Klinische Präsentation und Diagnostik

Eine 45-jährige Patientin wurde von einem niedergelassenen Kollegen der Klinik und Poliklinik für Mund‑, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie des Universitätsklinikums Bonn zugewiesen.

Die Patientin hatte sich initial mit Parästhesien im Versorgungsgebiet des Ramus mentalis des N. alveolaris inferior links vorgestellt.

In der radiologischen Bildgebung mittels Orthopantomographie (OPG) und digitaler Volumentomographie zeigte sich eine scharf begrenzte, zystische Raumforderung im Bereich des Corpus mandibulae links (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Befund im Bereich des Corpus mandibulae links in der 3‑D-Rekonstruktion des digitalen Volumentomogramms

Es wurde die Indikation zu einer Zystektomie gestellt. Im Rahmen dieses Eingriffs zeigte sich jedoch vorwiegend solides Gewebe, weswegen dieser lediglich auf eine Probeentnahme beschränkt wurde. Die histologische Aufarbeitung des Gewebes ergab eine knotig aufgebaute Läsion aus monomorphen Spindelzellen, teilweise mit angedeuteter Palisadenstellung und Ausbildung zelldichter und weniger zelldichter Areale (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Histologische Aufarbeitung der Probe (HE-Färbung). a Zu sehen ist eine mäßig zelldichte Spindelzellproliferation, in einander durchflechtenden Bündeln wachsend. b In der höheren Vergrößerung zeigen die Spindelzellen längliche Zellkerne mit lockerem Chromatin und regelmäßiger Kernkontur. Es finden sich keine Atypien, der Tumor ist in der vorliegenden Darstellung und auch in den übrigen Präparatebereichen frei von Nekrosen. Keine vermehrten Mitosefiguren

Zur weiteren Therapieplanung wurde eine ergänzende bildgebende Diagnostik mittels Magnetresonanztomographie (MRT) durchgeführt. Diese zeigte eine 25 mm lange, homogen kontrastmittelaufnehmende Raumforderung des Corpus mandibulae links mit Ausdünnung der Kortikalis und umschriebenem kortikalen Defekt ventrolateral. Weder stellte sich ein infiltrierendes Wachstum dar noch waren auffällige zervikale Lymphknoten zu finden.

Wie lautet Ihre Diagnose?

In Zusammenschau des histologischen Ergebnisses und der Bildgebung wurde die Diagnose eines benignen Schwannoms des Unterkiefers links gestellt.

Chirurgisches Management und klinischer Verlauf

Aufgrund der zunehmenden Hypästhesie im Versorgungsgebiet des Ramus mentalis links wurde das Schwannom mit dem Versuch, den N. alveolaris inferior zu erhalten, entfernt.

Über eine vestibuläre Schnittführung und subperiostale Präparation erfolgte die Darstellung des Corpus mandibulae links (Abb. 3). Piezochirurgisch wurde ein vestibuläres Knochenfenster zur Darstellung der Raumforderung angelegt. Ein Großteil der Tumormasse wurde daraufhin entfernt. Um die verbliebenen interfaszikulären Anteile auszuräumen, erfolgte eine Neurolyse durch Skelettierung der einzelnen Nervenanteile. Diese wurden in der Folge reanastomosiert, abschließend wurde der Knochendeckel replantiert.

Abb. 3
figure 3

Intraoperativer Situs. a Piezochirurgische Präparation des Knochendeckels. b Darstellung des Befunds im Bereich des Corpus mandibulae links. c Reanastomosierung der skelettierten Faszikel. d Fixierung des Knochendeckels mittels Miniplatte

Unmittelbar postoperativ bestand weiterhin eine Hypästhesie im Versorgungsgebiet des Ramus mentalis links, die sich bereits nach 6 Monaten deutlich regredient zeigte. In der letzten Nachsorgeuntersuchung konnte klinisch eine Restitutio ad integrum festgestellt werden.

Diskussion

Das Schwannom ist ein langsam wachsender, gutartiger Tumor des peripheren Nervensystems. Ursprung sind die Schwann-Zellen der Nervenscheide [1]. Die Begriffe Schwannom und Neurinom werden häufig synonym verwendet. Die typische Lokalisation für das Auftreten eines Schwannoms ist der das Vestibularorgan versorgende Teil des N. vestibulocochlearis (Akustikusneurinom; [2]). In 90 % der Fälle kommen Schwannome als singuläre Läsion vor. Ein gehäuftes Auftreten von Schwannomen an multiplen Lokalisationen kann im Rahmen von Syndromen, wie der Neurofibromatose Typ 2, beobachtet werden [3].

Manifestationsalter der Schwannome ist das mittlere Lebensalter, wobei Schwannome, die mit Neurofibromatose Typ 2 assoziiert sind, häufiger bereits bei Kindern auftreten können [4]. Es gibt keinen Unterschied hinsichtlich des Auftretens bei Männern und Frauen. Charakteristisch ist eine schmerzlose Schwellung, selten werden die Tumoren durch neurologische Ausfallerscheinungen symptomatisch. Im Bereich des Kiefers sind Schwannome selten zu beobachten. Differenzialdiagnostisch kommen alternative intraossäre Raumforderungen wie odontogene Tumoren, zystische Raumforderungen oder Knochentumoren infrage. Insbesondere im Fall einer plötzlich auftretenden Hyp- oder Anästhesie des N. alveolaris inferior sollte eine maligne Raumforderung jedoch ebenfalls differenzialdiagnostisch ausgeschlossen werden.

Bei weniger als 1 % der Schwannome kommt es zu einer malignen Transformation mit der Entwicklung eines malignen peripheren Nervenscheidentumors [5].

Diagnose: benignes Schwannom des Unterkiefers

Diagnostisch wird neben der radiologischen Basisdiagnostik (OPG) eine 3‑D-Bildgebung mittels MRT empfohlen. Hierbei zeigt sich i. d. R. eine rundlich-ovale, glatt begrenzte Läsion. Typischerweise tritt bei Schwannomen ein radiologisches „target sign“ im Sinne einer zentralen Hypointensität mit einer peripheren Hyperintensität in der T2-Gewichtung auf [3].

Therapeutisch stellt die vollständige Resektion des Befunds mit mikrochirurgischer Nervenpräparation die Therapie der Wahl dar und hat in den meisten Fällen eine exzellente Prognose.

Fazit für die Praxis

  • Das Schwannom ist ein gutartiger, langsam wachsender Tumor, der in direkter Lagebeziehung zu einem Nerven wächst und klinisch durch eine progrediente Hypästhesie oder Schwellung im jeweiligen Versorgungsgebiet auffällig werden kann.

  • Das Schwannom stellt eine seltene Differenzialdiagnose einer Raumforderung im Bereich des Unterkiefers dar.

  • In seltenen Fällen kann sich eine Transformation in einen malignen peripheren Nervenscheidentumor entwickeln.

  • Therapie der Wahl ist die vollständige chirurgische Resektion und Reanastomosierung der Faszikel.