Angesichts einer starken Marktdynamik stehen Unternehmen vor der Herausforderung, ihre Geschäftsmodelle stets zu modernisieren und ihre Unternehmenssteuerung anzupassen. Neuartige Technologien und Tools gelten als wesentlicher Faktor, um langfristig erfolgreich zu sein. Wie diese in der praktischen Anwendung genutzt werden können, zeigt das Beispiel der SAP.

Der Einfluss der Digitalisierung macht auch vor der Unternehmenssteuerung nicht halt. Zu unterscheiden ist dabei, wie die Digitalisierung einerseits auf die Veränderung von Geschäftsmodellen und andererseits auf die Art der Unternehmenssteuerung wirkt. Aus dem Einfluss auf die Veränderung von Geschäftsmodellen ergibt sich eine Fülle modifizierter Anforderungen, die auch bei einer Weiterentwicklung der Unternehmenssteuerung zu berücksichtigen sind.

Die Geschäftsmodellveränderung ist geprägt von einer Dynamik, die durch die Digitalisierung und dem damit verbundenen technologischen Fortschritt sehr stark zugenommen hat: Schnelle Produkt- und Dienstleistungslebenszyklen, hohe Netzwerk- und Skaleneffekte mit erweitertem, direktem Zugang zu Konsumenten führen häufig dazu, dass erfolgreiche Unternehmen sich frühzeitig eine Marktdominanz sichern. Die entscheidende Rolle dabei spielt oftmals die Geschwindigkeit der Geschäftsentwicklung; als wesentlicher Faktor hat sie großen Einfluss auf die Unternehmenssteuerung, und auch diese muss sich anpassen.

Um Entscheidungsprozesse in ihrem Rahmen zu beschleunigen, müssen Steuerungsmodelle inzwischen weitreichende Voraussetzungen erfüllen: Erstens müssen sie eine holistische Betrachtungsweise auf die Wertentwicklung des Unternehmens ermöglichen. Zweitens müssen sie integrierend wirken, das heißt, sie müssen die Auswirkungen von geplanten Veränderungen in einzelnen Geschäftsfeldern, Funktionen et cetera auf andere Bereiche der Gesamtunternehmung berücksichtigen. Und drittens müssen sie ein vorgegebenes Maß an Flexibilität aufweisen, um auf kurzfristige externe und interne Veränderungen eingehen zu können.

Angesichts der Anforderungen, die aus einer starken Marktdynamik resultieren, und der Voraussetzungen, die sich daraus für ein Steuerungsmodell ergeben, verändert sich der Tätigkeitschwerpunkt der Controllingfunktion innerhalb der Unternehmenssteuerung extrem: Er verlagert sich zunehmend von Informationsbeschaffung und -bereitstellung, Berichten und Präsentieren hin zu Steuerungsmodellentwicklung und Szenarioplanungen zur Gewährleistung der Strategie- und Planplausibilität. Vor diesem Hintergrund spielt die Anwendung neuartiger Technologien und moderner Applikationen für die Unternehmensplanung, und im weiteren Kontext der integrierten Erfolgskontrolle, eine entscheidende Rolle. Erst sie machen es möglich, sich auf die Tätigkeiten zu fokussieren, die den größten Wertbeitrag im Unternehmen schaffen.

Aufbau eines zentralen Steuerungsmodells

Mit einer steigenden Anzahl von Geschäftsmodellen hat auch die Komplexität der Steuerung der SAP in erheblichem Maße zugenommen. Im Jahr 2014 entschloss sich der Konzern deshalb, ein einheitliches, zentrales Steuerungsmodell aufzubauen, das möglichst allen Anforderungen und gesetzten Vorstellungen gerecht werden sollte. Vorrangiges Ziel war es, die Entscheidungs- und Umsetzungsgeschwindigkeit zu verbessern.

Die strategische Finanzplanung als Teil der Controllingorganisation hat hierzu das Konzept eines zentralen Werttreiberbaumes entwickelt, bei dem alle Geschäftssegmente, -bereiche und -modelle, Funktionen, Produkte und Dienstleistungen in einem Modell berücksichtigt werden (vergleiche Abbildung 1). Dieses ist wie eine Art System, bei dem die einzelnen Systemknoten Abhängigkeiten zu anderen Systemknoten unterhalten, die kontinuierlich überprüft und deren Abhängigkeiten in Form von Parametern angepasst werden. Zunächst lag der Fokus darauf, relevante operative und finanzielle Steuerungsgrößen und deren Einfluss auf andere Steuerungsgrößen und den daraus resultierenden Effekt auf die Gewinn-und-Verlust-Rechnungen zu ermitteln. Dies wurde mit der Leitung der einzelnen Geschäftsbereiche und Funktionen aufgebaut und mithilfe der Enterprise Analytics und der IT-Funktionen unternehmensweit umgesetzt. Beispiele dafür sind die Standardisierung von Kennzahlen und die Harmonisierung des Datenmodells in der Anwendung.

Abb. 1
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Quelle: eigene Darstellung

Werttreiberbaum der SAP

Um Entscheidungen unter Unsicherheit treffen zu können, ist ein integriertes Planungsmodell mit stabilen Strukturen unabdingbar.

Im weiteren Verlauf wurde das Werttreiberbaumkonzept erweitert und mithilfe der indirekten Methoden in eine Cashflow-Berechnung überführt. Heute ergibt der Werttreiberbaum den intrinsischen Unternehmenswert der SAP. Jegliche Veränderung der strategisch-taktischen Steuerungsgrößen wird quantifiziert als resultierende Differenz zum bisherigen Unternehmenswert.

Damit übernimmt der Werttreiberbaum nicht nur eine wichtige Rolle bei Entscheidungsprozessen und der Planung, sondern auch bei der Implementierung der Veränderungen. Er hilft, klare Kausalitäten zu ermitteln und deren Effekt zu bewerten, das heißt, er ist ein elementarer Bestandteil für die Priorisierung und damit der Fokussierung der Gesamtunternehmung auf die angestrebte Verbesserung - und damit der erste Schritt für eine erfolgreiche Umsetzung der Veränderung.

Implementiert wurde der Werttreiberbaum in SAP Analytics Cloud. Die cloudbasierte Business-Intelligence-Lösung ermöglicht auf einzigartige Weise, multidimensionale Steuerungsdimensionen in flexiblen Kontenstrukturen abzubilden, die über sogenannte "Data Actions", also die automatisierte Aktualisierung der vorhandenen Daten angesteuert vom Benutzer, mit Echtzeitdaten aus Quellsystemen gespeist werden. Dabei kann auf bestehenden Strukturen und Hierarchien der Quellsysteme aufgebaut werden, ohne diese zwanghaft in jeder granularen Ausprägung zu übernehmen. Die einfachste Darstellung der Ergebnisse erfolgt in Tabellenstrukturen. Darauf basierend können automatisierte Diagramme in einer Vielzahl von Ausprägungen erstellt werden. Die einfache Übernahme dieser "Story" in den SAP Digital Boardroom ermöglicht es, beispielsweise Planszenarien in die bestehende Berichts- und Präsentationsstruktur von operativen und finanziellen Periodenergebnissen, zum Beispiel Quartalsergebnisse, direkt zu integrieren.

COVID-19-Auswirkungen als Härtetest

Die Verbreitung von COVID-19 im ersten Halbjahr 2020 und die damit verbundenen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus haben die gesamte Unternehmenssteuerung auf eine harte Probe gestellt. Die Auswirkungen der Pandemie zeigten sich als eine Art weltweiter Katalysator für die Digitalisierung und beschleunigten diese in vielen Bereichen. Dabei gab es eine ungewöhnlich scharfe Trennlinie zwischen Gewinnern und Verlierern der COVID-19-Krise. In vielerlei Hinsicht entsprach die Pandemie einer Art Lackmustest für den digitalen Reifegrad der Unternehmungen.

Für die SAP wirkten sich vor allem der erneut beschleunigte Wandel hin zu Cloud-Lösungen im Vergleich zu in eigenen Datenzentren unterhaltenen On-Premise-Lösungen, der Einfluss des quasi Zusammenbruchs der Reisetätigkeiten auf die SAP-Concur-Lösung, also auf integrierte Lösungen für die Buchung und Abrechnung von Geschäftsreisen, und die Ungewissheit der weltweiten makroökonomischen Auswirkungen sowie die damit verbundene Erholung der Weltwirtschaft aus. Dementsprechend mussten viele Anpassungen an der Modellierung und Parametrisierung vorgenommen werden. Die Robustheit des Werttreiberbaumes half dabei, in relativ kurzen Iterationszyklen kontinuierlich auf die aktuellen Projektionen zu reagieren und die eigenen Annahmen entsprechend anzupassen. Dies führte trotz verbleibender externer Ungewissheiten dazu, dass im Oktober 2020 eine aktualisierte Unternehmensstrategie und langfristige Finanzziele für das Jahr 2025 an den Markt kommuniziert werden konnten. Generell konnten die meisten Unternehmen in diesem Umfeld keine oder nur sehr kurzfristige externe Ziele kommunizieren.

Simulationen erweitern bestehende Modelle und ermöglichen eine noch bessere Entscheidungsfindung.

Szenarioplanung, Ergebnisprojektion, Risikoanalyse

Die Pandemie hat nicht nur die Modelle und die bestehenden Vorgehensweisen einem Härtetest unterzogen, sondern auch neue Anforderungen an Sensitivitätsanalysen sowie die Szenarioplanung verdeutlicht. Unterschiedliche Szenarien mussten in kürzester Zeit auf Basis aktualisierter Daten und anhand unterschiedlicher Erholungskurven modelliert und zur Entscheidungsfindung aufbereitet werden. Durch die hohe vorherrschende Unsicherheit einzelner Steuerungsparameter ist allerdings die klassische Szenarioplanung, in Form von Best Case, Base Case und Worst Case, schnell an die Anforderungsgrenzen der Entscheidungsträger gestoßen. Aus diesem Grund wurde die klassische Szenarioplanung um Sensitivitätsanalysen der einzelnen Hauptsteuerungsparameter, wie zum Beispiel der Wachstumsparameter des Neugeschäfts, ergänzt. Mithilfe beider Methoden konnte bereits ein breites Spektrum der Anforderungen abgedeckt werden. Offen blieben jedoch die Fragen nach den Eintrittswahrscheinlichkeiten der Szenarien und nach Sensitivitätsanalysen bei gleichzeitiger Veränderung unterschiedlicher Parameter, wie zum Beispiel eine multivariate Sensitivitätsanalyse, die den Anstieg des Neugeschäfts bei gleichzeitiger Veränderung der Vertriebsproduktivität unter Berücksichtigung der sich ändernden Kundenzufriedenheit analysiert. Um diesen erweiterten Anforderungen gerecht zu werden, wurden Monte-Carlo-Simulationen in den Entscheidungsprozess integriert. Diese Methode ermöglichte es, unterschiedliche Risikoprofile in Form von Standardabweichungen auf sich stochastisch entwickelnde Steuerungsparameter anzuwenden und damit eine hohe Zahl, zum Beispiel mehrere Tausend Szenarien, in kürzester Zeit zu berechnen. Das Modell, die hinterlegten Eingabeparameter, deren Streuung in Form von Standardabweichungen und die zugrunde gelegte Wahrscheinlichkeitsverteilung, beispielsweise Normalverteilung, bilden die Basis für die Simulation (vergleiche Abbildung 1). Die Ergebnisse der Simulation werden zur Risikoanalyse der dem Kapitalmarkt zu kommunizierenden Ausblick- beziehungsweise Ambitionsparameter verwendet. Die resultierenden Eintrittswahrscheinlichkeiten, in Form von Häufigkeitsverteilungen, werden berechnet, visualisiert und können zur objektiven Unterstützung der gewählten Parameterwerte herangezogen werden.

Indem die SAP die beschriebenen Methoden angewendet hat, hat sich ein großer Mehrwert in der Entscheidungsfindung ergeben. Die entsprechend positiven Ergebnisse haben zu einer hohen Akzeptanz der neuen Methoden bei den Entscheidungsträgern geführt. Basierend auf diesen Erfahrungen, wurden weitere statistische Methoden untersucht, welche heute bereits in der Finanzplanung angewendet werden. Im Fokus stand hierbei, Methoden im Bereich Predictive Analytics in SAP Analytics Cloud unter Verwendung der Programmiersprache R zu untersuchen und anzuwenden. Ziel der Untersuchung war es, mithilfe von statistischen Prognosemodellen Planwerte von Umsatzströmen vorherzusagen, welche als Validierung zur Planung herangezogen werden konnten. Begonnen wurde mit einfachen Entwicklungs- beziehungsweise Zeitreihenprognosemodellen, welche sich ausschließlich auf Vergangenheitswerte des zu vorhersagenden Wertes beziehen. Unterschiedliche Methoden, wie zum Beispiel die exponentielle Glättung, Auto Regressive Integrated Moving Average (ARIMA) und einfache neuronale Netze, wurden auf die Trainings-Daten angewandt und validiert. Erste Ergebnisse mit einem kurzfristigen Planungshorizont konnten schnell einen Mehrwert liefern und als Planvergleich herangezogen werden. Angesichts des detaillierten langfristigen Planungshorizonts von fünf Jahren haben einige Methoden allerdings den Anforderungen nicht genügt. In besonderem Maße disruptive Entwicklungen, wie im Falle der SAP eine vorgenommene Strategieveränderung, können nur bedingt abgebildet werden, da diese nicht in den historischen Trainings-Daten vorhanden sind. Um diesem Nachteil gerecht zu werden, wurden vermehrt wirkungsbezogene Methoden, zum Beispiel einfache oder multivariate Regressionen, untersucht und angewandt. Größte Herausforderung war es dabei, interne sowie externe Daten zu sammeln und aufzubereiten. Einfache Fragestellungen, zum Beispiel welche Variablen verwendet werden sollten, wurden schnell sehr komplex durch sich verändernde Währungskurse, anorganisches Wachstum durch Akquisitionen, Abspaltung von Geschäftsbereichen beziehungsweise -teilen, sich im Unternehmen verändernde Strukturen oder unterschiedliche Marktdefinitionen von externen Datenanbietern. Trotz dieser anfänglichen Schwierigkeiten konnten die wirkungsbezogenen Methoden den Nachteil der Zeitreihenanalysen ausgleichen und tiefergehende Erkenntnisse über den statistischen Zusammenhang einzelner Variablen liefern. Mithilfe der im Modell hinterlegten statistisch signifikanten Variablen konnten verlässliche Daten für die Validierung der langfristigen Finanzplanung berechnet werden.

"Die positiven Ergebnisse haben zu einer hohen Akzeptanz der neuen Methoden bei den Entscheidungsträgern geführt."

Gesteigerter Wertbeitrag der Controllingorganisation

Die strategische Finanzplanung, als Kernfunktion des Controllings, nimmt in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle als Vordenker und Wegbegleiter ein. Innerhalb der SAP ist die Funktion als eigenständige Abteilung in der Organisation des Controllings verankert. Sie unterstützt in erster Linie den Vorstand in der Entscheidungsfindung, ist für die Vernetzung der Unternehmensstrategie mit dem langfristigen Finanzplan des Unternehmens verantwortlich und hat als Ziel die nachhaltige Steigerung des Unternehmenswerts.

Neue Technologien ermöglichen es, in einem volatilen Umfeld proaktiv handlungsfähig zu sein.

Dabei ist die andauernde, enge Zusammenarbeit mit anderen Unternehmensfunktionen, unter anderem Strategie, Portfolio, Treasury und mit der Leitungsebene aller Geschäftsbereiche, essenziell. Die gesamte Controllingorganisation dient als verlängerter Arm und reicht dabei noch viel weiter in die Organisation hinein. Zum Beispiel werden die Jahresziele in die Budgetplanung der Geschäftsbereiche übernommen und eine Übersetzung der umsatzkostenbasierten langfristigen Finanzplanung in die operative Gesamtkostensicht übersetzt. Diese wird für das jeweils laufende Geschäftsjahr im Rahmen der Forecast- und Abschlusszyklen zur operativen Leistungskontrolle herangezogen. Auch in diesen Prozessen werden vermehrt neue Technologien zur Vorhersage der Finanzergebnisse verwendet. Beispielsweise benutzt das Konzerncontrolling der SAP einen zentralen Forecast für die Ergebnisprognose der Konzern-Gewinn-und-Verlust-Rechnung. Damit wird der Aufwand für die Durchführung eines Forecast-Zyklus deutlich reduziert, bei genaueren, ausschließlich datengetriebenen Vorhersagen.

"Eine andauernde, enge Zusammenarbeit mit anderen Unternehmensfunktionen und mit der Leitungsebene aller Geschäftsbereiche ist essenziell."

Schlussbetrachtung

Die Rolle des Controllers und die Profilanforderungen an ihn haben sich deutlich verändert. Der Controller besitzt ein hohes Maß an Geschäftsverständnis, geprägt durch Markt- und Wettbewerbskenntnisse in Verbindung mit einem tiefen Verständnis des Werteflusses des eigenen Unternehmens. Darüber hinaus verfügt er über Anwenderkenntnisse moderner Software-Lösungen, die ihm eine Szenarioplanung, Ergebnisvorhersage, Echtzeit- und Risikoanalyse ermöglichen. Abgerundet wird das Profil durch exzellente Kommunikationsfähigkeiten, die es ihm ermöglichen, als Teil der Geschäftsführung direkt im Entscheidungsprozess involviert zu sein. Dadurch kann er die Perspektive der Einzelentscheidung, die oftmals auf Bereichs- oder Funktionsebene getroffen wird, im Hinblick auf die Gesamtunternehmung einnehmen. Der Controller nimmt auf diese Weise mehr und mehr die Rolle des zentralen Navigators im Unternehmen ein.