formuliert, wie ein umfassendes EDV-Projekt: In aller Regel verursacht es mehr Kosten als budgetiert, dauert es länger als geplant, und am Ende bleibt das Ergebnis hinter den ursprünglichen Erwartungen zurück. Doch sind die personellen, materiellen und immateriellen Konsequenzen des Misserfolgs am Hindukusch weitaus gravierender als der Rausschmiss eines IT-Chefs oder die Frustration von Nutzern beim Umgang mit halbfertigen Software-Produkten: Mehr als 66.000 afghanische und fast 4000 ausländische Soldat*innen sind in den bewaffneten Auseinandersetzungen und bei Anschlägen gefallen, etwa 50.000 Zivilisten wurden getötet und über 75.000 verletzt (SIGAR 2021, S. 1). Die afghanische Bevölkerung wird noch stärker als vor dem Beginn der Intervention mit Nahrungsmittelknappheit, Energieengpässen und Defiziten in Gesundheits- und Bildungssystem konfrontiert sein. Es droht die Gefahr einer weiteren Fragmentierung des Landes, das in Machtgebiete von Warlords, religiösen Führern und ethnisch definierten Clans zerfallen kann. Dschihadistische Gruppen erhalten – in diesem Fall ohne Einladung der Taliban – ein Refugium, um Terroranschläge in anderen Ländern zu planen.

Ferner wird das Scheitern des Westens Auswirkungen auf die künftige internationale Zusammenarbeit mit anderen Ländern haben. Die Wirkmächtigkeit westlicher Konzepte für Staatsaufbau, Demokratie und soziale Marktwirtschaft hatte aufgrund eigener Defizite bei der Bewältigung politischer, ökonomischer und sozialer Probleme bereits in den letzten Jahren erheblich an Strahlkraft eingebüßt. Diese Erosion wird sich fortsetzen, wenn Hybris bei der Zielformulierung und Paternalismus beim Umgang mit anderen Kulturen nicht überwunden werden.

Ja, der Westen lag falsch. In einem Anfall kollektiver Zielbesoffenheit und Planungseuphorie wurden die realen Gegebenheiten in Afghanistan ausgeblendet, gefangen in der Vorstellung, ein Land in kurzer Zeit aus dem Mittelalter in die Neuzeit befördern zu können. Am Ende steht einmal mehr die Lektion: Das wird so nicht funktionieren (Preuß 2008b, S. 28).

Es wäre freilich genauso falsch, wendete man sich nun mit Grausen ab von Kriegen, Krisen und Konflikten, ungerührt von massiven Verletzungen universeller Menschenrechte jenseits der Grenzen Deutschlands und Europas. Ein Verzicht auf das Ideal, dass sich das Zusammenleben auf der Welt werte- und regelbasiert entfalten soll, wäre angesichts der aktuellen globalen Herausforderungen fatal – genauso wenig wie es glaubwürdig wäre, allein westliche Werte und Regeln als Maßstab anzulegen.

Funktionierender Multilateralismus erfordert Abstimmung und Kooperation mit anderen Staaten bis hin zu Bündnissen wie NATO oder OSZE. Bündnistreue darf aber nicht zu blinder Gefolgschaft führen; die Staaten, die eine solche einfordern, müssen sich ihrer Verantwortung bewusst sein und ihrerseits unilaterale Handlungen vermeiden. Ausmaß und Qualität der gegenseitigen Unterstützung sind nach Möglichkeit vorher zu vereinbaren und immer wieder gemeinsam neu auszuhandeln, wenn sich die Bedingungen verändern.

Hier liegt denn auch die Herausforderung bei der nationalen und internationalen Aufarbeitung des Afghanistan-Einsatzes: Qualitäten wie Realitätssinn, Weitsicht und Ehrlichkeit, Bescheidenheit und Geduld – und Zurückhaltung beim Einsatz militärischer Zwangsmittel – standen nicht hoch im Kurs. Für aktuelle und künftige Interventionen in (Post‑) Konfliktregionen ist ihre Aufwertung unumgänglich.