Verselbstständigung bildet eine der drei Kernherausforderungen des Jugendalters und meint insbesondere zunehmende Verantwortungsübernahme in verschiedenen Lebensbereichen. Empirische Ergebnisse des DJI-Surveys AID:A aus den Jahren 2019 und 2021 zeigen, wann junge Menschen Schritte auf dem Weg ins Erwachsensein vollziehen und wie die Pandemie diese verändert hat.

Was macht das Jugendlichsein heutzutage aus? Wann gelten junge Menschen eigentlich als erwachsen und wie hat sich das Aufwachsen in den letzten Jahrzehnten verändert? Werden junge Menschen heutzutage später erwachsen als frühere Generationen? Das sind Fragen, denen sich die Jugendforschung widmet. Unbenommen gilt die Jugend heutzutage nicht mehr als reine Transitionsphase zwischen Kindheit und Erwachsenenalter. Vielmehr ist sie eine eigenständige Lebensphase, die geprägt ist durch spezifische Erfahrungen und Praktiken. Junge Menschen sind zunehmend ohne Eltern aktiv, verlagern ihren Lebensmittelpunkt zunehmend außerhalb des elterlichen Haushaltes und entwickeln eigene politisch-gesellschaftliche Werthaltungen.

Verselbstständigung – Eine konzeptionelle Hinführung

An junge Menschen werden gesellschaftliche Erwartungen gestellt, die sie im Prozess des Erwachsenwerdens erfüllen und mitgestalten (sollen), d. h. Jugendliche bewältigen in dieser Lebensphase spezifische Kernherausforderungen. Neben Qualifizierung, also dem Erwerb eigener Kompetenzen für die Gestaltung der Zukunft und der Gesellschaft sowie (Selbst‑)Positionierung, also der Balancierung zwischen subjektiver Freiheit und sozialen Zugehörigkeiten, bildet gemäß der 15. Kinder- und Jugendberichtskommission Verselbstständigung eine der drei Kernherausforderungen im Jugendalter (Deutscher Bundestag 2017, S. 49). Die Kommission plädierte damit für ein breiteres Verständnis von Jugend, wonach die Jugendphase deutlich mehr Lebensbereiche umfasst als nur Qualifizierungsschritte zu gehen und Bildungszertifikate zu erwerben. Jugendliche sind nicht nur Schülerinnen und Schüler – sie stehen in den unterschiedlichen Lebensbereichen vor spezifischen Anforderungen und Erwartungen.

Doch was ist unter dem sperrigen Begriff von „Verselbstständigung“ eigentlich zu verstehen? Verselbstständigung meint Prozesse der zunehmenden Verantwortungsübernahme im Hinblick auf den persönlichen Lebensentwurf und das damit verknüpfte Hineinwachsen in soziale, ökonomische und öffentliche Verantwortung. Der 15. Kinder- und Jugendbericht widmet sich insbesondere dem Wohnen junger Menschen, der ökonomischen Verselbstständigung und der Familiengründung (Deutscher Bundestag 2017, S. 43). Eine weiter gefasste Ausbuchstabierung von Verselbstständigungsprozessen unternehmen Berngruber und Gaupp (2022b) in ihrem Herausgeberband „Erwachsenwerden heute“. Sie integrieren neben der jugendpolitischen Definition des 15. Kinder- und Jugendberichts auch weitere theoretische Konzepte wie z. B. die Lebensverlaufsperspektive, die das Erwachsenwerden anhand des Zeitpunkts von Lebensereignissen festmacht, sowie entwicklungspsychologische Perspektiven, die den Ablösungsprozess von den Eltern und die Entwicklungsaufgaben in den Blick nehmen (Berngruber und Gaupp 2022a, S. 17ff). Verselbstständigung kann demnach auf drei Ebenen differenziert werden (Berngruber und Gaupp 2022a, S. 23):

  • Faktische Lebensereignisse, die Veränderungen in der Lebenssituation und damit auch Statusveränderungen bewirken (bspw. der Auszug aus dem Elternhaus), zählen zur objektiven Dimension;

  • die Beschreibung von Alltagspraktiken und sich verändernde Handlungsspielräume in der Lebensführung junger Menschen wie zunehmende Aktivitäten ohne Eltern und die Erweiterung von Mobilitätsräumen bilden die zweite Dimension.

  • Subjektive Aspekte hinsichtlich Einstellungen, Werten, wie beispielsweise die Etablierung von politisch-gesellschaften Werthaltungen oder auch ein Selbstverständnis erwachsen zu sein, beschreiben die dritte Dimension.

Entlang der genannten Ebenen lässt sich Verselbstständigung in sechs Aspekte differenzieren (Berngruber und Gaupp 2022a, S. 23f.):

  • Soziale Verselbstständigung meint, dass junge Menschen sich zunehmend von ihren Eltern lösen, sich Freundschaften und Peerbeziehungen zuwenden, sich verlieben und erste romantische Beziehungen eingehen, erste sexuelle Erfahrungen machen bis hin zur eigenen Elternschaft.

  • Schritte in Richtung räumlicher Verselbstständigung zu vollziehen bedeutet, dass junge Menschen zunehmend ihre Mobilitätsräume erweitern. Zu nennen sind hier beispielsweise, dass Jugendliche aus dem Elternhaus ausziehen, in eigenständigen Wohnformen leben und sie durch eine eigenständige Lebensweise für sich selbst und andere Verantwortung übernehmen, sie für eine gewisse Zeit ins Ausland gehen oder einen Führerschein erwerben.

  • Ökonomische Verselbstständigung meint, dass junge Menschen zunehmend eigenständig Konsumentscheidungen treffen, sie bspw. durch Nebenjobs und bezahlte Arbeit eigenen Verdienst haben und finanziell eigenverantwortlich agieren.

  • Als bildungsbezogene Aspekte von Verselbstständigung werden verschiedene Übergänge wie der Abschluss der Schule, der Übertritt in Ausbildung oder Studium bis hin zum Eintritt in Erwerbstätigkeit verstanden. Gleichzeitig ist damit aber auch die Beteiligung an informellen und non-formalen außerschulischen Lernprozessen gemeint.

  • Politisch-gesellschaftliche Aspekte von Verselbstständigung meint u. a. die Beteiligung an Wahlen, an Demonstrationen oder Petitionen, aber auch ein bürgerschaftliches Engagement in Vereinen, Verbänden, in der Jugendarbeit oder auch in Freiwilligendiensten.

  • Mediale bzw. kulturelle Aspekte von Verselbstständigung kennzeichnen sich durch die Entwicklung eines eigenen Lebensstils, dem Nachgehen und Ausprobieren von Freizeitaktivitäten, jugendkulturelle Alltagspraktiken oder auch der Nutzung digitaler Medien aus.

In diesem Beitrag konzentrieren wir uns auf die objektive Dimension von Verselbstständigung. Wir fragen danach, wann spezifische Ereignisse im Leben junger Menschen zum ersten Mal in sozialen, räumlichen, bildungsbezogenen und ökonomischen Aspekten von Verselbstständigung stattfinden. Mit dieser Engführung auf „erste Ereignisse“ zeigen wir auf, wie Lebensverläufe junger Menschen unterschiedlich von spezifischen Erfahrungen – und damit von der Bewältigung von Kernherausforderungen – strukturiert sind. Daran anschließend nehmen wir in den Blick, welche Rolle die Coronapandemie für verschiedene Verselbstständigungsaspekte gespielt hat, bevor wir den Beitrag mit einem Fazit beschließen.

Grundlage für unsere empirische Beschreibung bilden die Daten der AID:A-Studie „Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten“ (Kuger et al. 2021). Die Studie untersucht die Lebenslagen, Alltagspraxen und Einstellungen von Kindern, Jugendlichen, jungen Erwachsenen und Familien. Wir nutzen zwei Wellen der AID:A-Studie aus den Jahren 2019 und 2021. AID:A 2019 basiert auf einer Zufallsstichprobe, die aus den Daten der Einwohnermeldeämter in 262 Gemeinden gezogen wurde, wobei in den Haushalten neben den gezogenen Personen auch Haushaltsmitglieder im Alter bis 32 Jahren und Eltern von Minderjährigen einbezogen wurden. Fast alle Interviews wurden 2019 als computerunterstütztes persönliches Interview (CAPI) geführt, nur ein geringer Teil von drei Prozent hat an der Befragung telefonisch (CATI) teilgenommen (Kuger et al. 2021).

AID:A 2021 basiert auf der für die AID:A 2019 gezogene Stichprobe von Zielpersonen im Alter von 0 bis 32 Jahren. Für diese Erhebung wurden alle selbst zu befragenden, panelbereiten Zielpersonen sowie Eltern der AID:A Hauptstudie 2019 wieder zur Befragung eingeladen. Entsprechend wurden Personen im Alter zwischen elf und 35 Jahren sowie Eltern von Kindern und Jugendlichen im Alter von zwei bis 19 Jahren einbezogen. Die AID:A 2021 Erhebung fand im Herbst 2021 als Online-Befragung (CAWI) statt.

Zur empirischen Untersuchung der genannten Forschungsfragen liegen mit AID:A 2019 Angaben von 3.878 Befragten im Alter zwischen 18 und 32 Jahren vor, die Auskunft zu retrospektiv erfassten Lebensereignissen gegeben haben. Aus AID:A 2021 kann auf Angaben von 1.025 Befragten im Alter zwischen 18 und 26 Jahren zurückgegriffen werden, die Auskunft dazu gegeben haben, welche typischen Erfahrungen und Ereignisse wegen Corona verschoben, abgebrochen oder rückgängig gemacht werden mussten.

Wann finden zentrale Ereignisse der Verselbstständigung im Jugend- und jungen Erwachsenenalter zum ersten Mal statt?

Im Jugend- und jungen Erwachsenenalter finden wichtige Lebensereignisse zum ersten Mal statt. Anhand von diesen biografischen Ereignissen lässt sich die Verselbstständigung und damit der Prozess des Erwachsenwerdens beschreiben, da die Ereignisse Veränderungen in der Lebenssituation, der Lebensführung und auch in der Verantwortungsübernahme mit sich bringen. Mit den Lebensereignissen gehen also zentrale Statusveränderungen einher, die selbst bei Rückgängigmachung nicht mehr zur selben Ausgangsposition zurückführen. Solche Verselbstständigungsschritte, die in dieser Lebensphase zum ersten Mal vollzogen werden, werden auch nach Jahren noch gut erinnert, da sie oftmals emotional bedeutsam sind und von jungen Menschen selbst auch als bedeutsam erlebt werden.

Im Folgenden bilden wir anhand der Informationen aus AID:A 2019 ab, wann junge Menschen erstmalig räumliche, ökonomische, bildungsbezogene und soziale Aspekte von Verselbstständigung erleben. 18- bis 32-Jährige (n = 3.878) wurden in AID:A 2019 retrospektiv gefragt, ob sie schon einmal bestimmte Erfahrungen, wie den Auszug aus dem Elternhaus, zum ersten Mal gemacht haben und falls dies der Fall war, in welchem Alter dies war. Da der Lebensverlauf junger Menschen stark von den institutionellen und insbesondere bildungsbezogenen Rahmenbedingungen abhängig ist, ist es notwendig, die verschiedenen Verselbstständigungsschritte auch in Abhängigkeit von der formalen Bildung zu differenzieren. Entsprechend differenziert Abb. 1 das mittlere Alter beim Durchlaufen sozialer, räumlicher, ökonomischer und bildungsbezogener Verselbstständigungsschritte nach dem angestrebten bzw. erreichten Schulabschluss.

Abb. 1
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Medianalter (Kaplan-Meier-Schätzungen) beim Durchlaufen erster Verselbstständigungsschritte (in Jahren) nach dem angestrebten bzw. erreichten Schulabschluss. Quelle: DJI-Survey AID:A 2019, Zielpersonen: 18- bis 32-Jährige, n = 3.878, gewichtete Daten, eigene Berechnungen. Zur Anwendung dieser Methode vgl. H‑P. Blossfeld et al. 2007, S. 72 ff.: Abgebildet ist jeweils das Medianalter, d. h. zu welchem Zeitpunkt die Hälfte der befragten jungen Menschen bestimmte Verselbstständigungserfahrungen bereits durchlaufen haben und die andere Hälfte noch nicht. Die verwendeten Kaplan-Meier-Schätzungen erlauben es damit auch sogenannte rechtszensierte Fälle zu berücksichtigen, die die jeweiligen Erfahrungen bis zum Befragungszeitpunkt noch nicht gemacht haben. Mit dem Verfahren werden weder diejenigen, die diese Erfahrung bereits gemacht haben, überschätzt, noch diejenigen, die sie noch nicht gemacht haben, unterschätzt

Mit Blick auf bildungsbezogene Aspekte von Verselbstständigung zeigt Abb. 1, dass junge Menschen mit einer höheren formalen Bildung die Schule in einem höheren Lebensalter abschließen als diejenigen mit einer niedrigeren formalen Bildung. Während diejenigen mit maximal mittlerer Reife die Schule im Schnitt mit 17 Jahren beenden, haben diejenigen mit Fachhochschulreife im Schnitt 18 Jahre angegeben. Diejenigen mit Abitur schließen die Schule im Mittel mit 19 Jahren ab. Während sich damit scheinbar andeutet, dass ein längerer Verbleib im Bildungssystem auch dazu führt, dass weitere Schritte in Richtung Erwachsensein im Lebensverlauf zeitlich nach hinten verschoben werden und insbesondere diejenigen mit Abitur sich den Kernherausforderungen später stellen, so kommt dies auf die betrachteten Verselbstständigungsereignisse an. So zeigt sich, dass Übergänge in Ausbildung oder Studium vom jeweiligen Schulabschluss abhängig sind. Während diejenigen mit mindestens mittlerer Reife zeitlich eng an den Schulabschluss – mit im Mittel 17 Jahren – in Ausbildung bzw. Studium starten, ist der Übergang bei jungen Menschen mit maximal Hauptschulabschluss häufig im weiteren Verlauf durch Zwischenphasen wie berufsvorbereitende Maßnahmen geprägt, insofern diese mit 17 Jahren von der Schule abgehen und mit 19 Jahren in Ausbildung eintreten.

Hinsichtlich der ökonomischen Verselbstständigung zeigt sich mit Blick auf den Eintritt ins Erwerbsleben, dass junge Menschen mit max. Hauptschulabschluss mit rund 21 Jahren, mit mittlerer Reife mit 20 Jahren, mit Fachhochschulreife im Mittel mit 22 und mit Abitur im Mittel mit 24 Jahren die erste Erwerbstätigkeit bzw. Job aufnehmen. D. h. mit höherer formaler Bildung erfolgt der Eintritt ins Berufsleben in einem späteren Lebensalter. Verdienst durch eigene Arbeit und dadurch eher ökonomische Unabhängigkeit von den Eltern haben junge Menschen mit höherer formaler Bildung damit deutlich später. Studien belegen auch im langfristigen Trend, dass sich die ökonomische Verselbstständigung junger Menschen über mehrere Kohorten hinweg zunehmend in ein späteres Lebensalter verlagert hat (z. B. Konietzka 2010, S. 154). Junge Menschen bleiben heutzutage von ihren Eltern länger finanziell abhängig als dies in früheren Generationen der Fall war.

Als räumliche Verselbstständigung wird hier der erste Auszug aus dem Elternhaus betrachtet. Abiturient_innen ziehen im Schnitt mit 21 Jahren aus, wohingegen diejenigen mit niedrigerer formaler Bildung mit 22 Jahren das erste Mal das Elternhaus verlassen. Die wenigsten verlassen den elterlichen Haushalt vor dem 18. Geburtstag. Wie Konietzka und Tatjes (2018) anhand einer Metanalyse zeigen konnten, ist über mehrere Geburtskohorten hinweg – entgegen weit verbreiteter Annahmen – kein kontinuierlicher Trend zu einem späterem Auszugsalter erkennbar.

Auffällig ist, dass in den Gruppen mit niedrigerer formaler Bildung die ökonomische Verselbstständigung dem selbstständigen Wohnen außerhalb des Elternhauses zeitlich vorgelagert ist. Anders verhält es sich bei jungen Erwachsenen mit Abitur, bei denen das Verlassen des Elternhauses zeitlich nahe am (in den meisten Fällen) Beginn des Studiums liegt. Da Studierende in der Regel noch finanziell abhängig von ihren Eltern sind, und bildungsbezogene Übergänge in Deutschland stark von der sozialen Herkunft abhängen, zeigt sich hier, dass das eigenständige Wohnen von der finanziellen Unterstützung der Eltern abhängt, unabhängig von eigener finanzieller Selbstständigkeit.

Was die soziale Verselbstständigung betrifft, zeigt sich, dass mögliche Unterschiede zwischen den einzelnen Bildungsgruppen nicht sehr bedeutsam sind. Die erste feste Partnerschaft findet in allen Bildungsgruppen im Schnitt mit 18 Jahren statt. Während eine feste Partnerschaft, die mindestens ein Jahr gedauert hat, bei denjenigen mit mindestens mittlerer Reife bei 19 Jahren lag, haben junge Menschen mit maximal Hauptschulabschluss 20 Jahre und damit etwas später angegeben. Das erste Mal mit einer Partnerin bzw. einem Partner gemeinsam in eine eigene Wohnung zu ziehen, findet über alle Bildungsgruppen mit einem deutlichen Abstand zu den anderen Verselbstständigungsschritten mit durchschnittlich 25 bzw. 26 Jahren und damit in beinahe gleichem Alter statt. Im Langzeitvergleich über die vergangenen Jahrzehnte haben sich sowohl das Heiratsalter als auch die Geburt des ersten Kindes zunehmend verzögert (Statistisches Bundesamt 2019). Schritte hin zur Gründung einer eigenen Familie, die diesen zeitlich vorgelagert sind, finden damit vielmehr im jüngeren Erwachsenenalter denn im Jugendalter statt.

Betrachten wir neben den bildungsbezogenen Rahmenbedingungen auch die soziale Lage der jungen Menschen, so wird mit Blick auf das Geschlecht deutlich, dass soziale und räumliche Verselbstständigungsschritte bei jungen Frauen im Schnitt früher im Lebensverlauf erfolgen als bei jungen Männern. Junge Frauen ziehen mit 24 Jahren deutlich früher mit einem Partner oder einer Partnerin zusammen als junge Männer (im Schnitt mit 27 Jahren). Bildungsbezogene Übergänge wie Schulabschluss und Ausbildung und Studium, die sehr von Zeitpunkten des Eintritts/Austritts aus Bildungsinstitutionen abhängig sind, sind geschlechtsunabhängig. Die erste Erwerbstätigkeit ist bei Männern mit 21 Jahren im Schnitt ein Jahr früher als bei Frauen (22 Jahre).

Zusammenfassend wird deutlich, dass die Erstereignisse sozialer, räumlicher, ökonomischer und bildungsbezogener Verselbstständigung mehrheitlich im jungen Erwachsenenalter zwischen Volljährigkeit mit 18 Jahren und Mitte zwanzig stattfinden. Verselbstständigung erscheint hinsichtlich der Betrachtung dieser Erstereignisse in einem kurzen Zeitraum und meistens eng aufeinander folgend – und damit zeitlich verdichtet – stattzufinden. Hervorzuheben bleibt aber, dass Verselbstständigung als Prozess zu sehen ist, der mit einem erfolgten Ereignis nicht abgeschlossen ist und für die unterschiedlichen Aspekte von Verselbstständigung Prozesse auch reversibel sind, d. h. mehrfach – wenn auch in unterschiedlicher Weise – durchlaufen werden können.

Herausforderungen für die Verselbstständigung junger Menschen durch die Pandemie

Die Coronapandemie hat viele Lebensbereiche junger Menschen beeinflusst. Kontakthalten zu Personen außerhalb des eigenen Haushalts war über persönliche Interaktionen begrenzt möglich. Soziale Kontakte wie das Treffen im Freundeskreis waren zeitweise deutlich eingeschränkt und Jugendliche nutzten verstärkt digitale Medien für den Austausch mit Freundinnen und Freunden (Herz und Tran 2022). Zumindest zeitweise fielen für junge Menschen somit während der Pandemie wichtige Räume für Interaktionen weg. So sind Schulen, Ausbildungsorte, Hochschulen und Arbeitsplätze für junge Menschen normalerweise nicht nur reine Lern- und Arbeitsorte, sondern auch Lebensorte, wo sie auch Zeiten zur selbstbestimmten und individuellen Gestaltung und Mitbestimmung zur Verfügung haben, wo sie Freundinnen und Freunde treffen, sich mit anderen austauschen und ihren Alltag gemeinsam mit anderen gestalten, sich in AGs oder Musik- und Theatergruppen ausprobieren und engagieren können, kreativ sein können (für einen Überblick vgl. z. B. Lange 2022). Durch die Kontaktbeschränkungen konnten – zumindest zeitweise – viele für das Jugendalter typische Alltagspraxen und damit auch Verselbstständigungsprozesse nicht in gewohnter Form gelebt werden.

Um beschreiben zu können, wie umfangreich sich Verselbstständigungsprozesse durch die Coronapandemie veränderten, wurden junge Menschen in AID:A 2021 gefragt, ob sie für das Jugend- und junge Erwachsenenalter typische Erfahrungen und Ereignisse wegen Corona verschoben, abgebrochen oder rückgängig gemacht haben (vgl. Abb. 2). Da zentrale Lebensereignisse – wie Abb. 1 verdeutlicht hat – im Schnitt mehrheitlich zum ersten Mal zwischen dem Erreichen der Volljährigkeit und 26 Jahren durchlaufen werden, wird die Altersgruppe für die folgende Analyse auf die 18- bis 26-Jährigen eingegrenzt.

Abb. 2
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Ausgefallene, verschobene oder rückgängig gemachte Erfahrungen wegen Corona für die Altersgruppe der 18- bis 26-Jährigen (Anteile „Ja, wegen Corona“, in %). Quelle: AID:A 2021, Altersgruppe: 18- bis 26-Jährige, n = 563–1.025, Daten gewichtet, eigene Berechnungen

Inwiefern hat Corona die Verselbstständigung junger Menschen in dieser Altersgruppe beeinflusst? Mit Blick auf bildungsbezogene Aspekte von Verselbstständigung ist festzustellen, dass 36 % der Befragten 18- bis 26-Jährigen angaben, dass ein Praktikum, ein Engagement in einem Freiwilligendienst oder ein Auslandsaufenthalt wegen Corona nicht wie geplant begonnen oder verschoben werden mussten. Etwa einer von zehn jungen Menschen (12 %) hat sein oder ihr Studium oder Ausbildung nicht wie geplant begonnen oder musste es abbrechen.

Dass auch ökonomische Verselbstständigung bei einem Teil der jungen Menschen während der Coronapandemie verändert stattgefunden hat, zeigt sich daran, dass elf Prozent der jungen Menschen angegeben haben, ihren Nebenjob durch Corona verloren zu haben. Studierende geben dies im Vergleich zu Auszubildenden deutlich häufiger an (17 % zu 6 %). Insbesondere diejenigen Studierenden, die ihren Lebensunterhalt über Nebenjobs bestreiten, wurden von den finanziellen Einbußen am stärksten getroffen. Auch haben junge Frauen häufiger ihren Nebenjob verloren als junge Männer (15 % zu 7 %). Nur ein geringer Anteil von drei Prozent der 18- bis 26-Jährigen hat wegen Corona die Arbeit verloren.

Mehrheitlich ausgefallen sind aufgrund der Coronapandemie Ereignisse von räumlicher Verselbstständigung, wie beispielsweise längere Urlaube und Reisen. 71 % der 18- bis 26-Jährigen haben aufgrund von Corona einen längeren Urlaub oder eine große Reise nicht gemacht. Die Coronapandemie hat zudem für manche jungen Menschen einen Anlass dargestellt, den Auszug von zu Hause zeitlich hinauszuschieben oder temporär sogar wieder ins Elternhaus zurückzuziehen. Insgesamt elf Prozent der jungen Menschen haben angegeben, wegen Corona nicht ausgezogen zu sein. Junge Männer sind signifikant häufiger als junge Frauen wegen Corona nicht ausgezogen (14 % zu 8 %), wobei der Geschlechterunterschied auch vor Corona zu beobachten war. Weitere neun Prozent geben an, dass sie wegen Corona zu ihren Eltern zurückgekehrt sind. Studierende sind häufiger wegen Corona zurückgezogen als Auszubildende (15 % zu 3 %), wobei dies auch außerhalb von Pandemiezeiten häufiger der Fall ist (Berngruber 2021). Dadurch hat die Coronapandemie für einige junge Menschen eine (Wieder‑)Hineinverlagerung in die Familie und insbesondere in den Kontext der Eltern stattgefunden.

Letztlich sind es Ereignisse in Form von Feiern, welche für die Jugendphase häufig besonders prägend sind, die nicht stattfinden konnten. Mehr als acht von zehn jungen Menschen im Alter zwischen 18 und 26 Jahren haben die Erfahrung gemacht, dass wegen Corona wichtige Feste nicht gefeiert werden konnten. Feste wie der 18. Geburtstag oder eine Schulabschlussfeier, die nur einmal im Leben stattfinden und nicht zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden können, sind damit überwiegend ausgefallen.

Damit hat Corona – zumindest zeitweise und zumindest für einen Teil der jungen Menschen – dazu geführt, dass junge Erwachsene Bildungsabsichten nicht wie geplant nachgehen konnten, finanzielles Handeln kurzzeitig angepasst werden musste, räumliche Aspekte von Verselbstständigung ausgefallen oder verschoben werden mussten.

Fazit und Ausblick

Gezeigt werden konnte, dass junge Menschen im Schnitt zwischen dem Eintritt in die Volljährigkeit und Mitte zwanzig zentrale Verselbstständigungsschritte vollziehen. Wie die empirischen Ergebnisse mit den AID:A-Daten verdeutlichen, spielen allerdings neben der formalen Bildung auch weitere soziale Ungleichheitsdimensionen, wie z. B. das Geschlecht eine Rolle, wann welche Ereignisse zum ersten Mal stattfinden. Der Zeitpunkt von Verselbstständigungsschritten ist damit nicht für alle jungen Menschen gleich, sondern unterscheidet sich hinsichtlich gesellschaftlicher Rahmenbedingungen, in denen junge Menschen aufwachsen. Auch gravierende Einschnitte in die Lebenssituation junger Menschen – wie sie die Coronapandemie mit sich gebracht hat – betreffen nicht alle jungen Menschen gleichermaßen.

Mit dem Fokus auf Erstereignisse haben wir in unserer Darstellung einen spezifischen Schwerpunkt gelegt: Erstens haben wir damit vornehmlich die objektive Dimension von Verselbstständigung betrachtet und damit weitgehend Alltagspraxen sowie subjektive Aspekte wie Selbstzuschreibungen und Werteeinstellungen ausgeklammert. Zweitens soll der Fokus auf Erstereignisse auch nicht suggerieren, dass alle diese Ereignisse nur einmalig und linear aufeinanderfolgend stattfinden. Charakteristisch für das Jugendalter ist ein Ausprobieren während zunehmend Entscheidungen für den eigenen Lebensentwurf getroffen werden und die Unabhängigkeit von Eltern größer wird. Damit kennzeichnet sich das Jugendalter immer wieder auch durch Pfade, die von außen oder im Nachhinein als Umweg oder Schleife betrachtet werden mögen. Lebensverläufe sind – gerade auch im jungen Erwachsenenalter – keine Einbahnstraße und darin stattfindende Ereignisse erfolgen nicht linear und sind reversibel.

Vor dem Hintergrund ist zu fragen, wie die Coronapandemie und damit stattgefundene Verzögerungen und Aufschübe in Erfahrungen längerfristig Einfluss auf die Lebensverläufe und Verselbstständigung junger Menschen nimmt und wie junge Menschen gesellschaftliche Leistungsanforderungen bewältigen und mit Such- und Orientierungsphasen balancieren. Hierzu ist eine kontinuierlich stattfindende empirische Beobachtung der Lebensverläufe junger Menschen notwendig, um nicht nur punktuell durch Krisen hervorgerufene Veränderungen der Lebenssituation und der Verselbstständigungsprozesse beobachten zu können.