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Prof. Dr. Egon Lorenz ist am 16. Oktober 2019 im Alter von 85 Jahren verstorben. Mit ihm hat das Versicherungsrecht einen herausragenden Wissenschaftler und die gesamte Versicherungswissenschaft einen engagierten Brückenbauer zur Versicherungspraxis verloren.

Nach der Schulzeit in Nordenham/Wesermarsch studierte Egon Lorenz Rechtswissenschaft an den Universitäten Marburg, München und Göttingen. An der Universität Göttingen wurde er 1963 mit der von Franz Gamillscheg betreuten und mit dem Fakultätspreis ausgezeichneten Dissertation über „Das Dotalstatut in der italienischen Zivilrechtslehre des 13. bis 16. Jahrhunderts“ (1965) promoviert. In Göttingen erfolgte 1969 auch die Habilitation mit einer Schrift über „Die Eingliederung des Geschädigten in das Schadensersatzrecht“. Schon 1970 folgte Egon Lorenz dem Ruf an die Universität Mannheim auf den Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Privatversicherungsrecht. Seit der Gründung des dortigen Instituts für Versicherungswissenschaft im Jahre 1980 war er dessen Direktor, später Geschäftsführender Direktor. Über viele Jahre war er Vorsitzender des Großen Senats der Universität Mannheim, der er treu geblieben ist, auch als er 1979 einen Ruf an den Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Trier und ein Angebot zum Eintritt in die Unternehmensleitung eines Versicherungsunternehmens erhielt.

Egon Lorenz war ein scharfsinniger und tiefgründiger Wissenschaftler, ein begnadeter akademischer Lehrer und ein inspirierender Gesprächspartner mit starker persönlicher Ausstrahlung. Von seiner wissenschaftlichen Reputation und der hohen persönlichen Wertschätzung, die Kollegen in Wissenschaft und Praxis ihm entgegenbrachten, zeugen drei Festschriften zu runden Geburtstagen (Hübner et al. 1994; Wandt et al. 2004, 2014), die vortreffliche Laudatio zu seinem 70. Geburtstag aus der Feder von Jochen Taupitz (2005) und das ihm als Teilnehmer der VVG-Kommission gewidmete Epos von Bruno Gas (2004). 2007 wurden seine herausragenden Leistungen in Rechtslehre und -wissenschaft durch die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes am Bande gewürdigt.

Im Mittelpunkt seiner wissenschaftlichen Interessen standen das Haftungs- und Versicherungsrecht sowie das Internationale Privatrecht. Um Grundlagen des internationalen Privatrechts hat es sich durch zahlreiche, international beachtete Beiträge, vor allem durch seine Schrift „Zur Struktur des Internationalen Privatrechts“ (1977) verdient gemacht. Er wirkte auch langjährig als Mitglied des Deutschen Rates für Internationales Privatrecht. Schon seit seiner Göttinger Habilitationsschrift lag ihm auch die dogmatische Durchdringung des Haftungs- und Schadensrechts besonders am Herzen. Stellvertretend für Stringenz und Tiefe seiner Forschungen in diesem Bereich seien die Monographien „Die Lehre von den Haftungs- und Zurechnungseinheiten und die Stellung des Geschädigten in Nebentäterfällen“ (1979) und „Immaterieller Schaden und billige Entschädigung in Geld“ (1981) genannt. Hervorzuheben aus den zahlreichen Monographien sowie der Vielzahl von Beiträgen in Sammelwerken und Kommentaren, von Aufsätzen und Urteilsanmerkungen ist schließlich das renommierte, in vielen Auflagen erschienene „Wörterbuch für Recht, Wirtschaft und Politik“ mit erläuternden und rechtsvergleichenden Kommentaren.

Die Aufgaben und Ämter von Egon Lorenz reichten weit über die Universität hinaus. So war er, um nur die wichtigsten Ämter zu nennen, von 1985 bis 2002 Mitglied des Vorstands des Deutschen Vereins für Versicherungswissenschaft. Er war Mitglied des Versicherungsbeirats der BaFin, der vom Bundesjustizministerium einberufenen Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts und des Vorstands der Juristischen Studiengesellschaft beim Bundesgerichtshof. Er war Mitglied der Aufsichtsräte mehrerer Versicherungsunternehmen, aufgrund seines Urteilsvermögens und seiner Überzeugungskraft langjährig auch Aufsichtsratsvorsitzender. Die Zeitschrift „Versicherungsrecht“ prägte er über Jahrzehnte als Herausgeberschaft und Hauptschriftleiter. Zugleich leitete er das Karlsruher Forum für Haftungs‑, Schadens- und Versicherungsrecht, das jährlich aktuelle Rechtsthemen, vornehmlich aus den Arbeitsgebieten der Zeitschrift „Versicherungsrecht“, aufgreift und im eingeladenen Teilnehmerkreis aus Rechtswissenschaft, Richter- und Anwaltschaft sowie aus der Versicherungspraxis diskutiert.

Als Mitglied des Vorstands des Deutschen Vereins für Versicherungswissenschaft hat er wirkungsvoll für das Miteinander von Theorie und Praxis gestritten, stets mit wachsamem Auge für die Wertigkeit der Wissenschaft. Und er hat sich dort vor allem für die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses eingesetzt. Hierzu heißt es in der Festschrift zu seinem 70. Geburtstag:

„Witz und leise Ironie, vor allem aber großes Einfühlungsvermögen und Mitgefühl zeichnen E.L. als langjährigen Leiter des Nachwuchsforums des Deutschen Vereins für Versicherungswissenschaft aus. Häufig baute er hier jungen Wissenschaftlern, die wegen oder mangels ihres Eifers auf schwankendes Terrain geraten waren, goldene Brücken zurück auf festen wissenschaftlichen Grund. Überhaupt: E.L.s Tagungsbeiträge sind ein eigenes Kapitel allseitigen Respekts und Bewunderung. Selbst wenn sich – aus oft ganz unterschiedlichen Gründen – kein anderer Zuhörer nach einem Vortrag aus der Deckung wagt, auf E.L. ist Verlass. In gespannter Haltung und mit konzentriertem Blick wird filetiert und strukturiert, erwogen und gewogen. Antworten bleibt er nicht schuldig, auch nicht auf Fragen, die der Redner sich selbst nicht zu stellen wagte. Meist waltet dabei der ihm eigene Charme, manchmal auch List, inspiriert durch die Lektüre von „Lob der Torheit“ des von ihm geschätzten Erasmus von Rotterdam. Wenn es notwendig ist, kann E.L. aber auch bissig-ironisch sein. So verabschiedete er den ausländischen Referenten einer Tagung, dessen Vortrag ausschließlich durch gutes Englisch bestach, mit den Worten: „Verehrter Kollege, ihr Vortrag war sub omni canone – wirklich außergewöhnlich““ (Wandt 2004).

Egon Lorenz hatte ein erfülltes und ihn erfüllendes Leben. Für ihn gab es keine Betätigungen, sondern nur Berufungen. Seine besondere Wirkkraft schöpfte er daraus, dass er konzentriert der Sache und zugleich einfühlend den Personen zugewandt war. Er hat mit Geisteskraft, Charme und Witz bereichert.

Der Vorstand des Deutschen Vereins für Versicherungswissenschaft, die Schriftleitung dieser Zeitschrift und die vielen ihm verbundenen Kolleginnen und Kollegen aus Wissenschaft und Praxis gedenken Egon Lorenz in Ehre und Dankbarkeit.

Prof. Dr. Manfred Wandt

Goethe-Universität Frankfurt am Main