Ratgeber zum Classroom Management versprechen, Strafen im Unterricht überflüssig zu machen und (sozial-)pädagogisch wirksam zu sein. In Wirklichkeit lassen sie Disziplinarmaßnahmen unsichtbar werden. Stattdessen sollten Konflikte im erziehenden Unterricht ausgetragen werden können.

Der Begriff der Strafe ist für die Erziehungswissenschaft ein rotes Tuch. Folgt man der Ratgeberrhetorik, so wird etwa in Schulen, auf denen der Fokus dieses Beitrags liegt, nicht mehr gestraft, sondern höchstens noch diszipliniert; nicht von Zucht ist mehr die Rede, sondern allenfalls von Sanktionen oder Maßnahmen (vgl. Richter 2018). Je wertneutraler ein Begriff gefasst wird, desto stärker trägt er zur Verschleierung der Strafmaßnahmen bei, die an Schulen in der Bundesrepublik täglich vollzogen werden (vgl. Hafeneger 2011, 2013). Davon stellt auch der Begriff des Classroom Management keine Ausnahme dar, der im deutschsprachigen Raum zumeist mit Klassenführung übersetzt wird. Classroom Management erfreut sich hierzulande vor allem in Form von Ratgeberliteratur großer Beliebtheit. So sind die Bücher von Christoph Eichhorn (2021) und Hans-Peter Nolting (2023) zu diesem Thema bereits in der zwölften respektive fünfzehnten Auflage erschienen. Darüber hinaus wird Classroom Management an einer Vielzahl von Universitäten und Hochschulen als Lehrveranstaltung angeboten (vgl. Gräber 2023) und auch die empirische Unterrichtsforschung führt an, dass „effiziente Klassenführung nicht alles [ist], aber ohne sie geht alles andere gar nicht“ (Helmke und Helmke 2014, S. 9).

Was ist Classroom Management?

Die Idee des Classroom Management stammt aus dem angloamerikanischen Sprachraum. Scarlett definiert Klassenführung dabei als „managing behaviors and children and […] managing classrooms as to support children’s natural tendencies to develop“ (2015, S. 228). Folglich soll es darum gehen, den Klassenraum sowie das Verhalten von Kindern selbst zu planen und zu steuern, um zu deren Entwicklung beizutragen. Im Vordergrund steht dabei das Ziel, einen „störungsfreien und reibungslosen Unterrichtsverlauf zu ermöglichen und damit die aktive Lernzeit zu maximieren“ (vgl. Helmke und Helmke 2014). Aktive Lernzeit meint dabei diejenige Zeit, in der sich Schüler_innen tätig und nicht bloß beiläufig mit dem zu lernenden Unterrichtsstoff auseinandersetzen (vgl. Brüning und Saum 2022). Dass es sich dabei um ein erstrebenswertes Ziel handle, wird von Befunden der empirischen Unterrichtsforschung gestützt (s. unten). Exemplarisch dafür kann die Feststellung von Weinert und Kluwe angeführt werden, der zufolge „[d]ie wichtigste Voraussetzung für wirkungsvolles und erfolgreiches Lernen das Ausmaß der aktiven Lernzeit ist“ und dass „je mehr Unterrichtszeit für die Reduktion störender Aktivitäten verbraucht wird, desto weniger aktive Lernzeit“ (1996, S. 124) zur Verfügung steht. Die Gleichung des Classroom Management lautet daher: Je weniger Störungen, desto höher der Lernerfolg. Dieser Maxime entsprechend setzt Classroom Management darauf, Störungen möglichst wenig Platz einzuräumen. Da selbst die Reaktion auf solche Störungen die aktive Lernzeit verkürzt, gilt der Grundsatz: Prävention statt Reaktion. Nolting erklärt: „Mit Disziplinproblemen muss man nicht ‚fertigwerden‘, man muss sie verhindern“ (2023, S. 43). Indem Classroom Management zu positivem Verhalten beitragen und problematisches Verhalten verhindern soll, gilt es zumindest implizit als sozialpädagogisches Mittel, das zu einem positiven Lehrer_in-Schüler_in-Verhältnis beitragen soll. Steins führt an, dass Klassenführung insbesondere „an Schulen in sozialräumlich deprivierter Lage“ zwar „eine große Herausforderung“ sei, dafür seien „die potenziellen Effekte umso höher“ (2016, S. 350).

Zur Unterbindung von Störungen weisen Ratgeber- und Fachliteratur eine Vielzahl unterschiedlicher, teilweise einander widersprechender Methoden aus. Im Vergleich einiger jüngerer, einschlägiger Werke zum Thema (vgl. Brüning und Saum 2022; Eichhorn 2021; Haag und Streber 2012; Nolting 2023) fällt jedoch auf, dass bestimmte Werkzeuge gehäuft auftreten und für das Classroom Management als zentral angesehen werden können. Das Kerninstrument der Klassenführung ist dabei die Einführung verbindlicher Regeln. Zumeist handelt es sich um basale Verhaltensregeln wie „Ich höre gut zu, wenn andere sprechen“, „Ich bin im Klassenzimmer ruhig“ oder „Ich befolge die Anweisungen meiner Lehrer“ (Eichhorn 2021, S. 162). Mit der Aufstellung der Regeln müsse dabei zugleich eine Vereinbarung von Konsequenzen bei Regelverstößen einhergehen, die strikt eingehalten werden sollen. Eine Vielzahl der Ratgeber empfiehlt dabei, die Regeln gemeinsam mit den Schüler_innen zu erarbeiten, um deren Einsicht in den Sinn der Vereinbarungen zu erhöhen und damit deren Verbindlichkeit zu stärken (eine Ausnahme hiervon bildet Eichhorn 2021).

Doch Regeln allein bilden nur die Grundlage eines störungsfreien Unterrichts. Eichhorn weiß: „Am besten geht der Lehrer davon aus, dass den Sinn von Regeln einsehen und Regeln einhalten zwei komplett unterschiedliche Dinge sind.“ (2021, S. 164). In Anschluss an Kounin (1970), der als Erfinder des Classroom-Managements gilt, werden deshalb insbesondere grundsätzliche Methoden empfohlen. Kounin führte mit Hilfe von Videoanalysen umfangreiche Studien zu der Frage durch, wie es als Lehrer_in möglich sei, Unterrichtsstörungen zu unterbinden. Wichtig seien dabei vor allem die drei Prinzipien der Allgegenwärtigkeit, Reibungslosigkeit und Gruppenaktivierung. Allgegenwärtigkeit beschreibt dabei die Aufgabe der Lehrerperson, keinen Zweifel an ihrer Kontrolle über das Unterrichtsgeschehen aufkommen zu lassen: Durch das Zeigen von Präsenz, das Umhergehen in der Klasse sowie das ständige Umherschweifen des Blicks solle bei den Schüler_innen der Eindruck entstehen, dass der Lehrperson kein Fehlverhalten entgehe. Reibungslosigkeit meint dasjenige Vorgehen, das eventuelle Störungen dadurch präventiv unterbindet, dass gar nicht erst der Raum für Zwischenrufe und Zwiegespräche auftritt: Indem der Unterricht ohne Hektik, aber auch ohne Langeweile auskomme und unnötige Pausen vermieden würden, entstehe erst gar keine Möglichkeit für Unterbrechungen. Gruppenaktivierung setzt ferner darauf, dass die Schüler_innen jederzeit aktiv ins Unterrichtsgeschehen einbezogen werden, auch dann, wenn gerade nur eine Einzelperson befragt wird (vgl. ebd.).

Sollte es trotz aller Vorkehrungen, die durch das Classroom Management getroffen werden, dennoch zu Unterrichtsstörungen kommen, so wird anempfohlen, diese zügig und unauffällig zu unterbinden. Exemplarisch dafür kann Noltings Empfehlung angeführt werden: „Aufkommende Störungen ‚ersticken‘: durch Anblicken, durch eine dämpfende Handbewegung, durch eine abrupte Veränderung der Stimmlage, durch eine ‚unzufriedene‘ Mimik oder andere Signale“ (Nolting 2023, S. 73). Non-verbale Methoden seien dabei verbalen Ermahnungen vorzuziehen, da letztere den Unterrichtsfluss unterbrechen und so zur Verringerung der aktiven Lernzeit beitragen. Sollte die Störung dennoch durch Ermahnung unterbunden werden, so empfiehlt Nolting „nur den Namen des Störers aus[zusprechen]“ oder „positive Formulierungen (‚Hör mir gut zu!‘) […] negative[n] (‚Nicht schwatzen‘)“ vorzuziehen, „weil sie direkter auf das erwünschte Verhalten hinlenken.“ (ebd., S. 74).

Eichhorn wiederum warnt eindringlich davor, sich auf Diskussionen einzulassen: „Es macht den Lehrer handlungsfähiger, wenn er erst gar nicht versucht, den Auslöser für derartige Konflikte zu suchen, und wenn er signalisiert: Die Suche nach dem Urheber interessiert mich gar nicht! Bei unangemessenem Verhalten greift er ein und trifft Maßnahmen in Bezug auf beide Parteien“ (Eichhorn 2021, S. 174). Es wird deutlich, dass Classroom Management das Ziel hat, Störungen durch eine Vielzahl an Methoden zu verhindern und zugleich erwünschtes, d. h. regelkonformes Verhalten positiv zu verstärken.

Ein zweiter Blick: Effizienter Unterricht

Die Versprechen des Classroom Management dürften Musik in den Ohren vieler Lehrer_innen sein. Denn tatsächlich gaben in einer jüngeren Umfrage der Robert-Bosch-Stiftung 57 % der befragten Lehrer_innen an, „körperliche/motorische Unruhe“ bei Schüler_innen festzustellen. Unter Konzentrationsmängeln litten gar 80 % der Schulpflichtigen (2022, S. 19). In der Tat scheint es auf den ersten Blick sinnvoll zu sein, auf präventives Management statt auf restriktives und reaktives Strafen zu setzen. Rein rhetorisch betrachtet verspricht Classroom Management einen Unterricht, der weitestgehend ohne den Einsatz von Strafen auskommt. Und wer würde widersprechen, dass störungsfreier Unterricht der aktiven Lernzeit und somit dem Lernerfolg zuträglich ist? Schließlich weisen empirische Studien auf einen mittleren statistischen Effekt zwischen Classroom Management respektive aktiver Lernzeit und Lernerfolg hin (vgl. Hattie 2023).Footnote 1 Um den oftmals nur impliziten, disziplinierenden Charakter dieser Methodik sichtbar zu machen, muss der Blick zunächst auf das Ideal gelenkt werden, das hinter dem Classroom Management steht.

Dieses Ideal kann als das eines effizienten Unterrichts beschrieben werden. Wenngleich in den deutschsprachigen Ratgebern oftmals mehr von gelingendem oder erfolgreichem Unterricht gesprochen wird, bleibt meist unklar, welcher Maßstab eigentlich angesetzt wird, um dieses Gelingen oder diesen Erfolg zu beurteilen (vgl. Gruschka 2007). Ein Unterricht, der wesentlich auf die Erhöhung der aktiven Lernzeit abzielt, macht allein den Unterrichtsstoff zum Gegenstand der Bildung. Ein solcher Unterricht intendiert, möglichst viele Inhalte unter möglichst wenig Zeitverlust zu vermitteln. So sehr ein solches Ideal des effizienten Unterrichts auch erstrebenswert zu sein scheint, so sehr drängt es die ‚andere‘ Seite des Bildungsprozesses an den Rand des Unterrichtsgeschehens: Erziehung, mit Benner verstanden als „nicht-reziproke Interaktionen, in denen […] Pädagogen auf Lernprozesse Heranwachsender in der Absicht einwirken, Bildungsprozesse in Gang zu setzen, die dort, wo sie gelingen, keiner edukativen Aufsicht und Kontrolle mehr bedürfen“ (Benner 2015, S. 482), findet lediglich im Rahmen des Managements statt. Erziehung kann jedoch nicht als reine Vorstufe der Bildung verstanden werden, also so, als lösten Bildungsprozesse ab einem bestimmten Punkt automatisch Erziehungsprozesse ab. Vielmehr müssen Erziehungsprozesse bereits „ein Unabhängigwerden der Lernenden von pädagogischen Einwirkungen im Sinn haben“ (ebd., S. 483). Insofern muss der Erziehungsprozess den Schüler_innen einsichtig gemacht werden, soll er zugleich eine bildende Funktion haben.

Indem Classroom Management auf Prävention statt Reaktion setzt, wird dieser Erziehungsprozess für die Schüler_innen jedoch nahezu unsichtbar. Disziplin wird, mehr noch als früher, zum Teil eines ‚heimlichen Lehrplans‘ (vgl. Zinnecker 1975), indem sie nicht mehr Element des Unterrichtsgeschehens und dessen Verhandlungsprozesses ist, sondern bereits im Vorhinein durch subtile Mechanismen der Klassenführung durchgesetzt wird. Es ist durchaus auffällig, dass Ratgeber zum Classroom Management Methoden einer subtilen Verhaltenssteuerung empfehlen, bei denen die Schüler_innen kein Mitspracherecht besitzen. Zwar wird empfohlen, die Klassenregeln gemeinsam zu vereinbaren; jedoch steht hinter diesem Gedanken nicht die Absicht, diese Regeln grundsätzlich infrage zu stellen und zu diskutieren. Vielmehr wird der störungsfreie Unterricht als unverhandelbare Grundlage gesetzt. Eichhorn lehnt eine gemeinsame Aushandlung der Regeln deshalb ab, da die Schüler_innen diese „als Scheindemokratie [erleben], mit der ihr Lehrer sie ködern will“ (2021, S. 163). Daraus folgt für ihn, dass die Lehrperson die Regeln setzen muss: „Bestimmte Regeln“, ähnlich der oben genannten, „muss der Lehrer einfach vorgeben; darüber kann gar nicht diskutiert werden“ (ebd.). Tatsächlich gehen die Schüler_innen mit der Vereinbarung oder Annahme der Regeln (die teilweise durch eine Unterschrift besiegelt wird) einen Scheinvertrag ein, über den sie letztlich kein Mitspracherecht besitzen. Wie Bröckling erklärt, sind solche Verträge nicht juristischer, sondern psychologischer Natur: „Niemand hat Grund zu klagen: Was auch immer jemandem zugemutet wird, sie oder er hat ja selbst eingewilligt“ (2017, S. 242).

Mit der Etablierung von Regeln und Konsequenzen, deren permanenter Kontrolle sowie der durchgängigen Überwachung und Beschäftigung der Schüler_innen durch Umhergehen, Mimik und Gestik und sogar die Einrichtung der Sitzordnung verschwindet die Strafe nicht aus dem Klassenraum. Vielmehr entsteht an ihrer Stelle ein strenges Disziplinarregime, das nicht weniger, aber dafür subtiler auf das Verhalten der Schüler_innen einwirkt als klassische Strafsysteme (vgl. Pongratz 1995). Von dieser Kritik ist auch die Literatur zum Classroom Management nicht unberührt geblieben. Brüning und Saum monieren, dass unter Classroom Management „häufig ausschließlich Techniken der Verhaltenslenkung oder Schülerdisziplinierung verstanden werden.“ Sie setzen dem entgegen, Klassenführung „in einem weiteren Sinne“ zu verstehen: „Ziel ist es, einen Raum zu schaffen, in dem die Schülerinnen und Schüler einerseits effektiv lernen können und andererseits ihr Selbstwertgefühl, ihre Persönlichkeit und ihre soziale Beziehungsfähigkeit entwickeln können“ (2022, S. 15). Gerade das klassische Ziel der Mündigkeit soll durch Classroom Management herbeigeführt werden können, so die Autoren: „Dazu müssen die Heranwachsenden verstehen, dass die eigene Freiheit und die eigenen individuellen Lebensäußerungen ihre Grenze finden, wo andere durch sie beeinträchtigt werden. Wer stört, beeinträchtigt das Lernen seiner Mitschüler. Daher ist nicht ein störungsarmer, sondern ein störungsfreier Unterricht für das Lernen und eben auch für die Verwirklichung der Erziehungsziele wünschenswert“ (ebd., S. 63).

Störungsfreier Unterricht setze jedoch wiederum die Methoden des Classroom Management voraus. Im Umgang mit Störungen empfehlen Brüning und Saum – wie viele weitere Autor_innen – gerade Methoden der positiven und negativen Verstärkung, also der Belohnung oder des Belohnungsentzugs. Diese Methoden bezeichnen sie selbst als „pädagogische Verhaltensmodifikation“ (ebd., S. 151). Zur Herbeiführung einer starken Schüler_innenpersönlichkeit wird somit paradoxerweise gerade die Nutzung von Reiz-Reaktionsschemata empfohlen. Unklar bleibt dabei, wie der qualitative Umschlag von Belohnung und Strafe in Mündigkeit gelingen soll. Wenn die Schüler_innen nur insofern einbezogen werden, als sie an der Entwicklung und Durchsetzung von (Pseudo‑)Regeln teilhaben oder sie angehalten werden, „eigene Verhaltensziele zu entwickeln und in der Schule zu verfolgen“ (ebd.), die immer schon mit den vorgegebenen Regeln und Zielen der Schulwelt übereinstimmen müssen, kann von einer Mündigwerdung keine Rede sein. Vielmehr stellt sich der Eindruck ein, dass der Educand vorderhand „in seiner Eigenständigkeit zwar mehr als früher ernst genommen [wird], aber nicht zuletzt deshalb, um ihn in den institutionell vorgegebenen Rahmen der Schule mit geringeren Reibungsverlusten integrieren zu können“ (Pongratz 1995, S. 182).

Brünings und Saums Verständnis von Mündigkeit offenbart mehr über das Ziel eines effizienten Unterrichts als über das der Selbstbestimmtheit und Selbsttätigkeit. Zu fragen wäre, ob eine Unterrichtsstörung tatsächlich bereits eine Beeinträchtigung der eigenen Freiheit darstellt oder ob sie nicht auch Ausdruck des Versuchs sein kann, eben diese Freiheit gegen Willkür herzustellen. Unterrichtsstörungen können besser noch als lebendige Darstellung des pädagogischen Dilemmas von Freiheit und Zwang (Kant) gedeutet werden, die oftmals nicht in der Absicht entstehen, guten Unterricht zu untergraben, sondern die einen solchen geradezu einfordern.

Folgen des Classroom Management

Classroom Management blendet das Thema der Strafe in doppelter Weise aus dem Unterricht aus. Einerseits praktisch, indem es, wie oben beschrieben, die Disziplinarmaßnahmen weitestgehend in die Unterrichtsvorbereitung und das Rahmengeschehen verlagert; andererseits rhetorisch, indem nicht von Strafe oder Disziplin, sondern von Regeln, Maßnahmen und Management die Rede ist. Eine solche Verschiebung hat neben der Unverhandelbarkeit der Maßnahmen im Unterricht weitere Folgen. Sie trägt einerseits mit dazu bei, dass Lehrer_innen dazu tendieren, sich mehr als Vermittler_innen von Wissen denn als Bildungs- und Erziehungspersönlichkeiten zu identifizieren (vgl. Richter 2019). Effizienter Unterricht in seiner Idealform hat nicht das mündige, reflektierte und selbsttätige Subjekt zum Ziel, sondern das wissende, disziplinierte und angepasste Individuum. Ersteres verlangt die Möglichkeit des Widerspruchs, der Debatte und des Aushandelns auch der banalsten Regeln und Unterrichtsabläufe (vgl. Gruschka 2019). Dem steht selbstverständlich eine Institution Schule gegenüber, die in festen Zeitplänen eine Unmenge an durchaus relevanten Stoffen vermitteln will und muss (vgl. Geister 2006). Damit trägt Classroom Management auch zu dem Phänomen bei, Erziehungsprozesse aus dem Unterricht zu verbannen. Indem es einerseits allein um (bildende) Wissensvermittlung gehen soll, andererseits ausschließlich die Lehrperson mit ihrer Klassenführung für den Lernerfolg verantwortlich gemacht wird (vgl. Wong und Wong 2004), muss die Verantwortung für Disziplinarprobleme nach außen abgegeben werden – der eigene, effizient geführte Unterricht darf in der Logik des Classroom Management schließlich nicht deren Ursache sein. So kann es nicht verwundern, dass Lehrer_innen dazu tendieren, Erziehungs- und Disziplinierungsprozesse auf die Eltern, das Rektorat oder die Sozialpädagogik abzuwälzen (vgl. Richter 2019) – Hauptsache, der eigene Unterricht bleibt augenfällig störungsfrei.

Classroom Management ist nur einer von vielen Faktoren von Bildungs- und Erziehungsprozessen, die dafür gesorgt haben, dass Strafe und Disziplin aus dem Blick der Erziehungs- und Sozialwissenschaften verschwunden sind. Tatsächlich scheinen Strafe und Pädagogik einander theoretisch auszuschließen; in Wirklichkeit sind sie jedoch paradoxal miteinander verbunden (vgl. Richter 2018). Einzig sinnvoll scheint zunächst, die Verwobenheit von Strafe und Pädagogik wieder in den Blick zu bekommen, indem Strafe als unerwünschter, aber doch realer Bestandteil pädagogischer Prozesse aufgefasst wird. Statt Konflikte mit Hilfe von Classroom Management-Methoden an den Rand des Unterrichtsgeschehens schieben zu wollen oder sie zu je individuellen Anpassungsproblemen zu erklären, mit denen Schüler_innen allein zurechtkommen müssen, sollten die realen Widersprüche formaler wie non-formaler Bildung ausgehalten und verhandelt werden – in Publikationen zu Classroom Management kommt dies nur am Rande vor (vgl. Haag und Streber 2012, Gruschka 2019). Nur so können Bildungs- und Erziehungsprozesse einlösen, was sie versprechen: Mündigkeit, Reflexion und Selbsttätigkeit, die möglichst frei von Bevormundung und Konvention sind.