Nach einer neuen Studie erwerben schulpflichtige junge Menschen beim Jobben wichtige Fähigkeiten, die ihnen nach Abschluss der Schule zugutekommen. Die Studie spricht sich dafür aus, ihnen den Zugang zu Jobs zu erleichtern und das Jugendarbeitsschutzgesetz zu reformieren. In seiner Bewertung der Studie plädiert der Autor dafür, Schüler_innen anregende Arbeitserfahrungen zu ermöglichen und eigenes Einkommen zu erlangen, sich aber auch mit den Bedingungen der kapitalistischen Arbeitswelt auseinanderzusetzen.

Nach einer im Jahr 2023 veröffentlichten Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) geht fast jede_r zweite vollzeitschulpflichtige 17-Jährige (41,7 %) neben der Schule oder in den Sommerferien einer bezahlten Arbeit nach. Nicht wenige (14 %) tun dies schon, seit sie 13 oder 14 Jahre alt sind, und manche (1,7 %) haben sogar noch früher damit angefangen. Hinzu kommen unter den 17-Jährigen 7,6 %, die zum Erhebungszeitpunkt in anderer Weise erwerbstätig waren – zum Beispiel in Form einer betrieblichen Ausbildung (IW-Studie 2023, S. 47). Die Studie basiert auf einer Analyse der Daten des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) für die Jahre 2018 bis 2020, die das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) regelmäßig erhebt. Darin werden als Arbeit „einigermaßen regelmäßige Verdienstquellen während der Ferien oder während des ganzen Jahres“ gewertet, zum Beispiel häufiges Babysitten, Nachhilfeunterricht geben oder Austragen von Zeitungen oder Werbeprospekten. Nur sporadisch stattfindende Beschäftigungen, etwa die Mithilfe bei Inventuren, werden nicht einberechnet“ (Kantar Publics 2021, S. 13).

Ähnliche Ergebnisse, andere Bewertungen

Die Daten ähneln den Ergebnissen von Studien, die in den 1990er-Jahren in mehreren Bundesländern durchgeführt wurden, zuletzt 1999 in Thüringen (zum Überblick vgl. Liebel 2020, S. 195–223). Doch es fällt auf, dass die Daten in der neuen Studie anders bewertet werden. In den 1990er-Jahren wurde vor allem die häufige Verletzung und mangelnde Kontrolle der Vorschriften des Jugendarbeitsschutzgesetzes beklagt. Lehrer_innenverbände und der Deutsche Kinderschutzbund warnten vor dramatischen Folgen für Schulbesuch und Schulerfolg, ohne dies allerdings belegen zu können. In der neuen Studie wird dagegen festgestellt, das Jobben könne „in mehrerlei Hinsicht entwicklungsfördernd wirken“, insbesondere könnten „am Arbeitsmarkt wichtige Fähigkeiten wie Zuverlässigkeit und Eigenständigkeit erworben werden“ und die Arbeitserfahrung könne „einen Pluspunkt bei Bewerbungsverfahren darstellen“. Zudem könne „die Arbeitserfahrung den jungen Menschen Vorteile in der Konkurrenz um Jobs und Praktika während der Schul- und Studienzeit“ verschaffen, „die wiederum für den Einstieg ins Erwerbsleben tatsächlich von Bedeutung sein können“. Darüber hinaus sei es „für die Entwicklung eines kompetenten Umgangs mit finanziellen Ressourcen hilfreich, wenn die Jugendlichen über Gelder verfügen, mit denen sie selbstständig wirtschaften können“ (alle Zitate aus IW-Studie 2023, S. 48). In der Konsequenz wird in der IW-Studie sogar der „Abbau von Hürden“ sowie eine Reform des Jugendarbeitsschutzgesetzes von 1976 und der Kinderarbeitsschutzverordnung von 1998 angemahnt, um jungen Menschen bereits frühzeitig den Umgang mit selbstverdientem Geld zu ermöglichen und die Abhängigkeit von den Eltern zu verringern.

Arbeitsgelegenheiten hängen vom Status des Elternhauses ab

Die IW-Studie stellt besonders heraus, dass die Motive und die Gelegenheiten für die Aufnahme eines Nebenjobs in hohem Maße vom sozialen Status und dem Einkommen der Eltern abhängig seien. Es sind nicht, wie auf den ersten Blick zu vermuten wäre, die Kinder aus sozial benachteiligten Elternhäusern, die besonders häufig einen Nebenjob ausüben, sondern die aus eher privilegierten Familien. Demnach jobben rund 52 % der 17-Jährigen, deren Eltern gemessen am Einkommen zur reicheren Hälfte gehören. In der ärmeren Hälfte sind es nur 31,5 %. Noch deutlicher wird der Unterschied, wenn die Einkommen in Sechstel aufgeteilt werden: Gehören Eltern zum reichsten Sechstel, arbeiten rund 60 % der Jugendlichen, beim ärmsten Sechstel sind es nur knapp 30 % (IW-Studie 2023, S. 58f.).

Dies wird damit erklärt, dass besser situierte Familien über ein besseres Netzwerk verfügen und – so könnte ergänzt werden – in Wohngebieten leben, in denen sich mehr bezahlte Arbeitsgelegenheiten finden. Dadurch haben sie leichteren Zugang, und die Hürde, einen Nebenjob zu finden, ist deutlich geringer. Auch Jugendliche, deren Eltern Akademiker_innen oder als Selbstständige wirtschaftlich tätig sind, arbeiten besonders häufig. Ähnliches wurde schon in einer früheren Studie (Hungerland et al. 2005; Wihstutz 2009) ermittelt: Während ärmere Eltern, darunter Migrantenfamilien, fürchten, wegen der Arbeit ihrer Kinder stigmatisiert zu werden, ermuntern reichere Eltern ihre Kinder, sich einen Nebenjob zu suchen, und helfen ihnen oft dabei. So ist es auch nicht verwunderlich, dass laut IW-Studie (S. 62) junge Menschen, die ein Gymnasium besuchen, mit einem Anteil von 54,4 % besonders häufig Erfahrungen mit Jobben hatten.Footnote 1

Verschiedene Motive fürs Jobben

Geht es um die Motivation, antworten laut IW-Studie zwei Drittel der jobbenden Jugendlichen, sie wollten Geld verdienen, um sich „besondere Wünsche“ zu erfüllen und sich dadurch auch unabhängiger von ihren Eltern zu machen (S. 59). Für knapp 68 % gilt der Verdienst als ausschlaggebend. Allerdings werden in der IW-Studie auch hier Unterschiede konstatiert: Je reicher die Eltern, desto wichtiger sei den Jugendlichen „das Interesse an der Tätigkeit selbst“ (S. 59). Demnach suchen sie sich und finden oft Tätigkeiten, die interessant und abwechslungsreich sind. Es ist hinzuzufügen, dass diese Tätigkeiten meist auch besser bezahlt werden.

Insgesamt zeigt sich bei den in der IW-Studie festgestellten Prioritäten der Arbeitsmotivation eine Begrenzung quantitativer Erhebungen. In qualitativen Studien (zum Beispiel Hungerland et al. 2005) wird deutlich, dass die Motive der arbeitenden Kinder und Jugendlichen vielfältiger sind. Selten geht es ihnen allein ums Geldverdienen, sondern fast immer spielen auch andere Motive eine Rolle, wie der Spaß an der Tätigkeit, neue Erfahrungen zu machen, die in der Schule nicht möglich sind, etwas Nützliches und Sinnvolles zu tun, oder der Wunsch, von Erwachsenen ernster genommen zu werden und unabhängiger zu sein. Während diese Fragen in der englischsprachigen Kindheits- und Jugendforschung bis heute intensiv diskutiert werden (vgl. z. B. Bourdillon et al. 2010; Estrada 2019Footnote 2), sind sie im deutschsprachigen Raum seit Beginn der 2000er Jahre (vgl. Hengst und Zeiher 2000) kaum noch aufgegriffen worden (zum Überblick vgl. Liebel 2020, S. 195–223).

Kinder und Jugendliche werden heute anders als früher gesehen

Die IW-Studie mit ihrem Plädoyer, die Nebenjobs junger Menschen als positiven Beitrag zur persönlichen Entwicklung anzuerkennen und die bisher bestehenden Hürden gerade für Kinder aus benachteiligten Familien zu senken, hängt vermutlich mit den wirtschaftlichen und politischen Interessen des arbeitgebernahen Forschungsinstituts zusammen. Es könnte aber auch davon beeinflusst sein, dass sich seit mehreren Jahren das Bild von Kindern und Jugendlichen verändert. So werden sie heute in der Kindheitsforschung eher als soziale Akteur_innen verstanden, und es wird ihr wachsender Wunsch aufgegriffen, dem Kindheitsstatus und der damit verbundenen Marginalisierung und Unterordnung zu entkommen (vgl. Liebel und Meade 2023; Liebel et al. 2023). Es sei daran erinnert, dass schon vor fast 25 Jahren in einem Bericht der Bundesregierung zur Kinderarbeit in Deutschland unter Verweis auf die Studien in den Bundesländern konstatiert wurde:

„Nach den Feststellungen der Länder zeigen sich Kinder häufig an der Aufnahme einer Beschäftigung interessiert. Eine Beschäftigung werde zumeist aufgrund finanzieller Gesichtspunkte angestrebt. Daneben spiele aber auch das Interesse an der Arbeit selbst eine Rolle. Die Eltern hätten meist keine Einwände gegen die Erwerbstätigkeit ihrer Kinder. Sie machten geltend, durch eine Beschäftigung könnten die Kinder die Freizeit sinnvoll nutzen und eigenes Geld verdienen. Zudem biete sie den Kindern nach Auffassung vieler Eltern die Gelegenheit, erste Erfahrungen im Berufsleben zu sammeln. Angesichts dessen betrachte ein Teil der Eltern und Kinder die geltenden rechtlichen Bestimmungen zur Kinderarbeit in erster Linie als Beschränkungen und nicht als Maßnahmen zum Schutz der Kinder. Infolgedessen brächten sie für staatliche Kontrollen wenig Verständnis auf. Das Unrechtsbewusstsein bei Rechtsverstößen sei mitunter nicht sehr ausgeprägt. Der Sinn des grundsätzlichen Verbots von Kinderarbeit im gewerblichen und industriellen Bereich werde infrage gestellt.“ (Deutsche Bundesregierung 2000, S. 8f.)

Der zunehmende Wunsch vieler junger Menschen, bereits als Kinder neben der Schule zu jobben, und die sich abzeichnende positive Einstellung von Eltern hierzu hatten die Bundesregierung im Jahr 1998 veranlasst, in einer Kinderarbeitsschutzverordnung eine Positivliste von Tätigkeiten zu erstellen, die ab dem 13. Lebensjahr ausgeübt werden dürfen. Damit wurden die im Jugendarbeitsschutzgesetz eher beiläufig genannten Ausnahmen vom Kinderarbeitsverbot konkretisiert und anerkannt, dass bezahlte Arbeit unter bestimmten Umständen schon für Kinder vorteilhaft sein könne.

Gesetzliche Änderungen gefordert

Diese Tendenz wird nun von der IW-Studie noch einmal verstärkt, indem sie betont, „dass vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Wandels und der starken Veränderung der Arbeitswelt in den letzten Jahrzehnten eine grundlegende Überprüfung und Weiterentwicklung des ordnungspolitischen Rahmens für die Beschäftigung Minderjähriger dringend geboten erscheint“ (IW-Studie 2023, S. 52). Insbesondere fordert die Studie dazu auf, die Positivliste um weitere Tätigkeiten zu erweitern, vor allem solchen, die sich aus der Ausbreitung digitaler Technologien und der Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft ergeben. Einen besonderen Akzent setzt die Studie, indem sie unter Verweis auf die mangelnde „Chancengerechtigkeit“ den Blick auf Kinder aus ärmeren Familien richtet und die dort vorgefundenen Hürden für die Aufnahme eines bezahlten Nebenjobs senken will.

Die in der IW-Studie beschworene „Chancengerechtigkeit“ ist auf den Zugang zum Arbeitsmarkt beschränkt. Dabei setzt sie sich nicht mit dem Problem auseinander, dass gerade die Nebenjobs, die Kindern aus ärmeren Familien (oder von Empfänger_innen des „Bürgergelds“) zugänglich sind oder werden könnten, in der Regel besonders eintönig und schlecht bezahlt sind. Hinzukommt, dass gerade mit der Digitalisierung der kapitalistischen Ökonomie neue versteckte Formen von Ausbeutung entstehen, die nicht auf die Arbeitssphäre im traditionellen Sinne beschränkt bleiben, zum Beispiel die Instrumentalisierung junger Menschen als „Trendsetter“ und „Influencer“ in neuen Marketingstrategien.Footnote 3 Die Studie unterstellt, ohne dafür Belege zu bieten, dass die Nebenjobs, von wenigen Ausnahmen „im sozialen Nahbereich“ (IW-Studie 2023, S. 52) abgesehen, den gesetzlichen Normen des Jugendarbeitsschutzes entsprechen und somit keine Nachteile und Gefährdungen für die jungen Menschen mit sich bringen. Die IW-Studie setzt sich somit dem Verdacht aus – ähnlich wie kürzlich Gesetzesinitiativen in einigen Bundesstaaten der USA (vgl. ProNATs 2023) – den profitorientierten Unternehmen billige und gefügige Arbeitskräfte leichter zugänglich machen zu wollen.

Probleme des Kinderarbeits-Verbots

Diese Problematik wird noch dadurch unterstrichen, dass die IW-Studie an keiner Stelle auf die Probleme eingeht, die sich aus der Verbotslogik des geltenden Jugend- und Kinderarbeitsschutzes ergeben. Aus Untersuchungen in verschiedenen Ländern geht hervor, dass Gesetze, die jungen Menschen bis zu einem bestimmten Mindestalter verbieten, einer bezahlten Arbeit nachzugehen, diese in ein rechtloses Dunkelfeld verbannen und sie bei der Arbeit weitgehend schutzlos machen (vgl. Bourdillon und Carothers 2019). Auch wenn Ausnahmen gestattet oder – wie in Deutschland – Positivlisten für zulässige Arbeiten erstellt werden, bleiben den jungen Menschen Arbeitsrechte verwehrt, auf die sie sich bei ihrer Arbeit berufen könnten (vgl. Liebel 2023, S. 167–186).

Um die dadurch entstehenden Probleme zu lösen, muss jungen Menschen ermöglicht werden, sich bei der Arbeit gegen jegliche Form von Ausbeutung zu wehren und unter menschenwürdigen Bedingungen zu arbeiten. Die Gesetzgebung steht also vor der Aufgabe, die Schutz- und Mitwirkungsrechte bei der Arbeit zu verbessern und den Unternehmen ebenso wie Privatpersonen Bedingungen zu stellen, die die Menschenwürde auch von jungen Menschen bei der Arbeit gewährleisten. Ein Recht der Kinder, unter würdigen Bedingungen zu arbeiten, würde dies begünstigen (Liebel et al. 2012). Darüber hinaus müssten für junge Menschen jenseits der profitorientierten Unternehmen mehr legale Gelegenheiten geschaffen werden, in denen sie eine für sie interessante und vorteilhafte Arbeit ausüben und ein angemessenes Einkommen erwerben können.

Statt Pflichtpraktika anregende Arbeitsgelegenheiten

Dies erfordert ein grundlegendes Umdenken, weg von Verboten, hin zur Regulierung der Arbeitsbedingungen. Da wirtschaftliche Ausbeutung zu den Grundelementen der kapitalistischen Ökonomie gehört, ist es dringend notwendig, gerade für und mit jungen Menschen eine soziale und solidarische Ökonomie auf den Weg zu bringen, in der nicht der Profit, sondern die Menschenwürde und das Wohlergehen der Menschen ausschlaggebend sind.

Es wäre auch mal wieder darüber nachzudenken, warum junge Menschen mit wachsendem Alter die Schule als öde, sinnlos und stressig empfinden (Studienkreis 2020) und was dagegen getan werden könnte. Mehr Pflichtpraktika, wie Andrea Nahles (2023), die Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, empfiehlt, würden den Stress eher erhöhen. Stattdessen sollten den Schüler_innen mehr freiwillige Gelegenheiten geboten werden, bereits während der Schulzeit anregende Arbeitserfahrungen zu machen, eigenes Einkommen zu erlangen und sich mit den Bedingungen der kapitalistischen Arbeitswelt auseinanderzusetzen.