Gerahmt durch den juristisch kodifizierten Grundsatz der gewaltfreien Erziehung (vgl. u. a. § 1631, Abs. 2 BGB; Art. 19 UN-KRK) ist dem expliziten Strafen in der Pädagogik zwar das schützende Dach der institutionalisierten Legitimation abhanden gekommen, dennoch ist Strafe ein zwar problematisches, aber allgegenwärtiges Mittel sowohl in der Praxis öffentlicher Erziehung (vgl. Böhm und Seichter 2018, S. 454) als auch Praktiken im Rahmen von Aus- und Einschließungslogiken von Gesundheits- und Sozialdienstleistungen, beispielsweise als disziplinarische Entlassungen und Maßnahmenabbrüche oder als Kürzung bzw. Entzug von Unterstützungsleistungen. Und dies in beinahe allen Alters- und Zielgruppen Sozialer Arbeit. Zugleich gilt in pädagogischen Theoriediskursen Strafen als ein eher kritisch gesehener Teil pädagogischen Handelns.

So reagiert Erziehung zwar auf unerwünschtes Verhalten von Kindern und Jugendlichen oder auf die Verletzung von Regeln. Bereits Schleiermacher hatte auf die Gefahren von Strafen in Erziehung hingewiesen: „Je mehr ein System von Strafen organisiert ist, desto mehr wird sich ein knechtischer Sinn entwickeln; tut die Strafe ihre Wirkung so erzeugt sie Furcht; verhärten sich die Kinder gegen die Strafe, so ist auch dies knechtisch, daß sich der einzelne eine Freiheit erstiehlt“ (Schleiermacher 1926/2000, zit. n. Hörster 2012, S. 156). Damit bezweifelt er, dass Strafe zu einer Verinnerlichung von Normen und Werten führe, wie es möglicherweise vom Strafenden erwünscht wird, und hebt hervor, dass eher mit Widerständigkeit seitens der Kinder zu rechnen sei.

Auch Flitner (1982, S. 111) negiert das Strafen in Erziehung nicht, weist ihr aber, aufgrund der damit verbundenen Risiken, einen untergeordneten Rang zu. Dabei betont er die Notwendigkeit eines reflektierten Einsatzes, da ein „Wiedergutmachen“ und „Wieder-in-Ordnung-bringen“ der kindlichen Verletzung von Beziehung und Regeln zentral seien. Explizit wendet er sich gegen das „Strafen als Sühne, als Rache, als Schadenszufügung, als Abschreckung – sie alle haben in der Erziehung keinen Ort“ (ebd.).

Dass die immer wieder aufs Neue diskutierte Antinomie von Strafe und Erziehung (vgl. Dollinger und Schmidt-Semisch 2018) ein bereits altes Thema in der Sozialen Arbeit ist, macht auch Siegfried Müller (2015) deutlich. In Erinnerung an den dritten Jugendgerichtstag von 1912 in Frankfurt/M. schreibt er: „Die Strafen sollten subsidiär sein und sie sollten nicht mehr wie bisher lediglich vergelten, sondern einem guten Zweck dienen: der Erziehung. Strafe also als Erziehungsstrafe.“ (ebd., S. 43f). Daraus entwickelt Müller zwei für das (sozial)pädagogische Handeln bedeutsame Denkfiguren: Zum einen könne Strafe nur dann ein Teil von Pädagogik sein, wenn sie die Grundlagen der Beziehung nicht zerstöre, weil dies die Auseinandersetzung mit der Verfehlung blockiere (ebd., S. 49) und zum anderen dürfe Strafe den jungen Menschen nicht aus der Gesellschaft ausschließen, sondern es gelte, konsequent das Ziel der Wiedereingliederung im Blick zu behalten (Zimmermann 2023, S. 30). Und Böhnisch (1999, S. 190) konstatiert bezüglich der Schwierigkeit einer Relationsbestimmung zwischen Strafe und Erziehung: „Das Verhältnis von Strafe und Erziehung [kann] nur von der Pädagogik her bestimmt und nicht von den kontrollierenden Instanzen her gesetzt werden“.

Doch disparat zum Vorkommen in der Praxis wird in der Sozialpädagogik der Strafdiskurs eher vernachlässigt. Entschieden wendet sich Hans Thiersch (2006) gegen diese pädagogische Marginalisierung. Er fordert die pädagogische Community dazu auf, sich intensiver mit der – vor allem für die professionelle Praxis – zentralen Frage auseinanderzusetzen, wie eine „Verdeutlichung und Markierung des Tatbestands eines individuell und gesellschaftlich unglücklichen Verhaltens“ (Thiersch 2009, S. 39) möglich sei, statt sich allein auf die Kritik an Strafe zu konzentrieren. Dazu gelte es den Blick darauf zu richten, unter welchen Bedingungen Strafe in welcher Form relevant sein kann.

Eine Suche nach Antworten macht es zum einen erforderlich, verschiedene Arbeitsfelder und Problemkonstellationen, Institutionen und Akteur_innen sowie Zielgruppen und Klient_innen ins Zentrum der Betrachtungen zu stellen. Zum anderen ist aber auch immer wieder ein reflektierter kritischer Blick auf folgende Fragen zu richten:

  • Was ist Strafe(n) und woher kommt die Idee des Strafens?

  • Was sind Gründe und Ziele des Strafens?

  • Wie wird gestraft?

Nicht zuletzt erweist sich „die Frage ‚Wer wird bestraft?‘ […] als untrennbar von der Erkundung dessen, was bestraft wird“ (Fassin 2018, S. 123).

Didier Fassin fordert mit diesen Fragen zwar zu einem kritischen Nachdenken über die Verfasstheit des Strafrechts und ihrer aktuellen gesellschaftlichen Praxis heraus, gleichwohl haben diese Anfragen eine hohe Relevanz für eine Betrachtung pädagogischer Straf- und Disziplinarmaßnahmen, die allzu häufig mittels Umbenennungen in den verschiedenen Konzepten der Pädagogik zum Verschwinden gebracht werden. Ein Umstand, der eine allzu notwendige und kritische Reflexion über das Verhältnis von Erziehung und Strafe erschwert.

In diesem Schwerpunkt schlagen wir einen Bogen zu aktuellen Diskursen, Forschungsprojekten sowie Praxisansätzen, die sich mit Strafen auseinandersetzen. Mithilfe einer interessanten Auswahl an Lesarten und Hinsichten möchten wir der o. g. Diskurslücke begegnen.

In seinem Beitrag „Strafe in der Heimerziehung – Zugänge, Probleme und eine Forschungsperspektive“ zeigt Sven Huber exemplarisch Fallstricke, Schwierigkeiten und Ambivalenzen entlang der – sich durchaus überkreuzenden – Perspektiven auf organisationale (Straf‑)Routinen, auf die Begründungsfigur zum „bildenden“ Charakter der Strafe, auf die begriffliche Verschleierung von Strafe durch Umbenennungen sowie auf die Begründungslogik von Strafe als „Ultima-Ratio“ und damit als Ausdruck professioneller Hilflosigkeit. Abschließend umreißt der Autor ein aktuelles Forschungsprojekt in der Schweiz, das systematisch und differenziert dazu beitragen will, die Gemengelage der verschiedenen Sanktionsregime in der stationären Kinder- Jugend- und Behindertenhilfe besser zu verstehen.

Annika Gaßmöller und Nina Oelkers geben in ihrem Beitrag „Mit Strafe zum Wohlverhalten? Empirische Perspektiven auf Strafen in Intensivmaßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe“ einen Einblick in Ergebnisse eines empirischen Forschungsprojekts, in dem Jugendliche über ihre (Straf‑)Erfahrungen in diesen Einrichtungen erzählt haben. Nach einführenden Erläuterungen, was Strafe in Differenz zu Sanktionen ist und mit welchen pädagogischen Zielen diese eingesetzt werden, verorten sich die Autorinnen im aktuell polarisierten Fachdiskurs zu einer dritten Position, um sich in einer hinreichenden Offenheit theoretisch wie empirisch mit dem Phänomen Strafe kritisch auseinandersetzen zu können. Anschaulich werden vier – zuvor im Forschungsprojekt rekonstruierte – Typen unter Einbezug von Interviewsequenzen erläutert. Diese geben einen Einblick in die spannungsreiche Komplexität und risikobehafte Vielschichtigkeit der Wirkung von Strafe auf Jugendliche und zeigen die hohe Relevanz eines individuellen Fallverstehen.

Unter dem Titel „Classroom Management als Heilsversprechen – Zur De-Thematisierung von Strafe im effizienten Unterricht“ richtet Sebastian Gräber einen Blick auf ein in der schulischen Praxis gängiges Ratgeberkonzept zur Klassenführung, das dem Leitsatz „Prävention statt Reaktion“ folgt. Dazu informiert er über die Herkunft und die verhaltenstheoretischen Grundsätze des Konzepts. Des Weiteren erläutert er die (teilweise widersprüchlichen) Werkzeuge, die mittels einer subtilen Verhaltenssteuerung einen störungsfreien Unterricht mit dem Ziel effektiven Lernens der Kinder gewährleisten sollen. Ein genauer Blick auf das Ideal „Effektivität“ zeigt aber – so der Autor – dass wesentliche Grundsätze von Erziehungs- und Bildungsprozesse untergraben werden. Phänomene der Disziplinierungen, Regel(durch)setzung und Maßnahmen werden stattdessen zum Teil eines ‚heimlichen Lehrplans‘, über die weder gemeinsam mit den Schüler_innen verhandelt noch – da sprachlich unkenntlich gemacht – (selbst)reflexiv nachgedacht werden kann.

In ihrem Beitrag „Zum Wesen der Strafe und seiner begrifflichen Verschleierung in der Gegenwart“ nehmen Nicolaus Wilderer und Kim Magiera eine Analyse am Beispiel des Begriffs „Wiedergutmachung“ vor, wie er einerseits im Kontext des strafrechtlichen Diskurs und andererseits im pädagogischen Diskurs einer ‚Neuen Autorität‘ verwendet wird. Nach einer Erläuterung zu Merkmalen von Strafe informieren die Autor_innen über zentrale Wesenselemente von Restaurativ Justice (u. a. aktive freiwillige Mitarbeit beider Parteien) im Spannungsfeld zur Logik des Strafjustizsystem. Anschließend skizzieren sie einige Argumentationsstränge der ‚Neuen Autorität‘, wobei der Gedanke der Verantwortlichkeit der Kinder und Jugendlichen ein wesentliches Fundament darstellt. Vermeintliche Täter_innen werden gezielt in Situationen mit dem Ziel negativer Schamerfahrungen gebracht, um sie so zur Wiedergutmachung zu motivieren. Damit fällt aber dieses Verständnis von Wiedergutmachung – so die Autor_innen – sogar noch hinter dem Diskursstand des Restaurativ Justice im Strafrecht zurück und erweist sich letztlich als sprachlich vernebelte Strafe.

Mit einem sonst allzu unterbelichteten Feld, dem Maßregelvollzug, konfrontiert uns Gernot Hahn in seinem Artikel „Therapie als Strafe? Maßregeln der Besserung und Sicherung“. Darin stellt er die bestehenden gesetzlichen Grundlagen der Zweispurigkeit, also der Unterscheidung von Strafe für schuldfähige und Maßregeln zur Besserung und Sicherung für von (teilweise) strafunfähig diagnostizierten Straftäter_innen dar. Unter Verweis auf unhintergehbare Dissonanzen zwischen dem „Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft, (unbewussten) Strafbedürfnissen, Menschenrechtsanforderungen, Behandlungsrechten, aber auch einem ‚Recht auf Krankheit‘, Unversehrtheit und persönlicher Freiheit“ betont er die Wichtigkeit gezielter Behandlungsprogramme einschließlich einer konzentrierten ambulanten forensischen Nachsorge, die sich als überaus hilfreich – trotz Spannungsfeld von Therapie und Strafe – erwiesen haben. Ein Blick auf die aktuelle Entwicklung in diesem Feld macht deutlich, dass die Anstrengungen, dringend notwendige Reformen durchzusetzen, immens sind. Gleichwohl darf bei aller Kritik diese Zweispurigkeit des Strafrechts nicht in Frage gestellt werden.