1 Einführung

Trotz der Bedeutung von Versicherungen für das individuelle Risikomanagement sind die Abschlussquoten der deutschen Bevölkerung bei einigen Versicherungsprodukten, wie der Berufsunfähigkeitsversicherung, der privaten Unfallversicherung, der Rechtsschutzversicherung und privaten Rentenversicherungen sehr gering im Vergleich zu den Abschlussquoten einer Hausratversicherung oder der Kfz-Voll- und Teilkaskoversicherung (vgl. VuMA 2020, S. 67; vgl. Statistisches Bundesamt 2018, S. 33). Dies zeigt, dass Versicherer das Abschlussentscheidungsverhalten der Versicherungsnachfrager besser verstehen sollten, um zielgerichtetes Marketing für ihre Produkte zu betreiben und so die Versicherungsdurchdringung dieser Versicherungen zu erhöhen. Hierfür müssen individuelle Differenzen sowie die Heterogenität der Versicherungsnachfrager untersucht werden (vgl. Häusler et al. 2019, S. 1). Auch als politisches Instrument zur Prävention und Reduktion von Risiken in der Bevölkerung sind Informationen bezüglich des Risikoverhaltens und Einflussfaktoren auf den Abschluss von Versicherungen nützlich (vgl. Martin-Fernandez et al. 2018, S. 127). Zahlreiche überwiegend demografische Einflussvariablen auf die Abschlussentscheidung von Versicherungsprodukten wurden schon identifiziert, wie das Alter oder das Einkommen (vgl. Durkin und Elliehausen 2018, S. 18; vgl. Sidhardha und Sumanth 2017, S. 5). Der Einfluss der Persönlichkeit auf die Risikowahrnehmung in Bezug auf den Abschluss einer Versicherung wurde jedoch noch nicht ausreichend untersucht. Zum aktuellen Zeitpunkt liegt lediglich eine Studie von Häusler et al. vor, die den Zusammenhang zwischen Persönlichkeitseigenschaften und dem Abschluss von Versicherungen betrachtet (vgl. Häusler et al. 2019, S. 15).

Wird der Abschluss einer Versicherung durch die Persönlichkeit beeinflusst? Und spielen die einzelnen Stufen des individuellen Risikomanagementprozesses dabei eine Rolle? Mit diesen beiden Fragen beschäftigt sich die folgende Untersuchung, indem sie die Zusammenhänge zwischen Persönlichkeitseigenschaften und dem Abschluss von Versicherungen sowie dem Risikobewusstsein, der Risikoeinstellung und der Risikowahrnehmung als potenzielle weitere Determinanten des Abschlusses einer Versicherung untersucht.

Ziel dieser Arbeit ist es, relevante Determinanten der Abschlussentscheidung einer Versicherung unter Betrachtung von Persönlichkeitseigenschaften und dem individuellen Risikomanagement zu identifizieren und deren Zusammenhang zu untersuchen. Darauf aufbauend sollen Handlungsempfehlungen für Unternehmen abgeleitet werden, um das Marketing sowie den Vertrieb zielgerichtet zu steuern und auf die Einflussfaktoren abzustimmen. Der Beitrag trägt zur Schließung einer Forschungslücke bei, da Persönlichkeitsfaktoren sowie der Prozess des individuellen Risikomanagements als Determinanten des Versicherungsabschlusses in der Forschung bisher vernachlässigt wurden (vgl. Häusler et al. 2019, S. 1 f.).

2 Individuelles Risikomanagement

2.1 Definition und Abgrenzung

Um Risikomanagement zu definieren, muss zunächst Risiko als dessen Ausgangspunkt definiert werden (vgl. Gahin 1967, S. 123). Risiko wird nach herkömmlicher Meinung in zahlreichen Bereichen als Möglichkeit eines schlechten Ereignisses angesehen (vgl. Fishburn 1984, S. 396) oder als „the chance of injury, damage or loss“ (Slovic 1999, S. 690).

Trotz der Omnipräsenz und der Relevanz des Begriffs Risiko, herrscht über dessen genaue Definition kein Konsens (vgl. Brachinger und Weber. 1997, S. 236). Risiko wird zum einen definiert als:

The variation in possible outcomes of an event that is subject to chance. The greater the variation, the more risky the event is (Charupat et al. 2012, S. 136).

Zum anderen beschreibt der Begriff Risiko, wie riskant eine Alternative ist, und lässt sich durch die Einschätzung oder Wahrnehmung des Risikos quantifizieren. Risiko wird hierbei als negative Eigenschaft, die eine Alternative einer Entscheidung charakterisiert, betrachtet und stellt die Möglichkeit einer Verletzung oder eines Verlustes, die mit einer bestimmten Handlung einhergeht, dar (vgl. Brachinger und Weber 1997, S. 235). Risiko wird in Bezug auf das Management reiner Risiken als „maximum potential loss“ definiert (Gahin 1967, S. 125). Jede in der Literatur verwendete Definition von Risiko führt zu einer charakteristischen Herangehensweise an das Risikomanagement (vgl. Gahin 1967, S. 123). Dieser Untersuchung soll folgende allgemeine Definition zugrunde gelegt werden, die den Charakter versicherbarer Risiken in Bezug auf Individuen am besten beschreibt: Die Möglichkeit eines negativen Ereignisses, das bei seinem Eintreten zu Vermögensverlust führt. Ziel aller Entscheidungsträger sollte es deshalb sein, Risiken zu minimieren (vgl. Davies 2006, S. 186).

Anhand der zuvor festgelegten Definition des Begriffs „Risiko“ kann im Folgenden der Begriff „Risikomanagement“ definiert werden. Risikomanagement wird allgemein definiert als strukturierter Prozess des Managements von Unsicherheit durch Risikoabschätzung (vgl. Wang und Hsu 2009, S. 610).

Dem individuellen Risikomanagement als fundamentalen Aspekt der individuellen Finanzplanung wurde im Gegensatz zur Vermögensverwaltung, für welche die moderne Portfolio-Theorie entwickelt wurde, wenig Aufmerksamkeit in der Forschung sowie Literatur zuteil. Für den Begriff „individuelles Risikomanagement“ besteht in der Literatur noch kein Konzept, er beinhaltet meist nur die Identifikation der Risikoexposition sowie mögliche Produkte zur Risikoelimination (vgl. Finke et al. 2010, S. 1). In dieser Arbeit wird aus diesem Grund auf das Konzept des Risikomanagements in Unternehmen zurückgegriffen, da dieses als Vorbild für das individuelle Risikomanagement angenommen werden kann: „All economic actors have to deal with risk and uncertainty.“ (vgl. Sarasvathy et al. 1998, S. 217). Unternehmen und Privatpersonen sind mit ähnlichen Risiken, wie Eigentumsverlusten oder -schäden, Rechtsstreitigkeiten und Haftungsverpflichtungen, konfrontiert. In zahlreichen empirischen Studien konnte außerdem nur ein minimaler Unterschied zwischen der Risikoeinschätzung von Experten und der Allgemeinheit sowie keine zutreffendere Risikobewertung durch Experten als durch Laien ermittelt werden (vgl. Rowe und Wright 2001, S. 341). Der Einfluss von Heuristiken auf die Risikowahrnehmung von Laien trifft auch auf die Risikowahrnehmung von Experten zu (vgl. Slovic 1999, S. 696 f.; vgl. Slovic et al. 2004, S. 315 f.). Ein Unterschied zwischen dem Risikomanagement von Unternehmen und von Privatpersonen stellt die Risikobereitschaft dar. Unternehmen sind aufgrund ihres Profit-Charakters bereit, Risiken mit positivem Erwartungswert einzugehen, wohingegen Privatpersonen bereit sind, eine höhere Prämie zu zahlen, um Risiken zu mindern (vgl. Finke et al. 2010, S. 1 f.).

2.2 Der individuelle Risikomanagementprozess

2.2.1 Risikoidentifikation

Der Risikomanagementprozess schafft eine systematische Struktur der mehrstufigen Risikoanalyse zur Abschätzung der Auftretenswahrscheinlichkeit und der Konsequenzen eines bestimmten Risikoereignisses und wird in die Risikoidentifikation, die Risikobewertung und die Risikosteuerung unterteilt (vgl. Tummala und Burchett 1999, S. 223). Risikoanalysen modellieren in der Regel die Auswirkungen eines unglücklichen Ereignisses, wie eines Unfalls, bezogen auf den direkten Schaden der Opfer, wie Todesfälle, Verletzungen und monetäre Verluste (vgl. Slovic 2000, S. 283). Zur konkreteren Darstellung des Prozesses der Risikoanalyse wird in dieser Arbeit analog dem Risikomanagementprozess in Unternehmen (vgl. Kobi 2012, S. 13 f.; vgl. Zech 2002, S. 40 f.) die Risikoanalyse in die Risikoidentifikation und die Risikobewertung unterteilt. Die Risikoanalyse und -bewertung nach ISO 31000:2018 (vgl. ISO 31000:2018, 2018, S. 12) wird unter Risikobewertung zusammengefasst, da beide Schritte die Wahrscheinlichkeiten und Auswirkungen des Risikos betrachten (vgl. Romeike 2018, S. 36 f.). Daraus ergibt sich ein vierstufiger Prozess, welcher für das Risikomanagement von Unternehmen angewendet wird und die Risikoidentifikation, Risikobewertung und Risikosteuerung beinhaltet (vgl. Zech 2002, S. 40 f.). Auf den letzten Schritt des Risikomanagementprozesses von Unternehmen, die Risikoüberwachung (vgl. Romeike 2018, S. 37; vgl. Kobi 2012, S. 13), wird in dieser Arbeit nicht eingegangen, da diese zeitlich nach der Risikosteuerung erfolgt, somit keinen Einfluss auf den initialen Abschluss einer Versicherung hat und aus diesem Grund für den Untersuchungsgegenstand irrelevant ist. Der idealtypische Risikomanagement-Regelkreis gemäß ISO 31000:2018, dem internationalen Risikomanagement Standard, wird in Abb. 1 dargestellt.

Abb. 1
figure 1

Der Risikomanagement-Regelkreis nach ISO 31000:2018. (Quelle: ISO/TC 262, 2018, S. 2)

Der erste Schritt des Risikomanagementprozesses, die Risikoidentifikation, dient der systematischen und umfangreichen Erfassung von Risiken. Erfasst wird der Ist-Zustand, die Entwicklung verschiedener Risikoquellen und Ereignissen im Zeitverlauf (vgl. Romeike 2018, S. 36; Kobi 2012, S. 13). Vor allem Risiken durch externe Einflüsse sollten identifiziert werden (vgl. Zech 2002, S. 40). Das Bewusstwerden über Gefahren und deren Schadenpotential stellt auch die erste Phase der Entscheidung über den Versicherungsabschluss nach Hogarth und Kunreuther sowie Slovic et al. dar (vgl. Hogarth und Kunreuther 1989, S. 30; vgl. Slovic et al. 1977, S. 256).

Bedeutend für die Identifikation von Risiken ist das Bewusstsein über die Existenz dieser Risiken. Das Risikobewusstsein kann als Voraussetzung zur Bereitschaft der Risikominimierung angesehen werden (vgl. de Smidt und Botzen 2018, S. 245). Im psychologischen Sinn wird das Bewusstsein als Zustand des Erkennens von Ereignissen durch das Gewahr werden der äußeren und inneren Umwelt definiert (vgl. Zimbardo und Gerrig 2004, S. 205). Risikobewusstsein kann demnach als Erkennen des Risikos und dessen Gefahrenpotential definiert werden (vgl. Gerhold 2012, S. 343). Das allgemeine Konstrukt des Risikobewusstseins sowie dessen Prädiktoren wurden jedoch noch nicht ausführlich untersucht (vgl. Gray-Scholz et al. 2019, S. 2544). Nur in Bezug auf spezifische Risiken liegen empirische Untersuchungen bezüglich des Risikobewusstseins vor (Überflutung: vgl. Gray-Scholz et al. 2019, S. 2543; Wang et al. 2012, S. 1717; Krebserkrankung: Thapa et al. 2017, S. 827). Für das Risiko von Überflutungen besteht trotz starkem Gefahrenpotential in gefährdeten Gebieten nur ein geringes Risikobewusstsein (vgl. Henstra et al. 2019, S. 6 f.; vgl. Scolobig et al. 2012, S. 499). Zudem wird die Wahrscheinlichkeit sowie das Schadenausmaß von Überflutungen unterschätzt (vgl. Botzen et al. 2009, S. 2273 f.). Ein Großteil der Literatur stellt fest, dass ein mangelndes Verständnis und ein allgemein geringes Bewusstsein für die Ursachen der Mehrfachrisikoexposition bestehen. Die inhärente „Vermischung“ von naturbedingten und von Menschen verursachten Katastrophen wird von Individuen oft vernachlässigt, indem sie diese eher isoliert als ganzheitlich betrachten, was zu einem geringen Risikobewusstsein führt (vgl. Wachinger 2013, S. 1062). Auch von der Regierung implementierte Kontrollmaßnahmen zur Eindämmung von Naturkatastrophen sowie das Vertrauen in diese senken das individuelle Risikobewusstsein von Überflutungen (vgl. Gray-Scholz et al. 2019, S. 2544 f.). Das generelle Vertrauen in die Regierung wirkt sich auch negativ auf das Risikobewusstsein bezüglich Überflutungen aus (vgl. Scolobig et al. 2012, S. 509). Durch Erfahrungen mit oder dem Erlebnis von bestimmten Gefahren oder Risiken, wie Cyberangriffen, Dürren, Überschwemmungen oder Gewitterregen steigt das Risikobewusstsein für die erlebten Gefahren (vgl. De Smidt und Botzen 2018, S. 252; vgl. Wang et al. 2012, S. 1721 f.). Zusätzliche Informationen zu Risiken sowie eine Verbesserung des Wissensstandes bezüglich des Risikos erhöhen das Risikobewusstsein (vgl. Slark und Sharma 2013, S. 3; Scolobig et al. 2012, S. 509 f.; Thapa et al. 2017, S. 834). Auch Gespräche mit anderen Personen über ein bestimmtes Risiko erhöhen das individuelle Risikobewusstsein, was durch eine höhere Salienz des Themas erklärt werden kann (vgl. de Smidt und Botzen 2018, S. 252).

2.2.2 Risikobewertung

Die Risikobewertung dient der Analyse der einzelnen Risiken sowie der Quantifizierung und Aggregation der Risiken. Die Bewertung jedes Risikos erfolgt anhand der Eintrittswahrscheinlichkeit und des Ausmaßes des potenziellen Schadens (vgl. Zech 2002, S. 40). Durch die Risikobewertung soll ein detaillierteres Verständnis des jeweiligen Risikos und dessen Verlustpotential generiert werden (vgl. Romeike 2018, S. 36). Unter der individuellen Risikobewertung sind zwei Konzepte einzuordnen: die Risikoeinstellung sowie das wahrgenommene RisikoFootnote 1, das durch die subjektiv wahrgenommene Wahrscheinlichkeit des Risikos und die wahrgenommene Auswirkung des Risikoeintritts beeinflusst wird (vgl. Slovic 1987, S. 281).

Individuen haben unterschiedliche Einstellungen zu Risiken (vgl. Charupat et al. 2012, S. 137). Die Risikoeinstellung wird in der ökonomischen Theorie als zeitstabile Größe angesehen (vgl. Krahnen et al. 1997, S. 2 f.) und wie folgt definiert:

Risk attitudes are people’s intentions to evaluate a risk situation in a favorable or unfavorable way and to act accordingly. The underlying traits are risk propensity and risk aversion (Rohrmann 2008, S. 1).

Die Risikoeinstellung kann als eindimensionales Konzept der Einstellung bezüglich Risiken mit zwei Polen, der Risikoaversion und der Risikoaffinität, verstanden werden. Es wird weithin angenommen, dass sich Individuen in ihrer Einstellung zu Risiken, die von der Aversion gegenüber Risiken über die Risikoneutralität bis hin zur Risikoaffinität reicht, erheblich unterscheiden (vgl. Yates und Stone 1992, S. 22 f.). Dass die Risikoeinstellung eine allgemeine Eigenschaft ist, wurde nicht allgemeingültig festgestellt, stattdessen zeigen empirische Untersuchungen, dass Individuen domänenspezifische Einstellungen zu physischen, finanziellen und sozialen Risiken sowie zu reinen und spekulativen Risiken haben, die bezüglich der unterschiedlichen Risikoarten heterogen sind (vgl. Halek und Eisenhauer 2001, S. 22; vgl. Williams 1966, S. 583 f.). Die Risikoeinstellung wird durch folgende Beweggründe des Risikoverhaltens beeinflusst: Abenteuersuche, Selbstwertsteigerung, Prestigesuche, sozialer Druck, finanzieller Gewinn, Zeit- und Geldmangel sowie die Risikounterschätzung (vgl. Rohrmann 2008, S. 5).

Die Risikoeinstellung besitzt einen starken Einfluss auf das Risikoverhalten (vgl. Martin-Fernandez et al. 2018, S. 132). So steigt zum Beispiel der Abschluss einer Versicherung sowie die Zahlungsbereitschaft für diese mit einer höheren Risikoaversion (vgl. Williams 1966, S. 585; vgl. Lyu und Barré 2017, S. 76 f.). Zudem beeinflusst die Risikoeinstellung auch andere Bereiche des Risikoverhaltens, zum Beispiel die berufliche Selbstständigkeit: Risikoaffine Personen sind eher selbstständig als risikoaverse Personen (vgl. Skriabikova et al. 2014, S. 180).

Empirische Studien bekräftigen zudem einen Zusammenhang zwischen der Risikotoleranz und dem Risikoverhalten in Bezug auf Finanzentscheidungen (vgl. Bailey und Kinerson 2006, S. 26; vgl. Jacobs-Lawson und Hershey 2005, S. 339; vgl. Hemrajani und Sharma 2018, S. 39). Risikotoleranz wird definiert als „the willingness to engage in behaviors in which outcomes remain uncertain with the possibility of an identifiable negative outcome“ (Irwin 1993, S. 11). Die Risikotoleranz variiert bei Individuen und wird durch unterschiedliche prädisponierende Faktoren beeinflusst. Verschiedene individuelle Faktoren, wie das Haushaltseinkommen, das Finanzwissen und die Selbstwertschätzung, werden mit der finanziellen Risikotoleranz in Verbindung gebracht (vgl. Grable und Joo 2004, S. 82). Diese Untersuchungsergebnisse stimmen mit verschiedenen weiteren Untersuchungen überein, die belegen, dass bestimmte Charaktermerkmale die Akzeptanz negativer Ergebnisse beeinflussen und so auf das Risikoverhalten der Person einwirken (vgl. Halek und Eisenhauer 2001, S. 22; vgl. Hallahan et al. 2004, S. 74 f.). Risikotoleranz reflektiert die Einstellung einer Person in Bezug auf die Übernahmen von Risiken (vgl. Hallahan et al. 2004, S. 59) und wird in diesem Beitrag der Risikoeinstellung untergeordnet.

Während bei Risikoanalysen, zum Beispiel in Unternehmen oder in der Forschung, technologische Methoden zur Risikoabschätzung verwendet werden, verlässt sich die Mehrheit der Privatpersonen auf die intuitive Risikobeurteilung, die als „Risikowahrnehmung“ bezeichnet wird (vgl. Slovic 1987, S. 280). Renn begründet die Risikowahrnehmung von Personen durch die Konstruktion einer individuellen Realität und der Einstufung von Risiken nach der subjektiven Wahrnehmung (vgl. Renn 2002, S. 78.).

Diese Form der intuitiven Risikowahrnehmung basiert auf der Vermittlung von Informationen über die Gefahrenquelle, den psychischen Verarbeitungsmechanismen von Unsicherheit und früheren Erfahrungen mit Gefahren. Das Ergebnis dieses mentalen Prozesses ist das wahrgenommene Risiko, also ein Bündel von Vorstellungen, die sich Menschen aufgrund der ihnen verfügbaren Informationen und des „gesunden Menschenverstandes“ (Common Sense) über Gefahrenquellen machen (Renn 2002, S. 78 f.).

Die Risikowahrnehmung kann als allgemeiner Begriff betrachtet werden und bezieht sich auf die Überzeugungen, Einstellungen, Urteile und Gefühle des Einzelnen, zusätzlich zu seiner kulturellen und sozialen Disposition (vgl. Micic 2016, S. 1266). Für die Risikowahrnehmung besteht kein einheitlich angenommenes Modell, das angibt welche Faktoren in Verbindung zur Risikowahrnehmung stehen (vgl. Hawkes und Rowe 2008, S. 618). Zwei Größen, die das wahrgenommene Risiko bestimmen, wurden jedoch in zahlreichen Untersuchungen empirisch belegt: Die Höhe des möglichen Verlustes und die Eintrittswahrscheinlichkeit des Verlustes. Das Risiko einer Alternative erhöht sich mit steigender Verlusthöhe sowie steigender Eintrittswahrscheinlichkeit des Verlustes. Mögliche Gewinne reduzieren dagegen das wahrgenommene Risiko einer Alternative (vgl. Brachinger und Weber 1997, S. 236). In der Praxis sind Situationen unter unvollständigen Wahrscheinlichkeitsinformationen vorherrschend, das heißt die Eintrittswahrscheinlichkeiten der Ereignisse liegen nicht vor und müssen geschätzt werden (vgl. Brachinger und Weber 1997, S. 246). Individuen können Wahrscheinlichkeiten jedoch nur schwer einschätzen, was zu einer fehlerhaften Interpretation von Häufigkeiten sowie zu differierenden subjektiv wahrgenommenen Wahrscheinlichkeiten führt, die besonders durch Heuristiken hervorgerufen werden (vgl. Slovic et al. 2007, S. 1344 f.). Die subjektive Risikowahrnehmung kann deshalb erheblich vom objektiven oder durch Experten beurteilten Risiko abweichen und ist ein wichtiger Faktor des individuellen Risikoentscheidungsverhaltens (vgl. Flynn et al. 1993, S. 643; vgl. Viscusi 1995, S. 95). Die Messung der Risikowahrnehmung sowie der Risikoeinstellung und deren Verbindung zum tatsächlichen Risikoverhalten wurde intensiv untersucht und wird als einer der bedeutendsten Erfolge auf dem Gebiet der Risikoforschung angesehen (vgl. Ye et al. 2017, S. 664). Urteilsverzerrungen der Risikowahrnehmung haben einen großen Einfluss auf risikobezogenes Verhalten und Versicherungsentscheidungen (vgl. Viscusi 1995, S. 93). Die Risikowahrnehmung wird beispielsweise als Erklärung für die Einführung von Risikomanagementinstrumenten durch Individuen, wie der Abschluss von Versicherungen, verwendet (vgl. Hansson und Lagerkvist 2012, S. 748; vgl. Wang et al. 2012, S. 1717; vgl. Ye und Wang 2013, S. 874).

2.2.3 Risikosteuerung

Auf Basis der Risikoidentifikation und der Risikobewertung werden bei der Risikosteuerung gezielte Maßnahmen ergriffen, um die ermittelten Risiken zu verhindern oder zu reduzieren (vgl. Kobi 2012, S. 13; vgl. Zech 2002, S. 40). Die Schritte Risikoidentifikation sowie Risikobewertung können als Vorstufe der Risikosteuerung gesehen werden. Da die beiden Schritte vor der Risikosteuerung erfolgen, nehmen sie Einfluss auf diese. Je präziser die vorangegangene Risikoanalyse ist, desto adäquater ist die vorgeschlagene Methode der Risikosteuerung (vgl. Wang und Hsu 2009, S. 617).

Im Allgemeinen werden folgende Instrumente zur Risikosteuerung eingesetzt:

  • Risikovermeidung: Einstellung risikobehafteter Aktivitäten

  • Risikoverminderung: Teilweise Reduzierung der Schadeneintrittswahrscheinlichkeit oder der Schadenauswirkung

  • Risikotransfer: Übertragung des Risikos auf Dritte

  • Risikoakzeptanz: keine Steuerung oder Kontrolle des Risikos, das Risiko bleibt unverändert bestehen (vgl. Zech 2002, S. 41).

Diese vier Instrumente der Risikosteuerung von Unternehmen stellen nach Wang und Hsu auch die Instrumente der Risikosteuerung von Individuen dar (vgl. Wang und Hsu 2009, S. 615). Der Fokus dieser Untersuchung liegt auf dem Element der Risikosteuerung durch den Abschluss einer Versicherung, weshalb in dieser Arbeit auf die übrigen Instrumente der Risikosteuerung nicht weiter eingegangen wird.

Das Instrument des Risikotransfers beschreibt die Übertragung von Risiken und möglichen Verlusten auf Dritte. Im Allgemeinen sind zwei Arten des Risikotransfers zu unterscheiden: versicherungsfremder Transfer und Versicherungstransfer. Der versicherungsfremde Transfer beschreibt bspw. die Unterzeichnung von Wirtschaftsverträgen, um Risiken und mögliche Verluste auf Vertragspartner zu übertragen, zum Beispiel durch Leasing, Factoring oder Franchising. Der Versicherungstransfer bezeichnet den Abschluss eines Versicherungsvertrages, um Risiken auf einen Versicherer zu übertragen. Nicht alle Risiken können durch Risikotransfer abgewickelt werden, wie zum Beispiel das Risiko von Schwankungen der Aktienkurse (vgl. Zhang und Xiuzhen 2010, S. 4). Das Kernelement der Versicherung ist der Transfer eines versicherten Risikos vom Versicherungsnehmer auf das Versicherungsunternehmen, dessen Ausmaß durch die gewählte Versicherungsform, Deckungssumme und Höhe der Selbstbehalte bestimmt wird (vgl. Theil 2002, S. 27). Sie sind das am weitesten verbreitete Instrument des Risikotransfers von Risiken, wie bei Unwettern und Naturkatastrophen (vgl. Atreya et al. 2015, S. 153). Zudem werden Versicherungen als dominierendes Instrument der Risikosteuerung angesehen, insbesondere für Privatpersonen (vgl. Theil 2002, S. 34). Durch die Abstraktheit und Langfristigkeit von Versicherungsprodukten, ist deren Nutzen für den Nachfrager nur schwer zu begreifen, wodurch sich eine erhöhte Erklärungsbedürftigkeit von Versicherungsprodukten ergibt (vgl. Theil 2002, S. 31 f.). Für die Versicherungsentscheidung werden aus diesem Grund zahlreiche Informationen benötigt (vgl. Slovic et al. 1977, S. 239), die oft nicht vollständig vorhanden sind oder beschafft werden können (vgl. Kunreuther und Pauly 2004, S. 6 f.).

3 Untersuchung des Einflusses von Persönlichkeitseigenschaften auf das individuelle Risikomanagement

3.1 Stand der Forschung zu Einflussvariablen auf den Abschluss einer Versicherung

3.1.1 Untersuchungen nach der Art der Versicherung

Vor allem Einflussfaktoren auf die Nachfrage nach bzw. den Abschluss von Lebens- und Rentenversicherungen wurden in der Literatur bereits untersucht und identifiziert (vgl. Nosi et al. 2014, S. 85; vgl. Zakaria et al. 2016, S. 358; vgl. Sidhardha und Sumanth 2017, S. 1). Aktuell werden zunehmend auch Elementarschadenversicherungen betrachtet, was auf das omnipräsente Thema Klimawandel sowie auf zahlreiche Naturkatastrophen in den vergangenen Jahren zurückzuführen ist (vgl. Wang et al. 2012, S. 1717; vgl. Gray-Scholz et al. 2019, S. 2543; vgl. Atreya et al. 2015, S. 153; vgl. Krawczyk et al. 2017, S. 310; vgl. Shao et al. 2017, S. 391). Besonders häufig werden auch Ernteversicherungen oder Versicherungen gegen Umweltrisiken in Bezug auf Landwirte betrachtet (vgl. Ye et al. 2017, S. 664; vgl. Li et al. 2017, S. 660). So werden im Folgenden zunächst die Einflussfaktoren auf den Abschluss einer Versicherung, systematisiert nach den verschiedenen Versicherungsprodukten für persönliche Risiken, Umweltrisiken und sonstige Risiken dargestellt. Es werden zusammenfassend die bislang identifizierten Einflussfaktoren auf den Abschluss von Versicherungsprodukten zudem in kognitive sowie affektive Einflussfaktoren unterschieden. Dies trägt grundlegenden Erkenntnissen zum individuellen Entscheidungsverhalten, modelliert im Rahmen der sogenannten Dual-Prozess-Theorien, Rechnung (vgl. Kahneman 2002; Stanovich und West 2000; Jeske 2008).

Versicherung von persönlichen Risiken

Sidhardha und Sumanth konstatieren, dass indische Versicherungsnachfrager durch rationale Faktoren in ihrer Entscheidung beeinflusst werden (vgl. Sidhardha und Sumanth 2017, S. 1). Die Mehrheit der Versicherungsnachfrager nach Lebensversicherungsprodukten ist männlich. Die Altersgruppen unter 30 Jahre und 31 bis 40 Jahre investieren vergleichsweise hohe Beträge in Lebensversicherungen. Auch ein höherer Bildungsabschluss hat einen positiven Einfluss auf die Nachfrage. Allerdings sieht die Mehrheit der indischen Versicherungsnachfrager Lebensversicherungen eher als Möglichkeit, um Steuern zu sparen, nicht als Risikoabsicherung oder Kapitalansparung. Am Deutlichsten beeinflussen die Entscheidung für ein Lebensversicherungsunternehmen die Kundenbeziehung und das Firmenimage (vgl. Sidhardha und Sumanth 2017, S. 5). Zudem besitzen das Finanzwissen, die Religiosität und das Sparmotiv einen Einfluss auf den Abschluss einer Lebensversicherung. Ein besserer Wissenstand bezüglich Finanzprodukten, die Absicherung gegen persönliche Risiken als Sparmotiv und ein höherer Grad der Religiosität wirken sich positiv auf den Abschluss einer Lebensversicherung aus (vgl. Zakaria et al. 2016, S. 362). Der Abschluss einer Rentenversicherung junger italienischer Erwachsener (25–35 Jahre) lässt sich nach Nosi et al. durch drei auschlaggebende Faktoren erklären: das Geschlecht, das jährliche Einkommen und den Bildungsgrad (vgl. Nosi et al. 2014, S. 85). Nach Durkin und Elliehausen (2018) wird der Abschluss einer Kreditversicherung durch Faktoren wie die allgemeine Risikoaversion und gesundheitliche oder finanzielle Bedenken beeinflusst (vgl. Durkin und Elliehausen 2018, S. 1).

Pflegeleistungen stellen eine der größten zukünftigen Belastungen der alternden Bevölkerung dar (vgl. Tennyson und Yang 2014, S. 175). Trotz der Bedeutung einer Pflegeversicherung zur Deckung der hohen, durch Pflegebedürftigkeit entstehenden Kosten, besitzt nur ein geringer Anteil der Bevölkerung eine Pflegeversicherung (vgl. Tennyson und Yang 2014, S. 176). Die individuellen Entscheidungsfähigkeiten, vor allem kognitive Fähigkeiten, besitzen einen bedeutenden Einfluss auf den Abschluss einer Pflegeversicherung. Eine höhere kognitive Fähigkeit führt zu Entscheidungen, die konsistenter mit der Erwartungsnutzentheorie sind. Limitationen der kognitiven Fähigkeiten führen abweichend von der normativen Entscheidungstheorie zu einer Über- bzw. Unterversicherung bezüglich des Pflegerisikos (vgl. MacGarry et al. 2018, S. e6 f.). Als weitere Faktoren des Abschlusses einer Pflegeversicherung nennen Dorn et al.: Wohneigentum, Kinder, Gesamtvermögen, Ehe, der selbstberichtete Gesundheitszustand, die wahrgenommene Wahrscheinlichkeit, pflegebedürftig zu werden und das Alter. Ein besserer selbstberichteter Gesundheitszustand, eine höhere Anzahl an Kindern und kein Ehepartner wirken sich negativ auf den Abschluss einer Pflegeversicherung aus, wohingegen der Besitz von Wohneigentum, ein höheres Gesamtvermögen und eine höhere wahrgenommene Wahrscheinlichkeit, selbst pflegebedürftig zu werden, in einem positiven Zusammenhang zum Abschluss einer Pflegeversicherung stehen (vgl. Dorn et al. 2017, S. 42 f.). Auch Tennyson und Yang untersuchen Einflussfaktoren auf den Abschluss einer Pflegeversicherung und belegen einen Zusammenhang zwischen der Versicherungsnachfrage und selbstständig erbrachten Pflegeleistungen für Familienmitglieder oder andere Personen (vgl. Tennyson und Yang 2014, S. 175). Die persönliche Erfahrung mit der Pflege einer Person führt zu einer höheren Abschlussbereitschaft einer Pflegeversicherung. Dieser Zusammenhang kann sowohl durch ein höheres Risikobewusstsein und einen besseren Informationsgrad bezüglich des Risikos als auch durch eine emotionale Reaktion auf das Risiko der Pflegebedürftigkeit und einer höheren Salienz des Pflegerisikos erklärt werden (vgl. Tennyson und Yang 2014, S. 185 f.). Dieser Zusammenhang stimmt mit den Ergebnissen von Dorn et al. überein (vgl. Dorn et al. 2017, S. 43).

Bezogen auf den Abschluss von privaten Krankenversicherungen der über 45-jährigen in China identifizieren Jin, Hou und Zhang große sozioökonomische Unterschiede zwischen ländlichen und städtischen Regionen. Auch das Einkommen, die Bildung und die Risikoaversion stehen in Zusammenhang mit dem Abschluss einer Krankenversicherung. Frauen sind zudem häufiger krankenversichert als Männer (vgl. Jin et al. 2016, S. 8 f.).

Versicherung von Umweltrisiken

Atreya, Ferreira und Michel-Kerjan untersuchen in ihrer Studie die Einflussfaktoren auf den Abschluss einer Überschwemmungsversicherung am Beispiel des Bundesstaates Georgia, USA im Zeitraum von 1978 bis 2010 (vgl. Atreya et al. 2015, S. 153). Die Untersuchung unterstützt die Annahme, dass das Einkommen einen positiven und der Preis einen negativen Effekt auf den Abschluss einer Überschwemmungsversicherung hat, trotzdem ist die Preiselastizität relativ gering. Auch demografische Variablen wie ein höheres Alter (über 45 Jahre) oder ein höherer Bildungsabschluss haben einen positiven Einfluss auf den Versicherungsabschluss. Analog der Verfügbarkeitsheuristik (vgl. Slovic et al. 2007, S. 1345) haben Überschwemmungsschäden in den vergangenen Jahren, als eine Determinante des wahrgenommenen Risikos, einen positiven Einfluss auf die Entscheidung, eine Überschwemmungsversicherung abzuschließen. Eine kürzlich erfolgte Überschwemmung erhöht die subjektiv wahrgenommene Wahrscheinlichkeit eines solchen Ereignisses in der Zukunft, da der Überschwemmungsschaden kognitiv noch präsent ist. Dieser Effekt ist statistisch signifikant für Schäden in den vergangenen drei Jahren, danach ist er nicht mehr beobachtbar (vgl. Atreya et al. 2015, S. 159). Auch ein höheres Risikobewusstsein, dass durch Erfahrungen mit Gefahren, wie Überflutungen, Dürren oder starke Gewitterregen, verstärkt wird, hat einen positiven Einfluss auf den Abschluss einer Versicherung gegen Naturkatastrophen (vgl. Wang et al. 2012, S. 1738). Auch Wang et al. bestätigen einen Zusammenhang zwischen dem Erlebnis von Katastrophen und dem Abschluss einer Versicherung. Das Abschlussverhalten einer Überschwemmungsversicherung wird durch den Besitz von Wohneigentum, dem Vertrauen in lokale Behörden, den Bildungsgrad sowie das Einkommen beeinflusst (vgl. Shao et al. 2017, S. 391). Personen mit höherem Bildungsgrad schließen Überschwemmungsversicherungen aufgrund eines höheren Risikobewusstseins ab, um ihre finanzielle Sicherheit zu erhöhen. Ethnische Minderheiten scheinen ein ausgeprägteres Risikobewusstsein zu haben sowie das Risiko einer Überflutung als höher einzuschätzen. Auch ein höheres Einkommen, ein größeres Vertrauen in lokale Behörden sowie der Besitz von Wohneigentum wirkt sich positiv auf den Abschluss einer Versicherung aus. Zudem führt ein als hoch wahrgenommenes Überschwemmungsrisiko zum Abschluss einer Versicherung gegen dieses Risiko (vgl. Shao et al. 2017, S. 395 f.). Gray-Scholz, Haney und MacQuarrie identifizieren demografische Faktoren (Alter und Bildungsgrad), soziale Faktoren (Dauer der Wohnhaftigkeit, Anzahl der bekannten Nachbarn, Stärke des Zugehörigkeitsgefühls in der Nachbarschaft) und geografische Faktoren (Wohnen auf einer Anhöhe), die einen Einfluss auf das Risikobewusstsein, das wahrgenommene Risiko sowie die Versicherung von Überschwemmungen aufweisen (vgl. Gray-Scholz et al. 2019, S. 2554).

Die Abschlussentscheidung einer Ernteversicherung kann durch das wahrgenommene Risiko des Ernteausfalls und die Risikoeinstellung der Bauern in Verbindung mit der Versicherungsleistung, dem finanziellen Risiko und alternativen Risikomanagementoptionen erklärt werden (vgl. Coble et al. 1996, S. 439; vgl. Ye et al. 2017, S. 665). Auch die Wahrnehmung des Risikomanagementinstruments selbst ist neben der Risikowahrnehmung ein wichtiger Einflussfaktor der Risikoentscheidung (vgl. Ye et al. 2017, S. 675). Bessere Bildung und ein höheres Einkommen besitzen zudem einen positiven Einfluss auf den Abschluss von Versicherungen in landwirtschaftlichen Haushalten (vgl. Li et al. 2017, S. 666).

Krawczyk, Trautmann und van de Kuilen beobachten in ihrer Untersuchung eine Unterschätzung katastrophaler Risiken mit geringer Eintrittswahrscheinlichkeit in Verbindung mit Risikoaversion in Versicherungsentscheidungen anhängig von der subjektiv wahrgenommenen Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses (vgl. Krawczyk et al. 2017, S. 317). Es werden jedoch weder Peer-Effekte noch ein Zusammenhang zwischen Versicherungsentscheidungen und den Schadenerfahrungen von Mitmenschen in der Untersuchung festgestellt. Individuen vertrauen eher ihren eigenen Erfahrungen und Einschätzungen als denen anderer und ignorieren diese teilweise sogar (vgl. Krawczyk et al. 2017, S. 321). Insbesondere bei Risiken mit geringer Wahrscheinlichkeit wird das Vertrauen auf die eigene Erfahrung dazu führen, dass Entscheidungen auf kleinen und potenziell verzerrten Proben basieren (vgl. Krawczyk et al. 2017, S. 318).

3.1.2 Empirische Ergebnisse zu spezifischen Einflussfaktoren

Empirische Studien zur Nachfrage nach Versicherungsprodukten fokussieren sich vornehmlich auf wirtschaftliche sowie demografische Einflussvariablen, wobei der Abschluss einer Versicherung analog der Erwartungsnutzentheorie als kognitiver Entscheidungsprozess betrachtet wird (vgl. Sidhardha und Sumanth 2017, S. 1; vgl. Atreya et al. 2015, S. 153).

Demografische und rationale Einflussfaktoren

Als demografische Einflussfaktoren werden in zahlreichen Untersuchungen das Alter und das Geschlecht genannt (vgl. Sidhardha und Sumanth 2017, S. 5; vgl. Gray-Scholz et al. 2019, S. 2554; vgl. de Smidt und Botzen 2018, S. 257). Ein weiterer häufig angegebener kognitiver Einflussfaktor auf den Abschluss von Versicherungen sowohl gegen Umweltrisiken als auch gegen persönliche Risiken stellt der individuelle Bildungsgrad dar (vgl. Sidhardha und Sumanth 2017, S. 5; vgl. Zakaria et al. 2016, S. 362; vgl. Nosi et al. 2014, S. 85; vgl. Shao et al. 2017, S. 391; vgl. Gray-Scholz et al. 2019, S. 2554). Zudem beeinflussen kognitive Fähigkeiten den Abschluss einer Versicherung (vgl. MacGarry et al. 2018, S. e6 f.). Auch die Höhe des Einkommens stellt eine wichtige Variable für den Abschluss einer Versicherung dar, was auf die begrenzten finanziellen Möglichkeiten bei einem geringen Einkommen zurückzuführen ist (vgl. Nosi et al. 2014, S. 85; vgl. Durkin und Elliehausen 2018, S. 18; vgl. Dorn et al. 2017, S. 42 f.; vgl. Atreya et al. 2015, S. 159; vgl. Wang et al. 2012, S. 1738; vgl. Shao et al. 2017, S. 391).

Affektive Einflussfaktoren

Nur wenige Verfasser untersuchen affektive Einflussvariablen, was jedoch unter Betrachtung der Untersuchungsergebnisse von Hsee und Kunreuther sowie Brighetti, Lucarelli und Marinelli durchaus geboten erscheint und von den Autoren gefordert wird (vgl. Brighetti et al. 2014, S. 150; vgl. Hsee und Kunreuther 2000, S. 157). Zu Einflussfaktoren wie Emotionen, psychologischen Merkmalen oder auch Persönlichkeitseigenschaften existieren kaum wissenschaftliche Erkenntnisse (vgl. Brighetti et al. 2014, S. 137).

Insbesondere die Stufen des individuellen Risikomanagementprozesses beeinflussen den Abschluss einer Versicherung. Der Einfluss des Risikobewusstseins (vgl. Wang et al. 2012, S. 1738), der Risikoaversion bzw. Risikoeinstellung (vgl. Jin et al. 2016, S. 8; vgl. Ye et al. 2017, S. 665) sowie der Einfluss des wahrgenommenen Risikos (vgl. Krawczyk et al. 2017, S. 317; vgl. De Smidt und Botzen 2018, S. 256; vgl. Atreya et al. 2015, S. 159; vgl. Shao et al. 2017, S. 395 f.; vgl. Krawczyk et al. 2017, S. 317) auf den Abschluss einer Versicherung wird in zahlreichen empirischen Studien bestätigt. Auch Erfahrungen mit dem jeweiligen Risiko sowie das Erleben von Katastrophen oder Schäden beeinflussen den Versicherungsabschluss (vgl. Tennyson und Yang 2014, S. 185 f.; vgl. Atreya et al. 2015, S. 159; vgl. Wang et al. 2012, S. 1738).

Auch der Einfluss von Emotionen und psychologischen Eigenschaften auf den Abschluss von Versicherungen wurde empirisch belegt (vgl. De Smidt und Botzen 2018, S. 256; vgl. Tennyson und Yang 2014, S. 185 f.; Brighetti et al. 2014, S. 137). Besonders die Untersuchung von Brighetti, Lucarelli und Marinelli hebt den Einfluss von Emotionen auf den Abschluss einer Versicherung hervor. Getestet wurde der Einfluss der Variablen Vertrauen, Impulsivität, die emotionale Erregung bei Verlusten, die Angst vor dem Unbekannten auf die Versicherungsprodukte Lebensversicherung, Krankenversicherung, Unfallversicherung und Haftpflichtversicherung (vgl. Brighetti et al. 2014, S. 141 f.; S. 144). Emotionale und psychologische Variablen beeinflussen das Entscheidungsverhalten unter Unsicherheit und tragen zur Erklärung des individuellen Versicherungsverhaltens bei, differieren jedoch stark bezüglich des spezifischen Versicherungsprodukts (vgl. Brighetti et al. 2014, S. 150). Individuen mit größerem Vertrauen in die Zukunft verzichten eher auf Versicherungen, außer im Lebensversicherungsbereich. Durch das Vertrauen in die zukünftige Entwicklung steigt die Nachfrage nach Lebensversicherungen möglicherweise durch die Hoffnung auf eine Wertsteigerung der Versicherung. Je weniger impulsiv Personen sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese eine Haftpflicht‑, Kranken-, oder Unfallversicherung besitzen. Impulsive Personen bevorzugen unmittelbare Belohnungen und sind weniger sensibel gegenüber negativen Konsequenzen ihrer Entscheidungen. Personen, die eine stärkere emotionale Erregung bei Verlusten empfinden, versuchen sich aufgrund ihrer somatischen Marker (vgl. Damasio 1994, S. 173–175) vor Verlusten zu schützen und schließen aus diesem Grund wahrscheinlicher eine Lebens- oder Unfallversicherung ab. Der Abschluss einer Haftpflichtversicherung wird durch eine größere Furcht vor dem Ungewissen positiv beeinflusst (vgl. Brighetti et al. 2014, S. 149). Der Abschluss einer Krankenversicherung wird nur durch die Impulsivität beeinflusst, während der Abschluss anderer Versicherungsprodukte auch dem Einfluss von Emotionen unterliegt (vgl. Brighetti et al. 2014, S. 150).

Zudem wurde bereits der Einfluss von Persönlichkeitseigenschaften, gemessen mit den sog. Big Five (vgl. McCrae und Costa 1990; McCrae et al. 1998), auf den Abschluss von Versicherungen in einer Studie empirisch belegt. Allerdings wurden nur männliche Teilnehmer betrachtet (vgl. Häusler et al. 2019, S. 15). Personen, die eine hohe Ausprägung der Persönlichkeitseigenschaft Gewissenhaftigkeit aufweisen, schließen häufiger eine private Unfallversicherung. Der Abschluss einer Lebensversicherung wird durch eine größere Verantwortung gegenüber Kindern und Ehepartnern erklärt und als ökonomische Entscheidung angesehen. Die drei Variablen positive Finanzeinstellung, hohe Gewissenhaftigkeit und geringe Offenheit für Erfahrung können herangezogen werden, um den Abschluss einer Rentenversicherung zu beschreiben (vgl. Häusler et al. 2019, S. 11 f.). Auf die Anzahl der abgeschlossenen Versicherungen wirken sich Einflüsse durch die Verantwortung für einen Ehepartner oder Kinder, eine positive Finanzeinstellung und ein hoher Grad an Neurotizismus aus (vgl. Häusler et al. 2019, S. 12).

3.2 Ableitung der Untersuchungshypothesen

Die theoretischen Grundlagen insbesondere zum individuellen Risikomanagementprozess wurden in den vorherigen Kapiteln umfassend erläutert. Die in Abschn. 3.1 dargestellten Einflussfaktoren auf den Abschluss einer Versicherung unterstützen die Annahme, dass Persönlichkeitseigenschaften den gesamten Risikomanagementprozess, von Individuen, von der Risikoidentifikation über die Risikobewertung bis zur Risikosteuerung, beeinflussen. Der Einfluss von Persönlichkeitseigenschaften auf das Konzept der Risikoeinstellung und der Risikowahrnehmung, die der individuellen Risikobewertung zuzuordnen sind (vgl. Slovic 1987, S. 281), sowie auf den Abschluss einer Versicherung, die das Kernelement der individuellen Risikosteuerung darstellt (vgl. Theil 2002, S. 34), wurde bereits empirisch belegt (vgl. Lauriola und Weller 2018, S. 19 f.; vgl. Benischke et al. 2019, S. 168; vgl. Häusler et al. 2019, S. 15). Aus der Annahme, dass Persönlichkeitseigenschaften den individuellen Risikomanagementprozess beeinflussen, lassen sich die folgenden Hypothesen ableiten:

H1:

Persönlichkeitseigenschaften haben einen Einfluss auf die Risikoidentifikation.

H2:

Persönlichkeitseigenschaften haben einen Einfluss auf die Risikobewertung.

H3:

Persönlichkeitseigenschaften haben einen Einfluss die Risikosteuerung.

Die Schritte Risikoidentifikation sowie Risikobewertung können als Vorstufe der Risikosteuerung gesehen werden (vgl. Zech 2002, S. 40). Es wird aus diesem Grund angenommen, dass die Risikosteuerung, die durch den Abschluss einer Versicherung erfolgt, durch die vorangegangene Risikoidentifikation und Risikobewertung beeinflusst wird. Zudem kann das Verhalten unter Unsicherheit als Resultat der Risikoeinstellung und der Risikowahrnehmung, die der individuellen Risikobewertung zuzuordnen sind, angesehen werden, was diese Annahme unterstützt (vgl. Martin-Fernandez et al. 2018, S. 142). Aus dieser Annahme ergeben sich die beiden folgenden Hypothesen (siehe Abb. 2):

Abb. 2
figure 2

Zusammenfassende Darstellung der Hypothesen. (Quelle: eigene Darstellung)

H4:

Die Risikoidentifikation hat einen Einfluss auf die Risikosteuerung.

H5:

Die Risikobewertung hat einen Einfluss auf die Risikosteuerung.

3.3 Konstruktion des Untersuchungsinstruments

Um ein Untersuchungsinstrument zur Überprüfung der Hypothesen konstruieren zu können, müssen zunächst die Konstrukte Risikoidentifikation, Risikobewertung, Risikosteuerung und Persönlichkeitseigenschaften bezüglich ihrer Variablen definiert werden.

Wie im Rahmen dieses Beitrages dargestellt, kann als Kernelement der individuellen Risikoidentifikation das Risikobewusstsein identifiziert werden (vgl. De Smidt und Botzen 2018, S. 245). Aus diesem Grund wird in dieser Untersuchung als messbare Variable für die Risikoidentifikation das Risikobewusstsein verwendet. Als Variablen der Risikobewertung werden die Risikoeinstellung sowie die Risikowahrnehmung erfasst, die nach Slovic die Risikobewertung von Individuen bestimmen (vgl. Slovic 1987, S. 281). Das Element der Risikosteuerung wird durch die Variable Abschluss einer Versicherung erfasst. Versicherungen stellen das dominierende Instrument der Risikosteuerung von Individuen (vgl. Zech 2002, S. 40) sowie den Fokus dieser Untersuchung dar, weshalb keine weiteren Instrumente der Risikosteuerung betrachtet werden. Als Persönlichkeitseigenschaften werden die Dimensionen der „Big Five“ (Neurotizismus, Extraversion, Offenheit für Erfahrung, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit) erfasst, welche die Diskussion über grundlegende Persönlichkeitseigenschaften kontinuierlich dominieren (vgl. Borkenau und Ostendorf 2008, S. 8). Zudem wird die Ambiguitätstoleranz als Persönlichkeitseigenschaft erfasst, die ebenso einen starken Einfluss auf das Risikoentscheidungsverhalten besitzt (vgl. Lauriola und Levin 2001, S. 117). Die jeweiligen Variablen der Konstrukte sowie der zur Messung verwendete Fragebogen sind in Tab. 1 zusammenfassend dargestellt.

Tab. 1 Zusammenfassung der untersuchten Variablen und der verwendeten Fragebögen. (Quelle: eigene Darstellung)

Die Risikoeinstellung wird als grundlegende Eigenschaft mittels eines Items des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP), welches durch das erhoben durch das Deutsche Institut für Wirtschaft (DIW) erhoben wird, erfasst. Das Item ist auf die allgemeine Risikobereitschaft in allen Lebensbereichen bezogen(vgl. DIW 2016, S. 36). Die Risikowahrnehmung wird in dieser Arbeit durch die wahrgenommene Eintrittswahrscheinlichkeit und das wahrgenommene Schadenausmaß des Risikos erfasst. Der NEO-FFI erfasst Merkmalsausprägungen in den Bereichen Neurotizismus, Extraversion, Offenheit für Erfahrung, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit durch 60 Items (vgl. Borkenau und Ostendorf 2008, S. 7). Um den Umfang des Fragebogens gering zu halten, wurden nicht alle Items des NEO-FFI übernommen, sondern jeweils 6 Items pro Dimension anhand der Höhe ihrer Faktorladung ausgewählt. Im Rahmen dieser Umfrage wird die Ambiguitätstoleranz durch die Kombination zwei verschiedener Inventare gemessen. Aus dem „Inventar zur Messung der Ambiguitätstoleranz“ (IMA) wurden einige Items der Dimensionen „Ambiguitätstoleranz/-intoleranz gegenüber unlösbar erscheinenden Problemen“ und „Ambiguitätstoleranz/-intoleranz der Offenheit für neue Erfahrungen“ übernommen, da diese beiden Dimensionen am geeignetsten erscheinen die allgemeine Ambiguitätstoleranz zu messen (vgl. Reis 1996, S. 19). Verwendet wurde zusätzlich zum IMA nach Reis noch das „Measure of Ambiguity Tolerance“ (MAT-50) nach Norton (vgl. Norton 1975, S. 616–618). Da sich die vorliegende Untersuchung auf die Abschlussentscheidung von Versicherungen fokussiert, wurden aus dem MAT-50 nur die Items des Bereichs „Problemlösung“ ausgewählt.

3.4 Quantitative Befragung

3.4.1 Durchführung der Befragung

Die Stichprobe umfasst 122 ProbandenFootnote 2, davon sind 42 Probanden männlich (34,4 %), 71 Probanden sind weiblich (58,2 %) und 9 Probanden haben keine Angabe zu ihrem Geschlecht gemacht (7,4 %). Die Probanden haben ein Alter von 18 bis 62 Jahren, der Median des Alters beträgt 23 Jahre und das arithmetische Mittel beträgt 26,39 Jahre.

Zur Auswahl der Stichrobe aus der GrundgesamtheitFootnote 3 wurde das Verfahren der willkürlichen Stichprobenauswahl (Convenience Sampling) verwendet (vgl. Häder 2006, S. 149). Im Gegensatz zur Zufallsauswahl (Random Sampling) durch Lostrommel- oder Urnenverfahren besitzt bei der willkürlichen Auswahl nicht jedes Element der Grundgesamtheit dieselbe, von null unterschiedliche, Wahrscheinlichkeit in die Stichprobe aufgenommen zu werden (vgl. Häder 2006, S. 148 f.). Die erhaltenen Ergebnisse können aufgrund des Auswahlverfahrens nicht für die deutsche Bevölkerung generalisiert werden, da die Stichprobe nicht repräsentativ ist. Für die Ableitung von Tendenzen und die Prüfung von Zusammenhängen ist die willkürliche Auswahl jedoch geeignet (vgl. Häder 2006, S. 149).

Anhand der erhobenen Daten wird zunächst für jeden Probanden ein Wert für die Dimensionen Neurotizismus, Extraversion, Offenheit für Erfahrung, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit sowie für die Ambiguitätstoleranz gebildet. Auch ein Wert für die Anzahl der Versicherungen, die sich aus der Summe der abgeschlossenen Versicherungen ergibt, wird für jeden Probanden gebildet.

Die erhaltenen Daten werden anhand des Verfahrens der logistischen Regressionsanalyse ausgewertet. In dieser Untersuchung wird für jedes Versicherungsprodukt eine separate logistische Regressionsanalyse durchgeführt. Die abhängige Variable ist jeweils der Abschluss einer Versicherung, die unabhängigen Variablen sind Persönlichkeitseigenschaften, die Risikoeinstellung, das Risikobewusstsein und die Risikowahrnehmung, die durch die wahrgenommene Eintrittswahrscheinlichkeit und das wahrgenommene Schadenausmaß des Risikos erfasst wird (siehe Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Logistische Regressionsanalyse. N Neurotizismus, E Extraversion, O Offenheit für Erfahrung, V Verträglichkeit, G Gewissenhaftigkeit, AT Ambiguitätstoleranz. (Quelle: Eigene Darstellung)

Signifikanzwerte bis zu einem Niveau von 0,05 werden in dieser Untersuchung als signifikant betrachtet. Variablen, die diese Voraussetzung nicht erfüllen, werden aus der Regressionsanalyse eliminiert, sodass die schlussendlich geschätzte Regressionsfunktion das Signifikanzniveau erfüllt.

Neben der Auswertung mittels der logistischen Regressionsanalyse erfolgt eine Auswertung der Daten durch das Verfahren der multiplen Regressionsanalyse. Multiple Verfahren betrachten mehrere Variablen simultan. Analog der logistischen Regressionsanalyse werden auch bei der multiplen Regressionsanalyse diejenigen Variablen eliminiert, die das Signifikanzniveau von 5 % nicht erfüllen. Vor der Auswertung der erhobenen Daten soll jedoch die Güte des angewendeten Messmodells evaluiert werden.

3.4.2 Evaluation des Messmodells

Die Güte eines Messmodells kann anhand der drei Faktoren Objektivität, Reliabilität und Validität beurteilt werden (vgl. Rammstedt 2010, S. 240).

Die Durchführungsobjektivität, definiert als die Konstanz der Untersuchungsbedingungen, ist in dieser Untersuchung gegeben. Durch die Verwendung eines Online-Umfragetools entstehen keine Einflüsse durch den Interviewer oder durch eine Veränderung der Reihenfolge der Items (vgl. Beierlein et al. 2014, S. 12; vgl. Krahnen et al. 1997, S. 3). Auf Unterbrechungen oder Störungen während der Beantwortung der Umfrage konnte allerdings kein Einfluss genommen werden. Aufgrund der Kürze und Verständlichkeit des verwendeten Fragebogens besitzen solche Störungen der Konzentration jedoch keinen nennenswerten Einfluss auf das Untersuchungsergebnis (vgl. Rammstedt 2010, S. 240 f.). Auch die Auswertungsobjektivität, definiert als objektive Auswertung der numerischen Messwerte, kann für diese Untersuchung angenommen werden, da eine elektronische Datenerfassung und keine offenen Fragen verwendet wurden (vgl. Rammstedt 2010, S. 241 f.; vgl. Beierlein et al. 2014, S. 12). Die Interpretationsobjektivität ist durch die Auswertung der Daten sowie der ausführlichen Darstellung der Ergebnisse erfüllt (vgl. Rammstedt 2010, S. 242). Die Objektivität kann aufgrund der Erfüllung dieser Teilaspekte für die vorliegende Untersuchung angenommen werden.

Das zweite Kriterium, die Reliabilität, wird definiert als die Genauigkeit der Messung des Merkmals durch die verwendete Skala (vgl. Rammstedt 2010, S. 242; vgl. Krahnen et al. 1997, S. 3). Die Standardmethode zur Reliabilitätsbestimmung durch die Analyse der internen Konsistenz stellt der Alpha-Koeffizient nach Cronbach (1951) dar (vgl. Rammstedt 2010, S. 248). Für die Items des gesamten Fragebogens liegt Cronbachs Alpha bei α = 0,72552. Für die, aus dem NEO-FFI entnommenen, Items liegt Cronbachs Alpha bei α = 0,608 und für die Items zur Erfassung der Ambiguitätstoleranz (entnommen aus MAT-50 und IMA) ergibt sich ein Cronbachs Alpha von α = 0,693. Für ausreichend wird ein Reliabilitätskoeffizient von 0,7 angesehen (vgl. Rammstedt 2010, S. 249). Da der Reliabilitätskoeffizient des gesamten Messinstruments über diesem Wert liegt, ist das Kriterium der Reliabilität erfüllt.

Das Kriterium der Validität wird durch die Verwendung erprobter Inventare zur Messung von Persönlichkeitseigenschaften, der Ambiguitätstoleranz und der Risikoeinstellung in dieser Untersuchung erfüllt. Das in dieser Untersuchung verwendete Messinstrument erfüllt alle drei Gütekriterien.

3.5 Darstellung und Diskussion der Ergebnisse

Zunächst werden die Ergebnisse der logistischen Regressionsanalysen für jedes der vier ausgewählten Versicherungsprodukte dargestellt. Danach werden die Ergebnisse der multiplen Regressionsanalyse mit der Anzahl der abgeschlossenen Versicherungen als abhängige Variable erläutert. Diese Ergebnisse werden verwendet, um die Hypothesen H3, H4 und H5 zu überprüfen. Im Anschluss werden die Hypothesen H1 und H2 durch jeweils eine multiple Regressionsanalyse mit den abhängigen Variablen Risikobewusstsein, Risikoeinstellung, wahrgenommene Wahrscheinlichkeit und wahrgenommenes Schadenausmaß überprüft.

Tab. 2 Ergebnisse der logistischen Regressionsanalyse je Versicherungsprodukt. (Quelle: Eigene Erhebung)

Für die logistische Regressionsanalyse bezüglich des Abschlusses einer Berufsunfähigkeitsversicherung ergeben sich die in Tab. 2 dargestellten Werte. Diese legen den Einfluss des Nettoeinkommens, der Ausprägung von Extraversion, des Risikobewusstseins und der wahrgenommenen Wahrscheinlichkeit auf die Abschlusswahrscheinlichkeit einer Berufsunfähigkeitsversicherung nahe.

Mit steigendem Nettoeinkommen erhöht sich die Wahrscheinlichkeit des Abschlusses einer Berufsunfähigkeitsversicherung. Dieses Ergebnis kann auf den größeren finanziellen Spielraum bei einem höheren Einkommen zurückgeführt werden (vgl. Wang et al. 2012, S. 1738; vgl. Durkin und Elliehausen 2018, S. 18). Eine höhere Ausprägung der Dimension Extraversion wirkt sich positiv auf den Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung aus. Zudem steigt mit einem höheren Risikobewusstsein sowie mit einer höheren wahrgenommenen Eintrittswahrscheinlichkeit des Risikos die Wahrscheinlichkeit des Abschlusses einer Berufsunfähigkeitsversicherung. Dies kann durch den Einfluss des Risikobewusstseins sowie der Risikowahrnehmung auf das Risikoentscheidungsverhalten erklärt werden (vgl. Flynn et al. 1993, S. 643; vgl. de Smidt und Botzen 2018, S. 245). Kein Zusammenhang wurde aufgrund der fehlenden Signifikanz zwischen der Wahrscheinlichkeit des Abschlusses einer Berufsunfähigkeitsversicherung und den Variablen Neurotizismus, Offenheit für Erfahrung, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, Ambiguitätstoleranz, Alter, Risikoeinstellung und wahrgenommenes Schadenausmaß angenommen.

Für den Abschluss einer Unfallversicherung konnte mit einem Signifikanzniveau von 5 % kein logistisches Regressionsmodell generiert werden, da alle unabhängigen Variablen das Signifikanzniveau überschreiten. Mit einem Signifikanzniveau von 10 % ergibt sich ein logistisches Regressionsmodell für den Abschluss einer Unfallversicherung, das den Einfluss des Risikobewusstseins und der Ausprägung von Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit zeigt.

Eine hohe Ausprägung der Dimension Verträglichkeit senkt die Wahrscheinlichkeit des Abschlusses einer Unfallversicherung. Dieses Ergebnis könnte durch das rücksichtsvolle Verhalten von Personen mit hohen Verträglichkeitswerten erklärt werden (vgl. Borkenau und Ostendorf 2008, S. 7). Durch das besonders rücksichtsvolle Verhalten von verträglichen Personen, könnten Unfälle durch Fremdeinwirkung, etwa in der Freizeit oder als Verkehrsteilnehmer, schwer vorstellbar und damit weniger salient sein, was zu einer Entscheidung gegen den Abschluss einer Unfallversicherung führen könnte. Dagegen erhöht eine hohe Ausprägung der Dimension Gewissenhaftigkeit die Wahrscheinlichkeit des Abschlusses einer Unfallversicherung. Dieses Ergebnis ist konsistent mit dem Ergebnis von Häusler et al., welche einen positiven Zusammenhang zwischen einer hohen Ausprägung der Gewissenhaftigkeit und einer abgeschlossenen Unfallversicherung nachweisen (vgl. Häusler et al. 2019, S. 10). Analog dem Ergebnis für den Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung erhöht auch ein größeres Risikobewusstsein die Wahrscheinlichkeit des Abschlusses einer Unfallversicherung. Dieses Ergebnis kann durch die höhere Salienz des Risikos und deren Einfluss auf das Risikoentscheidungsverhalten sowie die Verfügbarkeitsheuristik erklärt werden (vgl. Tversky und Kahneman 1973, S. 230; vgl. Theil 2002, S. 69 f.).

Für die logistische Regressionsanalyse mit der abhängigen Variablen „Abschluss einer Rentenversicherung“ ergeben sich die in Tab. 2 dargestellten Werte. Daraus lässt sich ein Einfluss des Nettoeinkommens, der Ausprägung von Extraversion und der wahrgenommenen Wahrscheinlichkeit auf den Abschluss einer Rentenversicherung ableiten.

Mit steigendem Nettoeinkommen erhöht sich die Wahrscheinlichkeit des Abschlusses einer privaten Rentenversicherung. Dieses Ergebnis kann analog dem Einfluss des Nettoeinkommens auf den Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung auf den größeren finanziellen Spielraum bei einem höheren Einkommen zurückgeführt werden (vgl. Wang et al. 2012, S. 1738; vgl. Durkin und Elliehausen 2018, S. 18). Auch eine hohe Ausprägung der Dimension Extraversion wirkt sich positiv auf die Wahrscheinlichkeit des Abschlusses einer privaten Rentenversicherung aus. Dieses Ergebnis könnte durch den Optimismus, die positiven Emotionen, die Personen mit hohen Ausprägungen von Extraversion aufweisen, und deren Streben nach finanzieller Entlohnung erklärt werden (vgl. Borkenau und Ostendorf 1989, S. 241; vgl. Lauriola und Weller 2018, S. 18 f.). Diese Eigenschaften könnten den Abschluss einer Rentenversicherung beeinflussen, da die Vorstellung einer guten Wertentwicklung der Versicherung und einer hohen Rentenauszahlung stark ausgeprägt ist. Auch Häusler et al. stellen einen Zusammenhang zwischen finanziellem Optimismus und dem Abschluss einer Rentenversicherung her (vgl. Häusler et al. 2019, S. 11). Auch bei einer höheren wahrgenommenen Eintrittswahrscheinlichkeit des Risikos steigt die Wahrscheinlichkeit des Abschlusses einer privaten Rentenversicherung. Für die übrigen Variablen kann aufgrund mangelnder Signifikanz kein Zusammenhang zur Wahrscheinlichkeit des Abschlusses einer Rentenversicherung angenommen werden.

Tab. 2 stellt zudem die Ergebnisse für das logistische Regressionsmodell bezüglich des Abschlusses einer Rechtsschutzversicherung dar, die einen Einfluss der Ausprägung von Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit zeigen.

Eine hohe Ausprägung der Persönlichkeitseigenschaft Verträglichkeit senkt die Wahrscheinlichkeit des Abschlusses einer Rechtsschutzversicherung. Die Kooperationsbereitschaft und Nachgiebigkeit von Personen mit hohen Verträglichkeitswerten (vgl. Borkenau und Ostendorf 1989, S. 41) könnte der Grund für dieses Ergebnis sein. Verträgliche Personen geraten weniger häufig in Auseinandersetzungen und versuchen eher diese zu schlichten als ihre Meinung durchzusetzen. Deshalb könnte der Nutzen einer Rechtsschutzversicherung durch Personen mit einer hohen Ausprägung von Verträglichkeit als gering bewertet werden, was zu einer Entscheidung gegen den Abschluss führt. Eine hohe Ausprägung der Dimension Gewissenhaftigkeit führt dagegen zu einer Steigerung der Wahrscheinlichkeit des Abschlusses einer Rechtsschutzversicherung. Gewissenhafte Personen sind diszipliniert, penibel, ordentlich und besitzen eine hohe Selbstkontrolle (vgl. Lauriola und Weller 2018, S. 19; vgl. Borkenau und Ostendorf 2008, S. 7; Schuler und Höft 2004, S. 304). Diese Eigenschaften könnten dazu führen, dass gewissenhafte Personen eine Rechtsschutzversicherung abschließen, um entweder Ordnung und Recht durchzusetzen oder um sich gegen ungerechtfertigte Anschuldigungen zu verteidigen. Auch die Sicherung der Kontrolle über Rechtsangelegenheiten, die sich auf alle Lebensbereiche, wie den Beruf, das Wohneigentum oder die Familie, auswirken können, könnte ein Motiv für den Abschluss einer Rechtsschutzversicherung sein. Auch ein höheres Alter führt zu einer Steigerung der Wahrscheinlichkeit des Abschlusses einer Rechtsschutzversicherung. Die Wahrscheinlichkeit des Abschlusses einer Rechtsschutzversicherung wird zudem durch eine höhere Ausprägung der Dimension Extraversion erhöht.

Aus der multiplen Regressionsanalyse ergeben sich die in Tab. 3 dargestellten Werte für die Steigung der Variablen, den y‑Achsenabschnitt und den jeweiligen Signifikanzwert (p-Wert).

Tab. 3 Multiple Regressionsanalyse Anzahl der Versicherungen. (Quelle: Eigene Erhebung (Signifikanzniveau 5 %))

Das Nettoeinkommen, die Ausprägung von Extraversion und die Risikoeinstellung stehen in einem positiven Zusammenhang zu der Anzahl der abgeschlossenen Versicherungen. Steigt das Nettoeinkommen um eine Ausprägung, so steigt die Anzahl der Versicherungen um circa 0,45. Steigt die Ausprägung von Extraversion um eine Einheit, so steigt die Anzahl der Versicherungen um ungefähr 0,11. Bei einer Erhöhung der durchschnittlichen wahrgenommenen Wahrscheinlichkeit steigt die Anzahl der Versicherungen um circa 0,48. Das Bestimmtheitsmaß zur Beurteilung der globalen Güte dieser Regression beträgt für die Schätzfunktion r2 = 0,2544, das heißt 25,44 % der Varianz der abhängigen Variable, Anzahl der Versicherungen, kann durch die drei unabhängigen Variablen Nettoeinkommen, Extraversion und durchschnittliche wahrgenommene Wahrscheinlichkeit erklärt werden.

Die Untersuchungsergebnisse werden zunächst zusammengefasst, um anschließen die in Abschn. 3.2 aufgestellten Hypothesen zu beurteilen. Bei einer hohen Ausprägung der Dimension Extraversion steigt die Wahrscheinlichkeit des Abschlusses einer Berufsunfähigkeitsversicherung, einer privaten Rentenversicherung sowie die Anzahl der abgeschlossenen Versicherungen. Eine hohe Ausprägung von Verträglichkeit senkt sowohl die Wahrscheinlichkeit des Abschlusses einer Unfallversicherung als auch die Wahrscheinlichkeit des Abschlusses einer Rechtsschutzversicherung. Dagegen erhöht eine hohe Ausprägung von Gewissenhaftigkeit sowohl die Wahrscheinlichkeit des Abschlusses einer Unfallversicherung als auch einer Rechtsschutzversicherung. Ein größeres Risikobewusstsein erhöht die Wahrscheinlichkeit des Abschlusses einer Berufsunfähigkeitsversicherung und einer Unfallversicherung. Auch eine höhere wahrgenommene Wahrscheinlichkeit führt zu einer Erhöhung der Wahrscheinlichkeit des Abschlusses einer Berufsunfähigkeitsversicherung und einer privaten Rentenversicherung und zur Erhöhung der Anzahl der abgeschlossenen Versicherungen. Als ökonomische Variable steigert ein höheres Nettogehalt die Wahrscheinlichkeit des Abschlusses einer Berufsunfähigkeitsversicherung und einer privaten Rentenversicherung und wirkt sich zudem positiv auf die Anzahl der abgeschlossenen Versicherungen aus.

Anhand der dargestellten Ergebnisse, kann H3 (Persönlichkeitseigenschaften haben einen Einfluss auf die Risikosteuerung) für die Dimensionen Extraversion, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit angenommen werden. Für die Dimensionen Neurotizismus und Offenheit für Erfahrung und für die Ambiguitätstoleranz wurde kein Einfluss auf den Abschluss einer Versicherung festgestellt, weshalb die Hypothese für diese Variablen verworfen werden muss. H4 (Die Risikoidentifikation hat einen Einfluss auf die Risikosteuerung) kann für den Einfluss des Risikobewusstseins auf den Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung und einer Unfallversicherung angenommen werden. Bezüglich des Abschlusses einer Rechtsschutz- und privaten Rentenversicherung muss die Hypothese jedoch verworfen werden. H5 (Die Risikobewertung hat einen Einfluss auf die Risikosteuerung) kann für die wahrgenommene Wahrscheinlichkeit, die einen Einfluss auf den Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung und einer privaten Rentenversicherung sowie auf die Anzahl der angeschlossenen Versicherungen besitzt, angenommen werden. Das wahrgenommene Schadenausmaß scheint ebenso wie die Risikoeinstellung keinen Einfluss auf den Abschluss einer Versicherung zu besitzen, weshalb die Hypothese für diese beiden Variablen verworfen werden muss.

Im Folgenden werden die Ergebnisse der multiplen Regressionsanalyse mit der Risikoeinstellung, der durchschnittlich wahrgenommenen Wahrscheinlichkeit und dem durchschnittlich wahrgenommenen Schadenausmaß als abhängige Variablen dargestellt, um die Hypothesen H1 und H2 zu überprüfen.

Für das Risikobewusstsein als abhängige Variable kann aufgrund der mangelnden Signifikanz der Werte keine Regressionsfunktion modelliert werden. Aus diesem Grund kann kein Einfluss von Persönlichkeitseigenschaften auf das Risikobewusstsein angenommen werden, weshalb H1 (Persönlichkeitseigenschaften haben einen Einfluss auf die Risikoidentifikation) abzulehnen ist.

Durch die multiple Regressionsanalyse mit der Risikoeinstellung als abhängiger Variable, kann ein Zusammenhang zwischen dem Alter, dem Nettoeinkommen, der Ausprägung von Verträglichkeit, der Ambiguitätstoleranz und der Risikoeinstellung festgestellt werden (Tab. 4).

Tab. 4 Multiple Regressionsanalyse Risikoeinstellung. (Quelle: Eigene Erhebung (Signifikanzniveau 5 %))

Das Alter und die Ausprägung von Verträglichkeit besitzen einen negativen Einfluss auf die Risikoeinstellung. Verträgliche und ältere Probenden weisen eine geringere Risikobereitschaft auf als jüngere Probanden und Probanden mit einem niedrigeren Verträglichkeitswert. Das Nettoeinkommen sowie die Ambiguitätstoleranz stehen in einem positiven Zusammenhang zur Risikoeinstellung. Eine höhere Toleranz gegenüber unklaren Situationen könnte zu einer höheren Risikobereitschaft führen, was den positiven Zusammenhang zwischen der Risikoeinstellung (ein höherer Wert des Items zur Messung der Risikoeinstellung indiziert eine größere Risikobereitschaft) und der Ambiguitätstoleranz erklärt. Ein höheres Nettoeinkommen könnte aufgrund der größeren Risikotragfähigkeit zu einer erhöhten Risikobereitschaft führen. Das Bestimmtheitsmaß zur Beurteilung der globalen Güte dieser Regression beträgt für die Schätzfunktion r2 = 0,3087, das heißt 30,87 % der Varianz der abhängigen Variable, Risikoeinstellung, kann durch die vier unabhängigen Variablen Alter, Nettoeinkommen, Verträglichkeit und Ambiguitätstoleranz erklärt werden.

Anhand des Ergebnisses der Regressionsanalyse für die abhängige Variable „durchschnittlich wahrgenommene Wahrscheinlichkeit“ kann ein Zusammenhang zwischen der Ausprägung von Extraversion und der wahrgenommenen Wahrscheinlichkeit angenommen werden (Tab. 5).

Tab. 5 Multiple Regressionsanalyse wahrgenommene Wahrscheinlichkeit. (Quelle: Eigene Erhebung (Signifikanzniveau 5 %))

Es besteht ein negativer Zusammenhang zwischen der Ausprägung der Dimension Extraversion und der durchschnittlich wahrgenommenen Eintrittswahrscheinlichkeit der untersuchten Risiken. Dieser Zusammenhang kann durch den Optimismus und die positiven Emotionen von Personen mit hoher Extraversions-Ausprägung erklärt werden (vgl. Borkenau und Ostendorf 1989, S. 241; vgl. Lauriola und Weller 2018, S. 17). Durch die emotionale Positivität und die höhere Salienz von Gewinnen im Gegensatz zu Verlusten, könnten negative Ereignisse weniger wahrgenommen werden, wodurch auch deren Wahrscheinlichkeit geringer eingeschätzt werden könnte (vgl. Lauriola und Weller 2018, S. 17; vgl. Benischke et al. 2019, S. 159 f.). Das Bestimmtheitsmaß zur Beurteilung Güte dieser Regression beträgt für die Schätzfunktion r2 = 0,0486, das heißt 4,86 % der Varianz der abhängigen Variablen, durchschnittlich wahrgenommene Wahrscheinlichkeit, kann durch die unabhängige Variable Extraversion erklärt werden.

Für die Regressionsanalyse mit dem durchschnittlich wahrgenommenen Schadenausmaß ergibt sich anhand der Ergebnisse ein Zusammenhang zwischen dem Nettoeinkommen, der Ausprägung von Gewissenhaftigkeit und dem durchschnittlich wahrgenommenen Schadenausmaß (Tab. 6).

Tab. 6 Multiple Regressionsanalyse wahrgenommenes Schadenausmaß. (Quelle: Eigene Erhebung (Signifikanzniveau 5 %))

Die Ausprägung von Gewissenhaftigkeit steht in einem positiven Zusammenhang zum durchschnittlich wahrgenommenen Schadenausmaß. Dies könnte durch die stärkere Verlustaversion sowie die höhere Salienz von Verlusten bei gewissenhaften Personen erklärt werden (vgl. Lauriola und Weller 2018, S. 19 f.). Dadurch könnten Verluste von Personen mit einer hohen Ausprägung von Gewissenhaftigkeit stärker wahrgenommen und auch höher eingeschätzt werden, als von Personen mit einer geringen Ausprägung. Der negative Zusammenhang zwischen dem Nettoeinkommen und dem durchschnittlich wahrgenommenen Schadenausmaß könnte durch den Reflektionseffekt erklärt werden. Individuen beurteilen Ereignisse immer in Bezug auf ihren individuellen Referenzpunkt (vgl. Kahneman und Tversky 1979, S. 268). Ein höheres Nettoeinkommen könnte aufgrund eines unterschiedlichen Referenzpunktes zu einer geringeren Einschätzung des finanziellen Verlustes bei Eintritt des Risikos führen. Das Bestimmtheitsmaß zur Beurteilung der globalen Güte dieser Regression beträgt für die Schätzfunktion r2 = 0,1009, das heißt 10,09 % der Varianz der abhängigen Variablen, durchschnittliches wahrgenommenes Schadenausmaß, kann durch die zwei unabhängigen Variablen Nettoeinkommen und Gewissenhaftigkeit erklärt werden.

Die dargestellten Ergebnisse zeigen, dass Persönlichkeitseigenschaften die Risikobewertung beeinflussen. Sowohl die Risikoeinstellung, die durchschnittlich wahrgenommene Wahrscheinlichkeit als auch das durchschnittlich wahrgenommene Schadenausmaß weist einen Zusammenhang mit mindestens einer der untersuchten Persönlichkeitseigenschaften auf. Die Risikoeinstellung wird durch die Ausprägung von Verträglichkeit und die Ambiguitätstoleranz beeinflusst. Die durchschnittlich wahrgenommene Wahrscheinlichkeit steht in einem negativen Zusammenhang zur Ausprägung von Extraversion und das durchschnittlich wahrgenommene Schadenausmaß wird durch die Ausprägung von Gewissenhaftigkeit beeinflusst. Anhand dieser Ergebnisse kann H2 (Persönlichkeitseigenschaften haben einen Einfluss auf die Risikobewertung) für alle Variablen der Risikobewertung angenommen werden. Für die Persönlichkeitseigenschaften Neurotizismus und Offenheit für Erfahrung, muss die Hypothese aufgrund des mangelnden Zusammenhangs zur Risikobewertung abgelehnt werden.

4 Limitationen der Studie und Implikationen für die Praxis

Die vorliegende Arbeit leistet einen Beitrag zur Verbesserung des Wissens bezüglich des individuellen Versicherungsentscheidungsverhaltens und erweitert die Kenntnisse auf diesem Gebiet um den Einfluss grundlegender Persönlichkeitseigenschaften sowie den Einfluss von Faktoren der individuellen Risikobewertung. Zielsetzung dieser Arbeit, ist die Analyse des Zusammenhangs zwischen Persönlichkeitseigenschaften, der individuellen Risikobewertung und dem Abschluss einer Versicherung. Die dargestellten Ergebnisse bestärken die Annahme, dass Persönlichkeitseigenschaften sowohl den Abschluss einer Versicherung als auch die Risikowahrnehmung und die Risikoeinstellung beeinflussen. Jedes der untersuchten Versicherungsprodukte weist jedoch spezifische Einflussfaktoren auf, sodass keine generellen Aussagen über den Zusammenhang zwischen einzelnen Persönlichkeitseigenschaften und dem Abschluss einer Versicherung getroffen werden können. Erstaunlicherweise wurde in der vorliegenden Untersuchung kein Zusammenhang zwischen der Persönlichkeitseigenschaft Neurotizismus und dem Abschluss von Versicherungen festgestellt. Neurotizismus wird durch die ausgeprägte Verlustaversion und die emotionale Negativität oft mit einer starken Wahrnehmung negativer Ereignisse in Verbindung gebracht, was den Abschluss einer Versicherung begünstigen könnte.

Von Interesse sind die Ergebnisse dieser Untersuchung vorrangig für Versicherungsunternehmen, um das Verständnis von Einflussfaktoren auf die Versicherungsnachfrage in Bezug auf verschiedene Versicherungsprodukte zu verbessern. Die in dieser Untersuchung identifizierten Einflussfaktoren der Nachfrage nach verschiedenen Versicherungsprodukten können helfen, das Marketing sowie den Vertrieb zielgerichtet zu steuern und auf die Versicherungsnachfrager abzustimmen. Hier können bspw. prädiktive Analysen durch die Verknüpfung der dargestellten Erkenntnisse und Auswertungen zu Konsumenten aus dem Umfeld sozialer Medien zum Einsatz kommen. Dies wirft natürlich neben datenschutzrechtlichen auch ethische Fragen auf, die an anderer Stelle diskutiert werden müssen.

Allerdings unterliegen, wie bei Studien üblich, auch die vorgelegten Daten und die verwendete Methode einigen Limitationen. Die zur Verfügung stehende Stichprobe ist ausreichend groß, um die Anwendung der durchgeführten statistischen Verfahren zu gewährleisten. Aber natürlich verbieten sich schon aufgrund der soziodemografischen Zusammensetzung des Samples (durchschnittliches Alter der Befragten von knapp 27 und ein Median des Alters von 23 Jahren) repräsentative Aussagen im Hinblick auf die Gesamtbevölkerung. Dies wird durch den Umstand einer deutlichen Unterrepräsentanz männlicher Probanden (Anteil von lediglich 34 %) noch verstärkt. Insofern müssen sich die erzielten Ergebnisse dem Vorwurf aussetzen, nicht repräsentativ für die deutsche Bevölkerung zu sein. Aufgrund der willkürlichen Stichprobenauswahl sowie den Voraussetzungen für eine Regressionsanalyse ist die Generalisierbarkeit der Ergebnisse begrenzt, weshalb ein Einfluss von Persönlichkeitseigenschaften sowie von Variablen der individuellen Risikomanagements auf den Abschluss einer Versicherung, außerhalb der, in dieser Untersuchung identifizierten, Einflüsse, nicht ausgeschlossen werden kann. Außerdem wurden in der vorliegenden Untersuchung nur die Methoden der logistischen und der multiplen Regressionsanalyse verwendet, die einen direkten Zusammenhang zwischen Variablen untersuchen. Moderator- und Mediatoreffekte wurden nicht untersucht, könnten aber durchaus auftreten.

Des Weiteren kann die vorliegende Untersuchung nicht klären, wie sich das Zusammenspiel aus ökonomisch/monetären und psychologischen Einflussfaktoren auf den Abschluss von Versicherungen gestaltet. Das verfügbare Nettoeinkommen wurde zwar ebenfalls erhoben und zeigt einen unterschiedlichen Einfluss auf den Abschluss einer privaten Rentenversicherung bzw. einer Berufsunfähigkeitsversicherung. Offen bleibt die Frage, ob durch das verfügbare Nettoeinkommen gleichsam Cluster gebildet werden, die einen Entscheidungsrahmen für den Abschluss von Versicherungsverträgen bilden. Dies legen, wie oben geschildert, empirische Ergebnisse aus anderen Kulturkreisen nahe. Das verfügbare Nettoeinkommen an sich ist ebenfalls wesentlich spezifischer bspw. im Hinblick auf das gesamte Haushaltseinkommen, die zu versorgenden Personen und die finanziellen Verpflichtungen im Einzelnen zu erfassen. In diesem Zuge sollte auch eine genauere Analyse der individuellen Risikobewertungsprozesse durchgeführt werden. Der Risikoanalyse & -bewertung kommt u. a. im Risikomanagement-Regelkreis nach ISO 31000:2018 zentrale Bedeutung zu (vgl. Abb. 1). Hier kommen qualitative Studien (u. a. Jeske 2008) zu dem Ergebnis, dass sowohl kalkulations- versus affektbasierten kognitiven Modi als auch Prozessen der kognitiven Ergebnis- versus Risikokontrolle Beachtung zu schenken ist. Eine Clusterung von Probanden in diese Modi könnte Aufschluss darüber geben, ob einzelne Versicherungsentscheidungen tatsächlich eher kalkulationsbasiert oder unter dem Einfluss von psychologischen Faktoren vollzogen werden.

Die vorliegende Untersuchung konnte durch die Darstellung konzeptioneller Grundlagen des individuellen Risikomanagements und die Analyse von Einflussfaktoren auf den Versicherungsabschluss bereits einen Beitrag zur Erforschung des Versicherungsentscheidungsverhaltens leisten. Der geringe Umfang des aktuellen Forschungsstandes zu affektiven und individuellen Einflussfaktoren auf den Abschluss einer Versicherung bedarf jedoch weiterer umfangreicher Untersuchungen, um eine detailliertere Deskription des Entscheidungsverhaltens von Individuen in Bezug auf den Abschluss einer Versicherung zu ermöglichen.