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Religionspolitischer Multikulturalismus in einem multikulturalismuskritischen Land: Deutschland und der Islam

Religious multiculturalism in a country skeptical to multiculturalism: Germany and the political accommodation of Islam

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Zusammenfassung

Thematisch verankert ist der vorliegende Beitrag an der Schnittstelle von der in der politikwissenschaftlichen Migrationsforschung seit langem mit einiger Prominenz geführten Diskussion um die sog. gap-Hypothese sowie vergleichenden Arbeiten zum staatlichen Umgang mit kultureller bzw. religiöser Pluralität. Dabei wird das für die gap-Hypothese konstitutive Delta zwischen restriktiven Einstellungen der Bevölkerung zu Fragen von Migration und Integration und einer eher liberal-expansiv ausgerichteten Politik bereichsspezifisch über die Heranziehung des politisch-rechtlichen Umgangs mit (vor allem durch Zuwanderung verursachter) religiöser Pluralisierung als Fallbeispiel präzisiert. Anhand einer detaillierten Nachzeichnung einiger in den letzten Jahren in diesem Bereich in Deutschland erfolgter Entwicklungen setzt sich dieser Beitrag damit zum Ziel, die gap-Hypothese mittels einer auf Deutschland bezogenen Analyse des Umgangs mit religiöser Pluralität zu überprüfen

Abstract

The gap hypothesis, which analyses the origins and the development of a robust and persistent discrepancy between restrictive public attitudes on the one hand and a more liberal-expansive approach in the field of migration and integration policy on the other, has enjoyed a great deal attention within political science literature in migration research over the past decades. This article aims at adding fresh empirical material to this debate by discussing one of the most hotly contested areas in the field of migration and integration policy in Germany: the political-legal handling of religious pluralization in general and the political accommodation of Islam specifically

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Notes

  1. Nun kann man sicher darüber streiten, ob die aufgeführten Indikatoren wirklich zentral sind, die Seelsorge und Bestattungsfragen sind gleich doppelt enthalten, dagegen bleiben Fragen der Beschneidungsgestattung, der islamischen Theologie an staatlichen Hochschulen, die Berücksichtigung religiöser Bedürfnisse während der Arbeitszeit, die Existenz eines eigenen religionsgemeinschaftsspezifischen Arbeitsrechts und auch die Frage, ob (islamischen) Religionsgemeinschaften ein rechtlicher Status zustehen kann, der ihnen Hoheitsrechte (wie das Besteuerungsrecht) gewährt, außen vor. Ebenso offen bleibt das Problem der Gewichtung der Einzelindikatoren.

  2. Hinsichtlich der Bewertung dieser religionspolitischen Projekte bleibt dieser Beitrag „agnostisch“ und lässt sich nicht weiter auf die ansatzweise in SVR (2016, S. 110–111) geführte Diskussion ein, ob gerade etwa im Bereich des Religionsunterrichts angesichts der voranschreitenden Pluralisierung religiöser Identitäten und Weltanschauungen nicht ein religionsübergreifend und entsprechend nicht bekenntnisgebundener, sondern rein kognitiver Religionsunterricht gerade aus integrationspolitischer Perspektive eine bessere Variante wäre.

  3. Manifestiert hat sich dieser Konflikt etwa im Fall des Münsteraner Theologen Khorchide, siehe dazu ausführlicher SVR (2016, S. 116–118) sowie von Scheliha (2016, S. 571–599).

  4. Bei allen 13 in der Bundesrepublik bestehenden Begabtenförderungswerken werden die finanziellen Mittel für die materiellen Stipendien sowie eine Verwaltungskostenpauschale vom BMBF zur Verfügung gestellt. Weitere Kosten, die z. B. über den von der Verwaltungskostenpauschale gedeckten Betrag hinausgehen, müssen die Förderwerke selbst tragen, z. B. durch Spenden.

  5. Für das Evangelische Studienwerk e. V. Villigst sowie für ELES bestehen eng definierte Ausnahmen: Bei ersterem können auch Nicht-Mitglieder und Angehörige einer Freikirche sich für eine Förderung bewerben, sie müssen aber ihre Motivation für eine Bewerbung beim Evangelischen Studienwerk speziell begründen; ELES fördert neben Studierenden jüdischen Glaubens auch nicht-jüdische Studierende der Jewish Studies bzw. Personen, die zu einem Thema, das eng mit Belangen der jüdischen Gemeinschaft verbunden ist, promovieren. Beim katholischen Studierendenförderungswerk Cusanus sind keinerlei Ausnahmen vorgesehen.

  6. Ähnliches ließe sich durchaus für die staatlich finanzierten parteinahen sowie die den Arbeitgebern und Gewerkschaften nahestehenden Förderinstitutionen sagen oder die Frage stellen, warum bspw. keine sich exklusiv an agnostische bzw. atheistische oder der LBGT-Community angehörige Studierende richtenden Begabtenförderungswerke existieren.

  7. Der Begriff erzeugt bei manchen durchaus zu Recht Unbehagen, weil bei Staatsverträgen eigentlich beide Vertragspartner eine öffentliche Gewalt sein müssten (siehe bspw. Walter 2006, S. 601).

  8. Zwar ist religiöser Eklektizismus bzw. Synkretismus in der Form, „dass man die vorhandene religiöse Vielfalt benutzt, um aus ihr seine eigene religiöse Orientierung zusammenzustellen“ (Pollack 2009, S. 172), zumindest in Deutschland zwar noch kein Massenphänomen. Eine zunehmende Relevanz individuell zusammengestellter „Do it yourself-Religionen“ in der Zukunft ist allerdings nicht auszuschließen. In einem solchen Falle würde die elegante Zurückweisung des Vorwurfs von Rechtsasymmetrien durch die geschilderte Irrelevanzargumentation allerdings nicht mehr funktionieren.

  9. Verzichtet wurde aus naheliegenden Gründen auf einen strafrechtlichen Weg der Beschneidungsgestattung, etwa in Form der bspw. im Rahmen des rechtlichen Umgangs mit Schwangerschaftsabbrüchen bekannten Formulierung: „Illegal, aber straffrei.“.

  10. Erinnert werden soll diesbezüglich exemplarisch an eine gleichlautende Feststellung der Bundeskanzlerin auf dem Parteitag der Jugendorganisation ihrer Partei im Oktober 2010.

  11. Allerdings gibt es – wie in SVR (2016, S. 148–151) dargestellt wird – einen Bereich, der sich dem Trend einer umfassenden Religionsfreundlichkeit widersetzt. Damit angesprochen ist die in Deutschland als Schulbesuchspflicht konzipierte und in Art. 7 Abs. 1 GG geschützte Schulpflicht. Nach einer Periode eines „De-facto-Multikulturalismus“, in dessen Rahmen „religiös motivierte Ausnahmen von allgemeinen Gesetzesvorschriften besonders im sensiblen Bereich der schulischen Sozialisation“ (Joppke 2013, S. 429) gerichtlich gestattet wurden, erweist sich die Rechtsprechung in letzter Zeit in diesem Bereich als (wieder) strenger. Exemplarisch zu verweisen ist dabei auf das sog. Burkini-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urt. v. 11.09.2013, Az. 6 C 25.12).

  12. Dies schließt selbstverständlich eine in der Regel auf die semantische Ebene beschränkte Islamkritik politischer Akteure etwa gegen Verbände wie die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) nicht aus.

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Danksagung

Für wichtige Hinweise und hilfreiche Anregungen zu diesem Aufsatz, der lediglich meine eigene Auffassung wiedergibt, danke ich den Gutachtern der Zeitschrift für Vergleichende Politikwissenschaft sowie den Teilnehmern der Autorentagung zu „Migration und Integration als politische Herausforderung“ in Leipzig.

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Kolb, H. Religionspolitischer Multikulturalismus in einem multikulturalismuskritischen Land: Deutschland und der Islam. Z Vgl Polit Wiss 12, 155–172 (2018). https://doi.org/10.1007/s12286-017-0362-9

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