Die Proteste der „Letzten Generation“ sind mehr als radikaler und trotziger Vandalismus. Sie verweisen, ganz im Gegenteil, auf kollektives Handeln, was sich auch in anderen Gruppierungen junger Menschen zeigt. Gleichzeitig wird durch sie auch das bestehende Generationsverhältnis in Frage gestellt.

Seit Ende 2022 macht die jugendlich geprägte Gruppe für Klimagerechtigkeit „Letzte Generation“ mit Aktionen wie Demolierungen in Museen, dem Erstürmen von Startbahnen und dem Ankleben an Straßen auf sich aufmerksam. Nüchtern betrachtet erscheinen die Protestformen eher zahm: die mit Lebensmitteln beworfenen Bilder waren in der Regel von Schutzhüllen umgeben, vor Straßenblockaden wurde zumindest zu Beginn die Polizei informiert und eine Rettungsgasse offengelassen. Schaut man sich die ideelle Ausrichtung der Organisation an, so scheint das Hauptanliegen das Ernstnehmen der Klimavereinbarung von Paris 2015 zu sein. Ihr Ziel ist somit nicht etwa ein radikaler gesellschaftlicher Wandel, sondern eine Art „grüner Kapitalismus“ mit ökologischer Erwachsenenbildung und Tempolimit 100 (Dorten und Wadsak 2022).

Zahmer Protest, drakonische Strafen?

Umso mehr erstaunt die wenig ernsthaft erscheinende Auseinandersetzung seitens des Staates mit dieser Gruppierung. Stattdessen überbieten sich Politiker_innen fast aller Spektren in schriller Rhetorik (von Radikalisierung bis hin zu Terrorismus) und Überbietungsgesten in der Forderung drakonischer Strafen (Kumkar 2022). Der Grundtenor wirkt dabei eindeutig, nämlich dass diese Art des Protestes nur destruktiv sei und weder zum Klimaschutz noch zum dazugehörigen Diskurs beitrüge.

Dem möchten wir entgegenhalten, dass es sich hierbei nicht nur um sinnfreien Vandalismus handelt, sondern dass wir es hier mit Handeln zu tun haben. Dies möchten wir anhand eines Handlungsbegriffs erörtern, der dieses in seiner Sozialität ernst nimmt und dies auch kollektiv reflektierbar werden lässt (2). Daran anschließend möchten wir die so beschriebene gesellschaftliche Handlungsfähigkeit mithilfe eines Gruppeninterviews mit einer Schüler_innen-AG illustrieren und veranschaulichen, indem nach kollektiven Handlung(sfähigkeit)en gesucht wird (3). In einem letzten Schritt möchten wir unsere Gedanken zusammenfassen und verdeutlichen, wieso aus sozialpädagogischer Perspektive Handlungsfähigkeit aktuell besonders bedenkenswert erscheint (4).

Soziales und kollektives Handeln

Bei G.W.F. Hegel erhält Handeln eine prägnante Zusammenfassung: „Die Äußerung des Willens als subjektiven oder moralischen ist Handlung.“ (Hegel 1970, S. 211; kursiv im Original). Handeln ist dabei in gesellschaftliche Kontexte eingebunden. Es ist nichts, was der Mensch mit sich ausmacht oder innerlich verhandelt, es ist ein Nach-außen-ragen und Richten-an-andere. Handlungen spiegeln die Haltungen der Handelnden wider und bringen eine eigene Normativität mit sich. Hegels Auffassung zufolge verhält sich ein Handeln mit einer ihm inhärenten Normativität zur allgemeinen Normativität (Hegel 1970). Das heißt, dass jedes Handeln in Normen fußt, die ihm als Binnennormativität zugrunde liegen und das Subjekt gleichzeitig mit Normen zu Normen positioniert. Gemeint ist damit, dass Handeln eine Konfrontation der besonderen Normsetzung des Subjektes mit der allgemeinen Normsetzung darstellt. Hierdurch ergeben sich situativ Widersprüche und Konflikte, wenn diese nicht miteinander in Einklang stehen oder sich widerstreiten.

Bei ‚Kollektiven Handlungen‘ führt ein Anlass zu öffentlichen Artikulationen, in denen eine Verknüpfung mehrerer Akteur_innen mit einer Haltung zu einem bestimmten Thema stattfindet, sodass eine kollektiv getragene Artikulation normativ den gleichen Nenner hat (Süß 2015). Daraus ableitend stellen die Protestaktionen der „Letzten Generation“ ein kollektives, gesellschaftspolitisches Handeln dar. Für die Akteur_innen ergibt sich der subjektive Eindruck, die Bundesregierung mache angesichts der drohenden Klimakatastrophe zu wenig und verfehle dabei bereits festgelegte Ziele. Die eigene Normativität, die Dringlichkeit von Veränderungen zur Einhaltung von Klimazielen, steht also im Widerspruch zu jener Haltung der Bundesregierung und Teilen der Gesamtbevölkerung, die diesen Themen eine Nachrangigkeit einräumen, sei es aufgrund aktuell anderer Krisen oder einem generellen Desinteresse an Klimaschutz.

Mit Blick auf Generationsverhältnisse wird diese Diskrepanz besonders deutlich: So lässt sich bspw. anhand der Bundestagswahl 2021 zeigen, dass die Relevanz gesellschaftspolitischer Themen zwischen Generationen differieren, woraus auch unterschiedliches Wahlverhalten resultiert (Statista 2022). Dies spiegelt sich ebenfalls in der Bedeutung des Klimaschutzes als politisch wichtigstes Problem wider: Knapp die Hälfte der 16 bis 29-Jährigen (43 %) und „nur“ rund ein Viertel der über 29-Jährigen stimmen diesem zu (Friedrich-Ebert-Stiftung 2022). Damit einher geht auch die Wahrnehmung der Angemessenheit der Aktionen der „Letzten Generation“, welche von den 16 bis 29-Jährigen (51 %) gegenüber den über 29-Jährigen (28 %) mehr Zustimmung erfahren (NDR 2023).

Bedeutsam werden die differenten Sichtweisen vor allem in Bezug auf die Zukunft: Nach Arendt ([1958] 1994) kommt den Älteren bei der Gestaltung der Zukunft eine entscheidende Verantwortung zu. Sie verweist, „[u]nsere Hoffnung hängt immer an dem Neuen, das jede Generation bringt; aber gerade weil wir nur hierauf unsere Hoffnung setzen können, verderben wir alles, wenn wir versuchen, das Neue so in die Hand zu bekommen, daß wir, die Alten, bestimmen können, wie es aussehen wird“ (Arendt [1958] 1994). Daraus resultiert für die Älteren eine zweifache Verantwortung: einerseits für den Erhalt der bestehenden sowie anderseits für die zukünftige Welt – die für sie weniger relevant ist als für die Neuankömmlinge (Arendt [1958] 1994, S. 273). Daran anknüpfend kann mit Bezug auf die unterschiedlichen generationalen Sichtweisen rückgefragt werden, inwiefern die Älteren ihrer Verantwortung aktuell nachkommen.

So scheinen gegenwärtig vielmehr die Protestierenden als handelnd in die Öffentlichkeit zu treten und einen Diskurs sichtbar zu machen. Der Mangel an konkreteren Vorschlägen seitens der Protestierenden, insofern weniger Automobilität, Ausbau des öffentlichen Verkehrs und Tempo 100 der Vorschlagscharakter abgesprochen wird, entkräftet dabei weder deren Einsatz noch die Normativität ihres Handelns. Die Klimakatastrophe stellt nichts weniger als ein apokalyptisches Szenario für die Menschheit dar, welches wissenschaftlich betrachtet ohne Änderung eintreten wird und für dessen Umgang die Menschheit ganz neue Denkwege beschreiten müsse (Haraway 2018). Insofern stellen die Proteste, so eine provokante These, ein gesellschaftspolitisches Handeln dar, dessen Diffamierung seitens politischer Akteur_innen und Medien scheinbar eher von der eigenen Handlungslosigkeit ablenken soll.

Kollektives Handeln: Ein empirischer Einblick

Ein weiteres Protestfeld Jugendlicher und junger Erwachsener stellen LSBTTIQ*-Bewegungskontexte dar (BMFSFJ 2020). Hier zeigt sich: Die Auseinandersetzung mit einer als normalisierend und diskriminierend wahrgenommenen Heteronormativität bietet einen Anlass, die Strukturen und mögliche Alternativen seitens jener zu thematisieren (Pfützner 2016). In diesem Zusammenhang ist bedeutsam – ähnlich wie die von der Fridays-For-Future-Bewegung organisierten Public Climate Schools –, dass Aufklärungsarbeit und Bildungskontexte insbesondere von den jungen Menschen selbst organisiert und durchgeführt werden (BMFSFJ 2020). Demzufolge handeln jene, die sich u. a. in den schulischen Geschlechterstrukturen nicht aufgehoben fühlen und ihre Verbündeten hier kollektiv. Dies soll im Folgenden anhand einer Schüler_innen-AG konkretisiert werden, wobei im Zentrum die eigenen Ziele und Intentionen der Arbeit stehen, die damit verbundene Positionierung innerhalb der Schule sowie die wahrgenommene Anerkennung des eigenen Aktivismus ebenso wie Spannungen im Generationenverhältnis.

Die Schüler_innen-AG besteht seit dem Schuljahr 2021/22, setzt sich thematisch insbesondere mit dem Themenkomplex LGBTQ auseinander und versucht, ihn in der eigenen Schule sichtbar(er) zu machen. Entstanden ist die AG aus dem Wunsch heraus, dass „generell halt mehr über Diversität geredet wird“ (B2, Z. 20). Die Schule steht dabei stellvertretend für die Gesellschaft, das Generelle, was im Verlauf des Interviews weitere (gesellschafts-)kritische Äußerungen verdeutlichen (Z. 73–75; 297–299; 353–355). Das Reden über Diversität ist folglich der Ausgangspunkt der eigenen Initiative.

Wiederkehrend und damit hervorzuheben ist die genutzte Handlungsfähigkeit im Gesprächsverlauf: So verweisen die Schüler_innen der AG in der Verwendung der kollektiven Selbstthematisierung (Agency) Wir auch zugleich auf ein nicht-Wir, was außerhalb der AG zu verorten und damit vom Wir abzugrenzen ist. Mit dem Wir ist eine Intention, eine Veränderung in der Schule verbunden, die in der wiederkehrenden Aussage „wir wollen“ sichtbar wird (ex. Z. 19, 23, 42, 70 und 84).

Als Ziel ihrer Arbeit beschreiben sie einerseits „Aufklärung“, worin auch ein Expert_innenstatus verankert ist; sie können andere über etwas aufklären, was zugleich die Abgrenzung zu den „Leuten“ beinhaltet. Anderseits, und das wird untermauert („definitiv“), besteht das Ziel darin, mehr Akzeptanz und Diversität an der Schule hervorzubringen bzw. den Zustand zu erlangen. Als Legitimationsgrundlage ihrer Ziele wird auf eigene Umfragen verwiesen: Die AG nutzt demzufolge auch Mittel der Wissenschaft, um Defizite anderer, der Leute, ausfindig zu machen. Diese beziehen sich zum einen auf Diskriminierungspraktiken, zum anderen wird ein fehlendes Wissen hervorgehoben. Gleichzeitig lässt die Nutzung „wissenschaftlicher“ Werkzeuge eine „objektivere“ Argumentation zu, was die eigene Positionierung und Rolle stärkt bzw. stärken kann.

„B2: Aufklärung und definitiv mehr Akzeptanz und Diversität in der Schule. Ähm weil wir haben zum Beispiel auch Umfragen gemacht und so und da ist dann halt auch einfach- (.) fällt halt immer wieder auf, dass (.) genau halt einfach noch Diskriminierung, Homophobie oder (.) [B?: ja] Transphobie oder so halt einfach noch vorkommt oder die Leute einfach überhaupt nicht Bescheid wissen.“ (Z. 46–50)

Mit dieser Abgrenzung und Kennzeichnung als Wir ist auch die Positionierung innerhalb der Schule verbunden. Diese Position oder auch Rolle kann dabei als eine Art „Kontrollfunktion“ beschrieben werden, was sich in der folgenden Aussage widerspiegelt:

„B1: Genau, auch glaube ich generell das Bewusstsein, dass wir da sind [B3: ja] und dass wir was tun, das macht bei vielen schon was. Also allein (.) ähm, keine Ahnung, wenn wenn- also dass Lehrer-innen zum Beispiel viel mehr jetzt auch daran denken: Oh, wenn ich das jetzt machen würde, (2) wer- würde sich die AG bei mir melden, weil ich vielleicht dann doch diskriminiere?“ (Z. 204–208)

B1 verweist auf ein Bewusstsein der anderen darüber, dass sie („wir“) da sind, was durch eine Betonung des Ortes („da“) verstärkt wird. Dieses Bewusstsein, verbunden mit dem Wissen, dass die AG etwas tut, was hier nicht weiter ausgeführt wird, scheint schon wirkmächtig zu sein („das macht bei vielen schon was“). Die Rolle der Kontrollfunktion wird sich auch in Bezug auf die Lehrer_innen zugeschrieben, die ihr Handeln gegenüber der AG legitimieren müssen bzw. sich seitdem die AG besteht „viel mehr“ hinterfragen (müssen), ob sich jemand aufgrund von eigenen diskriminierenden Praktiken an die AG wenden wird. Auf diese Weise verorten sie sich selbst auch als eine Art Normen gebende Institution.

Anknüpfend an den aufgeführten Expert_innenstatus stellt die AG zudem Forderungen an die anderen. Dies zeigt sich exemplarisch an dem geäußerten Willen, dass die Lehrkräfte eine schulinterne Fortfortbildung zum Thema Diversität machen sollen. Die sprechende Person verweist an dieser Stelle auf eine fehlende Qualifikation seitens der Lehrkräfte. Diese werden folglich als Lernende adressiert, das Schüler_innen-Lehrer_innen-Verhältnis kehrt sich um.

„B2: […] Und dass wir ne ähm SchiLf, also sch- schulinterne Lehrerfortbildung, zum Thema Diversität haben wollen für (.) halt alle Lehrer-innen. Und genau, das wird dann halt hoffentlich im nächsten Jahr dann umgesetzt.“ (Z. 230–233)

Trotz der Wahrnehmung der Wirksamkeit ihrer Arbeit, werden auch Konflikte und Ablehnung durch die anderen sichtbar. Die Frage nach der Wahrnehmung der Anerkennung ihrer Arbeit in der Schule wird durch B4 mit einer subjektiven Einschätzung („ich denke“) begonnen. An dieser Stelle bahnt sich Handeln nach Hegel im Material an: Die angedeutete Haltung signalisiert eine Distanz zum Gegebenen, welche die anderen darstellen wie auch zur Institution. Im Folgenden wird deutlich, dass viele, was sowohl die Mehr- als auch Minderheit einschließen kann, positive Emotionen mit ihnen verbinden („freuen“), da sie zur Veränderung beitragen. Gleichzeitig sind viele – die anderen, die nicht zu den Erstgenannten zugehörig sind –, aber auch zunächst skeptisch. Begründet wird dies mit den Erkenntnissen aus der eigenen Umfrage, die auf Diskriminierung in der Schule verweisen. Mit dieser Gruppe umzugehen, scheint für die AG eine Herausforderung zu sein, was der Schluss dieses Erzählabschnitts verdeutlicht.

„B4: ‚Unterschiedlich.‘ (2) Also (1) ich denke, (1) viele freuen sich auch dadrüber, dass jetzt mal was verändert wird. (1) Aber viele sind eben auch am Anfang (.) noch skeptisch, weil (.) wie B2 eben gesagt hat, (.) äh was man auch in den Umfragen gesehen hat, dass es eben (1) keine Schule ohne Diskriminierung hier ist. […] Ähm (.) und (.) naja, bei solchen Vorschlägen müssen wir halt auch (.) so (1) quasi (.) überlegen, ob die jetzt tatsächlich aus gutem (.) Willen (.) irgendwie (.) an uns getragen wurden (.) oder eher aus Trotz quasi so? [B1: Mhm] Ähm (.) deswegen weiß ich nicht, ob (.) das die Leute (.) unbedingt verstehen, was wir immer machen. (1) Aber so langsam (1) kommt da glaub ich so ’n bisschen Ruhe rein.“ (Z. 126–142)

Die am Ende benannte Ruhe scheint jedoch brüchig zu sein: Die Ablehnung der anderen zeigt sich im Diebstahl der „progressiven Pride-Flagge“ von ihrem bunten Brett, der am Tag des Interviews entdeckt wurde und keinen Einzelfall darstellt, wie B2 verdeutlicht. Das bunte Brett dient der AG als Präsentation ihrer Arbeit und Existenz an der Schule, als eine Art Dauerausstellung mit Museumscharakter; es wird etwas ausgestellt, was ansonsten ggf. nicht für alle zugänglich wäre.

„B2: Also (.) am präsentesten, würd ich sagen, ist das bunte Brett [I: mhm]. Mh genau, da haben wir halt (1) bis jetzt (1) so ne Dauerausstellung so, was einfach LGBTQ heißt und da hängt (.) normalerweise ne ähm (.) progressive Pride-Flagge, die jetzt scheinbar, wie wir heute bemerkt haben, irgendwer abgerissen hat, (.) ähm was schon zwei-, dreimal vorgekommen ist jetzt [I: mhm].“ (Z. 186–190)

Abschließend soll der Blick noch auf das sich andeutende Generationsverhältnis gelegt werden: So wird neben der Bedeutung der eigenen Arbeit und der Anerkennung auch eine Differenz in Bezug zum Alter thematisiert: B1 verweist auf ihren Glauben, dass Menschen in ihrem Alter, ihre Generation, die Themen Diversität und Queer immer mehr annehmen und als wichtig ansehen. Diese Akzeptanz wird folglich immer stärker. Davon abgrenzend („aber“) wird die Großelterngeneration als weniger akzeptierend hervorgehoben. An dieser Stelle wird auf etwas Bestehendes bzw. Wiederkehrendes („wieder“), jenseits der eigenen Generation liegendes, verwiesen. Diese fehlende Akzeptanz gipfelt in einem vermeintlich fehlenden Bestehen dieses Zustandes in der Vergangenheit („Ach, (.) sowa-, sowas hätts früher nicht gegeben“).

„B1: […] Und und das so in unserem Alter ist das glaube ich- in unserer Generation (1) wird es irgendwie immer mehr so angenommen oder halt auch gesehen, dass es wichtig ist. Aber sobald man das dann, keine Ahnung, der Oma am Abendbrottisch erzählt, ist es dann halt wieder: ‚Ach, (.) sowa-, sowas hätts früher nicht gegeben‘ so. Es kommt halt darauf an dann, mit wem man auch drüber redet.“ (Z. 310–314)

Dies lässt sich auch als Hinweis interpretieren, dass der Kontext der Subjektivität des eigenen Handelns seitens der Schüler_innen mitreflektiert wird. Für die Konflikthaftigkeit der eigenen Normsetzungen scheint ein Bewusstsein zu bestehen, dass sich an den Normsetzungen anderer Äußerungen abarbeitet.

Rückbindend an die Aktionen der „Letzten Generation“ zeigt sich im vorliegenden Material, das jugendliche Akteur_innen Bündnisse eingehen, um ihre Wahrnehmungen von Ungerechtigkeit(en) zu reflektieren und versuchen, gestaltend in das öffentliche Zusammenleben einzugreifen. Beide Gruppen stören sich an der fehlenden Ernsthaftigkeit mit der Umsetzung von Normen, hier der Klimaschutz, dort der Einsatz für Diversität, und nehmen dies kollektiv handelnd in die eigenen Hände.

Jugend und gesellschaftspolitische Handlungsfähigkeit: Ein Ausblick

Für die sozialpädagogische Praxis ist die Auseinandersetzung mit (jugendlichem) kollektivem Handeln bedeutsam, stellt doch die Ermöglichung der Handlungsfähigkeit auf Seiten der Adressat_innen einen zentralen Zufluchtspunkt dar, der sich ethisch mehrfach legitimieren lässt:

  1. a)

    Mit der Betonung einer Äußerung des Willens nimmt Handlungsfähigkeit die Integrität der Subjekte in ihrer Verletzlichkeit ernst ebenso wie Gewährung der entsprechenden Subjektivität.

  2. b)

    Die Gestaltung gesellschaftlicher Teilhabe muss je nach Kontext erarbeitet werden, da nur eine Sensibilität für die Rahmenbedingungen der Äußerungen diesen gerecht werden kann.

  3. c)

    Einer/einem Adressat_in das Handeln zu ermöglichen, bedeutet des Weiteren ihr/ihm die Auseinandersetzung und Reflexion mit gesellschaftlichen Normen zu ermöglichen und diese entsprechend zu hinterfragen.

Die Konflikthaftigkeit der Protestformen der „Letzten Generation“ und der Schüler_innengruppe verdeutlicht nun aber die Tücke aus der Perspektive der Pädagog_innen, die eine solche Praxis hervorbringen kann: Die Praktiken dienen hier nicht nur der Weitergabe von Normen, sondern sie stehen zur Disposition und sind Ausgangspunkt steter Verhandlungen mit den Adressat_innen und der fortdauernden Reflexion gesellschaftlicher Verhältnisse (Retkowski et al. 2012). Die Haltungen und Ansichten der Jugendlichen müssen dabei nicht mit denen der Sozialpädagog_innen übereinstimmen. Allerdings scheint uns die Beschäftigung mit Handlungsfähigkeit in der Arbeit mit Menschen umso zentraler, als dass sie im Spannungsfeld von der Auseinandersetzung mit dem politisch und sozial Gegebenen ansetzt und dabei einen Zusammenhang zur Subjektivität und Integrität der Adressat_in herstellt (Retkowski und Thole 2012). Das Schaffen von Verhältnissen, die Handeln ermöglichen, stellen Normen zum Gegenstand der Aushandlung. Diese Erkenntnis mag weder neu noch sonderlich innovativ sein (Mollenhauer 1973; Thole 1991), die erörterten Generationenverhältnisse machen für uns ein Erinnern und Weiterdenken allerdings nicht weniger relevant.