1 Einleitung

Mit der sogenannten „Flüchtlingskrise“ im Jahre 2015 ist das Interesse der vergleichenden Policy-Forschung an der Asylpolitik beträchtlich gewachsen. Neben den unterschiedlichen Reaktionen der einzelnen europäischen Staaten auf den Anstieg der Flüchtlingszahlen sind in der Folge auch die voneinander abweichenden Regelungen innerhalb der deutschen Bundesländer in den Fokus geraten (siehe u. a. Bauer-Blaschkowski 2020; Günther et al. 2019; Hörisch 2018; Hörisch und Heiken 2020; Meyer et al. 2021; Reiter und Töller 2019; Riedel und Schneider 2017; Schneider et al. 2020). Sowohl Reiter und Töller (2019) als auch Meyer et al. (2021) zeigen in ihren themenübergreifenden Studien zu diesem Politikfeld, dass es hinsichtlich der Restriktivität der asylpolitischen Maßnahmen erhebliche Unterschiede zwischen den Bundesländern gibt. So fällt die Asylpolitik in Ländern wie Bayern, Sachsen und dem Saarland deutlich restriktiver aus als beispielsweise in Bremen, Berlin oder in Schleswig-Holstein. Einigkeit besteht außerdem darin, dass es sinnvoll ist, unterschiedliche asylpolitische Bereiche wie Anerkennungsquoten und Unterbringung von Geflüchteten analytisch voneinander abzugrenzen, um policy-spezifische Dynamiken erfassen zu können.

Ein gewisser Dissens zeigt sich in der Literatur in der Frage, welche Bedeutung Parteieneffekten im Vergleich zu strukturellen Faktoren bei der Erklärung der Varianz zwischen den Ländern zukommt. Reiter und Töller (2019, S. 214) kommen mit Verweis auf die betrachteten Studien zu dem Ergebnis, dass „ideologische Einflussfaktoren oft für plausibel gehalten, aber nur teilweise in erwarteter Weise nachgewiesen“ wurden. So zeigen sich zwar bei der Abschiebung nach Afghanistan oder der Einführung der Gesundheitskarte für Geflüchtete deutliche Parteieneffekte (Günther et al. 2019; Hörisch 2018, S. 795–797), in anderen Bereichen wie den Anerkennungsquoten fallen diese jedoch schwächer aus oder sind durch strukturelle Faktoren wie finanzielle Leistungsfähigkeit und soziostrukturelle Unterschiede konditioniert (Hörisch 2018, S. 793–795; Hörisch und Heiken 2020; Riedel und Schneider 2017; Schneider et al. 2020). Meyer et al. (2021, S. 1) finden dagegen in ihrer QCA-basierten Analyse, die zahlreiche asylpolitische Bereiche umfasst, klare Belege für „die hohe Relevanz der parteipolitischen Zusammensetzung der Regierung“.

Die vorliegende Studie trägt zu dieser Debatte bei, indem sie eine asylpolitische Maßnahme in die Betrachtung einbezieht, die bisher keine Aufmerksamkeit seitens der vergleichenden Policy-Forschung erfahren hat, nämlich die Nutzung landesinterner WohnsitzauflagenFootnote 1 für anerkannte Flüchtlinge und subsidiär SchutzberechtigteFootnote 2. Dadurch erhalten Länder die Möglichkeit, Asylberechtigten einen festen Wohnort in einer Stadt, einer Gemeinde oder einem Landkreis zuzuweisen (positive Wohnsitzauflage) oder ihnen die Wohnsitznahme an einem bestimmten Ort zu verbieten (negative Wohnsitzauflage) (Berlit 2017, S. 95–97). Landesinterne Wohnsitzauflagen bieten Landesregierungen somit im Rahmen des Integrationsgesetzes 2016 die Möglichkeit, die allgemeine Wohnsitzauflage des Bundes zu präzisieren, die die Wohnsitzwahl auf einzelne Bundesländer begrenzt. Generell bedeuten derartige Wohnsitzauflagen ähnlich wie die Residenzpflicht eine Einschränkung der Freizügigkeit, weshalb ihre Anwendung insbesondere von Menschenrechtsgruppen kritisiert wird (Deutsches Institut für Menschenrechte 2016; Schlotheuber und Röder 2016). Darüber hinaus ist ihre integrationspolitische Wirkung umstritten. Befürworter*innen der Wohnsitzauflage betonen, dass diese der besseren Integration der Geflüchteten diene und ethnische Segregation verhindere (Ruge 2016). Kritiker*innen befürchten einen gegenteiligen Effekt. Durch die Bindung an einen Wohnort werde unter anderem die Arbeitsplatzsuche eingeschränkt, was sich insbesondere in strukturschwachen Gegenden integrationshemmend auswirken könne (Brücker et al. 2020; Frei und Kluge 2016). Ferner könnten „ethnische Netzwerke“ eine Ressource für eine gelungene Integration darstellen (Haug und Sauer 2007, S. 64–65; Renner 2020, S. 188).

Die zentrale Frage vor diesem Hintergrund lautet, wie sich erklären lässt, dass Regierungen in etwas weniger als der Hälfte der Bundesländer von 2016 bis 2018 auf positive Wohnsitzauflagen zurückgriffen, während die restlichen Landesregierungen darauf verzichteten und Asylberechtigten dementsprechend die freie Wohnsitzwahl innerhalb ihres Gebiets gewährten. Anschließend an die anfangs ausgeführte Debatte stellt sich die Frage, ob die parteipolitische Färbung der Landesregierungen diese Unterschiede erklären kann. Auf Basis der Parteiendifferenztheorie ist grundsätzlich eine restriktivere Haltung rechter Parteien zu erwarten (Bale 2008; Günther et al. 2019; Lahav 1997; Meyer et al. 2021). Ein oberflächlicher Blick zeigt, dass in der Tat viele CDU-geführte Länder sowie das CSU-geführte Bayern positive Wohnsitzauflagen anwendeten. Andererseits führten auch die frühere rot-grüne Regierung in Nordrhein-Westfalen und die grün-schwarze Regierung in Baden-Württemberg derartige Beschränkungen ein, während die Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein darauf verzichtete. Ausgehend von diesem nicht ganz eindeutigen Bild und der Betonung zusätzlicher struktureller Faktoren in der Literatur lässt sich die Annahme formulieren, dass Parteieneffekte zwar eine wichtige Rolle spielen, dass allerdings ihr Zusammenspiel mit anderen Erklärungsfaktoren in den Blick genommen werden muss, um die Differenzen bei der Nutzung von positiven Wohnsitzauflagen zu erklären.

Als methodisches Verfahren zur Aufdeckung der unterstellten komplexen Kausalität eignet sich die Qualitative Comparative Analysis (QCA). Methodisch knüpft der Artikel damit an eine Reihe von Policy-Studien an, die sich dem Bundesländervergleich widmen (siehe u. a. Bandau und Bothner 2020; Beinborn et al. 2018; Günther et al. 2019; Hörisch 2018; Meyer et al. 2021; Sack und Sarter 2018; Stoiber und Töller 2016). Im Rahmen einer QCA ist es möglich, sowohl notwendige als auch hinreichende Bedingungen für die Anwendung positiver Wohnsitzauflagen für Asylberechtigte zu identifizieren. Gegenüber Regressionsanalysen und anderen statistischen Verfahren hat die QCA den großen Vorteil, dass sie Äquifinalität beim Zustandekommen von Policies berücksichtigt, also die Möglichkeit, dass die Länder auf unterschiedlichen Wegen zu Wohnsitzauflagen gelangen (Schneider und Wagemann 2012, S. 5–6). So lässt sich beispielsweise prüfen, ob rechte Landesregierungen unter anderen Rahmenbedingungen zu diesem Instrument greifen als linke Landesregierungen. Darüber hinaus kann im Rahmen der QCA der kausalen Asymmetrie bei der Nutzung bzw. Nicht-Nutzung einer Policy Rechnung getragen werden (Schneider und Wagemann 2012, S. 78–80). Konkret lässt sich damit nicht nur untersuchen, unter welchen Bedingungen Bundesländer landesinterne Wohnsitzauflagen anwenden, sondern auch unter welchen Bedingungen sie Asylberechtigten eine freie Wohnsitzwahl innerhalb des Bundeslandes gewähren.

Der Artikel ist folgendermaßen aufgebaut: Der anschließende Abschnitt liefert einen Überblick über den Einsatz landesinterner Wohnsitzauflagen für Zuwander*innen und Geflüchtete in Deutschland. Im dritten Abschnitt werden die theoretischen Überlegungen zu Parteiendifferenzen und weiteren relevanten Erklärungsfaktoren dargelegt. Das vierte Kapitel widmet sich der gewählten Methode der crisp-set QCA, insbesondere der Operationalisierung und der Kalibrierung der ausgewählten Bedingungen. Im fünften Abschnitt erfolgen die empirische Analyse und die Präsentation der Ergebnisse. Der Artikel schließt mit einer Zusammenfassung und einer Einordnung der Befunde in die Literatur.

2 Wohnsitzauflagen für Zuwander*innen und Geflüchtete in Deutschland

Wohnsitzauflagen für Zuwander*innen sind im bundesdeutschen Kontext kein neues Instrument. Bereits im Jahre 1975 wurden erstmals Zuzugssperren für Ballungsräume für Zuwanderer*innen erlassen, um eine Überlastung der sozialen Infrastruktur aufgrund der hohen Arbeitsmigration zu verhindern. Für Städte und Gemeinden mit einem Ausländeranteil von mindestens zwölf Prozent galt automatisch eine Zuzugssperre. Bei einem Anteil von sechs bis zwölf Prozent konnten die Städte und Gemeinden selbstständig entscheiden, ob sie den Zuzug begrenzen möchten (Münch 2010, S. 297; Renner 2018, S. 7–8). Aufgrund zahlreicher Ausnahmen fiel jedoch nur ein geringer Anteil der Zugewanderten unter diese Regelung. Wegen des hohen Verwaltungsaufwandes wurde sie bereits im April 1977 wieder aufgehoben (Münch 2010, S. 298–299). Lediglich für drei Stadtteile West-Berlins gab es bis in das Jahr 1990 weiter Zuzugssperren für Ausländer*innen jeglicher Herkunft (Kapphan 2001, S. 93–94). Aufgrund der zunehmenden Anzahl an (Spät‑)Aussiedler*innen aus Osteuropa und dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion trat im Jahr 1989 das Wohnortzuweisungsgesetz (WoZuG) in Kraft, das auf den 31.12.2009 befristet war (Haug und Sauer 2007, S. 12). Durch eine Gesetzesänderung im Februar 1996 wurde festgelegt, dass allen neu zugewanderten Spätaussiedler*innen für zwei Jahre (ab Dezember 1997 unbefristet und ab Juni 2000 wieder auf drei Jahre befristet) ein fester Wohnsitz zugewiesen wurde. Das WoZuG trat planmäßig am 31.12.2009 wieder außer Kraft (BAMF 2011; Haug und Sauer 2007, S. 12).

Im Zuge der sogenannten „Flüchtlingskrise“ (Bozay und Mangitay 2019) entwickelte sich angesichts der großen Anzahl an geflüchteten Personen, die in Deutschland Asyl suchten, eine Debatte über die Wiedereinführung von Wohnsitzauflagen. Im Rahmen des im Juli 2016 erlassenen Integrationsgesetzes kam es zu einer Änderung des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG), welche Wohnsitzauflagen für Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte einführte (BGBl 2016). Solange Geflüchtete auf Transferleistungen angewiesen sind, müssen sie nach § 12a Abs. 1 AufenthG für drei Jahre (seit 2019 entfristet) in dem Bundesland ihren Wohnsitz haben, in dem ihr Asylverfahren durchgeführt wurde. Das erklärte Ziel ist die Förderung der „nachhaltigen Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland“ (§ 12a Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Ausgenommen davon sind anerkannte Geflüchtete, die selbst oder deren Angehörige über eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im Umfang von mindestens 15 h wöchentlich verfügen, die zur Sicherung des Lebensunterhalts ausreicht (§ 12a Abs. 1 Satz 2 AufenthG). Ferner sind Asylberechtigte ausgenommen, die eine Berufsausbildung aufnehmen oder aufgenommen haben, die in einem Studien- oder in einem Ausbildungsverhältnis stehen oder für die andere Härtefallregelungen gelten.

Zusätzlich können die Landesbehörden Asylberechtigten innerhalb des Bundeslandes einen Wohnort in einer bestimmten Stadt, Gemeinde oder einem Landkreis zuweisen (§ 12a Abs. 2 und 3 AufenthG) oder ihnen die Wohnsitznahme in bestimmten Städten, Gemeinden oder Landkreisen untersagen (§ 12a Abs. 4 AufenthG). Ersteres stellt eine Form der ‚positiven Wohnsitzauflage‘ dar, während Letzteres als ‚negative Wohnsitzauflage‘ bezeichnet wird (Berlit 2017, S. 96). Auch durch die landesinternen Wohnsitzauflagen soll die Integration gefördert und „integrationshemmenden Segregationstendenzen“ vorgebeugt werden (Bundestag 2016, S. 3). Die integrationspolitische Begründung dieser Regelung ist entscheidend, da die Wohnsitzauflagen laut Urteil des Europäischen Gerichtshofes nur aufgrund dieser integrationspolitischen Gesichtspunkte im Einklang mit dem EU-Recht stehen (Deutsches Institut für Menschenrechte 2016, S. 3–4; EuGH 2016).

Durch die Möglichkeit des Erlasses landesinterner Wohnsitzauflagen beinhaltet das Gesetz eine „ausgeprägte föderale Komponente“ (Thym 2016, S. 121). Bundesländer haben entsprechend § 12a Abs. 9 AufenthG die Möglichkeit, Rechtsverordnungen oder andere landesrechtliche Regelungen zu erlassen und die Verteilung von Geflüchteten innerhalb des Landes zu regeln. Dabei gehen die Bundesländer unterschiedliche Wege, wie Tab. 1 verdeutlicht. Sieben Bundesländer haben im Zeitraum von Mitte 2016 bis Ende 2018 positive landesinterne Wohnsitzauflagen erlassen. Die Landesregierungen in den anderen neun Bundesländern haben auf eine derartige Maßnahme verzichtet und gewähren eine freie Wohnsitzwahl innerhalb des Bundeslandes. In Niedersachsen und Rheinland-Pfalz wurde diese Freiheit allerdings 2017 und 2018 in geringem Maße durch negative Wohnsitzauflagen für einzelne Städte eingeschränkt. Abschließend lässt sich somit festhalten, dass es bezüglich der Wohnsitzauflagen eine erklärungsbedürftige Varianz bei der Umsetzung der Asylgesetzgebung in den Bundesländern gibt.

Tab. 1 Landesinterne Wohnsitzauflagen in Deutschland, 2016–2018

3 Theoretische Fundierung

Anknüpfend an die bisherige Forschung zur Asylpolitik sowie auf Basis eigener theoretischer Überlegungen werden in diesem Abschnitt vier Erklärungsfaktoren für die Varianz bei der Nutzung von positiven Wohnsitzauflagen vorgestellt. Neben den Parteien als Faktor auf der Akteursebene handelt es sich dabei um drei strukturelle Faktoren: die geographische Größe des Bundeslandes, die Zahl der aufzunehmenden Personen und die Einstellungen der Landesbevölkerung zur Aufnahme von Migrant*innen.Footnote 3

Parteien sind die zentralen Akteure im Entscheidungsprozess, da ihre Vertreter*innen die Landesregierungen stellen und somit über die Anwendung und Ausgestaltung von landesinternen Wohnsitzauflagen entscheiden. Parteieneffekte resultieren nach der Parteiendifferenzthese entweder aus ideologischen Differenzen zwischen den Parteien und ihren Mitgliedern (policy seeking) oder aus der Ausrichtung der Parteien an unterschiedlichen Wählergruppen (vote seeking) (Bandau 2015, S. 31–40; Wenzelburger 2015, S. 82). Basierend auf ideologischen Differenzen auf der soziokulturellen Konfliktachse lässt sich für die Asylpolitik die Erwartung formulieren, dass linke Parteien aufgrund ihrer Verpflichtung zur Unterstützung von Schwachen und Verfolgten sowie ihrer multikulturellen Orientierung eine liberalere Politik verfolgen als rechte Parteien, die Flüchtlinge eher als kulturelle und soziale Bedrohung wahrnehmen. Der Wettbewerb um Wählerstimmen, insbesondere um die Stimmen der konservativen Arbeiterschaft, sowie Forderungen der Wirtschaft nach Zuwanderung können allerdings für eine Abschwächung soziokultureller Parteieneffekte führen (de Haas und Natter 2015; Han 2015). Schließlich kann das Ausmaß der Parteiendifferenzen zwischen migrationspolitischen Teilbereichen schwanken. So argumentieren Givens und Luedtke (2005), dass Parteieneffekte bei der Integration von Migrant*innen stärker ausfallen als bei der Kontrolle von Zuwanderung.

Die empirischen Befunde sind gemischt, deuten aber darauf hin, dass die Erklärungskraft der Theorie zwischen Ländern und migrationspolitischen Bereichen schwankt. Während Lahav (1997) klare Parteiendifferenzen in den Einstellungen zur Migration nachweist, findet die wohl umfassendste quantitative Studie zum Thema, die 21 Staaten und über 6500 migrationspolitische Änderungen umfasst, keine Unterstützung für die Parteiendifferenztheorie (de Haas und Natter 2015). Im Gegensatz dazu kommt Han (2015) zu dem Ergebnis, dass die Stärke von Parteieneffekten von der Bindung linker Parteien an die Arbeiterschaft abhängt. Ein Vergleich westeuropäischer Länder zeigt schließlich, dass derartige Effekte von länderspezifischen Aspekten wie dem Parteienwettbewerb im jeweiligen nationalen Kontext abhängen (Bale 2008). Im deutschen Bundesländervergleich stellt die parteipolitische Färbung der Regierung, wie zu Beginn ausgeführt, einen wesentlichen Erklärungsfaktor dar (Meyer et al. 2021). Dieser Befund bestätigt sich für zahlreiche Policies. So kommen Günther et al. (2019, S. 361) in ihrer Studie zur Einführung der Gesundheitskarte für Asylsuchende zu dem Ergebnis, dass die „Parteiendifferenztheorie […] hoch erklärungskräftig ist“. Zahlreiche weitere Studien zu asylpolitischen Policies zeigen ebenfalls positive Befunde. Nach Hörisch (2018) sind rechte Landesregierungen hinreichend für Abschiebungen nach Afghanistan, während linke Regierungen Teil eines hinreichenden Erklärungspfades für hohe Ausgaben pro Asylsuchendem*r sind. Auch bei der Anerkennung von Asylsuchenden und der Besetzung von Härtefallkommissionen sind Parteieneffekte sichtbar (Schneider et al. 2020; Wolf 2011). Eine dezentrale Unterbringung von Asylsuchenden erfolgt schließlich eher unter linken als unter rechten Regierungen (Bauer-Blaschkowski 2020; Hörisch und Heiken 2020).

Auf Basis dieser Befunde sind auch bei der Anwendung von positiven landesinternen Wohnsitzauflagen Parteieneffekte zu erwarten. Zwar hat die Wohnsitzauflage weder einen Einfluss darauf, wie viele Geflüchtete ein Bundesland aufnehmen muss, noch ist die Maßnahme aus integrationspolitischer Sicht klar einzuordnen. Der Rückgriff auf derartige Wohnsitzauflagen stellt trotzdem eindeutig eine restriktive Maßnahme dar, weil dadurch das Recht der freien Wohnsitzwahl der Asylberechtigten (weiter) eingeschränkt wird, während die positive Wirkung auf die Integration fraglich ist (Deutsches Institut für Menschenrechte 2016, S. 4; Renner 2020, S. 190). Während Wohnsitzauflagen für Regierungen jeder politischen Couleur ein probates Mittel zur gerechten Verteilung der Geflüchteten darstellen sollten, dürften linke Regierungen bestrebt sein, auf dieses Instrument zu verzichten, um die größtmögliche Freizügigkeit der Asylberechtigten zu gewährleisten. Hypothese 1 lautet dementsprechend:

H1

Rechte Landesregierungen nutzen landesinterne Wohnsitzauflagen zur Verteilung der Asylberechtigten innerhalb des Bundeslandes. Linke Landesregierungen verzichten dagegen auf dieses restriktive Instrument, um Asylberechtigten die freie Wohnsitzwahl innerhalb des Bundeslandes zu ermöglichen.

Die erste strukturelle Erklärung setzt bei der unterschiedlichen geographischen Größe der Bundesländer an. Konkret lassen sich in dieser Hinsicht die 13 Flächenländer von den drei Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg unterscheiden. Die Bedeutung dieser Unterscheidung basiert auf dem Stadt‑/Land-Gefälle innerhalb der Flächenländer, auf dem verschiedene Begründungen für die Notwendigkeit von Wohnsitzauflagen basieren. Erstens droht in Flächenländern eine ungleiche Lastenverteilung zwischen den Kommunen und Städten, wenn sich die Geflüchteten vornehmlich in Ballungsgebieten ansiedeln, wo sie ethnische Netzwerke vorfinden (Lust 2016, S. 5; Ruge 2016). Dies verstärkt zweitens die Gefahr der ethnischen Segregation, die Befürworter*innen von Wohnsitzauflagen verhindern wollen. Drittens zeigen raumwissenschaftliche Migrationsforschung und Planungsliteratur, dass insbesondere ländlich geprägte Kommunen aufgrund der demographischen Entwicklung auf Zuwanderung angewiesen sind (Kühn und Münch 2019b). Aus dieser Perspektive können positive Wohnsitzauflagen als eine Maßnahme des demographischen Ausgleichs sowie zur Verhinderung der Fluktuation von Geflüchteten im ländlichen Raum angesehen werden. Zwar spielt insbesondere das Problem der ethnischen Segregation angesichts angespannter Wohnungsmärkte auch in Stadtstaaten eine wichtige Rolle.Footnote 4 Trotzdem ist davon auszugehen, dass das Zusammenspiel der genannten Erwägungen in Flächenländern eine größere Wirkung hinsichtlich der Nutzung von Wohnsitzauflagen entfaltet.

H2

Regierungen in Flächenländern greifen zur besseren Verteilung der Geflüchteten innerhalb des Bundeslandes auf Wohnsitzauflagen zurück. Regierungen in den geographisch kompakteren Stadtstaaten verzichten dagegen auf dieses Instrument und gewähren eine freie Wohnsitzwahl innerhalb des Stadtgebiets.

Komplementär zur Größe des Bundeslandes bildet die Zahl der Asylberechtigten, die eine Landesregierung auf ihrem Gebiet unterbringen muss, einen weiteren möglichen Erklärungsfaktor. Die Verteilung von Geflüchteten auf die Bundesländer erfolgt in Deutschland nach dem sogenannten ‚Königsteiner Schlüssel‘. Die Zahl der aufzunehmenden Personen richtet sich demnach zu zwei Dritteln nach dem Steueraufkommen und zu einem Drittel nach der Bevölkerungszahl eines Bundeslandes (BAMF 2017, S. 16). Gemäß Königsteiner Schlüssel müssen folglich die bevölkerungsreichen und wirtschaftsstarken Länder die meisten Geflüchteten aufnehmen. Mit einer steigenden Zahl aufzunehmender Personen steigt bei freier Wohnsitzwahl die Wahrscheinlichkeit, dass es aufgrund der Konzentration der Migrant*innen in einzelnen Städten zu ethnischer Segregation sowie einer sehr ungleichen Verteilung innerhalb des Bundeslandes kommt. In diesem Fall bilden landesinterne Wohnsitzauflagen eine Möglichkeit der besseren Steuerung durch eine gezielte Verteilung der Asylberechtigten innerhalb des Bundeslandes. In Bundesländern, die im Ländervergleich weniger Geflüchtete aufnehmen müssen, stellen ethnische Segregation und ungleiche Lastenverteilung zwischen Kommunen und Städten dementsprechend eine etwas geringere Gefahr dar. Daraus resultiert unsere dritte Hypothese:

H3

Regierungen in Bundesländern, die gemäß Königsteiner Schlüssel sehr viele Asylberechtigte aufnehmen müssen, nutzen landesinterne Wohnsitzauflagen zur besseren Verteilung der Geflüchteten. Regierungen in Bundesländern, die im Ländervergleich weniger Asylberechtigte aufnehmen müssen, verzichten dagegen auf dieses Instrument.

Schließlich stellen die Einstellungen der Bevölkerung zu Zuwanderung und Migrant*innen einen vierten Erklärungsfaktor dar. Innerhalb der EU lassen sich in dieser Hinsicht klare Unterschiede erkennen, was sich in der Asylpolitik der Länder widerspiegelt (Toshkov und de Haan 2013; Lang 2015; Lahav 2004). Für Deutschland weisen Meyer et al. (2021) anhand von Umfragedaten nach, dass zwischen den einzelnen Bundesländern erhebliche Unterschiede in den migrationspolitischen Einstellungen existieren. Auffällig sind dabei insbesondere die gegenüber den westdeutschen Ländern migrationskritischeren Einstellungen der Bürger*innen in Ostdeutschland (siehe auch Pesthy et al. 2021). Diese Unterschiede haben, wie weitere Studien demonstrieren, einen Einfluss auf den Parteienwettbewerb und die von den Landesregierungen verfolgte Asyl- und Migrationspolitik. So reagieren sowohl CDU/CSU als auch SPD auf asylkritische Einstellungen ihrer Stammwählerschaft mit einer restriktiven Unterbringungspolitik (Bauer-Blaschkowski 2020). Zudem führt eine eher autoritäre Landesregierung in Verbindung mit einer migrationskritischen Bevölkerung zu einer restriktiven Migrationspolitik (Meyer et al. 2021, S. 23).

Der Einfluss migrationskritischer Einstellungen auf die politische Anwendung landesinterner Wohnsitzauflagen ist weniger eindeutig als bei anderen asylpolitischen Maßnahmen. So beeinflussen Wohnsitzauflagen nicht die Zahl der Migrant*innen, sondern lediglich deren Verteilung innerhalb des Bundeslandes. Die sozialpsychologische Forschung zeigt allerdings, dass das Gefühl des Kontrollverlusts eine wesentliche Quelle migrationskritischer Einstellungen bildet (Harell et al. 2017). Wohnsitzauflagen können in diesem Sinne als eine Antwort der Politik auf das Gefühl des Kontrollverlusts aufgefasst werden. Somit lässt sich folgende Hypothese formulieren:

H4

Regierungen in Bundesländern mit einer migrationskritischen Bevölkerung greifen zu Wohnsitzauflagen, um dem Gefühl des Kontrollverlusts entgegenzuwirken. Regierungen in Bundesländern mit einer migrationsfreundlichen Bevölkerung verzichten auf dieses Mittel.

Es ist das erklärte Ziel der Studie, notwendige und hinreichende Bedingungen für die Nutzung landesinterner Wohnsitzauflagen zu identifizieren, wobei auch das Zusammenspiel der einzelnen Faktoren in den Blick genommen werden soll. Bei genauer Betrachtung der einzelnen Erklärungsfaktoren und der unterstellten Wirkung lassen sich dementsprechend einige weitergehende Erwartungen hinsichtlich notwendiger und hinreichender Bedingungen formulieren. Unter den drei strukturellen Faktoren stechen vor allem das nur in Flächenländern zu beobachtende Stadt‑/Land-Gefälle und die damit verbundenen Problemlagen hervor. Folglich lässt sich die Hypothese formulieren, dass ‚Flächenland‘ eine notwendige Bedingung für die Anwendung von Wohnsitzauflagen darstellt (H5). Der Umstand, dass es auch Flächenländer gibt, die keine Wohnsitzauflagen eingeführt haben (siehe Tab. 1), verdeutlicht allerdings, dass Flächenländer keine hinreichende Bedingung darstellen.Footnote 5 Angesichts der zentralen Rolle, die der Landesregierung bei der Verabschiedung von Wohnsitzauflagen zukommt, lässt sich daher die Hypothese aufstellen, dass rechte Landesregierungen in Flächenländern eine derartige hinreichende Bedingung darstellen (H6). Dass dies auch unter linken Landesregierungen der Fall ist, ist dagegen angesichts der thematisierten Parteiendifferenzen zweifelhaft. Vielmehr ist es vorstellbar, dass „günstige“ Rahmenbedingungen in Form einer migrationskritischen Bevölkerung und einer hohen Zahl aufzunehmender Geflüchteter in Flächenländern unabhängig von der parteipolitischen Färbung der Regierung zur Anwendung von Wohnsitzauflagen führen (H7).

4 Methodisches Vorgehen

4.1 Qualitative Comparative Analysis

Um das Zusammenspiel der verschiedenen Erklärungsfaktoren bei der Anwendung von positiven Wohnsitzauflagen zu untersuchen, wird eine Qualitative Comparative Analysis (QCA) angewendet. Die QCA geht auf Ragin (1987) zurück und basiert auf Mengenlehre sowie boolescher Algebra (Schneider und Wagemann 2012, S. 42–55). Sie kann als ein „dritter Weg“ zwischen quantitativen und qualitativen Methoden verstanden werden, der die Vorteile beider Verfahren miteinander verbindet – die fallzentrierte Analyse von einzelnen Fällen und die Suche nach allgemeinen Mustern über mehrere Fälle hinweg (Gerrits und Verweij 2018).

Das Ziel einer QCA ist die Identifizierung von notwendigen und hinreichenden Bedingungen für ein Outcome.Footnote 6 Eine Bedingung ist notwendig, wenn sie in jedem Fall vorliegt, wenn das Outcome auftritt. Eine Bedingung ist dagegen hinreichend, wenn ihr Auftreten bedeutet, dass auch das Outcome vorliegt. Eine hinreichende Bedingung kann dabei auch in Form von Konjunktionen, also der Kombination einzelner Bedingungen, auftreten (Schneider und Wagemann 2012, S. 57–76). Die Einstufung einer Bedingung als notwendig oder hinreichend erfolgt mittels zweier Gütemaße: Abdeckung und Konsistenz. Die Abdeckung gibt an, wie viel der Varianz des Outcomes durch die Bedingung(en) bzw. Konjunktion(en) erklärt werden kann (Gerrits und Verweij 2018, S. 111–112). Die Konsistenz gibt hingegen an, inwieweit die empirische Evidenz die Behauptung unterstützt, dass eine mengentheoretische Beziehung besteht (Rihoux und Ragin 2009, S. 182). Feste Schwellenwerte für die Konsistenz, vergleichbar mit den Signifikanzlevels bei quantitativ-statistischen Analysen, gibt es bei einer QCA nicht. Jedoch wird in der Literatur für notwendige Bedingungen zumeist ein Konsistenzwert von mindestens 0,9 und für hinreichende Bedingungen ein Konsistenzwert von 0,8 empfohlen (Legewie 2019, S. 658; Schneider und Wagemann 2012, S. 143).

Die empirische Untersuchung basiert auf einer crisp-set QCA (csQCA), das heißt jeder Fall ist entweder Teil einer Menge wie ‚Flächenland‘ oder ‚migrationskritische Bevölkerung‘ oder nicht Teil dieser Menge (Schneider und Wagemann 2012, S. 13–16). Diese Wahl ist erklärungsbedürftig, da die Alternative der fuzzy-set QCA (fsQCA) eine differenziertere Kalibrierung zulässt (siehe u. a. Herrmann und Cronqvist 2009, S. 39; Schneider und Wagemann 2012, S. 277). Unsere Entscheidung für die csQCA basiert auf einem methodischen Problem der fsQCA in Untersuchungen, in denen das Outcome im Gegensatz zu den Bedingungen nur dichotom kalibriert werden kannFootnote 7. Das Problem besteht darin, dass es unter diesen Umständen zu einer Verzerrung der empirischen Ergebnisse für die hinreichenden Bedingungen in Form niedriger Konsistenzwerte kommen kann.Footnote 8 Aufgrund der dichotomen Kalibrierung des Outcomes ‚positive Wohnsitzauflage‘ liegt genau dieses Problem in unserer Untersuchung vor. Die fsQCA liefert schwer interpretierbare Konsistenzwerte der hinreichenden Bedingungen für Wohnsitzauflagen und die Gewährung der freien Wohnsitzwahl (siehe Tab. C2 und C3 im Online-Anhang).Footnote 9 Vor diesem Hintergrund greifen wir in der empirischen Untersuchung auf die csQCA zurück, die nicht unter dem genannten methodischen Problem leidet.

Bei der Erklärung der Policy-Varianz unter den Bundesländern hat sich die QCA in zahlreichen neueren Studien bewährt (siehe u. a. Bandau und Bothner 2020; Beinborn et al. 2018; Günther et al. 2019; Hörisch 2018; Meyer et al. 2021; Sack und Sarter 2018; Stoiber und Töller 2016). Das liegt zum einen an der Eignung der QCA für mittlere Fallzahlen, vor allem aber an der eigentlichen Stärke der QCA: Im Gegensatz zu Regressionsanalysen und anderen statistischen Verfahren eignet sich die QCA sehr gut dafür, die kausale Komplexität aufzudecken, die dem Outcome mutmaßlich zugrunde liegt. Die QCA erlaubt es folglich, den Fokus darauf zu lenken, dass bestimmte Faktoren ihre Wirkung nicht allein, sondern nur in Kombination mit anderen Faktoren entfalten (konjunkturelle Kausalität). Damit eng verbunden ist die Äquifinalität sozialer Phänomene (Gerrits und Verweij 2018, S. 29; Schneider und Wagemann 2012, S. 78). Das bedeutet in unserem Zusammenhang, dass es auf unterschiedlichen Wegen zu positiven Wohnsitzauflagen kommen kann, sprich durch unterschiedliche Kombinationen der An- oder Abwesenheit der Erklärungsfaktoren. Schließlich ermöglicht die QCA auch die Berücksichtigung kausaler Asymmetrie (Schneider und Wagemann 2012, S. 81–83). Die Untersuchung erlaubt somit nicht nur die Ermittlung notwendiger und hinreichender Bedingungen für die Nutzung von Wohnsitzauflagen, sondern in einem zusätzlichen Analyseschritt auch für die Ermittlung der Bedingungen für das Ausbleiben dieses Outcomes, also die Gewährung der freien Wohnsitzwahl innerhalb eines Bundeslandes.

4.2 Fallauswahl

Die Untersuchungseinheit bilden die einzelnen Landesregierungen von August 2016, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Integrationsgesetzes, das landesinterne Wohnsitzauflagen ermöglichte, bis Ende 2018.Footnote 10 Änderte sich die parteiliche Zusammensetzung der Landesregierung während dieses Zeitraums, werden die Landesregierungen als zwei separate Fälle betrachtet. Dies betrifft die Länder Berlin (im Jahr 2016) sowie Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein, in denen es 2017 zu Regierungswechseln kam. Wurde die Regierungskoalition nach der Wahl fortgesetzt, wird die Landesregierung als ein Fall betrachtet (beispielsweise Mecklenburg-Vorpommern 2016 oder Saarland 2017). Dies gilt auch, wenn nur der Ministerpräsident oder die Ministerpräsidentin während der Legislaturperiode wechselte, was beispielsweise im März 2018 in Hamburg (Olaf Scholz zu Peter Tschentscher) oder im Saarland (Annegret Kramp-Karrenbauer zu Tobias Hans) der Fall war. Aus diesem Vorgehen resultiert eine Fallzahl von 20 Fällen.

4.3 Operationalisierung und Kalibrierung des Outcomes und der Bedingungen

Das Outcome der Analyse ist die Beschränkung der freien Wohnsitzwahl für Asylberechtigte durch positive landesinterne Wohnsitzauflagen (AUFLAGE). Die qualitative Kalibrierung erfolgt auf Basis von Pressemitteilungen und Erlassen der Bundesländer sowie des Überblicks zum Thema bei Lehrian (2018). Eine eingeschränkte Wohnsitzwahl liegt vor, wenn die Landesregierung positive Wohnsitzauflagen anwendet (Wert 1). Beim Verzicht auf eine positive Wohnsitzauflage liegt dagegen keine allgemein eingeschränkte Wohnsitzwahl für Asylberechtigte vor (Wert 0). Da sich negative Wohnsitzauflagen sowohl in ihrem Wirkungsgrad als auch ihrer Zielsetzung deutlich von positiven Wohnsitzauflagen unterscheiden, fallen die entsprechenden Fälle in die zweite Kategorie. Als Ergebnis der Kalibrierung weisen acht der 20 Fälle ein positives Outcome auf (siehe Tab. 2).

Tab. 2 Datenmatrix

Die erste Bedingung ‚rechte Landesregierung‘ (RECHTS) wird ebenfalls qualitativ kalibriert, indem zwischen rechten bzw. bürgerlichen Parteien (CDU/CSU und FDP) und linken Parteien (SPD, Grüne und Linke) unterschieden wird.Footnote 11 Aus dieser Zweiteilung resultieren vier mögliche Regierungskonstellationen: rein linke Landesregierungen, lagerübergreifende Regierungen unter Führung einer linken Partei, lagerübergreifende Regierungen unter rechter Führung und rein rechte Regierungen. Im Rahmen der dichotomen Einteilung ist für uns die Lagerzugehörigkeit des Regierungschefs bzw. der Regierungschefin ausschlaggebend. Insgesamt stehen damit acht rechten oder rechtsgeführten Regierungen (Wert 1) zwölf linke oder linksgeführte Regierungen (Wert 0) gegenüber. Die zweite Bedingung ‚Flächenland‘ (LAND) basiert ebenfalls auf einer qualitativen Kalibrierung. Während den Landesregierungen in Flächenländern der Wert 1 zugeordnet wird, erhalten die Regierungen in den drei Stadtstaaten den Wert 0. Dadurch entsteht bei der Bedingung LAND die zu erwartende ungleichmäßige Verteilung der Fälle: 16 Fällen mit dem Wert 1 stehen vier Fälle mit dem Wert 0 gegenüber.

Die Kalibrierung der metrischen Bedingung ‚hoher Königsteiner Schlüssel‘ (SCHLUESSEL) erfolgt durch die Identifizierung von Länderclustern anhand der empirischen Verteilung der Bundesländer. Dazu wird die Verteilung sowohl tabellarisch als auch grafisch dargestellt (siehe Abb. B1 und Tab. B5 im Online-Anhang). Als Basis für die Kalibrierung von SCHLUESSEL dienen die Daten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF 2017, 2018) aus dem Jahr 2016, da in diesem Jahr die landesinternen Wohnsitzauflagen durch das Integrationsgesetz ermöglicht wurden. Für relevante Regierungswechsel nach 2016 werden für die Ermittlung der Kalibrierungswerte der Landesregierungen die Daten aus dem Jahr des Regierungswechsels herangezogen, um Veränderungen im Zeitverlauf Rechnung zu tragen. Der Indifferenzpunkt für die Kalibrierung von SCHLUESSEL wird zwischen Hessen und Sachsen gelegt. Sachsen gehört zur Gruppe von Bundesländern mit einem niedrigen Königsteiner Schlüssel, während Hessen zur Gruppe der Länder gehört, die einen deutlich höheren Königsteiner Schlüssel aufweisen und somit mehr Asylberechtigte aufnehmen müssen. Die Festlegung des Indifferenzpunktes wird dadurch erleichtert, dass zwischen den beiden genannten Ländern ein deutlicher Sprung in der Verteilung zu beobachten ist. Überdies verläuft hier auch der Mittelwert, der als weiterer Orientierungspunkt für die Kalibrierung herangezogen werden kann (vgl. hierzu Hörisch 2018, S. 793; Schneider und Wagemann 2012, S. 33–35).

Die Kalibrierung der vierten und ebenfalls metrischen Bedingung ‚migrationskritische Einstellungen‘ (EINSTELLUNG) erfolgt ebenfalls durch eine qualitative Zuordnung der einzelnen Fälle. Die Daten für diese Bedingung stammen vom Vor- und Nachwahlquerschnitt der ‚German Longitudinal Election Study 2017‘ (ZA6802; GLES 2019). Aus drei Fragen dieser Umfrage zur allgemeinen Einstellung zu Zuwanderung, zur Einstellung zu einer Obergrenze für Geflüchtete sowie zu Ängsten vor der Flüchtlingskrise wurde ein Mittelwertindex gebildet.Footnote 12 Der Index gibt die (Standard‑)Abweichung der durchschnittlichen migrationskritischen Einstellungen eines Landes von der durchschnittlichen migrationskritischen Einstellung aller Bundesländer an. Als Indifferenzpunkt für die Kalibrierung der Bedingung EINSTELLUNG wir der Indexwert 0 gewählt. In Fällen mit einem positiven Indexwert sind migrationskritische Einstellungen überdurchschnittlich stark ausgeprägt (Wert 1). In Fällen mit einem negativen Indexwert besitzt die Landesbevölkerung hingegen unterdurchschnittlich stark ausgeprägte migrationskritische Einstellungen (Wert 0).Footnote 13

Aus der beschriebenen Kalibrierungsprozedur resultiert die in Tab. 2 dargestellte Datenmatrix, die die Grundlage für die csQCA bildet. Diese wurde mit den Erweiterungspaketen ‚QCA‘ (Duşa 2019) und ‚SetMethods‘ (Oana und Schneider 2018) in der Software ‚R‘ (R Core Team 2021) durchgeführt.

5 Empirische Analyse und Ergebnisse

5.1 Test auf notwendige Bedingungen

Wir beginnen mit der Analyse der notwendigen Bedingungen für die Nutzung positiver Wohnsitzauflagen (AUFLAGE) sowie für das Fehlen dieses Outcomes, also die Gewährung der freien Wohnsitzwahl (~AUFLAGE). Die Ergebnisse sind in Tab. 3 zusammengefasst.

Tab. 3 Analyse notwendiger Bedingungen

Die Analyse für die Anwendung von positiven Wohnsitzauflagen zeigt, dass nur die Bedingung LAND bei der Konsistenz den empfohlenen Schwellenwert von 0,9 erreicht. Der Konsistenzwert liegt sogar beim Maximalwert 1, was sich mit der Beobachtung deckt, dass ausschließlich Flächenländer positive Wohnsitzauflagen nutzen. Der hohe Konsistenzwert spricht dafür, dass es sich bei LAND um eine notwendige Bedingung handelt und Hypothese 5 bestätigt wird. Allerdings gilt es zu prüfen, ob es sich um eine relevante oder triviale notwendige Bedingung handelt. Hier liefern die Abdeckung und der RoN-Wert (‚Relevance of Necessity‘) wichtige Aufschlüsse. Während die Abdeckung mit 0,5 auf einem mittleren Niveau liegt, fällt der RoN-Wert mit 0,33 gering aus. Der unter 0,5 liegende RoN-Wert signalisiert, dass die Ergebnisse durch die schiefe Verteilung der Bedingung beeinflusst sind – 16 der 20 Fälle sind Flächenländer – und dass es sich bei LAND um eine triviale notwendige Bedingung handelt (vgl. dazu Schneider 2018, S. 250–251).

Die Bedingung RECHTS stellt trotz hoher Abdeckung (0,86) und eines sehr hohen RoN-Werts (0,93) keine notwendige Bedingung dar, weil die Konsistenz mit 0,75 unter dem verwendeten Schwellenwert von 0,9 liegt. Dieser Befund wird durch einen Blick auf die Datenmatrix in Tab. 2 unterstützt. So kam es sowohl unter der rot-grünen Regierung in Nordrhein-Westfalen (NW1) als auch unter der grün-schwarzen Regierung in Baden-Württemberg zur Einführung positiver Wohnsitzauflagen.

Für die Gewährung der freien Wohnsitzwahl (~AUFLAGE) lässt sich eine relevante notwendige Bedingung identifizieren. Die Bedingung ~RECHTS weist nicht nur einen hohen Konsistenzwert (0,92), sondern auch eine hohe Abdeckung (0,85) und einen hohen RoN-Wert (0,78) auf. Demnach sind linke bzw. linksgeführte Regierungen notwendig, damit es nicht zur Nutzung positiver Wohnsitzauflagen kommt. Der Blick auf Tab. 2 offenbart mit Schleswig-Holstein II einen abweichenden Fall (Schneider und Rohlfing 2013, S. 567–569), der am Ende dieses Abschnitts genauer betrachtet wird. Die Bedingung ~SCHLUESSEL weist mit 0,83 ebenfalls einen hohen Konsistenzwert auf, der allerdings unter der Schwelle von 0,9 liegt. Viele der Bundesländer ohne positive Wohnsitzauflagen gehören demnach zu den Ländern, die weniger Asylberechtigte aufnehmen mussten. Es handelt sich aber nicht um eine notwendige Bedingung für die Gewährung der freien Wohnsitzwahl.

5.2 Test auf hinreichende Bedingungen

Im zweiten Schritt folgt nun die Identifizierung der hinreichenden Bedingungen für AUFLAGE und ~AUFLAGE. Dazu werden zunächst die Wahrheitstafeln erstellt (siehe Tab. A1 und A2 im Anhang). Die Wahrheitstafeln werden anschließend mittels boolescher Algebra minimiert, um weniger komplexe hinreichende Lösungspfade zu extrahieren. Das Vorgehen entspricht der von Schneider und Wagemann (2012, S. 198–219) vorgeschlagenen Enhanced Standard Analysis (ESA).Footnote 14 Für das Outcome AUFLAGE ergibt die resultierende Conservative Solution zwei Lösungspfade, die zusammen alle acht Fälle mit positivem Outcome abdecken (siehe Tab. 4).Footnote 15 Beide Lösungspfade werden nun getrennt voneinander betrachtet.

Tab. 4 Bestimmungsfaktoren für positive Wohnsitzauflagen: Conservative Solution

Der erste Lösungspfad RECHTS*LAND*EINSTELLUNG umfasst mit Bayern, dem Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt die Hälfte der Fälle, die das Outcome aufweisen. Die Abdeckung durch diesen Lösungspfad liegt dementsprechend bei 0,5. Der Konsistenzwert von 1 weist darauf hin, dass die vier Fälle hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen den drei Bedingungen und dem Outcome vollständig konsistent sind. Inhaltlich sagt der Lösungsterm aus, dass rechte Regierungen in Flächenländern mit einer migrationskritischen Bevölkerung auf positive Wohnsitzauflagen zurückgreifen. Der Lösungsterm vereint damit drei Faktoren, denen auf Basis der theoretischen Überlegungen ein positiver Einfluss auf die Anwendung von Wohnsitzauflagen zugeschrieben wird. Die Erwartung, dass rechte Regierungen in Flächenländern hinreichend für positive Wohnsitzauflagen sind (H6), wird in dieser Form nicht bestätigt, sondern muss um das Vorhandensein migrationskritischer Einstellungen ergänzt werden. Dieser Befund steht im Einklang mit dem Ergebnis von Meyer et al. (2021), dass rechte Regierungen auf eine migrationskritische Stimmung in der Wählerschaft mit restriktiven Maßnahmen in der Migrationspolitik reagieren.

Der zweite Lösungspfad LAND*SCHLUESSEL*~EINSTELLUNG umfasst mit Baden-Württemberg, Hessen und den beiden nordrhein-westfälischen Fällen die andere Hälfte der Fälle mit positivem Outcome. Die Abdeckung liegt dementsprechend ebenfalls bei 0,5. Der Konsistenzwert beträgt 1, auch der zweite Lösungspfad ist also vollständig konsistent. Inhaltlich lässt sich dieser Lösungspfad so interpretieren, dass Flächenländer, die eine hohe Zahl an Asylberechtigen aufnehmen müssen, das Instrument der positiven Wohnsitzauflage nutzen. Das gilt nicht nur für rechte und rechtsgeführte Regierungen, sondern auch für linke und linksgeführte Regierungen wie die rot-grüne Regierung in Nordrhein-Westfalen und die grün-schwarze Regierung in Baden-Württemberg. Dass auch die Bedingung ~EINSTELLUNG Teil des Lösungsterms ist, steht im Widerspruch zu Hypothese 4. Ein Blick auf die Werte der betroffenen Fälle zeigt allerdings, dass alle drei Länder (NW = −0,04, HE = −0,11 und BW = −0,47) nur knapp unter dem Indifferenzpunkt liegen (siehe Tab. B7 und Abb. B2 im Online-Anhang). Dieser Teil des Lösungsterms sollte daher nicht überinterpretiert werden.

Insgesamt werden durch die beiden Lösungsterme also alle acht Fälle mit positiver Wohnsitzauflage abgedeckt. Zur Nutzung der Wohnsitzauflage kommt es demnach in Flächenländern auf zwei Wegen: Zum einen greifen rechte (oder rechtsgeführte) Regierungen, die sich mit einer migrationskritischen Bevölkerung konfrontiert sehen, auf dieses Mittel zurück. Zum anderen nutzen Regierungen unabhängig von ihrer parteipolitischen Zusammensetzung Wohnsitzauflagen, wenn sie eine sehr hohe Zahl von Geflüchteten aufnehmen müssen. Die gleichmäßige Verteilung der Fälle zwischen beiden Lösungspfaden und die hohe Konsistenz beider Pfade verdeutlichen die in diesem Fall vorliegende Äquifinalität.

Für das Ausbleiben des Outcomes, also der Gewährung der freien Wohnsitzwahl (~AUFLAGE), ergibt die Analyse drei Lösungsterme, die die verbliebenen zwölf Fälle abdecken und jeweils eine Konsistenz von 1 aufweisen (siehe Tab. 4). Die Fälle Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein I werden dabei von zwei der Lösungsterme abgedeckt. Auch die drei Lösungsterme für ~AUFLAGE werden nun genauer untersucht.

Der erste Lösungspfad ~RECHTS*LAND*EINSTELLUNG deckt Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen sowie die beiden niedersächsischen Fälle ab. Dieser Lösungspfad ist inhaltlich interessant, weil er linksgeführte Regierungen in Flächenländern mit einer migrationskritischen Bevölkerung umfasst. Vom Lösungspfad RECHTS*LAND*EINSTELLUNG für die Nutzung von Wohnsitzauflagen unterscheidet sich dieser Lösungspfad zum Verzicht auf Wohnsitzauflagen einzig durch die parteipolitische Färbung der Landesregierung. In migrationskritischen Flächenländern, darunter alle ostdeutschen Bundesländer, macht die Regierung demnach einen klaren politischen Unterschied. Der zweite Lösungspfad ~RECHTS*~SCHLUESSEL*~EINSTELLUNG umfasst mit Berlin I und II, Bremen, Hamburg, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein I die Hälfte der Fälle ohne positive Wohnsitzauflage. Bei den vier ausschließlich von diesem Pfad abgedeckten Fällen (BE1, BE2, HB und HH) handelt es sich um die drei Stadtstaaten. Aus theoretischer Sicht ist dieser Pfad nicht überraschend, da alle Einzelfaktoren des Lösungsterms gegen die Nutzung von Wohnsitzauflagen sprechen.

Der letzte Lösungspfad LAND*~SCHLUESSEL*~EINSTELLUNG umfasst Rheinland-Pfalz sowie Schleswig-Holstein I und II. Zwar werden die beiden erstgenannten Fälle auch vom vorhergehenden Lösungspfad abgedeckt, aus theoretischer Sicht erscheint es aber sinnvoll, sie von den Stadtstaaten zu trennen und dem dritten Lösungsterms zuzuordnen. Auch bei diesem Lösungspfad liegt eine interessante Verbindung zu den hinreichenden Bedingungen für AUFLAGE vor. So unterscheidet sich dieser Lösungsterm für den Verzicht auf positive Wohnsitzauflagen nur in einem Punkt vom zweiten Lösungspfad (LAND*SCHLUESSEL*~EINSTELLUNG) für die Anwendung von Wohnsitzauflagen. Folglich ist es die geringere Zahl der aufzunehmenden Personen, die den Unterschied zwischen den betroffenen Ländern macht.

Abschließend werden die Ergebnisse in Abb. 1 in Form eines Venn-Diagramms grafisch dargestellt (vgl. Cronqvist 2019a, S. 28–29; Schneider und Wagemann 2012, S. 58–60). Die grünen Rechtecke kennzeichnen die Fälle mit positiven Wohnsitzauflagen (AUFLAGE), die roten Felder die Fälle ohne positive Wohnsitzauflagen (~AUFLAGE) und die weißen Felder die logischen Rudimente. Am Venn-Diagramm lassen sich zum einen einige der bereits thematisierten Befunde gut ablesen, beispielsweise die Trivialität der notwendigen Bedingung LAND und die zentrale Bedeutung der ideologischen Ausrichtung der Regierung in migrationskritischen Flächenländern. Zum anderen offenbart die Grafik aber auch bisher verborgene Muster. So weisen alle Fälle mit positiver Wohnsitzauflage einen hohen Königsteiner Schlüssel und/oder eine migrationskritische Bevölkerung auf. Schließlich lenkt das Venn-Diagramm die Aufmerksamkeit auf die Fälle, die gegen die Erwartungen der Parteiendifferenztheorie verstoßen (H1). Auf der einen Seite sind dies die Fälle Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen I (Wohnsitzauflagen trotz linker bzw. linksgeführter Regierung), auf der anderen Seite der Fall Schleswig-Holstein II (keine Wohnsitzauflage trotz rechtsgeführter Regierung). Ein abschließender Blick auf diese Fälle kann uns zusätzliche Aufschlüsse über den Einfluss und das Zusammenspiel der einzelnen Erklärungsfaktoren liefern.

Abb. 1
figure 1

Venn-Diagramm zu den hinreichenden Bedingungen für AUFLAGE. (Erstellt mit TOSMANA (Cronqvist 2019b). Die untere Hälfte des Diagramms umfasst alle Fälle mit LAND = 1, die rechte Hälfte des Diagramms alle Fälle mit RECHTS = 1. Die horizontale Box im Zentrum umfasst alle Fälle mit SCHLUESSEL = 1, die vertikale Box alle Fälle mit EINSTELLUNG = 1. Jede Kombination der vier Bedingungen wird somit durch ein Feld abgedeckt (vgl. Cronqvist 2019a, S. 28–29))

Hinter Schleswig-Holstein II verbirgt sich die von Daniel Günther (CDU) geführte Jamaika-Koalition, die im Juni 2017 eine linke Regierung aus SPD, Grünen und Südschleswigschem Wählerverband ablöste. Im Einklang mit den theoretischen Erwartungen plädierte die schleswig-holsteinische CDU in der Opposition für die Einführung von Wohnsitzauflagen (Hammer 2016; Landtag Schleswig-Holstein 2016). In der Jamaika-Koalition sah sich die CDU allerdings mit einem grünen Koalitionspartner konfrontiert, der derartige Auflagen strikt ablehnte (Grüne Schleswig-Holstein 2017, S. 71). Obwohl sie nicht nur den Ministerpräsidenten stellte, sondern auch das zuständige Innenministerium besetzte, verzichtete die CDU in der Regierung angesichts des grünen Widerstands auf ihre frühere Forderung nach der Einführung landesinterner Wohnsitzauflagen.Footnote 16 Wie Abb. 1 illustriert, wurde dieses Zugeständnis an den Koalitionspartner dadurch erleichtert, dass es sich um die einzige rechtsgeführte Regierung im unteren rechten Quadranten handelte, die weder mit einer migrationskritischen Bevölkerung noch mit hohen Aufnahmezahlen gemäß Königsteiner Schlüssel konfrontiert war.

Auf der linken Seite des Schemas weichen die rot-grüne Regierung in Nordrhein-Westfalen und die schwarz-grüne Regierung in Baden-Württemberg vom erwarteten parteipolitischen Muster ab. Abb. 1 deutet darauf hin, dass die hohe Zahl der aufzunehmenden Personen einen wichtigen Faktor bei der Entscheidung für die Anwendung einer positiven Wohnsitzauflage darstellte. Zusammen mit Bayern gehören Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg zu den drei Ländern mit dem höchsten Königsteiner Schlüssel (siehe Tab. B5 und Abb. B1 im Online-Anhang). Tatsächlich begründete die grün-schwarze Regierung in Baden-Württemberg ihre Entscheidung ausdrücklich mit der „massive[n] Zuwanderung von Ausländern“ (SCHLUESSEL) und der Befürchtung, dass die freie Wohnsitzwahl zu einer ungleichen Belastung von Ballungszentren und ländlichen Kommunen (LAND) führen würde:

Mit der Anordnung von Wohnsitzauflagen nach § 12a Abs. 2 und 3 AufenthG nach einem festen Verteilungsschlüssel kann verhindert werden, dass Wohnraum, Sprachkurse, Integrationsmöglichkeiten in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt sowie weitere Integrationsangebote vor allem im ländlichen Raum ungenutzt bleiben und in anderen Räumen, vor allem in Ballungsgebieten, diese dagegen nicht ausreichen. Auch können dadurch Segregationsrisiken […] von vorneherein minimiert werden (Innenministerium Baden-Württemberg 2016).

Die Besetzung des zuständigen Innenministeriums durch die CDU in Person von Thomas Strobl liefert eine alternative parteipolitische Erklärung für diese Anordnung. Auch mit dieser Variante der Parteiendifferenzentheorie kann jedoch nicht erklärt werden, warum sich die rot-grüne Regierung in Nordrhein-Westfalen (NW1), in der die SPD den Innenminister und den Integrationsminister stellte, für die Nutzung einer positiven Wohnsitzauflage entschied. Schließlich stützen auch die beiden niedersächsischen Fälle indirekt die These von der zentralen Bedeutung der Zahl der aufzunehmenden Geflüchteten. Zwar entschied sich die rot-grüne Landesregierung (NI1) bewusst gegen die Einführung einer positiven Wohnsitzauflage (Niedersächsischer Landtag 2016). Mit steigender Zahl der aufzunehmenden Personen verfügte die Regierung Ende 2017 aber negative Wohnsitzauflagen für Salzgitter, Delmenhorst und Wilhelmshaven, um ethnischer und sozialer Segregation vorzubeugen (Innenministerium Niedersachsen 37,38,a, b). Von der rot-schwarzen Nachfolgerregierung (NI2) wurde diese Regelung beibehalten, da sie die beabsichtigte Wirkung entfaltete (Innenministerium Niedersachsen 2019).

6 Fazit

Mit der Änderung des Aufenthaltsgesetzes im Juli 2016 erhielten die Länder die Möglichkeit, landesinterne Wohnsitzauflagen für Asylberechtigte zu erlassen. Der Artikel ist der Frage nachgegangen, warum ein Teil der Landesregierungen in der Folgezeit von dieser Möglichkeit Gebrauch machte, während andere Länder darauf verzichteten. Ein besonderes Augenmerk galt dabei der Parteiendifferenztheorie. Als weitere Erklärungsfaktoren wurden die Größe des Bundeslandes, die Zahl der aufzunehmenden Personen gemäß Königsteiner Schlüssel und die Einstellungen der Bevölkerung zur Migration berücksichtigt.

Die auf einer csQCA basierende Untersuchung lieferte eine Reihe interessanter Befunde. Erstens gibt es für die Anwendung positiver Wohnsitzauflagen mit ‚Flächenland‘ eine notwendige Bedingung, die zwar den theoretischen Erwartungen entspricht, empirisch aufgrund des großen Anteils der Flächenländer an der Gesamtzahl der Fälle allerdings nur eine beschränkte Aussagekraft besitzt. Zweitens sind linksgeführte Regierungen notwendig, damit eine freie Wohnsitzwahl innerhalb eines Bundeslandes gewährt wird. Eine Ausnahme bildet die CDU-geführte Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein, die im Gegensatz zu allen anderen Landesregierungen unter rechter Führung unter speziellen Rahmenbedingungen in Form einer eher migrationsfreundlichen Bevölkerung und eines niedrigen Königsteiner Schlüssels operierte. Daran schließt der dritte zentrale Befund an: In Flächenländern mit migrationskritischer Bevölkerung kommt es unter rechtsgeführten Regierungen zur Anwendung positiver Wohnsitzauflagen, während dies unter linksgeführten Regierungen nicht der Fall ist. Unter letztgenannten Regierungen kommt es vielmehr zur Nutzung von positiven (oder negativen) Wohnsitzauflagen, wenn das betroffene Bundesland eine hohe Zahl an Geflüchteten aufnehmen muss.

Wie lassen sich diese Befunde in die Forschung zu Parteieneffekten in der deutschen Asyl- und Migrationspolitik einordnen? Ein Abgleich unserer Ergebnisse mit der Studie von Meyer et al. (2021) zur Migrationspolitik der Länder zeigt zunächst einige wichtige Gemeinsamkeiten. Die Übereinstimmung besteht zum einen darin, dass linke bzw. liberale Regierungen notwendig für permissive Policies sind (Meyer et al. 2021, S. 20–21). Zum anderen bestätigt sich im Fall der Wohnsitzauflage, dass „eine autoritäre Position der Landesregierung (gepaart mit einer ablehnenden Haltung der Bevölkerung) gegenüber Geflüchteten zu einer restriktiven Migrationspolitik“ führt (Meyer et al. 2021, S. 23). Eine wichtige Abweichung von den Ergebnissen von Meyer et al. besteht allerdings darin, dass weder linke noch rechte Regierungen hinreichend für die Nutzung von oder den Verzicht auf positive Wohnsitzauflagen sind. Während Meyer et al. (2021, S. 25) auf Basis ihrer breit angelegten Untersuchung zu dem Schluss kommen, dass „die weiteren Bedingungen nur von nachgeordneter Relevanz sind“, lassen sich unsere Befunde so interpretieren, dass die Relevanz dieser Bedingungen und ihr Einfluss auf Parteieneffekte wesentlich vom spezifischen Charakter der untersuchten Policy abhängen.

Die These von der Bedeutung policy-spezifischer Rahmenbedingungen wird durch die empirischen Befunde zu unterschiedlichen asylpolitischen Maßnahmen bestätigt. Im Fall der in dieser Studie untersuchten Wohnsitzauflage zeigt sich, dass vor allem in migrationskritischen Flächenländern klare Parteieneffekte auftreten. Bei der Unterbringung von Asylbewerber*innen führt eine migrationskritische Haltung der Wählerschaft dagegen sowohl bei CDU/CSU als auch bei der SPD zu einer restriktiveren Politik in Form einer zentralen Unterbringung der Asylbewerber*innen. Stärkere Parteieneffekte resultieren bei dieser Policy stattdessen aus einem Erstarken der AfD (Bauer-Blaschkowski 2020). Bei der Einführung der Gesundheitskarte für Asylsuchende sind mit dem Schuldenstand und der Ausgestaltung der Finanzbeziehungen zwischen Land und Kommunen wiederum sozioökonomische und institutionelle Rahmenbedingungen auschlaggebend (Günther et al. 2019).

Zukünftige Forschungsarbeiten zur nationalen und internationalen Migrationspolitik sollten daher nicht nur untersuchen, ob Parteien einen Unterschied in diesem Politikfeld machen (de Haas und Natter 2015), ob Parteieneffekte auf bestimmte Teilbereiche wie die Integrationspolitik beschränkt sind (Givens und Luedtke 2005) und unter welchen generellen Bedingungen Parteieneffekte in der Migrationspolitik auftreten (Han 2015). Insbesondere wenn der Fokus auf einzelnen Policies liegt, sollten zusätzlich policy-spezifische Rahmenbedingungen identifiziert werden, um deren Wirkung auf mögliche Parteieneffekte zu untersuchen. Die QCA stellt dazu, wie die vorliegende Studie belegt, ein geeignetes Instrumentarium bereit.