Verschwörungserzählungen sind wahrscheinlich so alt wie die Menschheit. Durch das Internet haben sich ihre Verbreitungsmöglichkeiten verbessert und durch diverse Krisen (z. B. die Covid-Pandemie) haben sich auch die Anlässe für Verschwörungsannahmen vermehrt. Insbesondere Jugendliche erweisen sich als anfällig für diese Ansprache.

Der Glaube an Verschwörungsnarrative (o. a. VerschwörungserzählungenFootnote 1) ist ein Massenphänomen (Butter 2020, S. 103; Raab et al. 2017, S. 193), das früher wesentlich häufiger verbreitet war. Allerdings treten Verschwörungstheorien durch die Möglichkeiten des Internets wieder stärker in Erscheinung. Das Web 2.0 verändert in diesem Kontext die Voraussetzungen für die Informationsaufnahme und -verbreitung (Butter 2020, S. 10): Informationen lassen sich schneller verbreiten und sind für Interessierte leichter zugänglich. Jede Person kann eigene Inhalte teilen, unabhängig von den zugrundeliegenden Intentionen und vom Wahrheitsgehalt der veröffentlichten Inhalte. Die Kontrollen der Plattform-Betreiber_innen erfolgen in der Regel nur oberflächlich und Kennzeichnungsstrategien zur Desinformation sind bisher kaum wirksam (Meßmer et al. 2021, S. 4 f.). Dies bietet einen optimalen Nährboden für Verschwörungstheorien (Nöller 2021, S. 51).

Gerade für Jugendliche gehören die Nutzung digitaler Medien und sozialer Netzwerke zum Alltag. Virtuelles und reales Leben greifen für sie häufig ineinander und Lebensentwürfe und Identitätsentwicklungen werden durch das Web 2.0 in nicht unerheblichem Maße beeinflusst (Moser 2019, S. 109, 140). Jugendliche erhalten Resonanz auf ihr Online-Profil, mit dem sie Teil einer Online-Community sind. Sie haben Online-Vorbilder, wie etwa Influencer_innen. Sie suchen im Internet nach Orientierungspunkten, um eigene Normen und Werte zu vergleichen (Moser 2019, S. 138 f.).

Nicht alle Verschwörungstheorien sind gefährlich (Butter 2020, S. 222 f.). Raab et al. (2017) schreiben in diesem Kontext: „Es gibt Gott sei Dank keine Gesetze dagegen, irrationale und unbegründete Anschauungen zu pflegen. Wir sind in dieser Hinsicht ein freies Land“ (Raab et al. 2017, S. 251). Doch bereits vermeintlich harmlose Verschwörungsnarrative können Unsicherheit und Irritation und damit psychische Belastungen auslösen (Cheema 2021, S. 48). Speziell bei antidemokratischen Verschwörungserzählungen lässt sich ein erhöhtes Gefährdungspotential feststellen (Brähler et al. 2020, S. 296; Nöller 2021, S. 55). Jene werden teilweise zur Rechtfertigung eingesetzt, um sich über staatliche Regeln hinwegzusetzen. Das ist der Fall, wenn Corona-Leugner sich weigern, medizinische Masken zu tragen, oder bei der Legitimation von Gewalt, wie die rechtsextremen Attentate von Halle und Christchurch 2019 gezeigt haben (Butter 2021, S. 4; Cheema 2021, S. 49). Gerade bei antisemitischen, rechtsextremen und antidemokratischen Verschwörungsnarrativen, welche wissenschaftliche Tatsachen anzweifeln und die Gewaltbereitschaft erhöhen, liegt ein ernstzunehmendes Problem vor (Nöller 2021, S. 55; Raab et al. 2017, S. 163). Für Jugendliche ergeben sich hieraus mindestens zwei Gefahren: Sie können selbst Opfer rassistischer oder menschenfeindlicher Anschauungen werden oder von antidemokratischen Vorstellungen beeinflusst und instrumentalisiert werden (Jugendschutz.net 2021, S. 19).

Verschwörungserzählungen: Hintergründe und Einordnung

Im Vergleich zur Datenlage über Einflüsse der Mediatisierung und Digitalisierung ist die Forschung über Verschwörungstheorien, respektive ‚Verschwörungsnarrative‘, deutlich jünger (Butter 2020, S. 16). Es ist daher nicht verwunderlich, dass es bisher wenig gesicherte Erkenntnisse über den potenziellen Einfluss von Verschwörungstheorien im Internet gibt und sich Thesen dazu eher selten auf die Jugend beziehen.

Verschwörungstheorien können verschiedene Funktionen für ihre Anhänger_innen erfüllen. So können sich Verschwörungsgläubige als Teil einer Gruppe erleben und sich selbst dadurch erhöhen, dass sie – im Gegensatz zur Mehrzahl der Gesellschaft – die Wahrheit erkannt haben (Amlinger und Nachtwey 2021, S. 17; Butter 2020, S. 111; Lamberty und Nocun 2020, S. 30 f.). Zudem lassen sich große Ereignisse für Verschwörungsgläubige komplexitätsreduzierend erklären (Nöller 2021, S. 54). Vor dem Hintergrund, dass Jugendliche sich auf ihrem Weg ins Erwachsenenalter wiederholt mit Entwicklungsoptionen und Identitätsfragen auseinandersetzen, stellen diese Aspekte eine Option dar, um Sicherheit in potenziell verunsichernden Lebensphasen zu erlangen (Staehler 2020, S. 26).

Die Rolle des formalen Bildungsniveaus beim Glauben an Verschwörungserzählungen wird verschieden eingeschätzt. Während Lamberty und Nocun (2020) ihn als unerheblich einordnen (Lamberty und Nocun 2020, S. 32), sprechen Brähler et al. (2020) von einem deutlichen Bildungseffekt. Demnach glauben Menschen mit formal niedrigerem Bildungsstand eher an Verschwörungsnarrative. Das heißt jedoch nicht zwangsläufig, dass ein hoher Bildungsstand diesen Glauben ausschließen würde (Brähler et al. 2020, S. 24). Eindeutigere Erkenntnisse gibt es bei der Rolle der politischen Gesinnung. Personen, deren politische Überzeugungen eher am Rand des Spektrums zu finden sind (links oder rechts), weisen gehäuft eine Verschwörungsmentalität auf (Butter 2020, S. 116 f.; Lamberty und Nocun 2020, S. 26; Roose 2020, S. 32). Der Stellenwert von und das Interesse an der Politik scheint einen potenziellen Einflussfaktor darzustellen.

Raab et al. (2017) sehen das Gefühl der Entfremdung als bedeutsamsten Faktor für den Glauben an Verschwörungsnarrative. Betroffene erleben sich als machtlos und isoliert in Bezug auf persönliche Beziehungen oder auf ihre Rolle in Staat und Gemeinschaft (Raab et al. 2017, S. 195 ff.). Die Machtlosigkeit muss dabei nicht real sein. Vielmehr geht es um das Erleben der eigenen Situation (Butter 2020, S. 121 f.). Dieses Gefühl der Machtlosigkeit ist häufig auch mit einem Misstrauen gegenüber Staat und Medien verknüpft (Raab et al. 2017, S. 195 ff.). Studienergebnisse unterstreichen dies: Eine erhöhte Wahrscheinlichkeit des Verschwörungsglaubens geht einher mit einer generell geringeren Nutzung von und einer Abneigung gegen öffentlich-rechtliche Medien (Roose 2020, S. 32).

Eine spezifische (neue) Bewältigungsproblematik in der Jugendphase?

Das Risiko, dass Jugendliche im Netz auf Verschwörungsnarrative treffen, steigt an (MPFS 2021, S. 62 f.). Dabei zeichnet die Schwerpunktanalyse 2020 der Kommission für Jugendmedienschutz ein bedenkliches Bild. So äußerten die Prüfer_innen in 35 % der 708 gesichteten Fälle einen Anfangsverdacht auf strafbare, jugendgefährdende oder entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte. Nach der Betrachtung von 99 dieser Fälle bestätigte sich dieser Verdacht zumeist. Der Stil der Beiträge und Kommentare wird tendenziell extremer und hasserfüllter. Gepaart mit bewusst verbreiteten Desinformationen steigt das Risiko einer Jugendgefährdung oder Entwicklungsbeeinträchtigung (KJM 2021, S. 20, 30).

Die Jugendaffinität einiger Angebote von Verschwörungsgläubigen lässt Jugendliche als relevante Zielgruppe verstehen. Dabei können nahezu alle Plattformen eine Rolle spielen, da deren Schutzvorkehrungen oft unzureichend ausfallen und riskante Inhalte mit relativ geringem Aufwand rasch verbreitet werden können (KJM 2021, S. 28 f.). Problematisch zu beurteilen ist, dass gefährdende Inhalte (z. B. gezielte Desinformationen) auch auf Plattformen zu finden sind, die die Jugendlichen als vertrauenswürdig einstufen und auf denen sie sich über das Weltgeschehen informieren. So fanden sich strafbare, entwicklungsbeeinträchtigende und jugendgefährdende Inhalte u. a. auf den Plattformen Facebook und YouTube (ebd., S. 15). Diese beiden Quellen werden in der JIM-Studie als wichtige Nachrichtenquellen der Jugendlichen genannt (MPFS 2021, S. 51 f.).

Erschwerend kommt hinzu, dass das aktuelle Weltgeschehen sehr präsent in derzeit häufig anzutreffenden verschwörungstheoretischen Inhalten ist. So fand die Kommission für Jugendmedienschutz gehäuft Themen, die sich auf das politische System, auf Zuwanderung/Migration/Flucht und auf Covid-19/Gesundheit bezogen (KJM 2021, S. 17 f.). Die Suche nach aktuellen Informationen zu den jeweiligen Nachrichtenthemen erhöht folglich die Wahrscheinlichkeit, in diesem Kontext einer Verschwörungstheorie zu begegnen.

YouTube wird bei der Informationsbeschaffung als eine der wichtigsten Nachrichtenquellen der Jugendlichen genannt. Zugleich stellt die Plattform eine relevante Verbreitungsquelle von Verschwörungstheorien dar (KJM 2021, S. 15; Lamberty und Nocun 2020, S. 135). Die freie Aufrufbarkeit der meisten Videos und die getätigten Angaben der Jugendlichen zur regelmäßigen Nutzung von YouTube zeigen, dass der Hinweis zum Nutzungsalter von YouTube eine geringe Hürde darstellt (Jugendschutz.net 2021, S. 24).

Machtlosigkeitsgefühle erhöhen nicht nur die Wahrscheinlichkeit, einen Verschwörungsglauben oder antidemokratische Einstellungen zu entwickeln (Brähler et al. 2020, S. 296; Raab et al. 2017, S. 195 ff.). Auch wirken sie sich auf die Nachrichtennutzung aus. So informieren sich die Jugendlichen vermehrt über das Nachrichtengeschehen, wenn sie davon überzeugt sind, etwas in Deutschland bewirken zu können (Hasebrink et al. 2021, S. 29 ff.). Offen bleibt, wie diese Einflüsse in Beziehung zueinander gesetzt werden können. Wirkt sich die erlebte Selbstwirksamkeit auf die Nachrichtennutzung und -kompetenz aus und spielt dabei gleichwertig eine Rolle bei der Zuwendung zu einem Verschwörungsglauben? Oder wirkt sich ein Gefühl der Selbstwirksamkeit positiv auf die Nachrichtennutzung und -kompetenz aus? Führt eine hohe Nachrichtenkompetenz dazu, dass Verschwörungsnarrative schnell enttarnt werden? Die Rolle des Bildungsgrads ist ebenso ungeklärt. Jüngere, vor allem jene mit formal niedrigerem Bildungsstand, berichten häufiger von Konfrontationen mit Verschwörungserzählungen (MPFS 2021, S. 63). Jedoch lässt sich lediglich festhalten, dass sich der Bildungshintergrund und das Alter auf die Nachrichtenorientierung auswirken können, was in Kombination mit weiteren Faktoren gesehen werden sollte (Hasebrink et al. 2021, S. 69).

Von Verschwörungsnarrativen geht für viele Jugendliche ein Reiz aus, da sie ein gestärktes Interesse an amüsanten oder sonderbaren Ereignissen zeigen (Hasebrink et al. 2021, S. 27). Dabei können nicht nur Verschwörungserzählungen jugendgefährdende und entwicklungsbeeinträchtigende Wirkungen mit sich bringen. Insbesondere das verstärkte Auftreten und Werben von rechtspopulistischen und rechtsextremen Gruppen im Internet stellt ein Risiko dar (KJM 2021, S. 28 f.). Es bleibt offen, wie stark der Einfluss der Nachrichtenkompetenz im Hinblick auf den Umgang mit den gefährdenden (verschwörungstheoretischen) Inhalten im Netz ist. Jedoch schreibt die Mehrheit der Jugendlichen ihren realen Bekanntschaften, der Familie und dem Freundeskreis die höchste Relevanz bei der eigenen Meinungsbildung zu (Hasebrink et al. 2021, S. 32 f.).

Erkenntnisse und Ausblick

Es besteht ein bedeutsames Risiko für die Jugendlichen, im Netz mit riskanten verschwörungstheoretischen Inhalten konfrontiert zu werden. Eine solide Nachrichtenkompetenz (im Sinne einer spezifischen Kompetenz, die Inhalte von Nachrichten kritisch zu hinterfragen) kann bei deren Beurteilung und Einordnung behilflich sein. Zudem kann die Meinungsbildungsrelevanz des realen Umfelds als Ressource und als Empfehlung für die Angehörigen gesehen werden, sich mit den Ansichten der Jugend über das Weltgeschehen auseinanderzusetzen und ihre Nachrichtenkompetenz zu stärken. Dieser Auftrag kommt allen Akteur_innen in der biografischen Entwicklung der Jugendlichen zu.

Zudem wäre es wünschens- und empfehlenswert, dass die Plattformbetreiber_innen, nicht erst durch staatliche Eingriffe gezwungen werden, wirksame Konzepte zu entwickeln, welche die Verbreitung riskanter verhindert. Die Befunde unterstreichen, dass die politischen Entscheidungsträger_innen hier in der Verantwortung sind, im Sinne eines erweiterten Jugendschutzes präventiv-wirksame Auflagen zu machen. Schulen und andere Bildungsträger_innen sollten dabei unterstützt werden, gezielte Strategien und Kompetenztrainings zu integrieren. Übergreifend unterstützen kann das Feld der Sozialen Arbeit. Ebenso herausgefordert wie die Politik oder die Schulen braucht die Bearbeitung dieser Thematik mehr zielgerichtete Ressourcen in der Sozialen Arbeit. Es besteht es ein breites Angebot an Initiativen und Medienkompetenzzentren, die gebündelt mit ihrer Expertise herangezogen werden sollten.

Die Jugendlichen sollten befähigt werden, sich ihre Meinung selbst zu bilden zu können und aus einer Informationsvielfalt heraus zu urteilen, was sie für glaubwürdig befinden und was sie glauben wollen. Das kann sich positiv auf ihr Nachrichteninteresse und ihre Einstellung zu Nachrichten auswirken. Dafür braucht es kompetenzstärkende und aufklärende Bildungsangebote, die bestenfalls von mehreren Seiten kommen – von Angehörigen, der Bildungspolitik inklusive der Bildungsstätten und durch journalistische Angebote. Diese müssen an die verschiedenen Altersgruppen und deren Bedürfnisse angepasst werden, um die Jugend auf dem Weg hin zur Eigenverantwortung zu stärken.

Für weitere Forschungen gäbe es zahlreiche Fragestellungen, die näher beleuchtet werden sollten. So fehlen Erkenntnisse zur Rolle des politischen Bewusstseins der Jugendlichen im Kontext von Verschwörungstheorien. Auch die Zusammenhänge und Verbindungen zwischen Selbstwirksamkeit/Machtlosigkeit und den Dimensionen Verschwörungsnarrativen, Nachrichtennutzung und antidemokratischen Einstellungen bleiben offen. Ferner ist unklar, wie sich die sozioökonomischen und kulturellen Bedingungen der Jugendlichen und deren Persönlichkeitseigenschaften auf die Beeinflussung durch Verschwörungstheorien auswirken bzw. wie diese Faktoren zusammenwirken.

Die Herausbildung einer tragfähigen Nachrichtenkompetenz unter Jugendlichen und jungen Heranwachsenden scheint vor dem Hintergrund digitalisierter Lebenswelten und vulnerabler Lebensphasen von besonderer Bedeutung für die Jugendlichen selbst, aber auch für die Gesellschaft insgesamt, geworden zu sein. Die Notwendigkeit einer fundierten Nachrichtenkompetenz ist nicht neu – siehe im Kontext anderer Medien. Aber die Befundlage zeigt, bedingt durch die Reichweite und Tragweite in politische, soziale und kulturelle Dimensionen, eine besondere Dringlichkeit und Verantwortung an.

Zum Erkennen und Dekonstruieren von gezielten Falschinformationen sind journalistische und wissenschaftliche Kompetenz unumgänglich: Welche Quellen wurden herangezogen? Welche Argumentationskette wird verfolgt? Wie bewerte ich persönlich die einzelnen Argumente in Hinblick auf ihre Stichhaltigkeit? Sind die vorgebrachten Ergebnis und Erkenntnisse für andere überprüfbar? Wurden kritische Befunde einbezogen und wie bewertet? Mit einfachen Beispielen ließe sich die Bedeutung solcher exemplarischer Fragen leicht veranschaulichen und könnte die Nachrichtenkompetenz bei Jugendlichen entscheidend fördern. Bildungseinrichtungen, Familien und Jugendarbeit können Jugendliche präventiv stärken und bei Bedarf intervenieren (Bock und Schubarth 2022). Um Jugendliche wirksam zu schützen und zu stärken, sind im Sinne einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe zudem Politik, Justiz, Internetkonzerne, Medien und Zivilgesellschaft gefordert (Bock und Schubarth 2022, S. 169 ff.).