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Pflegereform 2010: Karenzzeiten in der Sozialen Pflegeversicherung

Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft

Zusammenfassung

Das im Jahr 2012 zu erwartende Defizit in der Sozialen Pflegeversicherung (SPV) sowie die durch die geplante Neufassung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs zusätzlich entstehenden Mehrausgaben machen einschneidende Reformmaßnahmen der SPV dringend erforderlich. Ist es das erklärte Ziel der Politik, die bereits bestehende intergenerative Ungleichheit nicht weiter auszudehnen und die im Koalitionsvertrag vereinbarte Ergänzung der SPV um kapitalgedeckte Elemente umzusetzen, so zeigt der vorliegende Beitrag mit dem Vorschlag einer Karenzzeit – im Sinne einer Wartezeit bis zur Leistungsgewährung – eine Möglichkeit auf, die SPV in ein nachhaltiges System zu überführen. Die Karenzzeit findet hierbei ihre Rechtfertigung durch die genaue Analyse der Verweildauer in Pflege.

Abstract

As current research as well as current data reveal, the German long-term care insurance (LTCI) is expected to run a deficit in 2012. Additionally, further expenses will result due to the newly conceptualized definition of long-term care needs—in future, five instead of three care levels are to meet the needs of LTC patients. Accounting for the demographic turbulence ahead, the German LTCI is in urgent need of a broad reform. The paper suggests a reasonable transition from the current pay-as-you-go system to a partly funded strategy thereby accounting for the burden each generation is confronted with. With the help of generational accounting, we demonstrate that a certain waiting period (Karenzzeit) until LTC benefits are granted achieves an intergenerational balance. This reform proposal stems from the analysis of the length of stay in LTC.

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Notes

  1. In ihrer jetzigen Ausgestaltung sieht die SPV keine Karenzzeit vor. Der Leistungseintritt knüpft vielmehr an eine sogenannte Prognosezeit von sechs Monaten, d. h. an die Prognose des Arztes, dass die Pflegebedürftigkeit mindestens sechs Monate lang bestehen wird.

  2. So beträgt das Pflegegeld (die Pflegesachleistung) momentan in Stufe I monatlich 225 Euro (440 Euro), in Stufe II 430 Euro (1.040 Euro) und in Stufe III 685 Euro (1.510 Euro). Die stationären Leistungen belaufen sich demgegenüber auf monatlich 1.023 Euro in Stufe I, 1.279 Euro in Stufe II und 1.510 Euro in Stufe III.

  3. Laut Hackmann und Moog (2009) sprechen die bisherigen empirischen Belege für konstante bis leicht abnehmende Pflegewahrscheinlichkeiten. In diesem Beitrag werden für die Hochrechnung der Zahl der Pflegefälle konstante Pflegewahrscheinlichkeiten unterstellt.

  4. Dieser Trend hin zu einer stärkeren Nachfrage nach professionellen Pflegeleistungen wird auch als „Heimsogeffekt“ bezeichnet.

  5. Vgl. hierzu das Basis-Szenario von Börsch-Supan und Wilke (2007).

  6. Die Anwendung der isolierten Form der Generationenbilanzierung auf die SPV und die methodisch darauf basierende Berechnungen erfolgte erstmals durch Fetzer et al. (2002, 2003).

  7. Die Berechnung des Status quo Szenarios lässt sich hierbei als konservativ bezeichnen, da übermäßige Kostensteigerungen gemäß der Baumol’schen Kostenkrankheit sowie der beschriebene Heimsogeffekt nicht berücksichtigt werden.

  8. Durch die restliche Ausschöpfung der Demografiereserve, abzüglich der gesetzlich vorgeschriebenen Finanzreserve von 1,5 Monatsausgaben (§ 63, § 64 SGB XI) kann der Beitragssatz – bei gleichem (arbeitsvermehrenden) Wachstum der altersspezifischen Einnahmen und Ausgaben – ausgehend von 1,95 Prozent im Jahr 2008 im Status quo noch bis einschließlich dem Jahr 2014 konstant gehalten werden, danach sind jährlich Beitragssatzanpassungen notwendig. Bei dieser sowie allen noch folgenden Beitragssatzprojektionen wurde der Familienlastenausgleich i. H. v. 0,25 Prozentpunkten als Einnahme berücksichtigt.

  9. Siehe hierzu auch Häcker et al. (2009). Die Autoren zeigen, dass die privaten selbst zu tragenden Pflegeausgaben dementer Pflegefälle die entsprechenden Zahlungen der Gruppe der nicht-dementen Pflegefälle absolut sowie relativ (gemessen an den Gesamtausgaben für den Pflegeaufwand) deutlich übersteigen. Dieses Ergebnis erklärt sich durch die Nichtberücksichtigung des Hilfe- und Betreuungsbedarf dementer Pflegefälle.

  10. Für weitergehende Informationen zum neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff siehe auch Windeler et al. (2008).

  11. So wird argumentiert, dass bei einer starken Verschiebung der Schwellenwerte auch kostenneutrale Lösungen realisiert werden könnten.

  12. Je, nachdem welche Karenzzeit vereinbart wird, kann es sich um eine Wartezeit von 6 Monaten bis zu 24 Monaten handeln.

  13. Zur ausführlichen Analyse der Verweildauern in Pflege, siehe Häcker und Hackmann (2010).

  14. Vgl. hierzu ausführlich Häcker (2008).

  15. Als leichtere Pflegebedarfe und damit kleine Risiken werden hier die ersten Jahre in Pflege betrachtet – also das Vorliegen einer kurzen Pflegedauer. Konsequenterweise wäre in diesem Zusammenhang aber auch über eine Ausgliederung der Pflegestufe I – ebenfalls ein kleines Risiko – nachzudenken. Allerdings sei in diesem Fall auf die mögliche Anreizproblematik seitens des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) bei Einstufung der Pflegebedürftigen hingewiesen.

  16. Der Wert der durchschnittlichen Leistungsreduktion schwankt je nach Pflegedauer, -schwere und Versorgungsform zwischen 440 und 18.100 Euro.

  17. Die Betrachtung der Verteilung der Gesamtpflegekosten offenbart, in welchem Ausmaß mit Kosten bei langer Verweildauer gerechnet werden muss. So sind immerhin 27 (38) Prozent der männlichen (weiblichen) Pflegefälle mit Pflegekosten von im Barwert 120.000 Euro und mehr konfrontiert – Kosten, die nicht durch Eigenvorsorge geleistet werden können und die von der Gesellschaft solidarisch zu tragen sind.

  18. Die kapitalgedeckte Versicherungslösung ließe sich grundsätzlich auch staatlich organisieren. Die Gefahr des Missbrauchs eines staatlichen Kapitalstocks für andere Finanzierungsvorhaben empfiehlt es allerdings, die privatwirtschaftliche Lösung vorzuziehen.

  19. Alternativ zum Vorschlag, die Ausgliederung der Pflegeleistungen über die Zeit vorzunehmen, ließe sich ebenso darüber nachdenken, den entsprechenden Betrag an Pflegekosten in ein kapitalgedecktes System auszugliedern. Gemäß den hier angegebenen Reduktionen der Leistungszahlungen in Prozent wären demnach die ersten 12.768 (14.365) Euro an Pflegekosten entsprechend der zweijährigen Karenzzeit bzw. 17.624 (20.695) Euro an Pflegekosten gemäß der dreijährigen Karenzzeit für männliche (weibliche) Pflegefälle in ein kapitalgedecktes System zu überführen. Im Gegensatz zum Vorschlag der Karenzzeit, wären bei einer Ausgliederung bestimmter Pflegeleistungen gemäß einem vorher fixierten Betrag im Zeitverlauf auf Grund der Kostensteigerungen im Pflegeverlauf ständige Anpassungen dieses Betrags notwendig. Demgegenüber weist die Pflegedauer gemäß Häcker und Hackmann (2010) eine deutlich höhere Konstanz auf und erfordert somit einen wesentlich geringeren Anpassungsbedarf im Zeitablauf.

  20. Natürlich sind auch hier etliche Variationen denkbar. So könnte bspw. festgelegt werden, dass nur die Hälfte der heutigen Pflegesätze kapitalgedeckt und obligatorisch abgesichert werden müssen. Alles darüber hinaus obliegt der freiwilligen Absicherung.

  21. Die bisherige Ausgestaltung der SPV sieht im Gegensatz zur gesetzlichen Krankenversicherung keinen Risikostrukturausgleich (RSA) für die unterschiedlichen Pflegerisiken der Versicherten vor. Demzufolge wird ein RSA im vorliegenden Beitrag nicht näher diskutiert. Ergibt sich durch die private Versicherungslösung hingegen ein Bedarf an Umverteilungselementen, so wären diese gemäß Riedel (2003) entsprechend der Regelungen bei der Einführung der privaten Pflegeversicherung, in Zukunft zu implementieren.

  22. Dies gilt unabhängig von der Karenzzeit.

  23. In Bezug auf die Karenzpauschale sind natürlich etliche Variationen denkbar. So könnte diese auch mit gestaffelten Umlageelementen ausgestaltet werden und zwar derart, dass ältere Kohorten nicht so stark subventioniert werden und damit stärker zur Finanzierung ihrer eigenen Leistungen herangezogen werden; jüngere Kohorten müssten dann entsprechend geringere Umlageelemente leisten.

  24. Aufgrund übermäßiger Verwaltungskosten, die im Zusammenhang mit der „Bedürftigkeitsprüfung“ anfallen, ist die Zusammenlegung von sozialer Abfederung im Rahmen der Kranken- und Pflegeversicherung unbedingt zu empfehlen.

  25. Natürlich sind auch Variationen in der hier zugrundegelegten Überforderungsgrenze denkbar. Dabei fällt das Subventionsvolumen umso geringer aus, je höher die Überforderungsgrenze festgesetzt wird. Eine allgemeine Überforderungsgrenze von 3,0 Prozent führt zu einem anfänglichen Subventionsvolumen von 1,9 Mrd./6,1 Mrd./13,6 Mrd. Euro bei einer Karenzzeit von einem/zwei/drei Jahr(en). Wird die Überforderungsgrenze auf 4,0 Prozent des Haushaltseinkommens gelegt, so beträgt der Subventionsbedarf im Jahr 2011 1,8 Mrd./4,6 Mrd./9,6 Mrd. Euro.

  26. Für den hier aufgeführten Subventionsbedarf wurde unterstellt, dass die Karenzpauschale nicht paritätisch finanziert wird. Sofern die Karenzpauschale jedoch eine hälftige Beteiligung durch den Arbeitgeber erfährt, fällt natürlich auch der Subventionsbedarf entsprechend geringer aus.

Literatur

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Häcker, J., Hackmann, T. & Raffelhüschen, B. Pflegereform 2010: Karenzzeiten in der Sozialen Pflegeversicherung. ZVersWiss 100, 347–367 (2011). https://doi.org/10.1007/s12297-011-0145-3

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