Initiativen zur ombudschaftlichen Beratung in Hilfen zur Erziehung bestehen seit dem Ende der 1990er Jahre. Sie sind aus dem wachsenden Bewusstsein entstanden, dass die Kinder- und Jugendhilfe in besonderer Weise von einer strukturellen Machtasymmetrie zwischen den Kindern, Jugendlichen und Sorgeberechtigten gegenüber den Professionellen und Infrastrukturen der Kinder- und Jugendhilfe geprägt ist. Damit die jungen Menschen und ihre Familien die ombudschaftliche Beratung aufsuchen können, sollen diese möglichst niedrigschwellig zugänglich sein. Doch was bedeutet dies für die Organisation von ombudschaftlicher Beratung?

Alltagserfahrungen in der Kinder- und Jugendhilfe zeigen, dass im Kontext der Leistungsbewilligung Konflikte zwischen den Leistungsbewilligenden sowie Leistungserbringer_innen und den Leistungsempfänger_innen entstehen können. In diesen Situationen können junge Menschen und ihre Familien ihre Rechte aufgrund ungleicher Machtverhältnisse häufig nicht oder nicht umfassend verwirklichen – weil sie z. B. ihre Rechte nicht kennen oder sie aus unterschiedlichen Gründen nicht in der Lage sind, diese einzufordern. Mittlerweile ist infolge der Verabschiedung des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes im Jahr 2021 die Einrichtung von Ombudsstellen gesetzlich vorgesehen, um dem Ausgleich dieses Ungleichverhältnisses Rechnung zu tragen – nun auch explizit für alle Leistungsbereiche der Kinder- und Jugendhilfe. So heißt es in dem neu eingeführten § 9a SGB VIII:

FormalPara § 9a SGB VIII Ombudsstellen

In den Ländern wird sichergestellt, dass sich junge Menschen und ihre Familien zur Beratung in sowie Vermittlung und Klärung von Konflikten im Zusammenhang mit Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe nach § 2 und deren Wahrnehmung durch die öffentliche und freie Jugendhilfe an eine Ombudsstelle wenden können. Die hierzu dem Bedarf von jungen Menschen und ihren Familien entsprechend errichteten Ombudsstellen arbeiten unabhängig und sind fachlich nicht weisungsgebunden. § 17 Absatz 1 bis 2a des Ersten Buches gilt für die Beratung sowie die Vermittlung und Klärung von Konflikten durch die Ombudsstellen entsprechend. Das Nähere regelt das Landesrecht.

Ombudschaftliche Beratung in der Kinder- und Jugendhilfe kann auf dieser rechtlichen Grundlage strukturell abgesichert und als bundesweit vorgesehenes Angebot zur Sicherung der Rechte Kinder, Jugendlicher, jungen Erwachsener und ihrer Familien beitragen. Die in diesem System zu schaffenden Ombudsstellen müssen:

  • unabhängig und nicht weisungsgebunden arbeiten,

  • als Anlaufstelle zur Beratung, zur Vermittlung und Klärung in Konfliktsituationen im Kontext sämtlicher Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe zur Verfügung stehen und

  • eine möglichst barrierearme Erreichbarkeit sowohl hinsichtlich unterschiedlicher Kommunikationswege als auch Verständigungsweisen (in unterschiedlichen Sprachen, Bild, Ton und altersgerechter Information und Gesprächsführung) sicherstellen.

Diese Anforderung an ombudschaftliche Beratung wird immer wieder mit dem Begriff der Niedrigschwelligkeit umschrieben. Doch was bedeutet dies konkret?

Niedrigschwellige Zugänge – was heißt dies für die ombudschaftliche Beratung?

Niedrigschwelligkeit bildet ein wesentliches Qualitätsmerkmal in der Sozialen Arbeit (Muche et al. 2010, S. 8). Eine einheitliche Begriffsdefinition von Niedrigschwelligkeit in der Sozialen Arbeit existiert jedoch nicht (Mayrhofer 2012, S. 146; Muche et al. 2010, S. 8 ff.). Je nach Schwerpunkt weist sie bereichsspezifische Besonderheiten auf. Diese müssen mit Bezug auf das für die Kinder- und Jugendhilfe recht junge Handlungsfeld der ombudschaftlichen Beratung noch konkretisiert werden. Grundsätzlich ist jedoch mit Blick auf die Aufgaben ombudschaftlicher Beratung und auf die bisherigen Erfahrungswerte mit den vorhandenen Angeboten in Deutschland hervorzuheben, dass Niedrigschwelligkeit eine wesentliche Voraussetzung für deren Gelingen ist. Schließlich muss gerade in der Kinder- und Jugendhilfe und insbesondere in den Erziehungshilfen gewährleistet sein, dass die Geltendmachung von Beschwerden nicht durch strukturelle Barrieren und unangemessene Voraussetzungen verhindert wird.

Ombudschaftliche Beratung muss folglich leicht zugänglich sein und zu einem festen Bestandteil der (kommunalen) Beratungslandschaft für junge Menschen und Familien werden (Hagen et al. 2021). Als allgemein übergreifendes Kennzeichen für niedrigschwellige Soziale Arbeit gelten die „Bedingungen des Zugangs zu und der Inanspruchnahme von Hilfeangeboten oder -maßnahmen für Klient*innen bzw. Adressat*innen“ (Mayrhofer 2012, S. 147; vgl. auch Gebken und Vosgerau 2014), die in Anlehnung an Mayrhofer (2012) weiter ausdifferenziert werden können. So zählt dazu, dass die Beratung voraussetzungsfrei in Anspruch genommen werden kann (Kähnert 1999, S. 171) und kostenfrei oder mit nur geringfügiger Kostenbeteiligung zur Verfügung steht. Die Niedrigschwelligkeit ist auch so weit wie möglich an den vorhandenen Ressourcen und Bedürfnissen der Adressat_innen und deren Lebenswelten auszurichten (Mayrhofer 2012, S. 151).

Die Teilhabe der jungen Menschen und Familien erfordern auch eine Schaffung inklusiver Zugangswege sowie möglichst barrierefreier Durchführung der Beratungsarbeit selbst. Da die Ratsuchenden sich nicht hinreichend mit ihren Bedürfnissen und in der Wahrung ihrer Rechte anerkannt sehen, ist gerade in der ombudschaftlichen Arbeit der Subjektperspektive und der Anerkennung der individuellen Interessen Raum zu geben. Das Prinzip der Beteiligung gilt für die Kinder- und Jugendhilfe grundsätzlich, in der ombudschaftlichen Beratung als konfliktklärender Instanz umso expliziter. Dies gilt ebenso für die Achtung des Grundsatzes der Freiwilligkeit.

Eine niedrigschwellige ombudschaftliche Beratung nach § 9a SGB VIII bildet eine wichtige Voraussetzung, um gesellschaftliche Teilhabe und Partizipation von jungen Menschen und Familien zu verbessern, wenn diese nicht adäquat durch Angebote der Kinder- und Jugendhilfe ermöglicht oder gefördert wird. Transparenz über die Anonymität und Vertraulichkeit sind bereits in der Außendarstellung und Öffentlichkeitsarbeit deutlich herauszustellen, um die Hemmschwelle für die Inanspruchnahme der ombudschaftlichen Beratung möglichst gering zu halten.

Bei der Schaffung niedrigschwelliger ombudschaftlicher Strukturen sind dafür die zeitliche und räumliche Dimension von besonderer Relevanz. So muss die Zeitstruktur in der ombudschaftlichen Arbeit eine Flexibilität bieten, die sich sowohl auf die Öffnungszeiten als auch auf den erforderlichen Umfang und die Unmittelbarkeit einer Beratung bezieht. Darüber hinaus sind Wartezeiten zu vermeiden, da die Anliegen der Ratsuchenden oft dringlich sind und keinen längeren Aufschub der Beratung gestatten (Mayrhofer 2012). Vor diesem Hintergrund benötigt Ombudschaft eine personelle Ausstattung, die dem sowohl in ihrem zeitlichen Umfang als auch in der Qualität der Beratung Rechnung tragen kann.

In räumlicher Hinsicht sind Präsenz- und digitale Angebote gut aufeinander abzustimmen, um eine inklusive Beratungsinfrastruktur zu ermöglichen. Diese umfasst sowohl telefonische Beratungszeiten sowie digitale Beratungsformate per Video oder Chat als auch eine möglichst unaufwändige räumliche Erreichbarkeit der Ombudsstellen. Schließlich sind Beratungsanliegen häufig komplex und emotional belastend, sodass eine vertrauliche Beratungsatmosphäre eine hohe Bedeutung hat. Standorte sollten nah bei den gewöhnlichen Aufenthaltsorten der Adressat_innen liegen, um lange Wegstrecken zu verhindern. Gleichzeitig erfordert eine inklusive Beratungsinfrastruktur auch eine bauliche Gestaltung, die einen barrierefreien Zugang ermöglicht (ebd.: S. 162 ff.).

Niedrigschwelligkeit und Zugangswege in die ombudschaftliche Beratung

Zentrale Aspekte eines niedrigschwelligen Beratungsangebots lassen sich anhand folgender Kriterien konkretisieren:

  1. 1.

    Zugang zu Informationen resp. Garantie der Informiertheit im Rahmen der Inanspruchnahme von Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe: Sind die Informationen konkret genug und ist das Angebot umfassend genug (nicht zu spezifisch)?

  2. 2.

    Attraktivität (Image) und Vertrauen: Erwarten die Ratsuchenden, hier geeignete Hilfe zu bekommen?

  3. 3.

    Akzeptierend, Anerkennung der Selbstbestimmung: Wird mit dem Angebot vermittelt, dass die zu Beratenden willkommen sind, ohne besondere Voraussetzungen kommen können und in ihren Anliegen wertgeschätzt werden?

  4. 4.

    Erreichbarkeit: Beratungszeiten und -orte (Entfernungen); Komm-Struktur; aufsuchend u. a. in anderen sozialen Diensten

  5. 5.

    Möglichst diverse Kommunikationswege: schriftlich, mündlich, weitere Kanäle

  6. 6.

    Verständlichkeit: Sprache/unterschiedliche Sprachen/einfache Sprache/bei Bedarf Dolmetscher_innen (digitale Angebote können sprachliche oder technische Ungleichheiten nicht unbedingt ausgleichen)

  7. 7.

    Beteiligung: Können die zu Beratenden den Prozess mitgestalten oder gibt es feste Verfahren?

  8. 8.

    Exit-Option (insbesondere in der Online-Beratung): Gibt es die Möglichkeit, den Beratungsprozess unaufwändig zu unterbrechen oder ganz abzubrechen?

  9. 9.

    Digital gestützte Niedrigschwelligkeit: Werden Inhalte digital gestützt erklärt (z. B. auf der Homepage)? Können digitale Kommunikationswege genutzt werden? Kann barrierefrei eine digitale Beratung angebahnt werden (z. B. online-Terminvergabe) und ohne größeren technischen Aufwand und datenschutzkonform eine Kontaktaufnahme/Erstgespräch durchgeführt werden?

In der aktuellen Diskussion um die Weiterentwicklung der ombudschaftlichen Beratung in der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland sind diese Kriterien auch mit Blick auf die lokale und regionale Dimension – also im Hinblick auf die räumliche Niedrigschwelligkeit – zu diskutieren. Die bisherigen Strukturen bieten hier durchaus Erfahrungswissen. In Baden-Württemberg zeigt sich, dass in ländlichen Regionen – mit Ausnahme vereinzelter Gebiete – die Bevölkerung mit einem verfügbaren Automobil die erforderlichen Infrastrukturen der sozialen Daseinsvorsorge gut erreichen kann (Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung 2019, S. 129). Es ist bleibt aber fraglich, ob bei den in einigen Bundesländer vorgesehenen oder bereits etablierten regionalen Ombudsstellen ein niedrigschwelliger Zugang für Kinder und Jugendliche sichergestellt ist – insbesondere da diese weniger mobil sind und seltener Beratungsangebote in Anspruch nehmen, zu denen sie keinen persönlichen oder örtlichen Bezug haben.

Auch ist zu erwarten, dass selbst Fachkräften die Vermittlung in zentralisierte Anlaufstellen nicht verlässlich gelingt, wenn diese keinen Bezug zu örtlichen Hilfeinfrastrukturen aufweisen. Aber gerade darauf sind junge Menschen und ihre Familien angewiesen. Vor allem der Verweis von unterstützenden Personen aus dem System der Kinder- und Jugendhilfe ist relevant, um insbesondere junge Menschen auf das Konzept Ombudschaft aufmerksam zu machen (Wlassow und Wurzel 2019, S. 46).

Niedrigschwelligkeit: Im Alltag erreichbar sein

Weiterhin beinhaltet Niedrigschwelligkeit auch das Einnehmen der sozialräumlichen Perspektive auf die Konflikte sowie auf die Infrastrukturen und örtlichen Verfahren. Schließlich bedingen diese das Entstehen der Konflikte. Diese Kenntnis bildet eine wichtige Voraussetzung, damit ombudschaftliche Beratung an den Alltag der Adressat_innen anknüpfen kann. Zu diesem Schluss kommen auch Hansbauer und Stork (2017), die herausstellen, dass Ombudsstellen vor Ort erreichbar sein sollten, um eine sozialräumliche Orientierung und ein besseres Verständnis der Kontexte, die zum Entstehen der Konflikte geführt haben, zu gewährleisten. Erreichbarkeit heißt für sie, dass ein Büro der Ombudschaft im Alltag erreichbar sein muss, d. h. mindestens in jedem Landkreis bzw. in jeder kreisfreien Stadt existieren muss (ebd.). Ombudsstellen bilden dann eine Basis-Infrastruktur der Kinder- und Jugendhilfe. Wiesner kam bereits 2012 in einem Rechtsgutachten über die Etablierung ombudschaftlicher Beratung zu einem entsprechenden Schluss, dass ombudschaftliche Beratungs- und Beschwerdestellen auf örtlicher Ebene, parallel zum Einzugsbereich der Jugendämter, einzurichten sind (Wiesner 2012, S. 24). Eine Kooperation von Ombudsstellen der Kinder- und Jugendhilfe mit den Alltagsinstitutionen von Kindern und Jugendlichen, wie z. B. Schulen und Kindertagesstätten, wird entsprechend von Expert_innen empfohlen.

Auswertungen von bestehenden Ombudsstellen weisen darauf hin, dass hauptsächlich Mütter, Väter, Pflegeeltern, Vormünder_innen und Fachkräfte den Kontakt aufnehmen (Len und Tomaschwoski 2020, S. 11, siehe auch die aktuelle Statistik: Straus 2022). Auswertungen der ombudschaftlichen Beratung in Baden-Württemberg zwischen 2016 und 2019 unterstreichen sogar, dass fast die Hälfe aller Anfragen auf die Herkunftsfamilien und dabei insbesondere die Mütter zurückzuführen sind, wobei junge Menschen selbst im Verhältnis zu den Gesamtanfragen nur sehr selten den Kontakt aufnehmen, bzw. schon älter bei ihrer Beratungsanfrage sind. Für Baden-Württemberg wurde analysiert, dass Anfragen erst von jungen Menschen ab 13 Jahren eingingen. Die Hälfte aller Kontaktaufnahmen erfolgte von jungen Menschen, die 17 oder 18 Jahre alt waren (Wlassow und Wurzel 2019, S. 38). Ähnlich ist die Datenlage in Nordrhein-Westfalen. Hier gingen zwar 24 % der Anfragen an die Ombudsstelle auf junge Menschen zurück, von denen aber auch ungefähr die Hälfte schon volljährig war (Ombudschaft NRW 2021, S. 9). Diese Befunde legen den Schluss nahe, dass es eines stärkeren Fokus auf die Erreichbarkeit unterschiedlicher Adressat_innengruppen mit der ombudschaftlichen Arbeit braucht, insbesondere einen kinder- und jugendgerechten Zugang.