Zusammenfassung
Die Möglichkeit einer Mitgliedschaft EG-ausländischer Versicherungsunternehmen in den deutschen Sicherungsfonds der Lebens- und Krankenversicherung sieht die gegenwärtige Regelung des VAG nicht vor. Während eine Pflichtmitgliedschaft von Versicherungsunternehmen aus einem anderen Mitgliedstaat der EU oder des EWR-Abkommens gegen das finanzaufsichtsrechtliche single-license-Prinzip verstoßen würde, ist die Möglichkeit einer freiwilligen Mitgliedschaft EG-ausländischer Versicherungsunternehmen in den deutschen Sicherungsfonds europarechtlich geboten. Denn die fehlende Möglichkeit einer freiwilligen Mitgliedschaft EG-ausländischer Versicherungsunternehmen in den deutschen Sicherungsfonds stellt eine unzulässige Beschränkung der europäischen Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit dar. Folglich hat der deutsche Gesetzgeber für EG-ausländische Versicherungsunternehmen die Möglichkeit einer freiwilligen Mitgliedschaft zu schaffen, um einen unverfälschten Wettbewerb auf dem europäischen Versicherungsbinnenmarkt zu gewährleisten.
Abstract
The present regulation of the German guarantee funds for life and health insurance offers no possibility for insurance enterprises from other memberstates of the EC to become a member of these funds. Whereas an obligatory membership for EC-foreign insurance enterprises would violate the single-license-principle for financial supervision in the EC, community law requires a possibility to become a member of the German guarantee funds on a voluntary basis. The absence of the possibility of such a voluntary membership in the German insurance supervision law leads to an inadmissible restriction of the fundamental economic freedom rights of the common market. Therefore, the German legislator has to add the possibility of a voluntary membership to his national regulation of the guarantee funds to secure an undistorted competition on the common market for insurance in the EC.
Notes
Gesetz zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes und anderer Gesetze vom 15. Dezember 2004 (BGBl. I, 3416).
Das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum ist am 1. Januar 1994 in Kraft getreten; Vertragsstaaten des EWR-Abkommens sind sämtliche Mitglieder der EG sowie Island, Liechtenstein und Norwegen. Sofern im Folgenden lediglich von „EG-ausländischen Versicherungsunternehmen“ die Rede ist, gelten Unternehmen aus den nicht EG-angehörigen Mitgliedstaaten des EWR gedanklich stets als mit umfasst.
Zuletzt Europäische Kommission, Working Paper on Insurance Guarantee Schemes vom 12. Dezember 2005, MARKT/2534/12 – EN; vgl. auch den Bericht über die vergleichende Untersuchung der bisher bestehenden Versicherungsgarantiesysteme in den Mitgliedstaaten der EG, abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/insurance/docs/guarantee_schemes_en.pdf; ausführlich zu der Entwicklung auf europäischer Ebene: Heidel (2007), S. 201 ff.
Zu der viele Jahre währenden Diskussion um die Einführung gesetzlicher Sicherungsfonds zu Zwecken des Insolvenzschutzes vgl. etwa Präve (2005), S. 1023 f. m. w. N. sowie ausführlich Heidel (2007), S. 5 ff.; zu dem Verhältnis von Insolvenzsicherung und Wirtschaftsaufsicht grundlegend Dreher (1991), S. 93 ff.
Dritte Richtlinie 92/49/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 zur Nichtlebensversicherung und Dritte Richtlinie 92/96/EWG des Rates vom 10. November 1992 zur Lebensversicherung; die Umsetzung erfolgte in Deutschland durch das Dritte Gesetz zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 21. Juni 1994 (BGBl. I, 1630).
Vgl. hierzu § 1 Nr. 3 der „Internen Richtlinie des Sicherungsfonds zur Aufnahme von Pensionskassen“ der Sicherungseinrichtung der Lebensversicherungsunternehmen, in Kraft getreten am 22. Mai 2006, abrufbar unter www.protektor-ag.de/documents/Interne_Richtlinie_zur_Aufnahme_von_Pensionskassen.pdf.
Vgl. § 2 Satz 5 der „Internen Richtlinie des Sicherungsfonds zur Aufnahme von Pensionskassen“; ausführlich zum ganzen, insbesondere zu den einzelnen Aufnahmebedingungen Heidel (2007), S. 80 ff.
Hierzu bereits oben bei Fn. 5.
Ausführlich Rittner u. Dreher (2008), § 31 Rn. 7, 26, 100 f.; so auch ausdrücklich §§ 85 Satz 2, 110a Abs. 3 Satz 1 VAG.
Hierzu ausführlich oben Abschn. 1.
So im Ergebnis auch Heidel (2007), S. 63 f. und Präve (2005), S. 1026; von der Möglichkeit einer freiwilligen Mitgliedschaft gehen hingegen Fricke (2005), S. 162 und Fahr et al. (2007), § 124 Rn. 6 – allerdings ohne jede rechtsdogmatische Begründung – aus; anders jedoch neuerdings – im Widerspruch zu seiner Publikation Fricke (2005), 162 – Fricke (2008), S. 865 ff.
Daneben sollen in bestimmten Fällen auch Private an die Grundfreiheiten gebunden sein, vgl. etwa EuGH v. 15. Dezember 1995 – Rs. C-415/93, Slg. 1995, I-4921 Tz. 82 = NJW 1996, 505 – Bosman; EuGH v. 6. Juni 2000 – Rs. C-281/98, Slg. 2000, I-4139 Tz. 29 ff. = EuZW 200, 468 – Angonese.
Zu dieser Entwicklung Rittner u. Dreher (2008), (Fn. 13), § 3 Rn. 55 m.w.N.; vgl. speziell zu der Niederlassungsfreiheit etwa EuGH v. 7. Mai 1991 – Rs. C-340/89, Slg. 1991, I-2357 Tz. 15 = NJW 1991, 2973 – Vlassopoulou; EuGH v. 31. März 1993 – Rs. C-19/92, Slg. 1993, I-1663 Tz. 32 = EuZW 1993, 322 – Kraus; EuGH v. 30. November 1995 – Rs. C-55/94, Slg. 1995, I-4165 Tz. 37 = NJW 1996, 579 – Gebhard; zu der Dienstleistungsfreiheit etwa EuGH v. 25. Juli 1991 – Rs. C-76/90, Slg. 1991, I-4221 Tz. 12 = NJW 1991, 2693 – Säger; EuGH v. 12. Dezember 1996 – Rs. C-3/95, Slg. 1996, I-6511 Tz. 25 = EuZW 1997, 53 – Reisebüro Broede; EuGH v. 3. Oktober 2000 – Rs. C-58/98, Slg. 2000, I-7919 = EuZW 2000, 763 – Corsten; EuGH v. 28. April 1998 – Rs. C-158/96, Slg. 1998, I-1931 Tz. 33 = NJW 1998,1771 – Kohll.
Zu der Unterscheidung zwischen primärer und sekundärer Niederlassungsfreiheit vgl. etwa Randelzhofer u. Forsthoff (2001), Art. 43 Rn. 48 f.; zu der Abgrenzung der Niederlassungs- von der Dienstleistungsfreiheit vgl. insbesondere EuGH v. 30. November 1995 – Rs. C-55/94, Slg. 1995, I-4165 Tz. 37 = NJW 1996, 579 – Gebhard; verlegt ein Lebens- oder Krankenversicherungsunternehmen hingegen unter Inanspruchnahme der primären Niederlassungsfreiheit seinen Hauptsitz nach Deutschland, stellt sich die Frage einer freiwilligen Mitgliedschaft nicht, da das Unternehmen dann nach § 124 Abs. 1 VAG Pflichtmitglied einer Sicherungseinrichtung ist; die Möglichkeit der Inanspruchnahme der sekundären Niederlassungsfreiheit übersieht Fricke (2008), S. 865 ff., insb. 869 f.
Vgl. nur Art. 43 Abs. 2 EG a. E.: „nach den Bestimmungen des Aufnahmestaates für seine eigenen Angehörigen“ und Art. 50 Abs. 3 EG a. E.: „unter den Voraussetzungen, welche dieser Staat für seine eigenen Angehörigen vorschreibt“.
So für die Dienstleistungsfreiheit EuGH v. 25. Juli 1991 – Rs. C-76/90, Slg. 1991, I-4221 Tz. 12 = NJW 1991, 2693 – Säger.
EuGH v. 31. März 1993 – Rs. C-19/92, Slg. 1993, I-1663 Tz. 32 = EuZW 1993, 322 – Kraus; EuGH v. 30. November 1995 – Rs. C-55/94, Slg. 1995, I-4165 Tz. 37 = NJW 1996, 579 – Gebhard.
So im Hinblick auf die Dienstleistungsfreiheit EuGH v. 28. April 1998 – Rs. C-158/96, Slg. 1998, I-1931 Tz. 33 = NJW 1998,1771 – Kohll.
Gerade deswegen hat der Gesetzgeber für diese Sparten zum Schutz der Versicherungsnehmer die Pflichtmitgliedschaft der deutschen Versicherungsunternehmen in den gesetzlichen Sicherungseinrichtungen begründet, vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 24. Juni 2004 (BT-Drucksache 15/3418), S. 25, zu § 124.
Zu restriktiv Lettl (2007), 1345 ff. und 1397 ff., der im Hinblick auf die Einlagensicherung der Kreditwirtschaft die Werbung mit der Mitgliedschaft in gesetzlichen Sicherungseinrichtungen grundsätzlich für unzulässig hält.
EuGH v. 21. Juni 1974 – Rs. C-2/74, Slg. 1974, I-631 Tz. 45 = NJW 1975, 513 – Reyners.
Vgl. etwa EuGH v. 30. November 1995 – Rs. C-55/94, Slg. 1995, I-4165 Tz. 37 = NJW 1996, 579 – Gebhard.
Hierzu bereits ausführlich oben bei Fn. 6.
Eine entsprechende Rechtsgrundlage ist als Befugnis im Rahmen der Tätigkeitslandaufsicht und der damit einhergehenden Kooperation mit der Aufsichtsbehörde des Herkunftsmitgliedstaates im Zuge der Einführung der gesetzlichen Möglichkeit einer freiwilligen Mitgliedschaft EG-ausländischer Versicherer in den deutschen Sicherungseinrichtungen zu schaffen. Da es sich – wie bereits dargelegt – bei der Möglichkeit einer freiwilligen Mitgliedschaft nicht um eine finanzaufsichtsrechtliche Maßnahme handelt, stellen auch die damit einhergehenden Befugnisse der Aufsichtsbehörde keinen Verstoß gegen das finanzaufsichtsrechtliche single-license-Prinzip dar; insofern unzutreffend Fricke (2008), S. 868.
Zu möglichen Anspruchsgrundlagen des nationalen Rechts vgl. sub specie der Aufnahme in die Einlagensicherungssysteme der Kreditwirtschaft ausführlich Papenthin (1999), S. 82 ff.
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Der Autor ist Rechtsreferendar in dem Bezirk des OLG Koblenz und Mitarbeiter an dem Lehrstuhl für Europarecht, Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht sowie Rechtsvergleichung (Prof. Dr. Meinrad Dreher, LL.M.) an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.
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Lange, M. Die Mitgliedschaft EG-ausländischer Versicherungsunternehmen im Sicherungsfond der Lebens- und Krankenversicherung. ZVersWiss 97 (Suppl 1), 13–26 (2008). https://doi.org/10.1007/s12297-008-0034-6
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