Urbanität gilt allgemein als der Schlüsselbegriff, um das Leben in der Stadt im 21. Jahrhundert zu bezeichnen. Der Beitrag schlägt vor, junge Menschen in der Gemengelage sich verändernder Urbanitäten aus einer antiverzweckten und entfunktionalisierten Perspektive mitzudenken und wirbt verbunden mit ihren städtischen Lebensweisen und -führungen für ein neues Verständnis, was Urbanität eigentlich könnte und sollte.

Als Henri Lefebvre in seinem Schlüsselwerk ein „Recht auf Stadt“ (Lefebvre [1968] 2016) den Stadtbegriff als urbanen Raum entfaltete, dem es unter Rückgriff auf Kollektivität und Emanzipation gelingen kann, die kapitalistische Gesellschaft und ihren fragmentierten Alltag (Schmidt 2020) zugunsten von Egalität und Freiheit (Mullis 2017) zu überwinden, war noch nicht klar, was diese Forderung mit der Gesellschaft sechzig Jahre später noch zu tun haben könnte.

Stadt als Zukunft

Historisch in Zeiten der Industrialisierung entstanden, gleicht der Begriff des Urbanen heute eher einem positiv besetzten Phantasma, wie sich Städte und Mega-Cities – politisch betrachtet – entwickeln sollten, um sie als lebenswert zu bezeichnen. Lebten zu Beginn des 21. Jahrhunderts nur sieben Prozent der Weltbevölkerung in Städten, waren es in den 1950er-Jahren ein knappes Drittel und im Jahr 2015 mit 54 % mehr als die Hälfte (Kessl und Reutlinger 2013, S. 8).

In Deutschland leben aktuell über 70 % der Menschen in der Stadt. Anders als auf dem Land ist sie ein komplexes räumliches Gebilde, in das vielfältige räumliche Konfigurationen in- und untereinander verschaltet verwoben sind oder koexistieren (Rau 2017, S. 155). Mit ihrer materiell dichten, engen und verdrängenden Besiedlung wirft sie stadtpolitische Fragen an das soziale Zusammenleben zwischen den verschiedenen Kohorten auf, die auch Kinder und Jugendliche betreffen. Denn trotz sozialpädagogischer Anrufungen und jugendpolitischer Agenden spielen diese bei der Gestaltung von Stadt und der Entwicklung neuer Urbanitäten (Müller und Nicht 2014, S. 4) eine bislang nach wie vor ungeordnete Rolle. Dabei verzeichnet der deutsche Zensus bereits seit Jahrzehnten deutliche Verstädterungstendenzen. Darauf folgt, dass immer mehr Kinder in städtischen Ballungszentren aufwachsen. Die Zuzugsrate von Familien und Kindern liegt in einigen Städten bei sogar 50 % (bspw. Leipzig) und wird sich prognostisch weiter ausdehnen (Friedrich-Ebert-Stiftung 2017, S. 3). Welche Potenziale und Herausforderungen das für das Aufwachsen junger Menschen in der (urbanen) Großstadt als sozialer Raum herbringt, soll in diesem Beitrag unter Rückgriff auf ausgewählte Schlaglichter beleuchtet werden.

Räume und Orte in der Stadt

Der territorial, sozial und gesellschaftlich strukturierten Großstadt wird dabei ein sozialräumliches Verständnis attestiert, wonach Raum einer „relationale[n] (An)ordnung von Lebewesen und sozialen Gütern“ (Löw 2001, S. 271) in einer doppelten Konstituierung unterliegt. Raum wird durch soziales Handeln produziert, bringt Handeln und Gesellschaft aber gleichzeitig auch hervor. Orte in Städten wie Parkbänke, Vorplätze oder Bushaltestellen im öffentlichen Raum sind daher stets als soziales und räumliches Gebilde gleichermaßen zu verstehen. Einerseits sind sie Ergebnis von Platzierung, andererseits aber auch Voraussetzung von Raumkonstitution (Löw 2001, S. 203; Schroer 2006). An einem Ort können daher auch mehrere Räume entstehen. Mit Blick auf die Bedeutung sogenannter urbaner Räume für junge Menschen steht dafür beispielhaft das Fastfood-Lokal in der Einkaufsstraße als prototypischer Ort für das zeitliche Getriebensein in Großstädten: Für Erwachsene ist das Restaurant ein Ort des schnellen funktionalisierten Lebensmittelverzehrs. Für Jugendliche hingegen kann es sich in dem großstädtischen Wechselspiel zwischen anonymer Öffentlichkeit und beengtem Zuhause als Zwischenraum und Hinterbühne verfügbar machen, an dem gemeinsam informelle Bildung ohne Akteur_innen wie Kleinkinder veranstaltet werden kann (Theuerkauf und Hübner 2023). Der nischenbehaftete Ort wird sich durch junge Menschen jenseits normativ attestierter Perspektiven angeeignet und zu einem Ort der Abgrenzbarkeit und eigensinnigen Erfahrbarkeit als Slow-Motion-Praxis in der Großstadt umfunktioniert (Theuerkauf und Hübner 2023).

Allgemein geläufig ist die territoriale Stadt ein „geschlossenes Siedlungsgebiet mit hoher Bebauungsdichte und Bevölkerungszahl“ (Klein und Schubert 2020 BPB), das spätestens seit der Nachkriegszeit territorial gegliedert, funktionalisiert und spezialisiert ist (Irsigler 2001; Reutlinger 2013, S. 591) ist. Stadtgeografisch gehören ihr spezifische Wesensmerkmale an (in Anlehnung an Heineberg 2017, S. 28):

  • Bevölkerungsvolumen und Wachstum,

  • geschlossenen Ortsformen und Bauweisen wie Blockrandbebauung,

  • hohe bauliche Dichte und mehrstöckige Gebäude,

  • verzweckte Gliederung und Anordnung und Parzellierung von Flächen,

  • besondere Bevölkerungsstruktur,

  • eine hohe Dichte von Arbeits- und Wohnstätten,

  • zentrierte Bündelung von Verkehrswegen und ein ausgebauter ÖPNV,

  • sowie künstliche Umweltgestaltung und ökologische Überbelastung.

Der öffentliche und freizugängliche Raum wird dabei zunehmend verdrängt und unterläuft Schrumpfungsprozessen, die eigensinnige und vergemeinschaftete Freiräume zur Aneignung fernab von verordneter Nutzung zunehmend verunmöglichen. Das gilt auch für junge Menschen. Erwachsene entscheiden für sie, wo sie sich draußen wie aufzuhalten haben, was für sie urban ist. Anders als der Entwurf von Lefebvre es vorschlägt, gelten großstädtisch gelesene Verhaltensweisen dabei dann als urban, wenn sie entlang von Orten wie Einkaufsstraßen, Shopping-Malls, Grünanlagen oder kulturellen Vorhalteflächen wie Museen und Galerien veranstaltet werden (Schäfers 2006, S. 14f.). Urbanität dient als erstrebenswerter Lebens(welt)entwurf innerstädtischer Peripherien, unter dem sich der aufgeklärte, lebens- und umweltbewusste, alternative und kritische sowie weltoffene engagierte und pro-demokratischen Mensch akkumuliert.

Gespaltene Stadt

Dass dieses Begehr eher eine Belegstelle für die Kapitalisierung von Lebensverhältnissen ist (Reutlinger 2013, S. 593), bei der „zwischen der Idee von Urbanität und dem (real) existierenden Projekt der Stadt“ (Mauer und Kessl 2016, S. 573) zu unterscheiden ist, ist auf Ebene von Politik und Verwaltung, mitunter aber auch der Sozialen Arbeit, wenig bis gar nicht Bestandteil kritischer Stadtperspektiven. Vielmehr wird der territoriale Raum und seine Bewohner_innen unter Rückgriff auf stadtentwicklungspolitische Programme wie Soziale Stadt zum diagnostizierten Problem(träger) auserkoren, der mit vermeintlichen sozialräumlichen Angeboten aktiviert und empowert werden soll. Gemeinsam sollen der Spielplatz geputzt, das Kiezfest organisiert oder aber Steckrüben in den Nachbarschaftsgarten gepflanzt werden. Ob und wer sich dieses Gemeinsame wünscht und ob diese Idee des Gemeinsamen als sozialintegratives Verständnis einer normativen Stadtgesellschaft von wirklich allen, auch jungen Menschen getragen wird, bleibt unbesprochen. Vielmehr formiert sich einer enger Urbanitätsbegriff (Schmidt-Lauber und Wolfmayr 2016, S. 189), der wenig Spielraum für die Perspektiven junger Menschen bietet und Aufwachsen stattdessen einem normativen Werden unterwirft.

Es geht um die Spaltung der Stadt (Reutlinger 2009), deren Grenze sich nicht (mehr) linear Richtung Stadtrand vollzieht, sondern unsichtbar in Erscheinung tritt. So können sich innerstädtische Quartiere, die als weltoffen und tolerant gegenüber allen gelten, zu homogenen Räumen entwickeln: „Aus einem Sozialraum der Vielfalt und soziökonomischen Durchmischung, wird ein Sozialraum des Mainstreams und der sozioökonomischen Entmischung[,]“ (Theuerkauf und Hübner 2023) in dem Jugendliche auf Plätzen und Straßen nicht mehr sichtbar sind, gleichwohl sie hier leben. Im Rekurs auf ihre polykontextuelle Lebensweltgestaltung ist das nicht zwangsläufig negativ, bedarf aber eine konkrete Hinwendung zu dem, was junge Menschen in und mit Großstadt machen und wollen.

Das aktuelle politische Ringen um die Stadt dokumentiert sich in städtebaulichen (Nach)Verdichtungsideen und steht – praktisch gesagt – für mehr Wohnraum und eine auskömmliche soziale Infrastruktur verbunden mit Implikationen zur (sozial)ökologischen Wende. Dass es dabei vor allem darum geht, international wirtschaftlich mitzuhalten und „multinationale Konzerne an die Städte [zu] binden“ (Reutlinger 2013, S. 593), ist selten Gegenstand der Debatte. Politisch gewollt ist der Zuzug von Bildungsbürgertum, der die städtische Wirtschaftsindustrie im globalen Wettbewerb maximiert, nicht aber sozial benachteiligt gelesene Gruppen, die für die Entstehung nicht gern gesehener Milieus sorgen könnten. Auf formaler Ebene ist man sich einig: Die Mehrheit steht für die Pluralität von Lebensentwürfen. Wenn es auf gelebter Ebene aber darum geht, das Stadtbad mit Frauen im Burkini zu teilen oder Spritzenautomaten neben dem Spielplatz in der Nachbarschaft zu installieren, dann hört die Offenheit gegenüber Anderen auf: Sie endet mitunter an der eigenen Lebenspraxis und nicht an der Lebenspraxis Anderer.

Raum und Zeit als Stadt(ver)ordnung

Dazu gehört auch die Konstruktion junger Menschen als die Anderen, die nach 22 Uhr etwa (noch) dröhnende Musik auf dem Spielplatz um die Ecke hören wollen. Sie stören den sozialen Frieden. Es gelten die Regeln der Erwachsenen, die an allen öffentlichen Spielplätzen prompt einsehbar sind: „Geöffnet bis 18:00 Uhr, Skateboardfahren untersagt und laute Musik verboten“. Wer sich daran nicht hält, ist zu entfernen oder soll in den Jugendclub gehen. Präventiv geplant werden spezialisierte und pädagogisierte Jugendräume, bei denen Erwachsene davon ausgehen, sie würden an jugendlichen Interessen anknüpfen. Maßgebend sind dabei „Sicherheit, Kontrolle und Lernerfolg. […] Entsprechend legt die physische Gestaltung bestimmte Nutzungen nahe und unterbindet andere, wodurch die Aktivitäten junger Menschen in diesen Räumen beeinflusst werden.“ (Million et al. 2021, S. 81) Entwickelt werden Lernlandschaften, die das Interesse an „gesichts- und identitätslosen Räumen wie Parkhäuser, brachliegende Industrieareale, geschützte Flächen unter Brückenbauten“ negiert (Muri und Friedrich 2006, S. 176) und einen engen Urbanitätsbegriff zum Maßstab machen.

Flankiert wird der strukturierte und funktionalisierte Raum der Großstadt von einem zeitlich engmaschig geprägten Korsett, das seiner Bevölkerung einen Rhythmus verordnet und Zeit für sie gliedert und verzweckt: „Arbeitszeiten, Ladenschlußzeiten, Öffnungszeiten, Verkehrszeiten etc. Der Städter wird durch die Stadt gezwungen, zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten bestimmte Aktivitäten zu erledigen.“ (Siebel 1994, S. 18). Bereits in jungen Jahren werden Kinder und Jugendliche mit erwachsenen Raum-Zeit-Praxen konfrontiert, denen es sich anzupassen gilt. Der erwachsene Rhythmus gilt im Alltäglichen als Richtschnur. Dabei gelten Kita- und Schulplätze als eine der wichtigen politischen Forderungen in den städtischen Ballungszentren, um ein gelingendes Aufwachsen zu garantieren. Sie sollen gemeinsam mit anderen Akteur_innen vor Ort, bestenfalls in urbanen Bildungslandschaften, Bildungsgerechtigkeit ermöglichen. Funktionalisierte Räume und funktionalisierte Zeiten fallen zusammen. Orte wie 24-Stunden-Kitas oder Ganztagsschulen sollen dafür sorgen, dass sich junge Menschen möglichst optimal entwickeln können. Das Können erfährt dabei eine normative Erwartungshaltung, dass das Konjunktiv verdrängt und durch das Ziel ersetzt, aus jungen Menschen den/die aufgeklärte_n, zivilgesellschaftlich_en und engagierte_n Städter_in zu machen. Das gilt als das Erstrebenswerte, Optimale, das Optimum.

Zeit, Raum und Aufwachsen

Anders als der in den 1980er-Jahren noch vertretende Ansatz, das Aufwachsen junger Menschen würde sich konzentrisch und mit zunehmendem Alter ausdehnend vollziehen (Baacke 1984), ist heute von einer verinselten Kindheit (Zeiher 1983) die Rede. Junge Menschen gestalten ihre Lebenswelt in der Stadt nicht mehr nur zentriert vor der Haustür, nebenan oder im Quartier auf der Straße (Muchow, 1935 [2012], S. 96), sondern verteilt über die gesamte Stadt. Die Stadt und ihre verzweigten, pluralisierten und vernetzten Räume erweitern den Handlungsspielraum von jungen Menschen (Deinet 2022, S. 554 ff.), erzwingen ihn aber auch (Löw 2018, S. 5; Lefebvre, [1968] 2016, S. 84) und ordnen ihn an.

Die quartiersbezogene zentrierte (An)Ordnung von Orten wie Jugendzentren, Sportvereinen, die Musikschule, die Kirche oder die Wohnstätte ist einem vernetzten dezentrierten gesamtstädtischen Ensemble gewichen. Damit junge Menschen diese funktionalisierten Orte in ihrem Alltag erreichen, sind neue Zwischenräume und -zeiten entstanden, die zwangläufig gestalten werden müssen. Praktiken des Organisierens und (Ver)Regelns von Zeit(en) eines vermeintlich kapitalisierten und profitorientieren Alltags von Erwachsenen verlagert sich zunehmend, mitunter unauffällig, in das Aufwachsen junger Menschen, die ihre Lebenswelt in der Stadt nun schon in jungen Jahren managen und regeln müssen. „Soziologisch gesehen ist eine weitgehend privilegierte familiäre Situation die Basis einer solchen Zeitstrukturiertheit des Heranwachsens.“ (May 2013, S. 167).

Diese erlernte Zeit-Kompetenz wird für städtische junge Menschen bereits in ihrer Kindheit zeitlich erfahrbar. So weisen Räume, die allgemein als urban gelten, eine hohe Dichte an sozialer Infrastruktur auf. Vom Schwangerschaftsyoga, dem Pekip-Kurs, dem Chinesisch-Lernen ab fünf oder das Familienzentrum mit Sonntagscafé – die sogenannten Lern- und Bildungsorte in urbanisierten Quartieren sind vielfältig. Von früh an werden Kinder gebildet. Sie wachsen institutionalisiert, zeitstrukturiert und pädagogisiert auf. Später folgen der Besuch der Ganztagsschule mit strukturiertem Nachmittagsprogramm und das Bestreiten von Interessen und Hobbies im gesamten Stadtgebiet, in der Regel in pädagogisch betreuten Räumen. „In der Jugendzeit setzt sich eine zeitstrukturierte Kindheit zumeist als ‚institutionelle Integration‘ in eine unauffällige Interessenorganisation an solchen funktionalen und formalisierten […] sowie ethnisiert/ethnisierend und darüber vermittelt oder ganz eigen vergeschlechtlicht/vergeschlichenden Orten fort.“ (May 2019, S. 448) Das Quartier (in) der Kindheit und die Stadt (in) der Jugend wirken wie ein Hort unendlicher Möglichkeiten, die unter dem Label des Urbanen positiv besetzt sind, vornehmlich aber auf verwertungslogische Selbst- und Fremdoptimierung im Bildungsverlauf rekurrieren. Der schnelle Rhythmus determiniert das Aufwachsen junger Menschen in städtischen Räumen.

Dem vornehmlich zeitstrukturierten Aufwachsen ist die raumstrukturierte Kindheit- und Jugendphase (in) der Großstadt gegenübergestellt. Zinnecker (2001) bezeichnet sie als Straßenkindheit. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass junge Menschen in beengten Wohnverhältnissen mit fehlenden Rückzugsmöglichkeiten leben und in den öffentlichen Raum (aus)weichen. Junge Menschen greifen auf ihren unmittelbaren Nahraum zurück und eignen sich diesen in Form von jugendkulturellen Gemeinschaftspraktiken an. Sie begegnen und treffen sich dazu auf dem Spielplatz, im Park, am Basketballkorb oder auch an der Haltestelle, in Kinder- und Jugendzentren oder Innenhöfen als Orte sinnlicher Erlebnisqualitäten und kommunikativer Dimensionen (May 2013, S. 166). Anders als die soziale Infrastruktur in urban gelesenen Räumen gibt es vergleichsweise weniger (kommerzielle) frühkindliche Bildungsangebote. Häufig handelt es sich um Angebote, die durch die öffentliche Kinder- und Jugendhilfe (finanziell) oder andere sozialstaatliche Programme bereitgestellt werden, da es sich um sozial benachteiligt gelesene Quartiere mit besonderem Aufmerksamkeitsbedarf handelt. Anders als zeitstrukturierte junge Menschen es tun, wachsen sie weniger institutionalisiert auf und „erschließen sich […] noch weitgehend selbständig ihr Gebiet und finden damit – wie auch immer – mit eigenen Sinnen und Bestrebungen in ‚ihre‘ Welt.“ (May 2013, S. 166) Dazu erschließen sie sich den öffentlichen Raum gemeinsam und eigensinnig ohne Erwachsene, werden mit Blick auf die Verdichtung der Stadt aber mit zunehmend weniger öffentlich, frei zugänglichen bzw. funktionalisierten und an(ordnenden) Flächen konfrontiert, die sich mit anderen Kohorten teilen müssen, was zu Interessens- und Nutzungskonflikten führen kann.

Recht auf Stadt

Das Recht auf Stadt bedeutet die Anerkennung von Differenz als Anerkennung von verschiedenen Lebensweisen und -entwürfen, wo Zusammentreffen, Sich-Erkennen, Anerkennung und Auseinandersetzung möglich sind (Holm und Gebhardt 2011, S. 8). Mit Blick auf städtische Aneignungsmöglichkeiten und -qualitäten für junge Menschen heißt das, sie „als Seismograph:innen ihrer Zeit“ (Claus et al. 2023, i. E.) nicht allein als Begrenzte und Verdrängte zu begreifen, sondern anzuerkennen und ihnen zuzutrauen, dass sie der Verdichtung, Verknappung und Funktionalisierung von Raum eigensinnig begegnen und sich unter Rückgriff auf selbst erschaffene Zwischenzeiten und Zwischenräume der Regulierung und (Ver)Ordnung der normativen Mehrheitsgesellschaft lebensweltlich entziehen. Das jedoch bedeutet nicht, sich mit Blick auf das räumliche Wissen um junge Menschen in der Stadt oder das Ziel einer Stadt für alle durch alle, allgemein zu entlasten und junge Menschen sich (nur) selbst zu überlassen. Vielmehr braucht es eine Hinwendung zu dem, was junge Menschen in der Stadt wollen und nicht aus Sicht von Erwachsenen sollen oder brauchen.

Das Recht auf Stadt bedeutet daher eine kritische Reflexion der leistungsorientierten städtischen Lebens‑, Raum- und Zeitverhältnisse hin zu einem Mehr an Wissen darüber, was junge Menschen mit (urbanen) Räumen wollen und nicht wollen: „Unter welchen räumlichen Bedingungen wachsen Stadtkinder auf? Wie eignen sich Kinder und Jugendliche urbane Räume an und was bedeutet es für sie, in Städten zu leben? Wie gehen Städte mit Heranwachsenden um und welche Gestaltungsmöglichkeiten bieten sie ihnen?“ (Müller und Nicht 2014, S. 4) Dazu braucht es eine kritische Hinwendung, wie junge Menschen an der Gestaltung von Stadt beteiligt werden und das jenseits etablierter Beteiligungsverfahren, die vordergründig durch Erwachsene entwickelt werden. Das Recht auf die Stadt als „Recht auf Zentralität, also den Zugang zu den Orten des gesellschaftlichen Reichtums, der städtischen Infrastruktur und des Wissens“ (Holm und Gebhardt 2011, S. 8), kann nicht allein durch lebensweltliche Praxen errungen werden, sondern bedarf einer Inbezugnahme machtvoller Entscheidungsstrategien in den Bereichen Politik, Verwaltung, vor allem Wirtschaft, eben dort, wo junge Menschen bekanntermaßen keine aktiven Mitgestaltungsrechte haben. Hier braucht es Utopien und Handlungsträger_innen, die sich mit jungen Menschen in der Stadt solidarisieren und gemeinsam mit ihnen, um ihr Recht auf Stadt öffentlich und demokratisch ringen und sich dafür einsetzen.

Henri Lefebvres Werk von 1968, „Das Recht auf Stadt“, ist zeitlos und vor dem Hintergrund aktueller Herausforderungen und Entwicklungstendenzen von und in Städten aktueller denn je. Mit Blick auf junge Menschen geht es dabei jedoch nicht nur darum, mehr Kita- und Schulplätze (Friedrich-Ebert-Stiftung 2017, S. 29) zur Verfügung zu stellen, sondern ihnen Räume und Zeiten für eigensinnige jugendkulturelle Praktiken zu überlassen und diese gemeinsam mit ihnen zu entwickeln. „Das Recht auf die Stadt orientiert sich an den utopischen Versprechungen des Städtischen und reklamiert ein Recht auf die schöpferischen Überschüsse des Urbanen“ (Holm und Gebhardt 2011, S. 8). Wie möglichst alle – jungen – Menschen an einer inklusiven Stadt mit einem weiten und nicht engen (nicht dem Mainstream unterliegenden) Urbanitätsverständnis gerecht teilhaben können, die sich allein nicht auf Eigentum, Verwertung, Schnelligkeit und Funktionalität, sondern Offenheit, Solidarität, Umverteilung und einer Demokratie von unten stützt, ist dabei sicher eine der drängenderen Fragen unserer Zeit.