Einen Monat nach dem letzten Deutschen Krebskongress im April 2020 war Deutschland das erste Mal im Lockdown, damals wegen seiner Geschwindigkeit noch Shutdown genannt. Das SARS-CoV‑2 („severe acute respiratory syndrome coronavirus type 2“) breitete sich in einer bis dahin seit der Spanischen Grippe nicht mehr gekannten Geschwindigkeit über Deutschland aus und traf auf eine entsprechend nicht vorbereitete Medizin.

In der Arbeitsgemeinschaft Prävention und Integrative Onkologie (AG PRiO) der Deutschen Krebsgesellschaft, speziell im Arbeitskreis „Spiritualität“, fragten wir uns, was diese Epidemie mit uns als onkologisch Tätigen und unseren Patienten macht. Unter dem Eindruck einer schwierigen Kommunikationsstrategie begleiten wir die Pandemie seitdem mit einem Fragebogen, der unverändert in der 1., 2. und 4. Welle zum Einsatz kam und von Patienten, Pflegenden, Ärzten und psychoonkologisch Tätigen verteilt wurde. Neben dieser Basisbefragung [1, 2] wurden weitere Projekte gestartet, die speziell zu Auswirkungen der Pandemie auf die Bewegung von Tumorerkrankungen und neuen Formen des Copings unter dem Eindruck der Pandemie Auskunft geben sollten.

Basisbefragungen

Methode

Über die Verteiler der AG PRiO und das Haus der Krebsselbsthilfe riefen wir zur Teilnahme an einer Umfrage auf der Plattform SosciSurvey (SoSci Survey GmbH, München, Deutschland) auf. Die getrennten Fragebögen (Patienten, Ärzte, Pflege, Psychoonkologie) enthielt 14 bis18 Items. Die Interviewplattform war jeweils 5 Wochen im April/Mai 2020, November/Dezember 2020 und November/Dezember 2021 offen.

Teilnehmer

An den 3 Befragungen nahmen knapp 1000 Patienten teil, das Interesse war gleichbleibend, vermutlich ein Effekt unserer Zusammenarbeit mit der Selbsthilfe. Knapp 900 professionelle Helfer beantworteten im selben Zeitraum ihre Fragen. Die Anzahl der Teilnehmer aus der Pflege nahm dabei von Welle zu Welle zu. Aus diesem Bereich zeigte sich eine zunehmende Betroffenheit unserer Kollegen. Das Interesse unserer ärztlichen Kollegen an der Studienteilnahme nahm hingegen ab, dies gilt ebenso für die Antwortenden aus Seelsorge und Psychoonkologie. Die zurückgehende Teilnehmerzahl korreliert mit einer schleichenden Frustration und Überlastung in den drei Berufsgruppen über die vergangenen 2 Jahre.

Kernbeobachtungen

Unsere Patienten haben relativ schnell ein Gespür für die seelischen, organisatorischen und körperlichen Folgen, die die Pandemie auch für die anderen Bereiche des Gesundheitswesens mit sich bringt. Die Antworten zu den einzelnen Items blieben zwischen Welle 1 und Welle 4 stabil. Zentrale Themen der Patienten waren ihre Isolation (Besuchsverbote), ihre seelische Verfassung sowie Auswirkungen auf ihre Behandlungen inkl. Überlegungen zu Therapieabbrüchen und -verzögerungen.

Die Helfer berichteten von einem erhöhten Bedarf an Organisation, um Lücken in Diagnostik und Therapie sowie Wartezeiten für Patienten zu vermeiden. Andererseits stieg der Bedarf an Zuwendung und Gespräch enorm; er konnte nur in Grenzen befriedigt werden. Hinzu kamen Ängste um die eigene seelische und körperliche Gesundheit bis zur Angst vor der Infektion. Mit den Wellen ließen die existenziellen/finanziellen Sorgen der Helfer nach, da die Politik zumindest vorübergehend Entlastungen bzw. Sicherheiten geschaffen zu haben schien. Psychologen, Seelsorger und Sozialarbeiter fühlten sich in den Wellen an den Rand des Betreuungssystems geschoben. Sie sahen die Nöte, wurden durch organisatorische Maßnahmen behindert und das zentrale Thema ihrer Gespräche war „Isolation“.

Ärzte, Pflegende, aber auch Seelsorger und Psychologen hielten sich selbst lang für kompensiert und beschrieben das eigene Agieren als normal und professionell. Patienten nahmen dies am Anfang genauso wahr. Erst im Verlauf der Pandemie bemerkten sie die Angespanntheit der Situation und ihrer Helfer. Blickten hingegen Psychologen auf das System bzw. jeweilige onkologische Teams, beschrieben sie bereits in der 1. Welle einen dramatischen Ausnahmezustand aller beteiligten Helfer. Die Pandemie hat bereits im April 2020 zu einer Ausnahmesituation im System fernab der Covidpatienten geführt. Seitdem hat sich die Situation nicht verbessert. In Abb. 1 und 2 wird dieses unterschiedliche Belastungsempfinden anhand von „heatmaps“ verdeutlicht. Je mehr Rot in einem Feld auftaucht, desto häufiger ist die Konstellation gegeben. Mithilfe von Temperaturangaben werden die Zustände „cool“, „normal“, „erhitzt“ und „verbrannt“ simuliert. Während die Patienten „erhitzte“ oder „ausgebrannte“ Helfer erst in Welle 4 wirklich wahrnahmen, berichtete das Personal bereits in Welle 2 nach 6 Monaten Pandemie in der Mehrheit darüber. Solange Psychologen über andere reflektierten, bescheinigten sie allerdings bereits in der Welle 1 den professionellen Helfern den seelischen Ausnahmezustand (Abb. 3). Allerdings funktionierte auch bei den Seelsorgern und Psychologen die Selbsteinschätzung in Welle 1 kaum.

Abb. 1
figure 1

Belastung des medizinischen Personals. „Heatmap“ zur Selbsteinschätzung

Abb. 2
figure 2

Belastung des medizinischen Personals. „Heatmap“ zur Fremdeinschätzung durch Patienten

Abb. 3
figure 3

Belastung der Helfer. „Heatmap“ zur Fremdeinschätzung durch Psychologen

Während der 4. Welle fragten wir zusätzlich zu unseren Items mit dem WHO-5-Fragebogen die subjektive Lebenszufriedenheit unserer Patienten und Helfer ab. Bei einem Median von 12 und einem Mittelwert von 12,4 ist davon auszugehen, dass etwa 50 % der Patienten zu depressiven Stimmungen neigten. Noch beängstigender sind die Ergebnisse unter den Helfern. Der Median beträgt hier 11, der Mittelwert 11,5. Im Vergleich stehen 51 % depressive Tumorpatienten 56 % depressiven professionellen Helfern gegenüber.

Interviews

Von März bis Juli 2021, also zwischen der 2. und 3. Welle, wurden zusätzlich halbstrukturierte Interviews mit dem Schwerpunkt auf psychosozialen Folgen der Pandemie für onkologische Patienten durchgeführt. Auch in dieser Untersuchung wurden fächerübergreifend jeweils 3 bis 5 Vertreter aus Medizin, Psychologie, Pflege und sozialer Arbeit sowie die Patienten selbst befragt. Den Ergebnissen der Basisbefragungen entsprechend berichteten die Patienten von einer großen Belastung durch die Kontaktbeschränkung und die Angst vor einer COVID-19-Infektion. Zu dieser Zeit neu aufkommende Hoffnung entstand durch die Möglichkeit der Impfung. Andere psychosoziale Themen, wie die Freizeitgestaltung oder die Rolle digitaler Medien, wurden heterogen beurteilt. Viele Bewegungsmöglichkeiten seien weggefallen, auf der anderen Seite könnten Aktivitäten im häuslichen Bereich auch die Lebensqualität aufrechterhalten. Einige Selbsthilfegruppen konnten dank fortschreitender Digitalisierung weiterhin stattfinden, bei anderen sei diese Form auf Angst und Ablehnung der Mitglieder gestoßen. Die Maskenpflicht in der Kommunikation mit Helfern wurde von den Patienten nicht als Belastung wahrgenommen.

Der Blick der Helfenden auf die psychosozialen Auswirkungen der Pandemie auf die Patienten ergab weitere aufschlussreiche Erkenntnisse. Alle vier Fachgruppen berichteten von großem Leid durch das Besuchsverbot und daraus wachsende Einsamkeit und Verzweiflung sowie dem Verlust von Unterstützung. Auch hier wurde deutlich, dass die Restriktion mit steigenden Anforderungen an die Helfenden einhergeht. Die Nutzung digitaler Medien sei in Bezug auf die Kompensation fehlender Kontakte besonders für jüngere Menschen sehr hilfreich. Allerdings gab es auch Berichte von mangelnder WLAN-Verfügbarkeit in den Kliniken und Schwierigkeiten mit dem Medium v. a. bei älteren und in dörflicheren Gegenden lebenden Menschen. Bezüglich der Angst vor Ansteckung berichteten die Ärzte, dass diese nicht dazu führte, dass Patienten seltener in die Kliniken kamen. Erstdiagnosen seien jedoch weniger geworden und Rehabilitation werde ebenfalls weniger in Anspruch genommen. Von psychologischer Seite aus wurde als Konsequenz Rückzug und z. T. Ablehnung von Hilfe im häuslichen Bereich genannt. Auch die Sozialarbeiter erzählten, dass Haushaltshilfen sowie Pflegedienste oft nicht mehr in die Wohnung gelassen wurden. Sie berichteten zusätzlich, dass es v. a. für Patienten mit Kindern oft sehr schwer sei, eine gewisse Normalität beizubehalten. Das Thema Impfung habe laut Ärzten zu neuen Fragen geführt und teilweise die Sorge mit sich gebracht, nicht früh genug an der Reihe zu sein, um sich schützen zu können. Konsequenzen der eingeschränkten Freizeitangebote, so die Psychologen, seien, dass es kaum Möglichkeit zur Ablenkung oder zum Sich-etwas-Gutes-Tun gab. Finanzielle Schwierigkeiten scheinen im Zuge der Coronapandemie nicht zugenommen zu haben. Auch wenn Sorgen um die eigene Arbeitsstelle und den Widereinstieg in den Beruf eine Rolle spielen, waren finanzielle Aspekte in Hinblick auf Rehabilitation kein größeres Thema als vor der 1. Welle. Die Maskenpflicht wurde von den Psychologen am negativsten wahrgenommen. Stimmungen seien schwerer einzuschätzen und Empathie sei schlechter zu vermitteln. Die Ärzte meinten zwar, es würde im Kontakt die Mimik fehlen, dies sei aber vielmehr ein Punkt, an den man sich gewöhnen müsse. Die Pflegekräfte stimmten mit dieser Meinung überein. Allerdings müsse man dadurch stärker darauf achten, dass Patienten während der Therapie genug essen und trinken, und im Nebenwirkungsmanagement daran denken, auch unter die Maske zu schauen. Alles in allem sei die Maskenpflicht über die verschiedenen Wellen hinweg zu einer bekannten Maßnahme geworden und bedeute v. a. für die Patienten Schutz vor Infektion, fassten auch die Sozialarbeitenden zusammen, wodurch sich der Kreis zum Urteil der Patienten schließt.

Folgeprojekte

Büssing et al. [4, 5] wiesen in weiterführenden Interviews mit über 400 Patienten eine Hinwendung und erhöhte Sensibilität der Betroffenen zu Natur und Umwelt als mentale Copingstrategie nach, die bereits aber zu Beginn der 2. Welle an Intensität abgenommen hatte. Insbesondere im Rahmen des 1. Lockdowns war diese mentale Entwicklung (Naturverbundenheit) mit einem höheren Maß an Bewegung verbunden, sodass man von einer passageren Erhöhung der Eigenaktivität bei unseren Patienten im Frühjahr 2020 ausgehen konnte.

Schmidt et al. [7] beobachteten jedoch bereits während der 2. Coronawelle bei 100 Tumorpatienten ein Nachlassen der gewohnten sportlichen Betätigungen und der körperlichen Aktivität allgemein. Dies trifft zusammen mit dem Einbrechen der Organisationen der Selbsthilfe zumindest in der persönlichen Begegnung aufgrund der wiederholten Lockdowns. Soziale Begegnungen wurden und sind reduziert, die Gemeinschaft bietet weniger Halt.

Virtuelle Projekte konnten in den vergangenen Monaten auch vonseiten der AG PRiO entwickelt werden, um bei diesen Problemen gegenzusteuern. So wurden in Zusammenarbeit mit der Selbsthilfe und Unterstützung durch gesetzliche Krankenkassen 2 Angebote zur Patientenedukation geschaffen: 2020/2021 wurden gemeinsam mit dem Landesverband der Kehlkopfoperierten Thüringen 35 Onlineseminare zu patientenorientierten Fragen durchgeführt. Seit Frühjahr 2020 wurde mit dem Hautkrebsnetzwerk Deutschland eine 14-tägige Webinar-Reihe für jeweils 30 bis 40 Betroffene etabliert, die zu Themen wie Nutzung der Komplementär- und Alternativmedizin sowie Arzt-Patient-Kommunikation aufklärt und zum Dialog mit Gleichgesinnten einlädt.

Aber auch Ideen zu virtuellem Training für Patienten wurden entwickelt und gehören zum Angebot des Jahres 2022. Beispielsweise wurde Tanzen von der Grundlage bis zur sportiven Einheit als Onlineseminar eingeführt und wissenschaftlich begleitet [6].

Schlussfolgerungen

Ergebnisse der Befragungsserien

  • Patienten zeigten am Anfang eine hohe Angst vor seelischen und körperlichen Folgen, die sich im Alltag (Verlauf) der Pandemie etwas verliert. Eigene Aktivitäten im Sinne von Coping werden ebenfalls weniger.

  • Patienten verloren in der Pandemie teilweise ihren Glauben als Halt [3]. Sie benötigen andere Facetten spirituellen Supports, um ihre mentale Kraft zu erhalten. „Spiritual care“ gewinnt zur Erschließung dieser Ressourcen an Bedeutung.

  • Das System der onkologischen Versorgung stabilisierte sich nur scheinbar im Laufe der Pandemie, d. h. es passt sich den neuen Anforderungen an, ein neuer Alltag stellt sich ein. Wartezeiten, Besuchsverbote und deren Akzeptanz regeln sich neu. Ein neues onkologisches Versorgungssystem scheint zu entstehen. Man kann dies Coping aufgrund der Organisation nennen.

  • Die professionellen Helfer waren von Welle zu Welle mehr erhitzt und ausgebrannt. Ihre Sensibilität zu Fragen der Belastung sowie ihre Bereitschaft zum Berichten nahmen ab. Die persönlichen Coping-Möglichkeiten der Helfer schränkten sich ein.

  • Seelsorger und psychoonkologische Begleiter waren in den Wellen zunehmend frustriert. Hier funktionierte auch das Organisations-Coping nicht mehr.

Konsequenzen

  • Die Helfer brennen aus und verlassen das System. Dies muss verhindert werden, um den bestehenden Circulus vitiosus zu durchbrechen.

  • Wir müssen unsere Helfer stützen, die nur über eine unzureichende Kultur der Selbstreflexion verfügen. Supervision muss zum Standardinstrumentarium der Onkologie gerade in Krisenzeiten gehören. Andere Entlastungsstrategien sind von den politischen Entscheidungsträgern einzufordern.

  • Wir müssen unsere Patienten aktivieren. Bewegung, Ernährung, mentale Gesundheit müssen zu zentralen Themen der Arzt-Patient-Kommunikation werden. Die Arbeit der Selbsthilfe muss gestärkt werden.

  • Seelsorge und Psychoonkologie müssen in Zukunft als wesentlicher Bestandteil der onkologischen Versorgung wahrgenommen werden. Sie stellen kein Anhängsel dar, sondern sind für die Compliance des Patienten und dessen Lebenszufriedenheit grundlegend. Dies setzt eine andere Wertigkeit im System voraus, als sie bisher gegeben ist.