Der Begriff der Nachhaltigkeit hat sich unbestritten in den bundesdeutschen Diskurs der Sozialen Arbeit eingenistet (Liedholz 2021). Allerdings scheint das „neue“ Narrativ unterschiedliche Funktionen einzunehmen. Die Bandbreite reicht vom „Buzzword“ (Domes 2021) bis hin zu einer neuen disziplinären Bestimmung der Sozialen Arbeit in Erweiterung des Menschenrechtsdiskurses (Pätzold und Bestvater 2020). Der Begriff der Nachhaltigkeit ist als Grenzobjekt (Hörster et al. 2013) offenbar in verschiedenen Weisen anschlussfähig an aktuelle Herausforderungen der Sozialen Arbeit und zeitdiagnostisch passförmig. Allerdings, so unsere These, gerade deshalb derzeit in der Gefahr, in theoretische Beliebigkeit abzudriften, wobei sich Entwicklungen mit längerer Dauer (z. B. die Fortführung des Nachhaltigkeitsdiskurses aus Sozialen Bewegungen heraus, Maurer 2005) mit aktuellen Geschehnissen wie dem Krieg in der Ukraine und damit einhergehenden sozialen, ökonomischen und ökologischen Fragen überschneiden.

„Menschenrechtsprofession zu sein, bedeutet für die Soziale Arbeit zwangsläufig, eine gerechtere Verteilung von Ressourcen einzufordern und dabei auch eigene Verstrickungen in Menschenrechtsverletzungen zu reflektieren. Die Verwirklichung der Menschenrechte und eine nachhaltige globale Entwicklung sind keine Utopien, sondern erreichbare Ideale“ (Dreyer und Klus 2017, S. 77).

Aber sind solche normativen Zielhorizonte nicht auch eine Überforderung für die Soziale Arbeit? Weitgehend geteilte Selbstverständlichkeiten ökologischer Nachhaltigkeit (z. B. Umgang mit fossilen Energieträgern) werden derzeit durch neue „Realitäten“ infrage gestellt, über die sozialen Folgen wird gerade erst angefangen zu sprechen – beispielsweise, was steigende Energiekosten, Inflation für Menschen in Armut bedeuten. Und in all diesen Unübersichtlichkeiten soll die Soziale Arbeit eine Position zu Nachhaltigkeit finden? Die Soziale Arbeit – eine gerne auch als bescheiden genannte (Semi)Profession – läuft hier erneut Gefahr, sich in ein Dilemma aus praktisch-politischen Allmachtsphantasien und zunehmender theoretischer Unterbestimmtheit durch die Verwendung fremder Begriffe und Konzepte zu begeben.

Der vorliegende Schwerpunkt will gerade keine einseitigen normativen Perspektiven einnehmen, sondern mit Blick auf den aktuellen Diskurs um Nachhaltigkeit mögliche Anschlüsse und Verbindungen für die Soziale Arbeit aufzeigen. Die Bezeichnung Soziale Arbeit nutzen wir im folgenden Beitrag dabei immer dann, wenn es um die Profession geht, den Begriff Sozialpädagogik als disziplinäre Verortung. Auf unterschiedlichen Ebenen wird deshalb die Frage gestellt, welche Herausforderungen mit dem Rekurs auf Nachhaltigkeit für die Soziale Arbeit und die Sozialpädagogik neu bearbeitet werden können. Es soll hier eine pragmatische Perspektive eingenommen werden, die immer wieder zu den Kernaufgaben professionellen Handels vermittelt werden muss (Hamburger 2003): Adressat_innen in schwierigen Lebens- und Bewältigungslagen Subjektivität zu ermöglichen. Dies bedeutet automatisch eine Zurückhaltung bezüglich einer normativen Überforderung der Profession hinsichtlich konfliktärer gesellschaftlicher Megathemen und das bewusste Betreiben von sozialpädagogischer Wissenschaft jenseits drängender Fragen (Winkler 1988). Eine zunächst beschreibend gehaltene Zusammenstellung unterschiedlicher Perspektiven ermöglicht also eine klare Orientierung bei der konkreten Nutzung und (Neu)gestaltung von Konzepten und Ansätzen und gleichzeitig das Scharfstellen der dahinter liegenden Theoriefrage, nämlich ob Fragen der Nachhaltigkeit besser mit eventuell notwendigen Erweiterungen des bestehenden Theorieapparates bewältigt werden können oder ob die Rede von der Nachhaltigkeit einen als Zäsur zu verstehenden Neuanfang gebietet. Diese Frage und ihre Folgeprobleme sind im Diskurs noch nicht gelöst, auch wenn explizit immer mehr von Nachhaltigkeit als sozialpädagogisch einheimischem Begriff gesprochen wird (Böhnisch 2019).

Nachhaltig unordentlich: Vielfalt und Unverbundenheit in der Nachhaltigkeitsdebatte

Bisher erscheint die Beschäftigung mit Nachhaltigkeit im sozialpädagogischen Diskursmultiversum metaphorisch und unkonturiert – ein nicht untypisches Phänomen einer Sozialwissenschaft, die sich genuin aus ständig wandelnden Fragen der Lebensführung in der Moderne speist und diese zur Bearbeitung anschlussfähig machen muss an etablierte abstrakte Großtheorien. Nachhaltigkeit erscheint deshalb einerseits als flexible Formel, um heterogene Entwicklungen in Diskurs und Praxis zu thematisieren und andererseits als funktionale Vagheit in Bezug auf ungeklärte Theoriefragen.

Erste kategoriale Strukturierungen zum Nachhaltigkeitsdiskurs lassen sich deshalb zunächst entlang üblicher Perspektivierungen gewinnen. Dann lässt sich feststellen, dass Nachhaltigkeit in den politisch-ökonomischen Bedingungen (Sozialstruktur und Lebenslagen), dem Erbringungskontext (Institution und Organisation) und dem Erbringungsverhältnis (Interaktion Fachkraft – Adressat_in) (vgl. Schaarschuch und Oelerich 2005) unterschiedlich und unverbunden fokussiert wird und dass die Sozialpädagogik aus der Perspektive dieser Unverbundenheit noch weit von einer integrierenden oder vollkommen neuen Theorie sozialpädagogischer Nachhaltigkeit entfernt ist.

Entlang dieser Differenzierung bezieht sich Nachhaltigkeit gesellschaftlich auf zentrale Fragen des Umgangs mit materiellen Ressourcen im Hinblick auf unterschiedliche Konzepte von (Post)Wachstumsgesellschaft. Eine organisationsgeprägte Perspektive hingegen fordert Soziale Dienste heraus, Ziele und Mittel so zu wählen, dass finanzielle und personale Ressourcen von Fachkräften und Adressat_innen effizient genutzt werden. Und schließlich wird bezogen auf individuelle Hilfeprozesse gefordert, dass geleistete Bewältigungsarbeit nachhaltig, also dauerhaft und in die Zukunft wirkt und sich Akteur_innen dabei an normativen Konzepten zu Nachhaltigkeit ausrichten.

Zum Verständnis dieses ausgeweiteten und verinselten Diskurses ist es sinnvoll, zunächst von Nachhaltigkeit im engeren Sinne auszugehen. Nachhaltigkeit ist ein Begriff, der bereits im 18. Jahrhundert im Zusammenhang mit einer nachhaltigen Forstwirtschaft auftaucht (Batz 2021). Verbunden wird das Konzept der Nachhaltigkeit aber vor allem mit dem Bericht an den Club of Rome: „Die Grenzen des Wachstums“ (Meadows et al. 1972) und dem Brundtland-Bericht: In letzterem wird bereits ein immer noch relevanter intergenerationaler Leitsatz deutlich: Eine nachhaltige Entwicklung ist eine „Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, daß künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können“ (Hauff 1987, S. 46).

Fast alle Diskussionen zu Nachhaltigkeit in der Sozialen Arbeit rekurrieren auf die 17 Sustainable Development Goals (SDGs) im Zuge der AGENDA 2030 (s. Abb. 1).

Abb. 1
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17 Sustainable Development Goals (Quelle: https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/nachhaltigkeitspolitik/nachhaltigkeitsziele-erklaert-232174)

Diese 17 Ziele einer nachhaltigen Entwicklung, an deren Erarbeitung durch ihren Konsultativstatus bei den UN auch Organisationen der Sozialen Arbeit beteiligt waren (Healy 2016), ermöglichen aufgrund ihrer Verbindung von ökologischen, ökonomischen und sozialen Zielen eine hohe Passung für die Soziale Arbeit: Ursozialpädagogische Themen wir Armut, Ungleichheit und Gerechtigkeit sind neben Fragen von Klimaschutz, Frieden und Energiefragen umfänglich beschrieben. Allerdings gibt die Aufzählung wenig Aufschluss über die Beziehung der Themen miteinander. Nicht alle diese Ziele scheinen komplementär zu erreichen, sondern trade-offs sind auszutarieren.

Gleichzeitig etablieren sich – polarisierend vereinfacht – zwei widerstreitende Umsetzungsstrategien zur Erreichung dieser Ziele. Die schwache Nachhaltigkeit geht von der Legitimität einer prinzipiell unbegrenzten Ausnutzung natürlicher Ressourcen aus, solange ökonomische, soziale und kulturelle Ressourcen in analogem Maße steigen. Im Konzept der starken Nachhaltigkeit wird von der Nichtaustauschbarkeit von natürlichen und künstlichen Ressourcen ausgegangen: Die Säulen der Ökonomie, Kultur und des Sozialen (Abb. 2) sind angewiesen auf ein Fundament natürlicher Ressourcen (Liedholz und Verch 2023).

Abb. 2
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Gewichtetes Säulenmodell (Batz 2021, S. 34)

Gleichwohl wirft eine absolute Priorisierung der ökologischen Dimension vor der sozialen das konstruktivistische Problem auf, ob es dem Eisbären also nicht vielleicht egal ist, ob er ausstirbt. Die Diskussion über Nachhaltigkeit wird immer aus der Sicht von sich selbst bewussten Menschen geführt, eingebettet in einen sozialen Diskurs. Sie ist demnach anthropozentrisch und sozial konstruiert. Insofern setzt jedwede Diskussion über Nachhaltigkeit ein Fundament aus sozialer und ökologischer Dimension voraus. Soziale und ökologische Fragen sind nur in ihrer Verbindung bearbeitbar und lassen sich nicht gegenseitig ausspielen (Ott und Döring 2011). Noch nie waren die gesellschaftlichen Verwobenheiten zwischen wirtschaftlichen und sozialen Fragen so komplex wie aktuell. Die gesellschaftlichen Zusammenhänge können, trotz aller nationalstaatlichen Regulierung des Wohlfahrtsstaates nur im internationalen und transnationalen Kontext reflektiert werden. Hier gilt es für die Soziale Arbeit auch ihre eigene Positionierung zu beachten und möglichst viele Perspektiven (z. B. indigene Positionen) einzubinden (Graßhoff, Homfeldt, und Schröer 2016).

Theorie(n) für oder Theorie der Nachhaltigkeit?

Dieser kurze Einblick zur Beschäftigung mit Nachhaltigkeit wirft die Frage auf, ob es zukünftig darum gehen wird, Theorie(n) für Nachhaltigkeit in bestehende Konzepte und Großtheorien einzubinden oder das Thema zur Leitcodierung einer ganz neuen Theoriebildung zu erklären – eine Frage, die das Nachhaltigkeitsthema beispielsweise mit Fragen der Digitalität in der Sozialpädagogik gemeinsam hat (Graßhoff und Weinhardt 2023). Für den vorliegenden Schwerpunkt haben wir uns die bescheidene Lesart dieser Frage zu eigen gemacht und trotz aller Unschärfe des Begriffs an seiner Anschlussfähigkeit festgehalten: „Die Kritik der Nachhaltigkeitsbegriff sei unpräzise und deshalb sei das Thema nicht ‚theoriewürdig‘, geht am Kern der Sache vorbei. Nachhaltigkeit ist als Lebens- und Gestaltungsprinzip sinnvoll und notwendig. Bei allen theoretischen Kontroversen gibt es genügend Übereinstimmung, um anzufangen zu handeln“ (Oesselmann und Pfeifer-Schaupp 2012, S. 34).

Die darin enthaltene Relationierung im Verhältnis von Ökologie, Ökonomie und Sozialem kann zukünftig sowohl auf integrativen und vielleicht auf bestehende Theorien, wie bspw. dem Life-Model/Lebensvollzugsmodell von Carel B. Germain und Alex Gitterman (1999) oder dem ökosozialen Ansatz von Wolf Rainer Wendt (2010), aufbauenden als auch paradigmatisch neuen sozialpädagogischen Theorieansätzen münden. Der vorliegende Beitrag und auch der Schwerpunkt möchten hierzu einen Beitrag leisten.

Nachhaltig vielfältig und pointiert: Stimmen aus der Praxis

Das zentrale Desiderat einer pluralen Beschäftigung mit Nachhaltigkeit bezogen auf die Konzept- und Theorieebene haben wir schließlich zum Anlass genommen, Stimmen aus der Praxis in unsere Überlegungen einzubinden. Mit einer standardisierten Befragung, die überwiegend aus offenen Fragen bestand, haben wir ein maximal kontrastiertes Sample aus n = 9 Fachkräften aus unterschiedlichen Arbeitsfeldern mit und ohne Leitungsverantwortung zum Thema Nachhaltigkeit befragt. Uns hat dabei interessiert, was die Befragten grundsätzlich mit dem Nachhaltigkeitsbegriff verbinden, welche konkreten Beispiele ihnen aus ihrer Praxis einfallen und welche Bedeutung sie dem Thema für ihre Adressat_innen, ihr professionelles Selbstverständnis und ihre Organisation beimessen.

Die inhaltsanalytisch verdichteten Ergebnisse weisen darauf hin, dass das Thema Nachhaltigkeit in der Praxis als zentrales Zukunftsthema wahr- und ernst genommen wird. Nachhaltigkeit und Soziale Arbeit: „Das Eine ist nicht ohne das Andere möglich!“ Inhaltlich wird Nachhaltigkeit einerseits eng verknüpft mit dem Wirksamkeitsdiskurs in der Sozialen Arbeit, demnach sollen Angebote der Sozialen Arbeit „einen positiven und/oder dauerhaften Effekt haben“ bzw. die „knapper werdenden finanziellen Ressourcen noch besser und effektiver“ genutzt werden. Andererseits wird die Dimension des sparsamen Ressourcenverbrauchs vielfältig enumerativ veranschaulicht. Genannt werden umweltschonender Umgang mit Energie und Leitungswasser, kurze Vertriebs- und Lieferwege, z. B. beim Kauf von Büromaterial, aber auch weniger Dienstfahrten, Anschaffung langlebiger, recyclebarer Ausstattungsgüter, Unterstützung von foodsharing u. ä. Konzepten bis hin zu einer nachhaltigen Bauplanung bei eigenen Gebäuden. Adressiert werden dabei hauptsächlich die Entscheidungsbereiche und Verhaltensdimensionen der operativen Fachkräfte: „Waschbare Tischdecken verwenden anstatt Wegwerfpapier“. Abgesehen vom Hinweis auf nachhaltige Bauplanung bei neuen Gebäuden, scheint die organisationale und institutionelle Rahmung zur Realisierung nachhaltiger Strategien nicht im Blickfeld der Befragten zu liegen. Das ist aus anreiztheoretischer Sicht überraschend, da in den organisationalen Vorgaben (incentives und/oder green nudges für nachhaltiges Arbeiten, Ideenwettbewerbe etc.) und institutionellen Rahmungen (finanzierungsrelevante Kennzahlen zu Nachhaltigkeit, Berichtswesen, etc.) erhebliche Potenziale für eine nachhaltige Entwicklung in den Arbeitsfeldern zu vermuten sind. Konsistent ist daher der Befund, dass die Mehrzahl der Befragten den Stellenwert des Themas innerhalb der eigenen Organisation mit „Luft nach oben“ beschreibt. Drei der Befragten konnten von wahrnehmbaren Aktivitäten der Organisation bis hin zu einem konkreten Konzept zur Nachhaltigkeit berichten.

Überraschend ist auch, dass es nur eine Aussage zu Nachhaltigkeit als Gegenstand von Bildung in der Sozialen Arbeit gab, was darauf hindeuten könnte, dass das Konzept der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) noch nicht ausreichend in der Praxis der Sozialen Arbeit bekannt ist.

Die Antworten auf die Frage nach ganz konkreten Projekten, in denen Nachhaltigkeit ein Thema war, lassen sich entlang der Strategien Effizienz, Konsistenz und Suffizienz ordnen. Effizienz bildet das Leitmotiv der schwachen Nachhaltigkeitskonzeption, indem die Produktivität der verwendeten (nicht-nachhaltigen) Ressourcen verbessert wird. Suffizienz als Wandel von Bewusstsein und Strukturen soll im Sinne der starken Nachhaltigkeit zu einer grundlegend veränderten Ressourcennutzung führen bis hin zu Einschränkung und Verzicht. In der Befragung wird lediglich ein suffizenzorientiertes Projekt genannt, alle weiteren genannten lassen sich eher den Konsistenz- und Effizienzstrategie zuordnen. Dieser Umstand fordert die These heraus, dass sich konkrete Projekte der Sozialen Arbeit derzeit im Rahmen schwacher Nachhaltigkeit bewegen.

Als lebensweltorientierte Dienstleistung zur Lebensbewältigung ist Soziale Arbeit immer darauf verwiesen, die alltäglichen Sinn- und Deutungsgehalte ihrer Adressat_innen zum Ausgangspunkt der sozialarbeiterischen Interaktionen zu machen. So waren wir daran interessiert, wie die Befragten in der Praxis die Bedeutung des Themas Nachhaltigkeit für die Adressat_innen einschätzen. Dabei haben sich zwei dominierende Sichtweisen herausgeschält. Zum einen wird benannt, die Adressat_innen hätten aufgrund ihrer prekären und unterprivilegierten Lebenssituation keinen Zugang zu diesem Thema, da andere Herausforderungen des Alltags wichtiger seien: „Vor allem Menschen, die Transferleistungen erhalten und unterschiedliche, teils herausfordernde Lebenssituationen haben, haben einfach andere Themen“. Daran schließt der Hinweis an, dass einige Adressat_innen aus Sparsamkeitsgründen nachhaltig handeln und nicht aus Überzeugung. Zum anderen wird angeführt, die Adressat_innen würden die Bedeutung des Themas Nachhaltigkeit nicht erkennen und hätten kein ausgeprägtes ökologisches Bewusstsein, sie „nutzen den ‚Kaffee to go‘ aus dem Einmalbecher als ‚kleinen Luxus‘ im sonst einfachen Alltag.“ Anderseits wird darauf verwiesen, dass es den Adressat_innen durchaus wichtig sei, nachhaltig zu leben, was sich auch programmatisch niederschlägt, z. B. Nachhaltigkeit im „Leitbild der ‚Stadtviertelrunde‘ im Quartier festzuhalten“. Die Antworten sind sehr different, zeigen gleichwohl eine beeindruckende Sensibilität der Befragten gegenüber den Möglichkeiten und Ressourcen der Adressat_innen, zum Thema Nachhaltigkeit etwas beizutragen.

Insgesamt wird das Thema Nachhaltigkeit von allen Befragten als sehr relevant für das eigene professionelle Selbstverständnis eingeschätzt. Nachhaltigkeit wird als Leitidee im Kontext der Hilfe zur Selbsthilfe, der Wirkungsorientierung oder gesellschaftlicher Veränderungen konturiert. Lediglich ein Beitrag definiert sein professionelles Selbstverständnis jenseits von Nachhaltigkeitsfragen und rekurriert auf den „Blick und das Verständnis für Menschen, die einfach andere, für sie persönliche Herausforderungen zu bewerkstelligen haben.“

Das vorliegende empirische Material verweist auf das große Potenzial, das in einer systematischen Erforschung der Perspektiven der Praxis zum Thema Nachhaltigkeit und Soziale Arbeit schlummert. Neben der notwendigen analytisch-theoretischen Klärung des Verhältnisses von Nachhaltigkeit und Sozialer Arbeit braucht es folglich auch mehr empirische Forschung im Feld.

Zu den Beiträgen im Schwerpunkt

Aufbauend auf diesen einführenden Gedanken möchte der vorliegende Schwerpunkt aufzeigen, systematisieren und diskutieren, was Nachhaltigkeit für die Soziale Arbeit derzeit bedeutet und zukünftig bedeuten kann oder soll. Obgleich hierbei vorwiegend auf der Theorieebene argumentiert wird, ist damit kein elitärer bzw. praxisferner Zugang zu Nachhaltigkeit verbunden: Nachhaltigkeit ist kein Konzept, das lediglich im bürgerlich-liberalen Lager anschlussfähig ist. Vielmehr kann und sollte gerade die Soziale Arbeit dieses Konzept auf die Lebenswelten von unterschiedlichen Adressat_innen transferieren und hier auch ein kritisches Korrektiv darstellen. „Der Vorwurf in der Form, wie ihn beispielsweise Wendt erhebt, dass Arme, Migrant_innen, bildungsferne Menschen oder Menschen in prekären Lebenslagen keinen Zugang zu solchen Themen und keine Möglichkeit haben, suffizient (in diesem Falle fair) zu leben, ist einerseits herabwürdigend und andererseits nicht zutreffend, weil er den Grundsätzen des Empowerments widerspricht“ (Dreyer und Klus 2017, S. 72). Vor diesem Hintergrund geht es gerade nicht nur um ‚soziale Nachhaltigkeit‘ im engeren Sinn, sondern um die Frage, welchen Beitrag die Soziale Arbeit zur Gestaltung eines nachhaltigeren und gerechteren globalen Miteinanders sowie der Förderung entsprechender Lebensbedingungen aller Menschen leisten kann. Die folgenden Beiträge möchten hierzu Impulse geben und beleuchten dazu

  • internationale Verflechtung von sozialen wie auch ökologischen Herausforderungen

  • Ausdifferenzierung bzw. Aktualisierung bestehender Theorieangebote: z. B. Lebensweltorientierung, Lebensbewältigung

  • (Neu‑)Justierung von Gerechtigkeitsfragen und Menschenrechten

  • Handlungsfeldspezifische Reflexion zentraler Professionalisierungsfragen (Gemeinwesenarbeit, Hilfen zur Erziehung, etc.).

Den Auftakt macht Marcel Schmidt: In seinem Beitrag Nachhaltigkeit und ihre Bedeutung für die Soziale Arbeit – ein unvollständiger Einblick fasst er die gegenwärtigen Diskussionen um ökologische, soziale und ökonomische Nachhaltigkeit zusammen und zeigt bislang noch offene Fragen und inhaltliche Lücken auf. Er arbeitet das Potenzial und auch den Auftrag der Sozialen Arbeit heraus, sich wieder als professionelle Unterstützung zivilgesellschaftlicher Politikgestaltung zu verstehen und entsprechend zu agieren.

Im Beitrag Nachhaltigkeit als Thema in der Sozialen Arbeit: vergessene Wurzeln und ihre aktuellen Bedeutungen kristallisiert Susanne Elsen in der Auseinandersetzung mit Jane Addams und dem Settlement Hull-House verschüttete Verbindungslinien zur aktuellen Nachhaltigkeitsdiskussion in der Sozialen Arbeit heraus. Dabei werden Bezüge zur solidarischen Ökonomie ebenso freigelegt wie die Potenziale einer partizipativen öko-sozialen Forschung für Nachhaltigkeitsfragen.

Unter einer internationalen Perspektivierung mit dem Titel Nachhaltigkeit, Soziale Arbeit und ökosoziale Transformation nimmt Caroline Schmitt Fragen der ökosozialen Transformation von Theorie(n) und Praktiken Sozialer Arbeit in den Blick. Ihr Beitrag informiert dabei zunächst über konkrete Einzelkonzepte wie Green Social Work, Ecological Social Work, Environmental Social Work, Deep Ecology Social Work, die im Anschluss auf notwendige und stellenweise bereits beobachtbare Syntheseleistungen im deutschsprachigen Raum (z. B. in Form von Fachgruppen der Dachgesellschaften) gebündelt werden und so auf eine an internationalen Debatten ausgerichteten Ecosocial Work verweisen können.

Marianne Genenger-Stricker und Laika Lauscher widmen sich im Beitrag Soziale Arbeit kann Katastrophenhilfe der Frage danach, wie die Soziale Arbeit dazu beitragen kann, zukünftige ökologische Krisen abzumildern und sie bewältigbar(er) zu machen und welche Konsequenzen sich hieraus für die Qualifizierung (angehender) Fachkräfte ergeben. Ausgehend von studentischem Engagement, das in Folge der Überflutungen in Stolberg im Sommer 2021 entstanden ist, zeigen sie das Potenzial von gemeinwesenorientierten, niedrigschwelligen, partizipativen und vernetzten Zugängen für unbürokratische und vor allem (selbst‑)wirksame Unterstützungs- und Bewältigungsstrukturen in Katastrophen- und Krisensituationen auf. Zeitgleich wurden hierdurch vielfältige Erprobungs- und Entwicklungsräume für Studierende eröffnet, die in besonderer Weise zu deren Profilbildung als professionelle Sozialarbeiter_innen beigetragen haben.