Der Deutsche Krebskongress ist traditionell nicht nur ein medizinisches „Update“ in Sachen Krebstherapien. Er ist auch ein Forum, das Versorgungsstrukturen in der Krebsmedizin und Rahmenbedingungen für Krebsforschung und krebsbezogene Innovationen diskutiert. Der 35. Deutsche Krebskongress im November 2022 in Berlin (DKK 2022) hat diesen Themenkomplex unter der Überschrift „Schnittstellen zwischen Innovation und Versorgung“ sogar zu seinem Motto gewählt. Die Sektion C der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG), in der sich Unternehmen, Körperschaften und andere Organisationen versammeln, die die DKG fördern wollen, hat in diesem Kontext beim DKK 2022 vier hochkarätig besetzte Symposien ausgerichtet, in denen die Vision eines innovationsfreundlichen Gesundheitswesens kontrastiert wurde mit den zunehmend anspruchsvolleren, regulatorischen Rahmenbedingungen, unter denen die klinische (Krebs‑)Forschung in Europa und speziell in Deutschland agiert.

Die Potenziale digitaler Daten sind in aller Munde. Das „lernende Gesundheitswesen“, bei dem Daten aus der medizinischen Versorgung vom ersten Tag an aktiv für die klinische Forschung und damit die Weiterentwicklung von Therapien genutzt werden, darf in kaum einer politischen Sonntagsrede zur Zukunft der Medizin fehlen. Dass es der Politik nicht nur ums Reden, sondern auch ums Umsetzen geht, machte Mario Brandenburg (FDP) deutlich, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Er nannte drei Förderbereiche, mit denen das BMBF den Weg in Richtung einer versorgungsdatenbasierten Forschung ebnen will.

Versorgungsdatennutzung hat hohe politische Priorität

Fundamental sei zum einen die Medizininformatik-Initiative (MI-I), die zum Jahreswechsel 2022/23 in ihre dritte Phase geht. Sie schaffe durch den Aufbau von Datenintegrationszentren (DIZ) an allen Universitätskliniken das Fundament für eine einrichtungs- und künftig auch sektorenübergreifende Datennutzung. Die DIZ stellen Daten einer Einrichtung in bundesweit einheitlicher Weise zur Verfügung und machen diese über das Deutsche Forschungsdatenportal für Gesundheit für die klinische Forschung bundesweit zugänglich. Unterfüttert wird die MI‑I durch das zu Beginn der COVID-19-Pandemie ins Leben gerufene Netzwerk Universitätsmedizin, das konkrete universitäre Kooperationsprojekte fördert und das nach der Pandemie verstetigt werden soll.

Der zweite wichtige Hebel für die datenbasierte klinische Forschung ist Brandenburg zufolge die Anbindung nichtuniversitärer Versorger, um wirklich vollständige Versorgungsdaten zu bekommen. Hier fördere das BMBF sechs Digitale FortschrittsHubs Gesundheit, mit denen die MI-I-Infrastruktur quasi in die Breite getragen werden solle und von denen immerhin vier onkologische Fragestellungen in den Fokus nähmen. Wichtig sei drittens ein mentaler Wandel hin zu einer Kultur des Datenteilens statt Datenhortens. Dieses unterstrich ebenfalls Tamás Bereczky, Patient und Sprecher der Padvokates. Daten sicher zu teilen, sei enorm wichtig, nicht nur, um selbst davon zu profitieren, sondern auch aus altruistischen Gründen für andere Patient:innen und den Fortschritt.

Anstoß gibt das BMBF u. a. im Rahmen der Nationalen Dekade gegen Krebs mit Förderprojekten, die das Teilen von Daten zur Pflicht machen: „Dieses Förderprogramm erfährt eine Riesenresonanz. Wir werden überrannt mit Anträgen.“

Industrielle Forschung darf nicht außen vor bleiben

Was deutschlandweit im Kontext der MI‑I entstehen soll, ist letztlich ein „Gesundheitsdatenraum“, ein Begriff, den auch die EU-Kommission für sich entdeckt hat: Sie will bis 2025 die Voraussetzungen für einen European Health Data Space schaffen, der auf europäischer Ebene ähnliche Infrastrukturen schaffen soll, wie die MI‑I auf nationaler Ebene. Ein Beispiel für einen schon existierenden, internationalen Datenraum mit Fokus Krebsversorgung stellte Prof. Dr. Lars Bullinger vor, Direktor Hämatologie/Onkologie an der Charité Campus Virchow-Klinikum. Im HARMONY-Projekt haben 100 Partner aus 18 Ländern mittlerweile 150.000 Datensätze digital zusammengeführt, allesamt von hämatologischen Patient:innen. Rund 400 Wissenschaftler arbeiten mit diesem Datenschatz.

Das Besondere an HARMONY ist, dass viele der Patient:innen nicht speziell über das HARMONY-Projekt aufgeklärt wurden. Trotzdem ist die (physikalisch in Spanien angesiedelte) Plattform mit der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) kompatibel, weil ein doppeltes Pseudonymisierungsverfahren unter Nutzung eines Datentreuhänders eingesetzt wird. Wichtig ist außerdem, dass die Daten die Plattform nicht verlassen und dass keine individuellen Datensätze, sondern nur aggregierte Daten einsehbar sind. Beispielhaft für andere Gesundheitsdatenräume ist HARMONY auch deswegen, weil die Daten für die akademische und die industrielle Forschung zugänglich sind. Dass das nicht selbstverständlich ist, zeigt sich in Deutschland, wo bei dem beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) angesiedelten, neuen Forschungsdatenzentrum die Industrie bisher außen vor bleibt. Kritisch sieht das Dr. Sven Bergner, Director Payer and Real World Evidence bei AstraZeneca: „Wir brauchen Gesundheits- und Krankheitsdaten aus der Realversorgung mit Zugang für die private Forschung.“ Aus dem BMBF kam Unterstützung: „Wir müssen auch den Handschlag zwischen freier Forschung und Industrie hinbekommen“, betonte Mario Brandenburg.

Klinische Krebsforschung in der Dekade gegen Krebs

Von den Datenräumen, die eine in Arbeit befindliche Zukunftsvision sind, zur klinischen Forschung der Gegenwart. Diese wird in Deutschland im Moment maßgeblich durch die Dekade gegen Krebs geprägt und über diese gab Prof. Dr. Michael Baumann vom Deutschen Krebsforschungszentrum einen Überblick. Ziel der Dekade ist es u. a., Krebs bei drei von vier Patient:innen heilbar oder beherrschbar zu machen, den Zugang zu Innovationen zu gewährleisten und eine internationale Spitzenposition in der Krebsforschung und -versorgung zu erreichen.

Ein wichtiges Mittel auf dem Weg dorthin sind Projektausschreibungen. Hier ist bereits einiges passiert, darunter der 2019 in die Wege geleitete Ausbau des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen von derzeit zwei auf dann sechs Standorte – eine Maßnahme, die nicht zuletzt frühe klinische Studien voranbringen soll. Allein vier Forschungsverbünde (OUTLIVE-CRC, Mi-EOCRC, PerMiCCion, PEARL) kümmern sich außerdem seit Herbst 2022 um die Prävention von Darmkrebs bei jüngeren Menschen und künftigen Generationen. Zwei weitere Forschungsverbünde fokussieren auf Fusionsgene bei Knochen- und Weichteiltumoren von Jugendlichen (HEROES-AYA) bzw. auf Therapieresistenz bei Brust‑, Darm- und Pankreaskarzinomen (SATURN).

Beispiel NSCLC: große Innovationsdynamik zum Wohl der Patient:innen

Nicht nur in Deutschland, auch international wurde und wird die Krebsforschung mit enormen Mitteln gefördert – und das zahlt sich aus, wie Prof. Dr. Frank Griesinger vom Pius-Hospital in Oldenburg am Beispiel des nichtkleinzelligen Lungenkarzinoms (NSCLC) deutlich machte. Zwei pharmazeutische Sprunginnovationen, die molekular personalisierte Behandlung und die Immuntherapien, hätten hier aus einer recht simplen S3-Leitlinie des Jahres 2009 einen hochkomplexen Leitlinienalgorithmus gemacht, der sich kaum noch abbilden lasse und der zudem ständig aktualisiert werden müsse. Die Patient:innen profitierten davon enorm, so Griesinger. Mittlerweile lasse sich bei rund 40–50 % der vom NSCLC Betroffenen eine Treibermutation dingfest machen und eine entsprechende zielgerichtete Therapie reduziere dann das Rezidiv- und Todesrisiko teilweise um 70 % und mehr. Ähnlich bei den Immuntherapien: Hier sei bei einem Teil der Patient:innen nach Testung eine Verbesserung der Heilungsrate um 40 % im Vergleich zu Placebo nicht unrealistisch.

Das NSCLC ist auch ein guter Beispieltumor für die Möglichkeiten der Registerforschung. Griesinger erwähnte hier insbesondere das prospektive Indikationsregister CRISP, das im Dezember 2015 startete. Es umfasst mittlerweile über 10.000 Lungenkrebspatient:innen in allen Tumorstadien aus 190 Zentren, teils mit über 8 Jahren Follow-up, und es soll noch bis mindestens 2024 weiterlaufen. Das CRISP-Register zeige u. a., dass in Deutschland immer noch 25 % aller NSCLC-Patient:innen nicht umfassend getestet würden. Griesinger plädierte stark für eine sog. Reflextestung, also eine umfassende molekulare Testung, die vom Pathologen initiiert wird. Dies führe nicht nur zu höheren Testquoten, sondern auch zu einer erheblichen Beschleunigung der Versorgung.

Bürokratie und klinische Studien: wie viel Zukunft hat Innovation?

Die Erfolgsgeschichte der klinischen Forschung und Arzneimittelentwicklung beim Lungenkrebs soll sich bei möglichst vielen Tumoren wiederholen. Allerdings wird es der klinischen Forschung nicht immer leicht gemacht. Die deutschen Defizite in diesem Bereich spiegelten sich auch in den Zahlen, sagte Prof. Dr. Viktor Grünwald von der Urologischen Klinik der Universitätsklinik Essen: „Wir sehen seit 2015 eine Abnahme der klinischen Studien forschender Pharmaunternehmen um 21 %.“ Andere Länder hingegen haben im gleichen Zeitraum deutlich zugelegt, darunter die USA und in Europa v. a. Spanien (Abb. 1 und 2; [1, 2]).

Abb. 1
figure 1

Anträge auf klinische Prüfungen in Deutschland (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte und Paul-Ehrlich-Institut) in den Jahren 2016 bis 2021 (Angaben pro Jahr, Stand Mai 2022) . Der prozentual stärkste Rückgang ist bei Phase-I-Studien zu beobachten [1]

Abb. 2
figure 2

Beispiel Pädiatrie: Während Registerforschung zunimmt, ist die hochrelevante Forschung zur Therapieoptimierung stark unter Druck. Basis war eine Umfrage der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie unter den Leiter:innen klinischer Studien in diesem Bereich [2]. TOS Therapieoptimierungsstudie

Andreas Chlistalla, Medizinischer Direktor Hämatologie/Onkologie bei F. Hoffmann-La Roche AG, konnte das nur unterstreichen. Global sei Deutschland als Studienstandort mittlerweile auf Rang 6 abgerutscht. Der Rückgang betreffe alle klinischen Studienphasen, am prozentual stärksten aber die Phase-I-Studien: „Das hängt damit zusammen, dass die Phase I regulatorisch die höchste Flexibilität erfordert. Phase-I-Studien werden deswegen primär in Australien, Spanien und den USA gemacht.“ Gründe für den Standortnachteil Deutschlands sind Chlistalla zufolge die fehlende Harmonisierung von Verträgen für klinische Studien sowie die hohen regulatorischen Herausforderungen bei Strahlenschutzrecht, Datenschutz und Ethikkommissionen. Negativ mache sich außerdem bemerkbar, dass die Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen stark verbesserungswürdig sei.

Grünwald sieht die Hauptursache für die Studienmisere in der enormen Bürokratie, ob durch komplexe Formulare und exzessive Dokumentation bei der Aufklärung, mühsam zu bedienende bzw. zu erlernende Online-Tools für das Reporting oder übermäßig penible Pharmakovigilanz. Dass viele das so sehen, zeigt eine Befragung von Mitgliedern der Arbeitsgemeinschaft Internistische Onkologie im Rahmen einer ESMO-Taskforce. Auf einer Skala von 0 bis 10 erhielten die Aussagen „Bürokratie ist exzessiv“, „Bürokratie kann reduziert werden“ und „Bürokratie ist eine Hürde für Innovation“ jeweils Mittelwerte um 8,6 und darüber.

„Wir müssen einfacher, besser und schneller werden“, so Grünwald, der zusammen mit Mitstreitern von der DKG zu diesem Thema kürzlich ein Positionspapier [3] veröffentlichte. Dort wird konkret benannt, was erreicht werden sollte. Demnach sollten die Aktivierungszeiten klinischer Studien in Deutschland reduziert, patient:innenzentrierte Aufklärungsprozesse etabliert und harmonisierte Ausführungsvorschriften der DSGVO forciert werden. Weitere vorgeschlagene Maßnahmen sind die Nutzung aggregierter Sicherheitsberichte statt Einzelbefundung in der Pharmakovigilanz, ein modulares, risikobasiertes Studienmanagement und die Etablierung eines „remote monitoring“.

Was sagen die Regulierungsbehörden?

Ob es wirklich besser wird mit der Bürokratie klinischer Studien in Europa oder nicht oder eher schlechter, ist im Moment ein heiß diskutiertes Thema, das beim DKK 2022 gleich in mehreren Sektion-C-Symposien präsent war. Hintergrund ist die schon im Jahr 2014 verabschiedete EU Clinical Trial Regulation (CTR) 536. Eine zentrale Komponente ist das Clinical Trials Information System (CTIS). Ziel von CTR und CTIS sei es, multinationale klinische Studien in Europa durch einerseits Transparenz und andererseits möglichst kompletten auf Verzicht auf Papier zu erleichtern, betonte PD Dr. Thomas Sudhop, Leiter Informationstechnik und Klinische Prüfung beim BfArM. Zwar bleibe es bei der nationalen Genehmigung von Studien. Bei multinationalen Studien erfolgt die Bewertung aber koordiniert in der Art, dass es bei Studienanträgen einen Teil gibt, der gemeinsam (digital) bewertet wird, und einen zweiten Teil, der den nationalen Genehmigungsprozessen Rechnung trägt. „Ziel dieses Verfahrens sind kurze Fristen, idealerweise soll die Studiengenehmigung innerhalb von 45 Tagen erteilt sein“, so Sudhop.

Die Inbetriebnahme des CTIS hatte sich wegen Problemen bei der Software um Jahre verzögert. Erst seit dem 1. Januar 2022 kann das System genutzt werden, und ab dem 30. Januar 2023 können Anträge auf klinische Studien nur noch nach dem neuen Verfahren eingereicht werden, wobei es danach nochmals eine zweijährige Übergangsfrist gibt, innerhalb derer bereits begonnene Studien noch nach altem Recht durchgeführt werden können. Eine Entlastung bringt das neue System bisher nicht: Die bisher neun Monate Erfahrung hätten gezeigt, dass es personellen und zeitlichen Mehraufwand gebe, so Sudhop: „Die Antragszahlen für Neuanträge sind deutlich unter den Erwartungen.“

Bei Prof. Dr. Wolfgang Berdel von der Hämatologie/Onkologie am Universitätsklinikum Münster, Mitglied im Vorstand es Arbeitskreises Medizinischer Ethikkommissionen, klingt das deutlich anders: „Die CTR 536 ist ein furchtbares bürokratisches Instrument. Ich bin gespannt, wie viele Ethikkommissionen da mitmachen werden.“ Die Ursache der Verbürokratisierung klinischer Studien in Europa sieht Berdel in Harmonisierungsbemühungen seit den 1990er Jahren, an denen stets nur Regulatoren und pharmazeutische Industrie, nicht aber die klinischen Forscher selbst beteiligt waren. Auch der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, Prof. Dr. Paul Cichutek, sieht das CTIS sehr kritisch: „Wir haben vor dem CTIS-Portal genauso viel Furcht wie Sie. Aber wir müssen es jetzt nehmen, wie es ist.“

AMNOG-Verfahren und innovative Onkologika

Veränderungen stehen auch in einem anderen Regulierungsbereich an, der beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) angesiedelten, frühen Nutzenbewertung (AMNOG-Verfahren). Hämatoonkologische Innovationen stellen für das AMNOG eine besondere Herausforderung dar, weil sich das Thema patient:innenrelevante Endpunkte komplex gestaltet und weil Patient:innenpopulationen, die anhand von Biomarkern stratifiziert werden, schnell recht klein werden können. Auch kommen bei personalisierten Antitumortherapien häufiger Studiendesigns zum Einsatz, mit denen das AMNOG-Verfahren bisher noch nicht konfrontiert war.

Dr. Uwe Vosgerau vom G‑BA verdeutlichte die Schwierigkeiten am Beispiel der tumoragnostisch zugelassenen Hemmstoffe der NTRK-Fusionsgenprodukte. Diese wurden auf Basis einarmiger Studien für sämtliche soliden Tumoren zugelassen, die das entsprechende Fusionsgen aufwiesen. Im AMNOG-Verfahren jedoch erhielten diese Medikamente trotz eindrucksvoller Daten nur die Bewertung „Zusatznutzen nicht belegt“, weil es für die einzelnen Entitäten keine Vergleichsgruppen gab.

Die seit dem Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelverordnung (GSAV) im Rahmen des AMNOG-Prozesses mögliche Beauftragung einer anwendungsbegleitenden Datenerhebung (AbDe) durch den G‑BA sei nicht geeignet, um fehlende Evidenz bei histologieunabhängigen Zulassungen zu generieren, betonte Vosgerau. Dieses Instrument ziele eher auf bedingt oder in Schnellverfahren zugelassene Arzneimittel sowie auf Orphan Drugs ab. Bei der AbDe macht der G‑BA Vorgaben für Dauer und Methodik der Registerstudie und er kann auch die Verordnungsbefugnis auf teilnehmende Leistungserbringer beschränken. Derzeit gebe es sieben Wirkstoffe, zu denen ein AbDe-Verfahren laufe, darunter drei in der Onkologie. Bürokratiearm ist auch dieses Werkzeug nicht: Erfahrungen zeigten, dass es relativ aufwendig sei, eine AbDe auf den Weg zu bringen, so Vosgerau. Idealerweise sollte die AbDe mit dem Markteintritt starten, doch das sei bisher noch in keinem Fall gelungen.

Kritik am GKV-Finanzstabilisierungsgesetz

In den letzten Jahren hat es zwischen G‑BA, pharmazeutischen Unternehmen und Krebsforschern intensive Dialoge gegeben, in denen über zweckmäßige Vergleichstherapien, Endpunkte und die Einbindung von Fachgesellschaften diskutiert wurde. Letztlich führten diese Dialoge dazu, den AMNOG-Prozess als „lernendes System“ zu etablieren und ihm Akzeptanz zu verschaffen. Eine der Besonderheiten der deutschen Zusatznutzenbewertung im Vergleich zu anderen Ländern war bisher, dass diese den Markteintritt innovativer Medikamente nicht verzögert: „Bis ein innovatives Medikament verfügbar ist, dauert es in Deutschland im Mittel 50 Tage“, sagte Holger Krönig, Medizinischer Direktor Onkologie bei Bristol-Myers Squibb. „Das ist sehr gut. In England sind es 297 und in Frankreich 474 Tage.“

Hier droht aktuell jedoch Ungemach durch das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG), das die Preisgestaltungsspielräume der Hersteller bei Medikamenten, die „nur“ einen geringen oder auch einen nichtquantifizierbaren Zusatznutzen erreichen, deutlich einengt. Außerdem gibt es qua GKV-FinStG einen pauschalen Preisabschlag von 20 % für innovative Kombinationstherapien sowie Kürzungen bei der Förderung von Orphan Drugs: „Das hebelt die bisherigen AMNOG-Prinzipien teilweise aus und insbesondere Schrittinnovationen werden behindert“, so Krönig.

Kritik an den AMNOG-Änderungen des GKV-FinStG kommt auch von Fachgesellschaften. Prof. Dr. Bernhard Wörmann von der Charité Berlin etwa nannte die Pläne „nicht hilfreich“. Er appellierte an Politik und Hersteller, dennoch konstruktiv zu bleiben, um das in Deutschland bisher Erreichte nicht zu gefährden: „Wir brauchen aussagekräftige Studien. Wir wollen einen frühen Zugang zu innovativen Medikamenten. Und dieser Zugang muss auch gerecht sein und darf nicht nur privat Versicherten offenstehen.“

Um die Qualität des deutschen Gesundheitswesens auch künftig hoch, kompetitiv und innovativ zu halten, sind in vielen Bereichen Verbesserungen erforderlich. Trotz der multiplen Hürden blicken die beiden Vorstände der Sektion C, Dr. Michael Hanske, Bristol-Myers Squibb GmbH, und PD Dr. Georg Isbary, Roche Pharma AG, zuversichtlich in die Zukunft. Gemeinsam müssen nun alle Akteure im Dialog und im Schulterschluss zusammenarbeiten, um die Versorgung der Krebspatient:innen weiterhin auf höchstem Niveau zu gewährleisten und dabei sicher, innovativ und letztendlich finanzierbar zu sein.