Strafen bilden einen konstitutiven Bestandteil von Erziehung, zugleich sind sie fachlich hoch umstritten. Dieser Beitrag nimmt Strafen aus der Perspektive der Betroffenen in den Blick und rekonstruiert, welche Chancen und Herausforderungen mit Strafen in den Intensivmaßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe einhergehen.

Strafe als „eine absichtliche Übels-Zufügung, um damit auf eine missbilligte Handlung zu reagieren“ (Plewig 2013, S. 242), erweist sich für Erziehung als konstitutives (aber umstrittenes) Element. Denn Erziehung als „Reaktion auf die Entwicklungstatsache“ (Bernfeld 1973, S. 51) beinhaltet, Regeln und Normen des Zusammenlebens zu formulieren, deren Einhaltung unter anderem durch Strafstrategien gewährleistet werden soll (vgl. Schrapper 2014, S. 285). Soziale Norm wird definiert als die „mehr oder weniger verbindlich geltende und in der Regel sanktionsbewehrte Sollens-Erwartung, dass Akteure in spezifischen Situationen bestimmte Handlungen ausführen bzw. unterlassen“ (Tranow 2016, S. 256). Nach Abels (2007) liegt ein nicht unerheblicher Grund, weshalb Normen befolgt werden, in den Sanktionen, die mit ihnen verbunden sind, wenn ein Verstoß gegen die jeweilige Norm entdeckt wird. Die Sanktionen „reichen von ausdrücklichem Lob bis zu drakonischer Bestrafung, von der stummen Bestätigung durch Nichtreaktion bis zur deutlichen Verurteilung nach Recht und Gesetz“ (ebd., S. 53).

Mit Blick auf die Verwendung der Begriffe ‚Strafe‘ und ‚Sanktion‘ wird allerdings deutlich, dass der soziologische Sanktionsbegriff sich – im Gegensatz zur alltagssprachlichen Gleichsetzung mit Strafe – dadurch unterscheidet, dass Sanktionen nicht nur im negativen Sinne Bestrafungen zum Zwecke des Verstärkens oder Abbaus bestimmter Verhaltensweisen umfassen, sondern auch Belohnungen als positive Sanktion (vgl. Lamnek 2013, S. 23). Sanktionierungen spielen folglich im Kontext sozialer Kontrolle (und so auch in der Erziehung) eine besondere Rolle, denn auf Verhalten oder Handeln, welches als konform betrachtet wird, erfolgen positive Sanktionierungen (z. B. Belohnungen, Gratifikationen etc.), auf nicht-normkonformes (oder non-konformes) Verhalten oder Handeln wird mit negativer Sanktionierung (z. B. Strafe, Ächtung etc.) reagiert.

Auf der Ebene der Betroffenen bedeuten Strafen (je nach Strafform und Kontext) neben negativen Emotionen wie Wut, Scham, Frustration etc. auch, dass eine Degradierung ihrer Person erfolgt oder sich sogar bei entsprechender Sanktionshärte ihre sozialen Teilhabechancen verringern (vgl. Peters 2013, S. 42). Strafen verfolgen das Ziel, Normen zu verdeutlichen und junge Menschen zur Akzeptanz und Einhaltung gesellschaftlicher Regeln anzuhalten. Zugleich erweisen sie sich als Teil von Erziehung als gewagtes Unterfangen, denn sie beinhalten stets die Gefahr, dass sie zu Ausschluss, Abkehr sowie Furcht und Ablehnung auf Seiten der jungen Menschen führen und so die pädagogische Beziehung belasten bzw. verhindern.

Obwohl Strafen einen genuinen Bestandteil von Erziehung markieren und zugleich mit hohen Risiken behaftet sind, ist eine eigentümliche Vermeidung der Auseinandersetzung im pädagogischen Fachdiskurs zu konstatieren. Die Vermeidungshaltung geht so weit, dass das ‚böse Wort‘ Strafe (vgl. Plewig 2013, S. 243) mit vielfältigen Umschreibungen wie ,Reaktion auf Verhalten‘, ‚Konsequenzen‘ und ‚Sanktionen‘ sowie ‚Gegenwirkung‘ oder ‚Grenzziehung‘ umgangen wird (vgl. Hörster 2012, S. 189; Plewig 2013, S. 243; Kotthaus 2012, S. 189), auch wenn schlussendlich dasselbe Phänomen gemeint ist. Gelangt das Thema Strafe bzw. strafen in den Fokus des Fachdiskurses, avanciert es unmittelbar zu einem „Reizthema“ (Huber und Kirchschlager 2019, S. 7), bei dem nur noch eine polarisierende Positionierung möglich erscheint. So lassen sich auf der einen Seite die Befürworter_innen von Strafen und Grenzsetzungen identifizieren, die ihre Positionierung mit einer genuinen Notwendigkeit begründen. Diese Gruppe beinhaltet auch jene reaktiven und punitiven Vertreter_innen, die eine deutliche Ausweitung von Strafen für erforderlich erachten. Dem gegenüber steht die Gruppe derer, die Strafen und Grenzsetzungen per se als undemokratisch und einer emanzipatorischen Erziehung entgegenstehend ablehnen. Die Argumente beider Seiten sind seit geraumer Zeit ausgetauscht, die Fronten verhärtet und eine sachliche Diskussion erscheint nicht mehr möglich. In Abgrenzung zu diesen beiden zugespitzten Positionen ist jedoch eine dritte Gruppe zu identifizieren, die Reichenbach (2011, S. 8) – mit Bezug auf pädagogische Autorität als vergleichbares Reizthema – als die Gruppe der „Zauderer und Unentschiedenen“ bezeichnet. Die Unentschiedenheit, sich nicht für eine der genannten Fronten einspannen zu lassen, eröffne erst jene Offenheit, sich theoretisch wie empirisch mit dem Phänomen auseinanderzusetzen und dessen Erscheinungen und Ausprägungen unter den gegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen kritisch in den Blick zunehmen.

Mit Blick auf diesen Beitrag ordnen wir uns – ebenso wie z. B. Huber und Kirchschlager (2019) – dieser dritten Gruppe zu. Ausgehend von der konstitutiven Notwendigkeit von Strafe in der Erziehung bei gleichzeitig hohen Risiken, ist es unser Anliegen, Strafen aus der Perspektive der Betroffenen kritisch in den Blick zu nehmen. Unser Fokus richtet sich dazu auf junge Menschen in sogenannten Intensivmaßnahmen und ihren Erfahrungen mit Strafen bzw. SanktionenFootnote 1. Dazu werden wir kurz den Rahmen der Forschung vorstellen und entlang von vier rekonstruierten empirischen Typen die unterschiedlichen Perspektiven auf Strafen im Kontext von Intensivmaßnahmen darlegen und daraus Implikationen für Strafen im Kontext stationärer Erziehungshilfen ableiten.

Sanktionen in der stationären Jugendhilfe

Sich mit dem Thema Strafen in der Kinder- und Jugendhilfe zu beschäftigen, erfordert zunächst eine deutliche Abgrenzung von menschenverachtenden und menschenrechtsverletzenden Praktiken schwarzer Pädagogik (vgl. Rutschky 1999), wie sie z. B. in der Heimerziehung der 1950er und 1960er-Jahre gängige Praxis waren (vgl. Kuhlmann 2008; Runder Tisch Heimerziehung 2010). Den Diskurs nicht von diesen Praktiken loszulösen, führt zu jener polarisierenden Positionierung, die eine (selbst)kritische und wissenschaftlich fundierte Auseinandersetzung zum Thema Strafen in der Sozialpädagogik erschwert bzw. verhindert. Zugleich stellen Albus und Ziegler (2013, S. 76) heraus, dass jene Praktiken gegenwärtig auch keine strukturellen Merkmale stationärer Hilfen mehr darstellen.Footnote 2 Strafen im Sinne der Reaktion auf Verhalten und im Sinne der Normverdeutlichung sind hingegen ein wesentlicher Bestandteil des Alltags stationärer Hilfen. Im Anschluss an Huber und Kirchschlager verstehen wir nachfolgend unter Strafen „(…) ein auferlegtes und mit unterschiedlichen Begrifflichkeiten belegbares, nicht willkürliches Übel ohne jeden Bezug zu physischer und psychischer Gewalt“ (Huber und Kirchschlager 2019, S. 25), wie zum Beispiel das Verlagen einer Entschuldigung, die Einschränkung des Medienkonsums, das Übertragen von Zusatzaufgaben im Haushalt, den punktuellen Ausschluss von Gruppenaktivitäten oder dem zeitlich begrenzten Verweis auf das eigene Zimmer.

Zugleich legen wir den Fokus auf offene und freiheitsentziehende Intensiveinrichtungen. Unter dem Begriff Intensiveinrichtungen werden unterschiedliche Maßnahmen zusammengefasst, deren Gemeinsamkeit darin zu sehen ist, dass sie immer ein bisschen enger und immer ein bisschen exklusiver ausgerichtet sind (vgl. Oelkers et al. 2020, S. 3). Insbesondere die offenen und freiheitsentziehenden Wohngruppen, die sich dem Spektrum der Intensivpädagogik zuordnen, konstatieren für sich, Regeln mit hoher Verbindlichkeit an junge Menschen heranzutragen und konsequente Rückmeldungen auf Verhalten zu geben (vgl. Gaßmöller 2022; Oelkers et al. 2015). Häufig werden dazu Stufen- und Verstärkerpläne genutzt. Diese beinhalten, dass junge Menschen sich Privilegen, wie die Nutzung des eigenen Handys oder die Möglichkeit, die Einrichtung zu verlassen, über Wohlverhalten (im Sinne der Einhaltung von Regeln und Verhaltenserwartungen) erarbeiten müssen und bei Regelverstößen gleichermaßen wieder verlieren können (vgl. Gaßmöller 2019). Bereits in dieser Skizze werden Analogien zu Strafe, im Sinne einer absichtlichen Übelszufügung (vgl. Plewig 2013) deutlich, auch wenn das Wort Strafe keinerlei Erwähnung findet. Freiheitsentziehende Maßnahmen weisen zudem Analogien zum Strafvollzug auf und könnten so als strafende Reaktion/Maßnahme auf das Fehlverhalten junger Menschen im Kontext der Kinder- und Jugendhilfe empfunden werden.

Empirischer Zugang

Die nachfolgend dargestellten Ergebnisse stammen aus dem Forschungszusammenhang zu Intensivmaßnahmen als Erziehungsorte (vgl. Gaßmöller 2022), in dem neun junge Menschen zu ihren Erfahrungen in einer offenen bzw. einer freiheitsentziehenden Intensivmaßnahme befragt wurden. Im Mittelpunkt standen dabei Fragen zur Genese der Unterbringung in einer Intensivmaßnahme, der Einstellung zur Maßnahme, der Beziehung zu den Betreuer_innen sowie der Einstellung zu Regeln und Sanktionen. Die Daten wurden durch leitfadengestützte Interviews mit erzählgenerierenden Fragen erhoben. Deren Auswertung erfolgte entlang der dokumentarischen Methode (vgl. Bohnsack 2010; Nohl 2012), wobei die Ergebnisse der sinngenetischen Typenbildung in eine relationale Typenbildung überführt wurden (vgl. Nohl 2013; ausführlicher zum empirischen Vorgehen vgl. Gaßmöller 2022). Die relationale Typenbildung begründet sich auf den rekonstruierten Dimensionen Selbstbild der Befragten, ihrer Einstellung zur Intensivmaßnahme, ihrer Beziehung zur Herkunftsfamilie, ihrer Beziehung zu den Betreuer_innen sowie ihrer Einstellung zu Regeln, Regelverletzungen und Sanktionen. Auf dieser Grundlage wurden vier Typen rekonstruiert, die nachfolgend mit dem Fokus auf die Einstellung zu Regeln, Regelverletzungen und Sanktionen vorgestellt werden.

Typus „Gangster sein“

Für diesen Typus ist das Selbstbild als ‚selbstbestimmter Akteur‘ maßgeblich. Selbst über ihre Lebenszusammenhänge zu entscheiden, die eigenen Interessen ohne Rücksicht auf andere unbedingt durchzusetzen, sind für die jungen Menschen zentrale Handlungsmotive. Sich allen gesellschaftlichen Regeln zu entziehen, bildet eine Art Lifestyle für den Typus „Gangster sein“. Der Unterbringung in einer Intensivmaßnahme gegen ihren ausdrücklichen Willen können die jungen Menschen nur durch anhaltende Rebellion und Regelverletzung begegnen. Sie befinden sich in einem anhaltenden Machtkampf mit den Betreuer_innen, bei dem jeder Sanktionsversuch zu neuen Regelverletzungen führt. Daraus resultiert eine Art Teufelskreis, in dem jede Sanktion als unrechtmäßiger und bevormundender Angriff auf die Selbstbestimmung wahrgenommen und dem sich durch weitere Regelverletzungen zu entziehen versucht wird. Auf dieser Grundlage können die jungen Menschen und die Betreuer_innen nur aneinander scheitern. Gleichzeitig erlangt Strafe für diese jungen Menschen jedoch mit dem folgenden Vollzug einer Freiheitsstrafe eine andere Ebene, die sie dazu veranlasst, ihre Lebensgeschichte als eine Geschichte des Scheiterns zu erzählen. Dies verdeutlicht auch Sven mit seiner Feststellung: „Aber im Endeffekt haben sie ja immer am längeren Hebel gesessen“ (Interview Sven, Z. 1791–1792).

Typus „Mit erfahrenem Unrecht leben“

Im Typus „Mit erfahrenem Unrecht leben“ dominiert das Selbstbild, ein Opfer der Verhältnisse zu sein. Junge Menschen dieses Typus haben massive Vernachlässigung und Gewalt in ihren Herkunftsfamilien erlebt, aufgrund deren sie kaum Vertrauen in andere Menschen haben. Jede Form von Einmischung in ihr Leben wird als weiterer Akt der Benachteiligung und Gefährdung erlebt. Dementsprechend stellt auch jede Verhaltensanforderung bzw. Bestrafung bei Regelverletzung eine weitere Ungerechtigkeit dar. Diese jungen Menschen sehen Regeln nicht als selbstverständlichen Teil des Zusammenlebens an, sondern es besteht die Erwartung, dass Regeln an die eigenen Bedürfnisse angepasst werden. Das Herantragen von Regelkonformität oder weitergehend die Bestrafung bei Nichtbeachtung von Regeln, wird als Angriff auf die eigene Person erlebt, dem sie sich entziehen müssen. Entgegen des Typus ‚Gangster sein‘ kommt es hier jedoch nicht zu einem offenen Konflikt, sondern die jungen Menschen verharren in Passivität, indem sie ihr Dasein z. B. auf „essen, schlafen und fernsehgucken“ (Interview Ben, Z. 2029) reduzieren.

Typus „Auf sich gestellt – wider Willen“

Als zentrale Dimension in diesem Typus zeigt sich das Selbstbild der Befragten als ‚Abhängigkeit von Anderen‘. So suchen diese jungen Menschen beinahe verzweifelt nach verlässlichen Erwachsenen, die ihnen Orientierung in einer komplexen Welt ermöglichen. Ihre Herkunftsfamilien stellen diesbezüglich keine Ressource dar, sondern verbleiben als Leerstelle im Leben der jungen Menschen. Die Intensivmaßnahme wird gegen den Willen der jungen Menschen initiiert und ruft zunächst Ablehnung hervor. Diese Einschätzung ändert sich jedoch nach kurzer Zeit, da die jungen Menschen in der Maßnahme auf Betreuer_innen treffen, die die Leerstelle ihrer Herkunftsfamilien ausfüllen können. Die Betreuer_innen avancieren zu sehr wichtigen Bezugspersonen, die die jungen Menschen wohlwollend unterstützen und ihnen Wertschätzung und Anerkennung vermitteln. Regeln sowie Regeleinhaltung stellt die jungen Menschen vor hohe Herausforderungen, denen sie ohne Unterstützung nicht gewachsen sind. Eine Sanktionierung ist aus der Perspektive dieses Typus jedoch auf der Grundlage der tragfähigen und wertgeschätzten Beziehung zu den Betreuer_innen in der Intensivmaßnahme legitim, wie Lukas beispielhaft ausführt:

„wow. da gabs auch Strafen und so aber damit konnt ich Leben da drin das war egal. da wusste ich wenn ich jetzt durchdrehe dann irgend so ne Strafe oder so (…) hab ich eben Fitnessraum geputzt war mir egal. damit konnt ich leben und so. von denen konnt ich mir auch was sagen lassen (…) aber in anderen Wohngruppen wenn die mir irgendwas gesagt haben jetzt kriegst du Strafe geh abwaschen oder so hab ich gesagt geh mal selber abwaschen“ (Interview Lukas, Z. 389–398).

Strafen sind somit eingebettet in eine von den jungen Menschen gewünschte enge Beziehung an die Betreuer_innen und ausschließlich dort akzeptiert. Sie beeinträchtigen auch die Beziehung zwischen den jungen Menschen und den Betreuer_innen nicht negativ, sie sind vielmehr Teil einer Unterstützungsstruktur, die es den jungen Menschen ermöglicht, das Leben zu führen, dass sie für sich als erstrebenswert ansehen.

Typus „Selbstbestimmt den eigenen Weg gehen“

In diesem Typus kehrt sich die Einstellung zu Regeln und Sanktionen bei Regelverletzung im Vergleich zu den anderen Typen um. Im Mittelpunkt dieses Typus steht der eigene Wunsch nach Normalität im Sinne von gesellschaftlicher Teilhabe. Aus Sicht der jungen Menschen ist es dazu unerlässlich, dass es ihnen gelingt, sich an Regeln zu halten. Die Einhaltung von Regeln stellt jedoch auch an sie hohe Anforderungen, sodass sie auf Hilfe und Unterstützung angewiesen sind. Diese Unterstützung finden sie in ihren Betreuer_innen und formulieren die Erwartung an diese, Regeln aufzustellen und deren Einhaltung zu prüfen sowie ggf. Regelverletzungen zu sanktionieren: „und dann muss halt ein Erzieher ziemlich gut hinter stehen und sagen hier das und das hast du zu machen das musst du machen. wenn dus nicht machst dann machst du was anderes. ganz einfach“ (Interview Steffen, Z. 590–599). Das Streben nach Normalität, d. h. gesellschaftliche Verhaltenserwartungen erfüllen zu können, rechtfertigt nicht nur Strafen, sondern das Fehlen von Strafe wird mit einer Verweigerung von Hilfe gleichgesetzt.

Ausblick

Aus der spezifischen Perspektive dieser Forschungsergebnisse lassen sich zunächst zwei Befunde ableiten, die weder neu noch überraschend sind:

  1. 1.

    Die Wahrnehmungen von Strafe sind höchst subjektiv und werden maßgeblich von biographischen Erfahrungen beeinflusst. Dies zeigt insbesondere der Typus „Mit erfahrenem Unrecht leben“, bei dem Strafen tendenziell einer Retraumatisierung entsprechen.

  2. 2.

    Strafe an sich bedingt nicht Erziehung, sondern sie ist ein Teilelement eines komplexen Beziehungsgeschehens, wie schon Herman Nohl (1963) herausstellte. Als solches beinhalten Strafen hohe Risiken wie den Vertrauensverlust in die Betreuer_innen, eine Eskalation von Sanktionierungen wie im Typus „Gangster sein“ oder der Retraumatisierung wie im Typus „Mit erfahrenem Unrecht leben“ deutlich werden. Zugleich verweisen die Typen „Auf sich gestellt – wider Willen“ und „Selbstbestimmt den eigenen Weg gehen“ jedoch auf die Notwendigkeit von Strafen zur Verhaltensmodifikation. Voraussetzung für den wirkungsvollen Einsatz von Strafe bildet jedoch eine belastbare und tragfähige Beziehung zu den Betreuer_innen. Erst wenn junge Menschen das Gefühl haben, um ihrer selbst willen von den Betreuer_innen gemocht und unterstützt zu werden, tritt der befähigende Charakter von Strafen hervor.

Ferner verdeutlichen diese Befunde jedoch, dass die Perspektive der „Unentschiedenen“ im Diskurs um Strafe in der Erziehung keinesfalls Luxus, sondern vielmehr eine fachliche Notwendigkeit darstellt, um sich in Anlehnung an Hörster „[…] auf dem leeren Platz der Straflegitimation in der Erziehung zu versammeln und sich zu beraten“ (Hörster 2014, S. 284). Auf der Grundlage dieser sowie auch der Forschungsergebnisse von Huber und Kirchschlager (2019, S. 118 f.) liegt es nahe, im individuellen Fallverstehen eine wichtige Stellvariable zu einem fachlich adäquaten Umgang mit Strafen in den stationären Hilfen herauszustellen. Dies bedeutet jedoch von standardisierten und gesetzten Gruppenregeln Abstand zu nehmen und stattdessen auf individuell ausgehandelte Regeln zu setzen.