Zuschreibungen, Vorurteile und Diskriminierung sind mit dem Themenfeld religiöser Vielfalt eng verbunden. Weniger als Glaubensfragen werden hier Fragen der gesellschaftlichen Zugehörigkeit verhandelt. Auf Basis von Erfahrungen aus der islambezogenen Bildungspraxis können Fallstricke skizziert und pädagogische Handlungsmöglichkeiten eröffnet werden.

In einem Interview, das in einem Unterrichtsmodul des Leipziger Vereins Zentrum für Europäische und Orientalische Kultur e.V. (ZEOK) verwendet wird, erzählt eine muslimische Schülerin: „In der Schule habe ich es oft als anstrengend empfunden, wenn Lehrer allein wegen meiner Hautfarbe oder meines Namens annehmen, dass ich muslimisch bin, obwohl sie das von mir so nie gehört haben. Dann habe ich das Gefühl, in eine Schublade gesteckt zu werden, zu der bestimmte Annahmen fest dazugehören. Dann merke ich manchmal, dass es wilde Vermutungen gibt, zum Beispiel, dass meine Mutter hätte zum Islam konvertieren müssen, um meinen Vater überhaupt zu heiraten, oder dass ich selbst bestimmten Regeln streng folge. Irgendwie geht mit diesem Etikett ‚muslimisch‘ das Bild einher, ich sei ganz anders als alle anderen in der Klasse. Mir kommt es hingegen bei uns zu Hause sehr ähnlich vor wie bei meinen Freundinnen und Mitschülern, die Unterschiede sind eher klein. Wenn andere dann Vorurteile gegenüber Muslimen äußern, habe ich immer das Gefühl, die Religion rechtfertigen zu müssen, das ist anstrengend. Dabei weiß ich oft nicht mehr als die anderen.“ (Zentrum für Europäische und Orientalische Kultur e. V. 2017).

Zuschreibungen und Fallstricke

Die Erfahrungen, von denen in diesem Interview berichtet wird, entsprechen sicherlich nicht dem, was in klassisch interreligiösen Herangehensweisen intendiert wird. Diese nähern sich der Vielfalt religiöser Ausdrucksformen oftmals von einer eigenen, meist christlich geprägten religiösen Warte aus. Das interreligiöse Lernen bei evangelischen wie katholischen Religionspädagog_innen stellt das Verstehenwollen der anderen Religionen in den Mittelpunkt, getragen von der Intention, Toleranz, Wertschätzung und einen Perspektivwechsel erreichen zu können. Eine Vielzahl an Dialog- oder Trialog-Projekten arbeiten nach diesem Prinzip; im Dialog kommen zwei, im Trialog drei Religionen zusammen, meist Christentum, Islam und Judentum. Zahlreiche Jugend- und Erwachsenenbildungsinitiativen können auf viele erfolgreiche interreligiöse Projekte zurückblicken, die oftmals gekennzeichnet sind von einem Interesse an Austausch und Begegnung.

Dass Begegnung, im Sinne der bekannten Kontakthypothese nach Gordon Allport, Vorurteile minimieren kann, ist eine Erkenntnis, die in zahlreichen Forschungen immer wieder bestätigt wird. Die Sozialwissenschaftlerin Naika Foroutan und Kolleg_innen konnten belegen, dass Personen, die in mehr als zwei sozialen Bezugsräumen sehr viel Kontakte zu Muslim_innen haben, also zum Beispiel in Freundschaften und im Berufsalltag, weniger stereotyp antworten als Menschen, die weniger häufige oder gar keine Kontakte haben (Foroutan et al. 2014, S. 48). Neben privaten und beruflichen Kontaktmöglichkeiten im Alltag untersuchte eine von der Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Jugend in Deutschland e.V. (aej) herausgegebene Studie unter anderem, inwieweit die im pädagogischen Kontext zunehmend geläufigen Moscheeführungen als einmalige Kontaktmöglichkeit einen Effekt in Bezug auf die Ausprägung von Vorurteilen zeitigen können. Die Studie kommt zu dem überraschenden Ergebnis, dass Jugendliche, die an einer Moscheeführung teilgenommen hatten, weniger starke Vorurteile aufwiesen als solche, die dies nicht getan hatten (Janzen et al. 2022, S. 38). Überraschen mag dieses Ergebnis deshalb, weil bei einer solchen Moscheeführung oftmals keine idealen Kontaktbedingungen anzutreffen sind; so handele es sich meist um einen kurzen Besuch ohne persönliches Kennenlernen und mit einem Fokus mehr auf informativen denn auf emotionalen Prozessen. Die Autorin schreibt dann auch von dem „großen Potenzial dieser Begegnungsplattform“, die trotz der Einschränkungen dennoch einen positiven Effekt hervorbringen kann (Ebd.).

Im besten Fall kann Begegnung also Nähe herstellen. Allerdings kann diese im interreligiösen Feld angesiedelte Begegnungssituation auch von Fallstricken durchsetzt sein, die im Folgenden verdeutlicht werden sollen. Die Religionspädagog_innen Thorsten Knauth und Muna Tatari haben zahlreiche interreligiöse Begegnungssituationen untersucht. Ihnen ist der Hinweis auf den Buberschen Begriff der „Ver-gegnung“ zu verdanken, mit dem sie die machtkritische Schieflage von vermeintlich gut gemeinten interreligiösen Begegnungsarrangements beschreiben (Knauth und Tatari 2005, S. 61). Anstelle von gleichwertiger Augenhöhe seien die gegenwärtigen interreligiösen Dialoge durch Machtfragen strukturiert: „Die Macht hat, wer die Möglichkeit hat, die Regeln des Treffens zu bestimmen, sich auf institutionelle Vollmacht zu berufen und die Themen durchzusetzen.“ (Ebd., S. 64) Situationen, in denen kaum über die eigene innere religiöse Erfahrung gesprochen werden könne, bezeichnet Knauth als „Gewinner-Verlierer-Spiele“; zu sehr sei der Raum durch Fehlverständnisse und voreingenommene, auf dem Hintergrund eigener Vorurteile entstandene Fragen geprägt, die das muslimische Gegenüber in eine sich zu legitimierende Situation bringen (Ebd., S. 60). Als Experten oder Expertinnen sollen muslimische Gäste in solchen Formaten mitunter über bestimmte Fragen wie die Stellung der Frau oder gar über ihre gesamte Religion Auskunft geben (Ebd.). Diese Experten-Formate bestehen auch in pädagogischen Kontexten. Die Gefahr besteht, dass Schüler_innen zu Repräsentant_innen einer Religion gemacht werden. Mit dieser Art von Adressierung geht oftmals die Vorstellung einher, dass der/die Schüler_in alle möglichen Aspekte der Religion erklären könne. Es steht ein Generalanspruch im Raum, der zugleich ignoriert, welche subjektive, vielleicht wenig religiöse oder hybride Aneignung ebendieser Religion der/die Schüler_in tatsächlich hat. Oftmals sind diese Art von Repräsentationsformaten schon den Aufgabenstellungen von Schulbüchern inhärent. So konnten Marcus Otto und Riem Spielhaus zeigen, wie nichtmuslimische und muslimische Schüler_innen in unterschiedlichen Subjektpositionen angesprochen werden: die einen finden sich als zu befragende Religions- oder Migrationsandere wieder, die anderen als befragende Nicht-Andere wieder (Otto und Spielhaus 2020, S. 285). Durch die Kopplung des Migrationsdiskurses (oftmals mit Integrationsfragen gepaart) und des Islamdiskurses laufen muslimische Schüler_innen Gefahr, besonders exponiert und problematisiert zu werden – was, wie Otto und Spielhaus zeigen, etwa in solchen Fragestellungen deutlich wird, die Religion und Herkunft vermischen (Ebd., S. 284).

Offenheit für religiöse Vielfalt reicht nicht aus

Deutlich wird, dass es im pädagogischen Kontext nicht ausreicht, allein Offenheit für religiöse Vielfalt zu zeigen. Vielmehr braucht es eine Wahrnehmung dafür, dass im Feld der religiösen Pluralität nicht nur religiöse Differenz, sondern gesellschaftliche Differenzkonstruktionen von Bedeutung sind, wie die Soziologin Julia Bernstein mit Blick auf Antisemitismus in der Schule beschreibt (Bernstein und Diddens 2020, S. 97). Das alleinige Thematisieren von religiöser Identität blendet aus, dass zugleich Vorurteile, Diskriminierungssituationen und Zuschreibungen von Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit im Themenfeld mitschwingen. Mit Blick auf den Islam stellt der evangelische Religionspädagoge Rainer Möller fest: „Die religionspädagogische Denkfigur der Gegenüberstellung von ‚Eigenem‘ und ‚Fremdem‘ erscheint politisch zumindest naiv. Denn, um ein Beispiel von ‚Eigenem‘, und ‚Fremdem‘ aufzugreifen, mit dem Christentum und dem Islam begegnen sich in unserem historischen Kontext in Deutschland nicht einfach zwei Religionen auf Augenhöre. Diese Begegnung ist vielmehr durchsetzt mit Herrschaftsdiskursen und Diskriminierungsaspekten.“ (Möller 2015).

Vielmehr als die Wahrnehmung religiöser Unterschiedlichkeit braucht es daher insbesondere im pädagogischen Feld ein Bewusstsein dafür, dass Religion nicht allein als Glaubensfrage zu verhandeln ist, sondern auch eingebettet ist in einen sozialen Kontext, den es aus einer dominanzkritischen Perspektive zu begreifen gilt. Ulrike Lingen-Ali und Paul Mecheril beziehen sich auf Religion als „soziale Deutungspraxis“, als „gesellschaftliches Deutungs- und Identifikationsmuster […], das Machtwirkungen zeitigt.“ (Lingen-Ali und Mecheril 2016, S. 18) Religion könne als soziale Unterscheidungskategorie natio-ethno-kulturell kodiert sein, wodurch Zugehörigkeiten als Wir oder Andere bestärkt, bestätigt oder erst hergestellt werden (Ebd., S. 20). Insbesondere in Bezug auf den Islam und Muslim_innen geht die machtvolle Unterscheidungspraxis in ein nichtmuslimisches Wir und muslimische Andere einher mit Vorstellungen von Muslim_innen als außereuropäischen, migrantisierten Anderen, welche einem europäischen, aufgeklärten nichtmuslimischen Wir gegenüberstehen (Attia 2009; Shooman 2014). Diese Hierarchisierung spiegelt sich nicht nur in subtilen Anrufungen, wie oben im Kontext der schulischen Aufgabenstellungen beschrieben; sie äußert sich derzeit offensiv insbesondere in den wirkmächtigen Diskursen um Islam, Migration und Zugehörigkeit.

Muslimfeindliche Einstellungen werden in zahlreichen Studien seit Jahren als Einstellungsmerkmal der Mitte der Gesellschaft nachgewiesen. Der Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung von 2019 unterstreicht, dass ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung eine Distanzhaltung zu Muslim_innen aufweist. Gefragt wurde unter anderem nach der Bereitschaft, Menschen anderer sozialer Gruppen, unter anderem Muslime, als Nachbarn zu akzeptieren, was 16 % der Befragten in Westdeutschland und 30 % der Befragten in Ostdeutschland ablehnten (Pickel 2019, S. 76.). Auch jenseits solch offensiv ausgedrückter Ablehnung ist antimuslimischer Rassismus im pädagogischen Alltag ein Thema, was zahlreiche Jugendliche berührt. Erfahrungsberichte der Antidiskriminierungsberatungsstellen berichten von diskriminierenden Äußerungen insbesondere durch das Lehrpersonal: „Muslim/-innen berichten zudem über subtilere Formen von Diskriminierung, z. B. dass sie ständig dafür kämpfen müssten, die Stereotype und Vorurteile ihrer Lehrer/-innen zu widerlegen, und dass ihnen auf die eine oder andere Weise klargemacht worden sei, sie könnten niemals erfolgreich im Bildungssystem sein.“ (Yegane 2016, S. 112). Nicht selten erleben Mädchen, die ein Kopftuch tragen, nicht willkommen und Anfeindungen ausgesetzt zu sein. Insbesondere muslimische Religiosität wird oft konfliktbehaftet wahrgenommen.

Dabei schwingt der unterschwellige Extremismusverdacht mit, der muslimische Religiosität begleitet (Ebd.). Natürlich hört Religionsfreiheit da auf, wo sie andere bedroht und missionieren möchte, insbesondere wenn „geschlossene Weltbilder“ damit verbunden sind, die zu Abwertung Andersdenkender führen, wie der Verein ufuq.de in zahlreichen Publikationen zu Pädagogik im Kontext von Islam und Islamismus beschreibt (ufuq.de 2019, S. 48). Allerdings sollten Pädagog_innen gewahr sein, ob tatsächlich Grenzüberschreitungen stattfinden oder ob die religiöse Ausdrucksform als Ausdruck eigener religiöser Identität zu deuten ist, was für die Heranwachsenden von großer Bedeutung sein kann. So weist Yegane mit Bezug auf die Erfahrungsberichte der Antidiskriminierungsberatungsstellen darauf hin, dass „vor allem für viele junge Muslim/-innen […] die Religion ein empowernder Identitätsteil geworden [ist]. Im Rahmen einer deutschen muslimischen Jugendkultur können sie unproblematischer ihre verschiedenen Zugehörigkeiten miteinander verbinden und ein positives, wertebasiertes Selbstverständnis entwickeln.“ (Yegane 2016, S. 113).

Anerkennung religiöser Ausdrucksformen

Vor diesem Hintergrund weit verbreiteter Diskriminierungsrealität stellt sich daher die Frage, wie eine religionsoffene pädagogische Haltung aussehen kann. Es ist dabei augenscheinlich, dass Religionssensibilität, insbesondere außerhalb eines religionspädagogischen Auftrags, kein neues Synonym für klassische interreligiöse Dialogarbeit sein kann. Es geht eben nicht um eine Begegnung auf Glaubensebene, die zwischen „eigener“ und „fremder“ Religion vermitteln möchte; das Verstehen der „anderen“ Glaubensinhalte oder die Exegese verschiedener religiöser Schriften stehen nicht im Mittelpunkt. Ganz grundsätzlich geht es vielmehr um die Anerkennung und Akzeptanz von religiösen Ausdrucksformen, welche als Identitätsaspekt vieler Schüler_innen eine Rolle spielen. Damit dies gelingen kann, bedarf es insbesondere einer selbstkritischen Reflexion eigener Wahrnehmungen und vermeintlicher Zuschreibungen, ein Gewahrwerden dafür, wann Zugehörigkeiten zugeschrieben und wirksam werden und Menschen als Nicht-Zugehörige angesprochen werden. In einer solchen Perspektive sollten „nicht nur die Differenz, sondern die Dominanzverhältnisse, die Religionen prägen,“ zum Gegenstand der pädagogischen Überlegungen werden (Willems 2020, S. 160). Dafür schlägt der Religionspädagoge Willems folgende Reflexionsfragen vor, die für eine Annäherung an das Thema hilfreich sein können: „Was gilt in welchen Teilen von Gesellschaft – in der eigenen Stadt oder Schule, in unterschiedlichen Medienbeiträgen – mit Blick auf Religion als ‚normal‘, was als ‚fremd‘? Welche Religionen sind öffentlich sichtbar, welche nicht? Welche Eigenschaften und Stereotype werden welchen Religionen zugeschrieben? Welche Bilder, welche Vorstellungen verbinden wir selbst mit welchen Religionen, und woher kommen diese Bilder und Vorstellungen? Welche Grundrechte haben religiöse und nichtreligiöse Menschen, und wie können sie diese Grundrechte ausüben?“ (Ebd.) Nicht zuletzt ist es der gesellschaftliche Diskurs über Religion, der als Erfahrungsrealität religiöser oder religiös wahrgenommener Jugendlicher im pädagogischen Kontext wahr- und ernstgenommen werden sollte.

Fazit

Eine Vielzahl an Diskursen verschränken sich im Themenfeld „Religiöse Vielfalt“. Von pädagogischer Bedeutung ist insbesondere, die soziale Dimension religiöser Zugehörigkeit wahrzunehmen und Aspekte religiöser Vielfalt nicht in Zuschreibungsformaten zu verhandeln, in welchen Wir-Ihr-Gegenüberstellungen reproduziert werden, sondern vielmehr eigene als auch gesellschaftlich relevante Zuschreibungen zu reflektieren. Weniger die religiöse Differenz an sich als vielmehr die Erfahrungen, welche die Jugendlichen in den pädagogischen Einrichtungen (und in ihrem Alltag) machen, sind von pädagogischem Interesse. Eine religionsoffene Haltung muss sich also darum bemühen, den Kategorisierungen, mit denen Schüler_innen wie im eingangs zitierten Beispiel konfrontiert werden, kritisch zu begegnen und zugleich Räume zu schaffen für sowohl religiöse als auch nicht-religiöse Ausdrucksformen gleichermaßen. Exemplarisch formuliert der Berliner Verein ufuq.de die universellen Fragen, die auch für eine religionsoffene Haltung insgesamt gelten können: „‚Wie wollen wir leben?‘ ist daher eine unserer Leitfragen. Wir interessieren uns für die Lebenswelten von Jugendlichen selbst: Welche Interessen und Wünsche haben junge Muslim*innen? Wie sehen sie sich selbst und andere? Welche Erfahrungen machen sie und wie leben sie ihren Glauben – wenn er ihnen denn überhaupt wichtig ist?“ (ufuq.de 2022).