Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

von den knapp 450 Mio. Einwohnern der Europäischen Region wurden knapp 38 Mio. Menschen außerhalb der EU geboren, was 8,4 % der Gesamtbevölkerung entspricht [1]. Betrachtet man die Anzahl der Menschen, die einen Migrationshintergrund haben, die also selbst oder deren Eltern zugewandert sind, ist diese Zahl deutlich höher. In Deutschland liegt sie bei rund einem Viertel der Bevölkerung [2]. Zu den häufigen Gründen, den Ort des Lebensmittelpunkts zu wechseln, zählen neben beruflichen, familiären und Bildungsmotiven die Flucht vor angedrohter oder erlebter Verfolgung, Krieg und Gewalt oder die Auswirkungen des Klimawandels.

Zwischen Migration und Gesundheit besteht eine dynamische und komplexe Beziehung

Über Migration und Gesundheit wird häufig mit dem Fokus auf bestehende Probleme und Schwierigkeiten wie z. B. Unter- oder Fehlversorgung geschrieben, dabei besteht eine dynamische und komplexe Beziehung zwischen Migration und Gesundheit [3]. Der Akt der Migration beinhaltet das Eingehen von Risiken auf der Suche nach einem besseren Leben und den Glauben an die Zukunft. Migration kann dazu führen, dass Menschen sich größeren Gesundheitsrisiken aussetzen (müssen), z. B. durch Arbeit in prekären Beschäftigungsverhältnissen und begrenztem Zugang zu Gesundheitsversorgung. Migration kann aber auch mit einer Verbesserung der Gesundheit verbunden sein, wenn Menschen z. B. aus Kriegsgebieten in eine sichere Umgebung ziehen oder in ein Land, das eine fortschrittlichere gesundheitliche Versorgung bietet als das Herkunftsland.

Der World Migration Report [3] zeigt dabei wichtige Fakten zum Thema Migration und Gesundheit auf: Migrantinnen und Migranten sind durch Selbstselektion tendenziell gesünder als diejenigen, die zurückbleiben, und weisen eine im Vergleich zur Mehrheitsbevölkerung des Ziellandes geringere Sterblichkeit auf, was auch als „healthy migrant effect“ bezeichnet wird. Allerdings können sich nicht nur die Bedingungen der Migration selbst, z. B. Flucht, Transit und Probleme bei der Ankunft, negativ auf die Gesundheit auswirken, sondern ein guter Gesundheitsstatus kann sich durch schlechte Lebens- und Arbeitsbedingungen nach der Migration verschlechtern.

Viele Menschen mit Migrationshintergrund haben Schwierigkeiten, Zugang zur Gesundheitsversorgung zu erhalten, oder nehmen diese nicht ausreichend oder rechtzeitig in Anspruch. Rechtliche Hindernisse, sprachliche Barrieren, unzureichendes Wissen, aber auch Rassismus erschweren oder verhindern die Inanspruchnahme.

Auf der anderen Seite sind viele Gesundheitsdienstleister bei der medizinischen Versorgung von Menschen mit Migrationshintergrund mit unterschiedlichen Herausforderungen konfrontiert. Dazu gehören u. a. Ressourcenknappheit in den Gesundheitssystemen für die Erbringung von Dienstleistungen, Widersprüche zwischen Berufsnormen/Berufsethik und der nationalen Gesetzgebung sowie sprachliche und/oder kulturelle Barrieren.

Migrantinnen und Migranten sind keine homogene Gruppe, ebenso wenig wie ihre gesundheitsbezogenen Bedürfnisse, gesundheitlichen Vulnerabilitäten und Resilienzfaktoren. Dabei ist das Verständnis von gesundheitlicher Vulnerabilität und Resilienz von zentraler Bedeutung im Rahmen der Forschung zu Migration und Gesundheit. Erstere ist zwar häufig mit einem niedrigen sozioökonomischen Status korreliert, kann aber auch entstehen, wenn Menschen isoliert und schutzlos Risiken oder Stress ausgesetzt sind, u. a. während und nach der Migration. Resilienz, d. h. die gesundheitliche Widerstandsfähigkeit, hingegen resultiert daraus, dass der Einzelne Zugang zu den Ressourcen hat, die er benötigt, um mit Gesundheitsrisiken fertig zu werden oder deren Auswirkungen zu widerstehen. Solche Ressourcen können physischer oder materieller Natur sein, aber auch in den Fähigkeiten oder Eigenschaften der Menschen und ihren sozialen Netzwerken liegen [3].

Ich wünsche Ihnen Nachdenklichkeit und neue Erkenntnisse beim Lesen der interessanten und anregenden Beiträge dieses Hefts zum Thema „Ethnisch-kulturelle Vielfalt in der Onkologie“.

Ihre

Anja Mehnert-Theuerkauf