Warum Soziale Arbeit in Jordanien sowohl für die deutschsprachige Sozialarbeits- und Flüchtlingsforschung als auch für Studierende und Praktiker_innen in Deutschland von Interesse sein sollte, erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Eine nähere Betrachtung zeigt jedoch, dass die Soziale Arbeit in Jordanien eng mit der europäischen und deutschen Flüchtlingspolitik sowie der deutsch-jordanischen Entwicklungszusammenarbeit verknüpft ist.

Auch die Tatsache, dass jordanische und deutsche Studierende an der German-Jordanien University (GJU) Soziale Arbeit studieren, zeigt, dass es weitreichende Verbindungen zwischen beiden Ländern gibt. Die Entwicklungen, Herausforderungen und Probleme der Sozialen Arbeit in Jordanien sind daher auch für die deutschsprachige Diskussion von Bedeutung.

Einleitung

Professionelle Soziale Arbeit in Jordanien findet überwiegend im Rahmen von Programmen für Geflüchtete statt, die von internationalen Organisationen, staatlichen Akteuren der Entwicklungszusammenarbeit und vielfältigen zivilgesellschaftlichen Initiativen finanziert sowie von internationalen NGOs eigenständig oder in Partnerschaft mit nationalen und lokalen NGOs durchgeführt werden.

Diese Verortung der Sozialen Arbeit ist einerseits darauf zurückzuführen, dass Jordanien im Vergleich zu den europäischen Verhältnissen als ein residualer Sozialstaat charakterisiert werden kann, dessen Leistungen weitgehend auf die Existenzsicherung der Armutsbevölkerung beschränkt sind.Footnote 1 Zudem sind Angebote der Sozialen Arbeit in den sozialstaatlichen Institutionen, z. B. im Rahmen des Kinderschutzes und des Schutzes vor familialer Gewalt, bislang nur in geringem Umfang vorgesehen (s. etwa UNICEF 2021). Beim institutionell zuständigen „Family and Juvenile Protection Department“, das eine Unterabteilung der nationalen Sicherheitsbehörde „Public Security Directorate“ istFootnote 2, sind kaum professionelle Sozialarbeiter_innen beschäftigt.

Andererseits hat sich in Jordanien ein eigenständiger zivilgesellschaftlicher Bereich der Sozialen Arbeit für Geflüchtete entwickelt, und sozialarbeiterische Tätigkeiten sind in den zahlreichen NGOs vorgesehen. Das heißt jedoch keineswegs, dass sie auch regelmäßig von Absolvent_innen der einschlägigen Studiengänge ausgeübt werden (s. unten).

In Jordanien, ein Land mit etwa elf Millionen Einwohnern, leben nach aktuellen Regierungsangaben etwa 1,4 Mio. Flüchtlinge, hauptsächlich aus Syrien, eine beträchtliche Anzahl aber auch aus dem Irak, Jemen und dem Sudan. Hinzu kommen etwa drei bis vier Millionen Palästinenser_innen, die nach 1948 oder nach 1967 – also nach den Kriegen zwischen den arabischen Staaten und Israel und der anschließenden Besetzung des Gazastreifens und des Westjordanlandes – eingewandert sind. Obwohl die meisten von ihnen die jordanische Staatsbürgerschaft oder einen jordanischen Pass haben, gelten dennoch etwa zwei Millionen als FlüchtlingeFootnote 3.

Der Bedarf an sozialstaatlicher Unterstützung und Sozialer Arbeit ist, nicht nur, aber in besonderer Weise auch für Geflüchtete, offenkundig: Denn die Arbeitslosigkeit ist hoch – nach offiziellen Angaben des StatistikamtesFootnote 4 (Department of Statistics) beträgt sie 22,9 %, die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei über 40 % – und die Armutsquote wird aktuell auf 35 % der BevölkerungFootnote 5 geschätzt. Flüchtlinge unterliegen zudem erheblichen rechtlichen und ökonomischen Benachteiligungen (s. zusammenfassend Scherr 2023). Ihre prekäre Situation zeigt sich u. a. darin, dass ca. 90 % der syrischen Flüchtlinge in einer UNHCR-Umfrage angaben, keine ausreichende Einkommensquelle zu haben, um die Grundbedürfnisse ihrer Familien zu finanzieren (UNHCR 2023a, S. 6).Footnote 6

Dieser Artikel erörtert im Weiteren die Probleme der Soziale Arbeit und ist wie folgt gegliedert: Zunächst wird ein kurzer Überblick über den politischen Kontext gegeben; dann werden die Möglichkeiten der Sozialarbeitsausbildung in Jordanien sowie die Herausforderungen dargestellt, denen sich Studierende mit Hochschulabschluss beim Eintritt in den Arbeitsmarkt gegenübersehen. Anschließend werden wirtschaftliche und rechtliche Rahmenbedingungen skizziert, die für die Soziale Arbeit mit Flüchtlingen in Jordanien konstitutiv sind; schließlich werden kritische Überlegungen zu den westlichen Einflüssen auf die Entwicklung der Sozialen Arbeit diskutiert.

Der politische Kontext

Jordanien ist für die deutsche und europäische Migrationspolitik nicht zuletzt als Aufnahmeland für Geflüchtete, insbesondere aus Syrien, relevant: Es ist ein erklärtes Ziel der deutschen und europäischen Politik, dass sie in Jordanien bleiben sollen, also nicht weiter nach Europa migrieren (Grawert 2019; Lenner und Turner 2019). Um dies zu erreichen, wurden zwischen der EU und Jordanien Abkommen geschlossen, die neben umfangreichen Finanzhilfen und Exporterleichterungen auch das Ziel der Integration von Flüchtlingen aus Syrien in den jordanischen Arbeitsmarkt beinhalten (Barbelet/Hagen-Zanker/Mansour-Ille 2018). Es ist jedoch nicht gelungen, eine ausreichende Zahl zusätzlicher Arbeitsplätze zu schaffen. Inzwischen betonen die politisch Verantwortlichen in Jordanien zudem, dass die Grenzen der Aufnahmefähigkeit der jordanischen Gesellschaft und des jordanischen Arbeitsmarktes erreicht sind. Darüber hinaus wird seit der Wiederaufnahme Syriens in die Arabische Liga inzwischen auch darüber diskutiert, wann und wie eine Rückführung ermöglicht werden kann, was aus der Sicht weit überwiegenden Zahl der Geflüchteten auf absehbare Zeit jedoch keine realistische Option ist (UNHCR 2023b). Die ökonomisch und rechtlich prekäre Situation von Flüchtlingen in Jordanien (Scherr 2023) wird in der deutschen Öffentlichkeit bisher kaum wahrgenommen, und es besteht kein Zweifel daran, dass die deutsche und europäische Flüchtlingspolitik nicht daran interessiert ist, die Funktion Jordaniens als Aufnahmezentrum für Flüchtlinge in Frage zu stellen.

Soziale Arbeit in Jordanien: Entwicklung und Stand der Dinge

Die Entwicklung der Sozialen Arbeit zu einem Beruf, der eine entsprechende Ausbildung erfordert, begann in Jordanien spät. Sahar Al-Makhamreh und Pat Sullivan (2013) fassen die wichtigsten Etappen dieser Entwicklung aufschlussreich zusammen und zeigen, dass – ausgehend von kolonial geprägten Institutionen und Praktiken – erst in den 1950er-Jahren erste gesetzliche Grundlagen und staatliche Strukturen für die Soziale Arbeit entstanden. Im Rückblick formulieren sie für die Entwicklung bis zu den 1990er-Jahre diese zusammenfassende Einschätzung:

„Die Realität der Sozialfürsorge (..) bestand darin, dass sie unter dem Dach der Wohltätigkeit blieb, ohne dass die Sozialarbeit als Beruf anerkannt wurde, wie es beispielsweise in Ägypten, Israel, Iran und der Türkei der Fall war. (…) Erst in jüngster Zeit haben die jordanische Regierung und die einflussreiche königliche Familie die Notwendigkeit erkannt, über die ‚Wohlfahrt‘ (charity) hinauszugehen und sich strategische Entwicklungsziele zu setzen, einschließlich der Frage, wie mit internationaler Unterstützung ein nachhaltiger sozialer Fortschritt erreicht werden kann. Dies war angesichts der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Veränderungen, die sich auf die Infrastruktur des Landes auswirkten (z. B. irakische und palästinensische Zwangsmigrant:innen, Arbeitslosigkeit), notwendig. Es ist jedoch wichtig festzustellen, dass trotz dieser Fortschritte religiöse und andere karitative Formen der Sozialhilfe in weiten Teilen der Region weiterhin vorherrschend sind und dass staatlich initiierte Formen der Sozialhilfe nur eine begrenzte Reichweite haben.“ (Al-Makhamreh und Sullivan 2013, S. 539, Übersetzung A.S.)

Konkret bedeutet dies, dass die Soziale Arbeit nach wie vor überwiegend im institutionellen Kontext internationaler, nationaler und lokaler NGOs stattfindet. Soziale Hilfeleistungen werden von verschiedenen internationalen Organisationen finanziert, wie u. a. von den UN-Organisationen, durch die Europäischen Union, von deutscher Seite durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und die Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ), durch zivilgesellschaftliche internationale Organisationen wie etwa der Caritas oder dem Norwegian Refugee Council, von nationalen jordanischen Entwicklungs- und Hilfsorganisationen und in begrenztem Umfang auch durch private Spenden. Während diese Institutionen Programme auf der Grundlage ihrer eigenen Agenda fördern, organisieren internationale, nationale und lokale NGOs auf dieser finanziellen Grundlage die Aktivitäten der Sozialen Arbeit und führen diese durch. Diese Leistungen der Sozialen Arbeit beruhen dabei nicht auf gesetzlich verankerten Rechten, sondern hängen von der Zugänglichkeit, der Leistungsfähigkeit, der Reichweite und der Qualität der von den NGOs angebotenen Hilfen ab. Bedürftige erhalten das, was für die jeweiligen NGOs, die für sie lokal erreichbar sind, mit ihren finanziellen Mitteln und ihren fachlichen Kompetenzen bereitstellen können.

Ausbildung, Studiengänge und Absolventen der Sozialen Arbeit

Einschlägige BA- und MA-Studiengänge gibt es erst seit Ende der 1990er-Jahre, was auf die insgesamt späte Etablierung der Sozialen Arbeit zurückzuführen ist. Nur vier der 40 jordanischen Universitäten bieten entsprechende Studiengänge an (s. Tab. 1).

Tab. 1 Übersicht Studiengänge Soziale Arbeit an jordanischen Hochschulen

Bislang existiert keine Promotionsmöglichkeit im Bereich der Sozialen Arbeit in Jordanien; ein einschlägiger Promotionsstudiengang ist an der University of Jordan in Planung.

Die Jordan Association of Social Work (JASW)Footnote 7 ist die nationale Berufsorganisation für Sozialarbeiter_innen und als solche Mitglied der International Federation of Social Workers (IFSW).Footnote 8 Sie setzt sich für die gesellschaftliche Anerkennung der Sozialen Arbeit ein und führt berufsbegleitende Qualifizierungsmaßnahmen durch. Die Mitgliedschaft ist freiwillig, und eine Tätigkeit in der Sozialen Arbeit ist nicht an eine Mitgliedschaft in der JASW oder eine Registrierung durch die JASW gebunden.

Befragt nach der Arbeitsmarktsituation erklärte Ashraf Albkour, Vorsitzender der JASW, dass es von 2012 bis 2022 ca. 360 Absolventen von BA-Studiengängen gab. Dabei handelt es sich, wie auch aus den Beobachtungen vor Ort hervorgeht, fast ausschließlich um weibliche Studierende und Absolventinnen. Von diesen konnten 105 (davon fünf männlich) durch eine bisher unveröffentlichte Umfrage der JASW erreicht werden. Davon waren nur 24 nach ihrem Abschluss erwerbstätig, lediglich 13 im Bereich der Sozialen Arbeit. Dies deutet darauf hin, dass die insgesamt hohe Arbeitslosigkeit von Hochschulabsolvent_innen in Jordanien auch Sozialarbeiter_innen betrifft. Zudem sind berufliche Tätigkeiten, die nicht der erworbenen Qualifikation entsprechen, in Jordanien auch bei Absolvent_innen anderer Studiengänge üblich.

Darüber hinaus werden von Verantwortlichen verschiedener NGOs Zweifel daran geäußert, ob die an jordanischen Hochschulen erworbenen Qualifikationen tatsächlich für die berufliche Praxis ausreichen. Insbesondere wird kritisiert, dass die einschlägigen Studiengänge bisher zu wenig Wissen und Fähigkeiten im Bereich der Methoden der Sozialen Arbeit vermitteln. Ein typischer Weg in die sozialarbeiterische Praxis mit Geflüchteten führt daher für Absolvent_innen verschiedener Studiengänge (z. B. auch Betriebswirt_innen, Ärzt_innen) über Praktika in NGOs, die dann im besten Fall zu einer Vollzeitanstellung führen. Die Arbeit bei internationalen NGOs ist auch deshalb für Absolvent_innen anderer Studiengänge attraktiv, da die Stellen dort relativ gut bezahlt werden (500 bis 1500 JoD/Monat).

Professionelle Sozialarbeit, die von qualifizierten Fachkräften geleistet wird, gibt es in Jordanien bisher generell nur in einem quantitativ geringen Umfang. Auch Soziale Arbeit in anderen Arbeitsfeldern, z. B. in Bereichen Kinderschutz und häusliche Gewalt, wird häufig von Personen geleistet, die über keine entsprechende Qualifikation verfügen und die daher kaum in der Lage sind, sozialarbeiterische Perspektiven, z. B. in Zusammenarbeit mit den zuständigen Polizeibehörden, kompetent und wirksam zu vertreten.

Berufsperspektiven

Verlässliche statistische Daten über die Absolvent_innen und die berufliche Tätigkeit von Sozialarbeiter_innen liegen nicht vor, auch nicht über diejenigen, die ohne einen entsprechenden akademischen Abschluss in der Sozialen Arbeit tätig sind. Die Tatsache, dass in Jordanien mehr als 6000 Nichtregierungsorganisationen registriert sindFootnote 9, von denen mehr als 1000 im Bereich der Wohlfahrtpflege angesiedelt werden könnenFootnote 10, deutet in Verbindung mit den staatlichen Institutionen (wie dem Ministry of Social Development und dem National Aid Fond) auf einen erheblichen Bedarf und damit auf einen potenziell bedeutenden Arbeitsmarkt hin. Beispielsweise unterhält die jordanische Caritas 25 Zentren in neun Landesteilen mit 400 Mitarbeiter_innen und 3000 Freiwilligen. Dieser Bedarf zeigt sich auch daran, dass derzeit nur 25 Hauptamtliche für rund eine Million Palästinenser_innen im ärmeren Ostteil der Metropole Amman zuständig sind. Für andere Arbeitsbereiche werden Fallzahlen von 1000 pro Sozialarbeiter_in genannt.

Die schlechten Berufsaussichten der Absolvent_innen in Jordanien sind auch Folge eines strukturellen Problems in den einschlägigen Studiengänge: In den internationalen bzw. international finanzierten NGOs, die als Arbeitgeber zentral sind, ist Englisch bislang die gängige Sprache innerhalb der Organisationen, während im Umgang mit den Adressat_innen vor allem Arabisch gesprochen wird. Englische Sprachkenntnisse sind daher für den Zugang zum Arbeitsmarkt von zentraler Bedeutung, werden aber in den überwiegend arabischsprachigen Studiengängen nicht ausreichend vermittelt (s. oben). Entsprechend weisen Expert_innen darauf hin, dass Absolvent_innen des englischsprachigen MA-Studiengangs „Social Work, Migration and Refugees“ an der GJU (ca. zehn Absolvent_innen pro Jahr) keine Probleme beim Zugang zum Arbeitsmarkt haben. Allerdings gibt es keinen englischsprachigen BA-Studiengang, der auf diesen MA vorbereitet, weshalb dieser Studiengang bei sehr heterogenen Ausgangsqualifikationen ansetzt. Zudem müssen hohe Studiengebühren bezahlt werden (ca. 5500 JoD für vier Semester bei einem nationalen Mindestlohn von 260 JoD/Monat, also ca. zwei Jahresgehälter von Geringverdienenden).Footnote 11

Nicht nur, aber auch im Falle der Sozialen Arbeit, sind die Arbeitsmarktchancen in Jordanien nicht der einzige Grund für ein Studium. Das Studium ist auch wichtig, um Arbeitslosigkeit vorübergehend zu vermeiden, der Abschluss verschafft einen respektablen Status und er eröffnet – vor allem bei technischen und betriebswirtschaftlichen Studiengängen, aber auch für Absolvent_innen der Sozialen Arbeit – zudem die Möglichkeit, im Ausland, nicht zuletzt in den Golfstaaten, als Fachkraft zu arbeiten.

Die allgemein hohe Arbeitslosigkeit unter jüngeren Hochschulabsolvent_innen in Jordanien führt zu einer starken Abwanderung in die wohlhabenden Staaten der Golfregion (Kuwait, Saudi-Arabien, Vereinigte Emirate) sowie in die USA und Kanada. Im Bereich der Sozialen Arbeit ist seit kurzem ein Studiengang an der Deutsch-Jordanischen Universität (GJU) in Kooperation mit der Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt akkreditiert, der „jordanische Studierende für einen Bachelor-Abschluss in ausgewählten, auf dem deutschen und internationalen Arbeitsmarkt gefragten Fächern“ qualifizieren soll.Footnote 12 Ob sich dieser Studiengang erfolgreich etablieren wird, ist derzeit noch nicht absehbar. Sollte dies – trotz der sehr hohen Studiengebühren von über 20.000 €Footnote 13 und der schwer einschätzbaren Arbeitsmarktchancen – der Fall sein, wäre dies ein innovativer neuer Schritt in Richtung auf eine transnationale Professionalisierung der Sozialen Arbeit.

Perspektiven der Sozialen Arbeit

Eine lokale Expertin, Sahar Al-Makhamreh, Professorin an der Deutsch-Jordanischen Universität, formulierte in einem Gespräch die optimistische Einschätzung, dass sich Entwicklungen in Richtung einer zunehmenden Professionalisierung und einer Ausweitung des Arbeitsmarktes abzeichnen. Als Indizien dafür nennt sie die Verabschiedung eines nationalen Curriculums für BA-Studiengänge in Sozialer Arbeit und die zunehmende Anerkennung der Sozialen Arbeit durch das zuständige Ministerium für Soziale Entwicklung, das die Bedeutung der Sozialen Arbeit für die Weiterentwicklung des sozialen Dienstleistungssektors betont.Footnote 14

Bei der Bewältigung der Herausforderungen, die sich in den Bereichen Arbeitsmarktzugang und soziale Integration ergeben, hat sich gezeigt, dass der Sozialen Arbeit eine wichtige Aufgabe zukommt, insbesondere in Bezug auf Flüchtlinge. So können sog. Cash-for-Work Maßnahmen, also subventionierte Arbeitsmaßnahmen, die von NGOs angeboten werden, zwar keine reguläre Arbeit ersetzen, aber für einen Zeitraum von einigen Monaten begrenzte Einkommensmöglichkeiten verschaffen. Arbeit und soziale Integration sind jedoch nicht die einzigen Bereiche, die Aufmerksamkeit erfordern. Erforderlich sind auch Freizeit- und Bildungsangebote für Kinder- und Jugendliche sowie Angebote der psychosozialen Unterstützung für Erwachsene, wie sie von einigen NGOs bereitgestellt werden.Footnote 15 Chaitali Das et al. (2023) weisen darauf hin, dass ein besonderer Bedarf an rechtlicher, gesundheitlicher und gezielter Haushaltsunterstützung für Flüchtlingsfrauen besteht sowie an Dienstleistungen wie Beratung und Therapie für Frauen, die unter psychischen Störungen leiden oder mit verschiedenen Verlusten zu kämpfen haben. Rechtliche Unterstützung ist auch für diejenigen wichtig, die Zeugen von Gewalt oder Opfer von Vergewaltigung oder sexueller Nötigung geworden sind. Außerdem können Beratungsdienste den Frauen helfen, sich im jordanischen Rechtssystem zurechtzufinden und ihre Rechte besser zu verstehen (Das et al. 2023, S. 34ff.). Diesbezügliche Angebote bestehen aber bislang nur in sehr begrenztem Ausmaß.Footnote 16

Die großen Herausforderungen im Zusammenhang mit der Flüchtlingssituation in Jordanien erfordern weitere Anstrengungen aller Beteiligten. Es ist wichtig, auf die Erreichung vereinbarter Ziele hinzuarbeiten und sicherzustellen, dass die Bedürfnisse der Flüchtlinge angemessen erfüllt werden. In diesem schwierigen Kontext ist es wichtig, die Anstrengungen im Bereich der Sozialen Arbeit zu verstärken. Dies würde einen erheblichen Ausbau der Sozialen Arbeit erfordern, was sowohl Beschäftigungsmöglichkeiten für junge Jordanier_innen als Fachkräfte schaffen würde, als auch den Geflüchteten zugute käme.

Soziale Arbeit mit Flüchtlingen: Wirtschaftliche und rechtliche Rahmenbedingungen

Die Situation von Flüchtlingen, aber auch der einheimischen Armutsbevölkerung, ist als Überleben am Rande des Existenzminimums zu charakterisieren (Grawert 2019; UNHCR 2023a). Das bedeutet zum Beispiel, dass NGOs psychosoziale und gesundheitliche Beratung anbieten, versuchen, Zugang zur Behandlung von Krankheiten zu ermöglichen, in begrenztem Umfang und bei besonders extremer Bedürftigkeit finanzielle Nothilfe leisten sowie Qualifizierungsmaßnahmen sowie befristete Cash-for-Work-Programme durchführen. Dies geschieht gewöhnlich auf der Grundlage projektbezogener Finanzierung, was immer erneute Antragstellungen erfordert, und mit Mitteln, die erheblich zu gering sind, um dem Bedarf entsprechen zu können. Die Erfolgschancen von arbeitsmarktbezogenen Programmen, die darauf abzielen, Geflüchtete in die Lage zu versetzen, ihren eigenen Lebensunterhalt durch Erwerbsarbeit zu sichern, sind zudem gering. Soziale Arbeit mit Geflüchteten besteht daher im Wesentlichen in Bemühungen darin, das Überleben unter sehr prekären Bedingungen von Armut und existenzieller Unsicherheit (vgl. Scherr 2023) zu unterstützen.

Eine weitere folgenreiche Rahmenbedingung mit Folgen für die Soziale Arbeit ist, dass Geflüchtete aus Syrien gegenüber jordanischen Staatsbürgern beim Zugang zum Arbeitsmarkt erheblichen rechtlichen Benachteiligungen ausgesetzt sind und Geflüchtete aus dem Irak und anderen Ländern de facto weitgehend entrechtet sind (Al Husseini 2022). Die ohnehin schlechten Arbeitsmarktchancen für Geflüchtete aus Syrien beschränken sich aufgrund der gesetzlichen Vorgaben weitgehend auf unqualifizierte oder gering qualifizierte Tätigkeiten in der Landwirtschaft, im Baugewerbe, in der Gastronomie und in der industriellen Produktion. Qualifizierte Tätigkeiten sind nicht erlaubt, selbst dann, wenn entsprechende Qualifikationen in Jordanien erworben wurden. Darüber hinaus sind einige Geflüchtete völlig vom legalen Arbeitsmarkt ausgeschlossen, wie z. B. Flüchtlinge aus dem Irak oder aus Somalia, und daher auf die Hilfe von NGOs angewiesen sowie darauf, im informellen Sektor und unter Bedingungen der Illegalität zu arbeiten. Letzteres kann zur Ausweisung führen, wenn es von der Polizei entdeckt wird. Bei den Flüchtlingen aus Palästina gibt es eine rechtliche Hierarchie zwischen den „Flüchtlingen von 1948“, die den Jordaniern rechtlich weitgehend gleichgestellt sind, und einem Teil der „Flüchtlinge von 1967“, von denen ca. 150.000 keine Staatsbürger sind und eine Arbeitserlaubnis benötigen.

Im Fall der Sozialen Arbeit in Jordanien geht es also eher darum, die Auswirkungen sozialer Ausgrenzung abzumildern, als eine gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen, da dies weder politisch gewollt noch rechtlich zulässig ist. Dies zeigt sich auch in der Tatsache, dass es für Geflüchtete aus Syrien, Jemen, Somalia und anderen Ländern keine Möglichkeiten gibt, einen dauerhaften Aufenthaltsstatus oder die Staatsbürgerschaft zu erwerben.

All dies verdeutlicht die generell hohe Abhängigkeit der Möglichkeiten der Sozialen Arbeit von den nationalstaatlichen (wirtschaftlichen, politischen, rechtlichen) Rahmenbedingungen. Dies zeigt sich auch darin, dass es keine Soziale Arbeit mit LBTQI-Flüchtlingen gibt und die Möglichkeiten eines advokatorischen Mandats generell sehr begrenzt sind. Eine offensive Kritik an der skizzierten Situation im Sinne eines politischen Mandats von Organisationen der Sozialen Arbeit ist unter den gegebenen politischen Bedingungen ebenfalls kaum möglich. Entsprechende Einschränkungen der Möglichkeiten politischer Kritik gibt es auch an den Hochschulen und damit in den Studiengängen der Sozialen Arbeit. Dies ist allen Akteuren des Feldes bewusst und führt zu einer Selbstbeschränkung, um mögliche Sanktionen zu vermeiden.

Kritik an der westlich geprägten Sozialarbeit

In der fachlichen und akademischen Debatte zur Sozialen Arbeit in Jordanien nehmen verschiedene Autor_innen eine postkoloniale Perspektive ein und fordern eine kultursensible Ausrichtung der Sozialen Arbeit und ein Programm der „Indigenisierung“ und „Lokalisierung“ (vgl. z. B. Al-Krenawi und Graham 2000; Ghanem et al. 2020; Huth-Hildebrandt 2021). In diesen Analysen wird insbesondere auf die koloniale Tradition der Implementierung von Sozialer Arbeit und den westlichen Einfluss auf deren Theorien und Methoden, auf die im Vergleich zu westlichen Industriegesellschaften hohe soziale und ökonomische Bedeutung von Familien und Verwandtschaften für die Lebensführung sowie auf das Fortbestehen patriarchaler Geschlechterverhältnisse und auf den starken Einfluss des Islam verwiesen.

Dass dies auf Bedingungen verweist, die für die Praxis der Sozialen Arbeit faktisch nicht ignoriert werden können, ist – bei aller gebotenen Vorsicht gegenüber kulturalistischen Stereotypen – nicht sinnvoll zu bestreiten. Konkret bedeutet dies zum Beispiel, dass das Sorgerecht für Kinder im Falle einer Scheidung beim Vater verbleibt und dass ein Leben als alleinstehende Frau außerhalb eines familiären Kontextes von der Mehrheit abgelehnt wird und für die überwiegende Mehrheit der Betroffenen ohnehin finanziell nicht tragbar wäre.

Ein Realismus, der die Notwendigkeit einer den gegebenen sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Bedingungen angemessenen Sozialen Arbeit betont, ist nicht vermeidbar. Er gibt jedoch keine Antwort auf die Frage, wie mit dem Spannungsverhältnis zwischen universalistischen Menschenrechtsprinzipien einerseits und den Besonderheiten einer Gesellschaft wie Jordanien andererseits umgegangen werden soll. Diese Frage stellt eine Herausforderung für den Prozess der Professionalisierung der Sozialen Arbeit dar, für die Möglichkeiten eines offenen Diskurses unter Wissenschaftler_innen und mit Studierenden an den Hochschulen zweifellos eine wichtige Voraussetzung wären. Der internationale Austausch von Lehrenden und Studierenden der Sozialen Arbeit, der zwischen Jordanien und Deutschland, aber auch mit anderen Partnerländern in relevantem Umfang besteht, könnte auch in dieser Hinsicht Chancen für einen konstruktiven Dialog eröffnen.

Nachtrag des deutschen Koautors

Der folgende Absatz ist allein durch Albert Scherr, nicht zugleich auch durch die Koautorin, zu verantworten.

Dass die für „westliche“, liberale und demokratische Gesellschaften geltenden Standards in Hinblick auf demokratische Mitwirkung, Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit oder gewerkschaftliche Interessenvertretung in Jordanien nicht zureichend gewährleistet sind, ist für die Praxis der Sozialen Arbeit ebenso folgenreich wie für das Studium und die Forschung. Dies zeigt sich z. B. darin, dass offensive politische Kritik an den gegebenen Bedingungen, wenn überhaupt, dann nur hinter verschlossener Tür und bei ausgeschaltetem Mikrofon geäußert wird sowie dass Professor_innen und Studierende es als eine selbstverständliche Tatsache betrachten, dass die Hochschulen durch den Geheimdienst überwacht werden, der Einfluss auf berufliche Karrieren hat. In der Forschung wurden mir diese Bedingungen auch dadurch deutlich, dass Personen und Institutionen, die sich in Gesprächen kritisch äußerten, ausdrücklich nicht genannt werden möchten, um Repressionen zu vermeiden. Unstrittig ist in Jordanien auch, dass jedes Engagement für die Rechte von LGBTI Personen zum umgehenden Verbot weiterer Betätigung von NGOs führen würden, die sich für die Verbesserung der Lebenssituation von Geflüchteten einsetzen. Grenzen des zulässigen zivilgesellschaftlichen Engagements wurden gesellschaftlich exemplarisch durch die Repressionsmaßnahmen gegen die Lehrer_innengewerkschaft aufgezeigt, deren Verbot nach wie vor in Kraft ist, trotz einer anderslautenden gerichtlichen Entscheidung.Footnote 18 Entsprechend sind auch der Interessenvertretung von Sozialarbeiter_innen ebenso Grenzen gesetzt wie der Ausübung eines anwaltschaftlichen politischen Mandats für ihre Adressat_innen.

Einschränkungen für die Möglichkeiten der Sozialen Arbeit resultieren auch aus den ökonomischen Verhältnissen: Selbst der niedrige Mindestlohnstandard wird vielfach unterlaufen und wirksamer Protest dagegen ist faktisch unmöglich. Der für die materielle Existenzsicherung von Geflüchteten neben dem Welternährungsprogramm zentral zuständige UNHCR kann finanzielle Unterstützung nach eigener Aussage nur für „die bedürftigsten und ärmsten Familien“Footnote 19 bereitstellen. Aber auch Geflüchtete in extremen Notlagen berichteten mir in Interviews, keine Leistungen durch den UNHCR zu erhalten. NGOs, die im Rahmen ihrer Sozialen Arbeit Nothilfe leisten, indem sie Nahrungsmittelgutscheine oder finanzielle Zuschüsse verteilen, können dem Bedarf in keiner Weise gerecht werden. Dies erzeugt existentielle Probleme, die durch Soziale Arbeit nicht behoben werden können. Auch hierin zeigt sich, dass der Sozialen Arbeit Grenzen durch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen gesetzt sind.

Auch die aus deutschen Mitteln kofinanzierte German-Jordanien University, ein Vorzeigeprojekt des BMZ und eine nationale Eliteuniversität, deren Studierende weit überwiegend aus den reichsten Schichten der jordanischen Gesellschaft stammen, kann sich den damit angedeuteten politischen Bedingungen nicht entziehen. Eine Diskussion dazu, ob und ggf. wie Prinzipien der Wissenschaftsfreiheit gewährleistet und dem über die berufliche Qualifizierung hinausgehenden Bildungsauftrag von Hochschulen (HRK 2018) hier besser Rechnung getragen werden könnte, ist meiner Kenntnis nach bislang nicht in Gang gekommen. Ganz generell entstand in meiner Forschung der Eindruck, dass das Interesse an einer kritischen Auseinandersetzung mit den jordanischen Verhältnissen in Deutschland bzw. bei deutschen Institutionen in Jordanien bislang allzu gering ist.