Ein 71-jähriger Patient stellte sich initial mit einer nicht mehr sitzenden Oberkieferprothese bei seinem Hauszahnarzt vor. Er wurde nach der klinischen Untersuchung umgehend an die Klinik für Mund‑, Kiefer- und Gesichtschirurgie/Plastische Chirurgie des Universitätsklinikums Jena überwiesen.

Anamnese und klinische Präsentation

Anamnestisch bestand eine seit ca. 6 Monaten langsam progrediente, schmerzlose Schleimhautveränderung. Abgesehen von einer arteriellen Hypertonie und einem benignen Prostatasyndrom hatte der Patient keine Begleiterkrankungen.

Die intraorale Untersuchung zeigte eine etwa 2 × 3 cm messende, derbe, nichtverschiebliche, hyperämische Raumforderung im Bereich des rechten Oberkiefers (Abb. 1). Der Ober- und Unterkiefer waren zahnlos, die übrige Mundschleimhaut zeigte keine Auffälligkeiten.

Abb. 1
figure 1

a Übersichtsaufnahme und b Detailaufnahme der Raumforderung im Bereich des rechten Oberkiefers im April 2016

Diagnostische Bildgebung

Aufgrund der Verdachtsdiagnose einer bösartigen Erkrankung der Mundschleimhaut wurde eine Röntgenaufnahme (Abb. 2a), eine Computertomographie mit Kontrastmittel des Kopfes und Halses sowie eine Abdomensonographie durchgeführt. Auf der rechten Seite des Kieferkamms des Oberkiefers zeigte sich eine stark Kontrastmittel aufnehmende Raumforderung (Abb. 2b). Die Differenzialdiagnosen waren ein Hämangiom, eine arteriovenöse Malformation sowie eine Metastasierung eines bisher unerkannten Primärkarzinoms. In der weiteren Untersuchung zeigten sich keine verdächtigen zervikalen Lymphknoten oder Fernmetastasen.

Abb. 2
figure 2

a Suspekte Transparenzminderung im Bereich des rechten Oberkiefers im Orthopantomogramm (Pfeil). b Kontrastmittel aufnehmende Raumforderung im Bereich des rechten Oberkiefers rechts (Pfeil) im Computertomogramm

Wie lautet Ihre Diagnose?

Eine Biopsie des betroffenen Areals zeigte das pathohistologische Bild eines malignen Hämangioperizytoms (Grad-II-SFT/HPC mit 4 Mitosen pro 10 Hochleistungsfelder).

Beschreibung der Entität.

Das Hämangioperizytom (HPC) wurde erstmals im Jahr 1942 von Stout u. Murray [1] als vaskuläre Neoplasie beschrieben. Es entwickelt sich aus Blutgefäße umgebenden Zellen, die als Perizyten bezeichnet werden und im Jahr 1923 von Zimmermann [2] entdeckt wurden [3]. Hauptsächlich befinden sich maligne Hämangioperizytome in den Extremitäten oder im Retroperitoneum des Beckens; die 10-Jahres-Überlebensrate beträgt ca. 70 % [4]. Viel seltener treten sie im Kopf-Hals-Bereich auf [5]. Seit der Neuklassifizierung im Jahr 2016 durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) werden der solitäre fibröse Tumor (SFT) und das HPC als kombinierte Entität definiert. Der SFT wird hierbei als Grad-I-, das HPC als Grad-II- oder -III-SFT/HPC definiert [6].

Wir berichten über diesen Fall, um eine diagnostische und therapeutische Vorgehensweise für diesen ungewöhnlichen Tumor in der Mundhöhle zu beschreiben.

Chirurgisches Management

Im Anschluss an die Diagnose des bösartigen Tumors und nach der ausführlichen Besprechung mit dem Patienten wurde das Hämangioperizytom im Bereich des rechten Oberkiefers in Vollnarkose mit einem Sicherheitsabstand reseziert. Im selben Eingriff wurde der resultierende Defekt primär mit einem freien Radialistransplantat, das mikrovaskulär mit den Fazialisgefäßen anastomosiert wurde, wiederhergestellt. Die histopathologische Aufarbeitung der Resektats zeigte ein komplett reseziertes HPC ohne Nachweis einer lymphatischen oder systemischen Metastasierung.

Weiterer Verlauf

Sechs Monate nach der ersten Operation wurde der Alveolarkamm des rechten Oberkiefers mit einem autologen Beckenkammtransplantat augmentiert. Es folgten die Insertion von Implantaten und die prothetische Versorgung mit einer Totalprothese des Oberkiefers (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

a Platzierung von 6 Implantaten für eine vollständige Zahnrestauration. b Prothetische Versorgung mit einer Totalprothese des Oberkiefers

Zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Fallberichts war der Patient seit 6 Jahren frei von Lokalrezidiven und Metastasen.

Literaturrecherche und Diskussion

Eine strukturierte Literaturrecherche von Artikeln in englischer Sprache über das Hämangioperizytom der Mundhöhle wurde unter Verwendung einer MEDLINE-Suche von 1942 bis heute durchgeführt. In 139 Publikationen zum HPC identifizierten wir 23 Fälle mit einer intraoralen Manifestation und einer chirurgischen Vorgehensweise.

Im Jahr 1942 beschrieben Stout u. Murray [1] 9 Fälle des HPC, von denen nur zwei in der kraniofazialen Region (infraorbital und aurikulär) gefunden wurden. 1949 erweiterte Stout [7] seine bisherige Arbeit und beschrieb weitere 25 HPC, von denen sich u. a. eines in der Augenhöhle und eines an der Zungenbasis befand. Dies ist die erste Beschreibung des intraoralen HPC. Seither wurden nur wenige Hundert Fälle von HPC in der wissenschaftlichen Literatur beschrieben und nur schätzungsweise 15–25 % davon im Kopf-Hals-Bereich [8].

Diagnose: Malignes Hämangioperizytom (Grad-II-SFT/HPC)

Nach der Entdeckung von Stout im Jahr 1949 [7] wurden nur wenige weitere Fallberichte über das intraorale HPC veröffentlicht, die sich im Bereich des Mundbodens [9,10,11,12], des Vestibulums bzw. der Wangenschleimhaut [13, 14], der Zunge [15, 16] und der Gingiva [17] befanden.

Einen Überblick über die veröffentlichten Fälle intraoraler HPC gibt Tab. 1.

Tab. 1 Ergebnis der Literaturrecherche zu Hämangioperizytomen der Mundhöhle

Alpers et al. [18] beschrieben im Jahr 1984 den äußerst seltenen Fall eines angeborenen Hämangioperizytoms der Zunge und der sublingualen Region. Bei diesem 7 Tage alten weiblichen Säugling zeigte das HPC eine ausgedehnte Infiltration der hinteren Zunge und ein zügiges Lokalrezidiv nach Exzision. Eine weitere große Exzision wurde durchgeführt. Darüber hinaus waren eine Tracheotomie und eine adjuvante Chemotherapie mit Cyclophosphamid, Vincristin und Actinomycin D notwendig. Bei weiteren Nachuntersuchungen der Patientin wurde kein HPC-Rezidiv festgestellt.

Aufgrund der hohen Rezidivrate des HPC ist die Behandlung der Wahl, wenn möglich, eine radikale En-bloc-Resektion [3, 24]. In einigen Fällen erlaubt die Lokalisation oder die Tumorgröße jedoch keine radikale Resektion [32]. Die Strahlen- und Chemotherapie können hier einen Tumorrückgang bewirken, werden aber nicht als Primärbehandlung empfohlen [20]. Sowohl die Metastasierung als auch die hohen Lokalrezidivraten wurden in früheren Studien beschrieben [33,34,35]. Dabei ist von einer Metastasierungslatenz von bis zu 11 Jahren nach Erstdiagnose auszugehen [20].

Die histopathologische Untersuchung zeigt kapillarartige Tubuli, die von Zellen mit irregulären morphologischen Merkmalen umgeben sind. Ein zellulärer Pleomorphismus und eine erhöhte Anzahl von Mitosefiguren können dargestellt werden [11]. Die immunhistochemische Untersuchung ist häufig positiv auf Vimentin und gelegentlich kann eine fokale Färbung für die Expression von Aktin und S‑100-Protein beobachtet werden [33].

In unserem Fall war das HPC von niedriggradiger Malignität, was auf eine gute Prognose hindeutet, die hauptsächlich durch die geringe Anzahl von Mitosen, den niedrigen Proliferationsindex in der histopathologischen Gewebeuntersuchung [36] sowie das Fehlen von Rezidiven und Metastasen nach 5 Jahren gestützt wird [24].

Fazit für die Praxis

  • Das Hämangioperizytom der Mundhöhle ist eine seltene Entität in der Mund‑, Kiefer-, Gesichtschirurgie.

  • Zur Erkennung im Frühstadium sind eine gründliche intraorale Untersuchung, bildgebende Diagnostik (Röntgen, Computertomographie mit Kontrastmittel) sowie eine histopathologische Untersuchung notwendig.

  • Eine frühzeitige Diagnose und die radikale Entfernung aller Tumorzellen sind entscheidend für eine adäquate Behandlung und die Vermeidung von Lokalrezidiven.

  • Bei einer intraoralen Manifestation kann eine mikrovaskuläre Rekonstruktion zur Erhaltung der Lebensqualität erforderlich sein.