Interaktionen sind ein Wesenselement pädagogischer Arbeit. In ihnen treten Adressat_innen und Fachkräfte miteinander in Kontakt, beziehen sich aufeinander und stellen gemeinsam Wirklichkeit her. Interaktionen ermöglichen Verständigung. Sie bilden die Basis für die Begleitung und Unterstützung von Teilhabe und Bildung. Zugleich sind Interaktionen störanfällig. Offensichtlich wird das, wenn Interaktionen scheitern und abbrechen. Aber auch ihre Fortsetzung ist nicht per se der Beweis für ein gelungenes Interaktionsarrangement.

Die gemeinsam hergestellte Wirklichkeit kann das Ergebnis ungleicher und unreflektierter Machtverhältnisse sein. Die gemeinsam hergestellte Wirklichkeit ist nicht zwingend eine gemeinsame Wirklichkeit, in der es allen Beteiligten gut geht. Diese Erkenntnis stellt einen zentralen Ausgangspunkt für die Gestaltung von Interaktionen im pädagogischen Raum dar.

Interaktion und Verständigung im Alltag

Grundsätzlich sind Interaktionen Begegnungen von zwei oder mehr Individuen, die miteinander und aufeinander bezogen handeln (Abels 2007, S. 184). Im Alltag werden Interaktionen dann als gelungen wahrgenommen, wenn eine intersubjektive Verständigung dem pragmatischen Zweck entsprechend möglich ist. Routinierte Zweckmäßigkeit stellt die zentrale Orientierung in der Bewältigung des Alltags dar (Berger und Luckmann 2009, S. 44). Wissen, das für die Bewältigung des Alltags irrelevant erscheint, bleibt unter dieser Perspektive uninteressant: „Solange mein Wissensvorrat befriedigend funktioniert, bin ich im Allgemeinen bereit, Zweifel an ihm nicht aufkommen zu lassen“, so Berger und Luckmann (ebd., S. 45). Das heißt: Solange meine Äußerungen beim Bäcker, an der roten Ampel, beim Vorbeigehen an meiner Nachbarin die von mir erwarteten Reaktionen hervorbringen, gibt es keinen Grund, sie zu ändern. Solange ich das gewünschte Gebäck erhalte, die Kinder stehenbleiben und meine Nachbarin grüßt, stelle ich meine Äußerungen nicht in Frage. Mehr noch: Indem ich mich so äußere wie ich es tue, zeige ich an, dass ich diese Äußerung für angemessen halte, um die erwartete Reaktion zu erhalten und irritiert wäre, wenn sie ausbliebe.

Damit Interaktionen im Alltag funktionieren, muss das, was gesagt wird, weder eindeutig sein noch muss es exakt so verstanden werden, wie es gemeint ist. Es reicht, dass alle Beteiligten hinreichend über „common sense knowledge“ (Garfinkel 1967), also geteiltes Erfahrungswissen für den Interaktionszusammenhang, verfügen und den Eindruck haben, dass das, was passiert, (mehr oder weniger) normal und angemessen ist. Dann behindern Vagheiten den Interaktionsprozess nicht. Im Gegenteil: Die sogenannten Krisenexperimente von Harold Garfinkel (1967, S. 42 ff.) zeigten schon vor über 50 Jahren, dass Interaktionen im Alltag gerade deshalb funktionieren, weil von den Beteiligten akzeptiert wird, dass Sprache vage und uneindeutig ist und die Aufforderung zur Präzisierung eine (unnötige) Störung des Ablaufs von Alltagshandlungen wäre. Sie halten auf und es gibt in Bezug auf Alltagsverrichtungen die Erwartung, dass das nicht gewünscht sein kann.

Der pragmatischen Zweckmäßigkeit von Alltagskommunikation entsprechend werden Sinngebungen nur dann korrigiert, wenn das pragmatische Ziel der Interaktion zu scheitern droht. Nachfragen, der Wunsch nach Präzisierungen oder korrigierende Äußerungen werden entsprechend nur dann als notwendig wahrgenommen, wenn alle Beteiligten in der Situation merken, dass sie ohne nähere Ausführungen nicht weiterkommen. Wenn der Bäcker nicht weiß, welches Gebäckstück gemeint ist, die Kinder sich nicht angesprochen fühlen oder die Person im Treppenhaus nicht reagiert, bedarf es einer Präzision, Ergänzung oder Korrektur, um das gewünschte Ziel zu erreichen.

Verstehe ich aber nicht, warum der Bäcker nicht begreift, was ich will, die Kinder an der Ampel mir die Zunge herausstrecken und weiterlaufen und die Nachbarin nur die Augenbrauen hochzieht, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Interaktion Schaden nimmt bzw. scheitert. Solange der Interaktionszusammenhang besteht, gibt es noch eine Chance zur Korrektur. Aber: Eigentlich wollte ich ja nur ein Gebäckstück kaufen, die Kinder an Verkehrsregeln erinnern und die Nachbarin flüchtig grüßen. Wenn das jetzt kompliziert wird, dann lasse ich es eben. Dann kaufe ich meinen Schokoberg eben woanders, rege mich zuhause über die unerzogenen Kinder (und ihre Eltern) auf und ignoriere die Nachbarin bei der nächsten Begegnung.

Vis-a-vis-Interaktionen – also direkte, unmittelbare Begegnungen – im Alltag sind der Raum, in dem wir möglichst routiniert und zügig die Alltagsanforderungen bewältigen wollen. Aber sie sind auch der Raum, an dem die Frage danach, von welcher Normalität wir ausgehen, verhandelt und entsprechende Gewissheiten erneuert werden (Berger und Luckmann 2009, S. 34). Sie sind damit der Raum, in welchem machtvolle Positionierungen reproduziert werden, weil sie für das Erreichen des pragmatischen Zwecks uninteressant sind, und in dem sie sichtbar gemacht und verhandelt werden können. Während in alltäglichen Interaktionen häufig dem pragmatischen Zweck Vorrang gewährt wird – und das obwohl auch im alltäglichen Zusammenleben zunehmend offensichtlicher wird, dass gemeinsam geteilte Selbstverständlichkeiten brüchiger werden – sind Räume der Sozialen Arbeit in einem emanzipatorischen Sinne explizit dafür da, die Verhandlung von Positionen zu ermöglichen und die heterogenitätsreflexive Gestaltung von Interaktionen zu erproben.

Ungleiche Teilhabe und Entfaltungsmöglichkeiten als Folge dominanzkultureller Setzungen

Soziale Ungleichheit in ihrer jeweiligen individuellen, gesellschaftlichen und historischen Ausprägung wirkt auf die Handlungsspielräume der Adressierten ein. In der Sozialen Arbeit wie auch in der Kindheitspädagogik steht der Einzelfall häufig im Mittelpunkt und ist in seiner Eigenlogik zu ergründen und zu rekonstruieren. Professionelle Fachkräfte müssen sich die Frage stellen, welche Ungleichheitsverhältnisse auf welche Weise, etwa in die Art der Beteiligung von Adressat_innen an Interaktionen, hineinspielen. Gleichzeitig ist aber auch die eigene Positionierung als Fachkraft in den Blick zu nehmen und ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass man selbst trotz Reflexion und Sensibilisierung in Ungleichheits- und Differenzverhältnisse verstrickt bleibt.

Die relevanten Aspekte für den Diversitätsbegriff sind einmal die im Diskriminierungsschutz (dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz) erwähnten Merkmale wie Geschlecht, Alter, Behinderung, Religion, sexuelle Orientierung und Herkunft/Rasse. Zum anderen sind aber auch weitere Aspekte wie soziale Schicht oder Klasse, Bildungsstand etc. von Bedeutung. Eine wichtige Rolle spielt seit den 1990er-Jahren der Begriff der Dominanzgesellschaft oder -kultur, der auf Birgit Rommelspacher (1995) zurückgeht. Er versucht, das Zusammenleben unter mehrdimensionalen, vielschichtigen Macht- und Herrschaftsbedingungen zu beschreiben. Die Dominanzgesellschaft ist geprägt von einer Geschichte, die Herrschen und Beherrscht werden zu ihren zentralen Ordnungskategorien hat werden lassen. Nach dem zur Beschreibung struktureller Diskriminierungen von Rommelspacher entwickelte Begriff erklären sich Formen der Ausgrenzung – wie die des Rassismus – wesentlich durch die dominanten kulturellen Normen einer Gesellschaft. Sie schlagen sich nieder im alltäglichen Handeln und Verhalten der Gesellschaftsmitglieder – in der rassistischen Bezeichnung eines Gebäckstücks, der adultistischen Adressierung von Kindern oder der sexistischen Anrede einer Frau. Sie entfalten ihre Wirkung aber auch in professionellen Interaktionszusammenhängen, insbesondere dort, wo diese eine hohe Nähe zu alltagskommunikativen Praxen aufweisen. Hier jedoch kann aufgrund des professionellen Auftrags eine besondere Begründungs- und Reflexionsverantwortung angemahnt werden. Die Beiträge dieses Schwerpunkts belegen mit dem Fokus auf einzelne Diversitätskategorien die Notwendigkeit dieser Auseinandersetzung, weil sie einerseits deutlich machen, wie schnell dominanzkulturelle Annahmen auch in professionellen Kontexten die Basis für Adressierungsweisen und Handlungsentwürfe bilden und andererseits Hinweise darauf geben, wie sich dies auf marginalisierte Adressat_innen auswirken kann.

Zu den Beiträgen des Schwerpunkts

Anja Kerle und Philipp Schäfer zeigen anhand zweier exemplarischer Sequenzen aus eigenen Forschungsarbeiten die Vielschichtigkeit und Komplexität von Klassismus in kindheitspädagogischen Settings auf. In den Ausführungen wird sichtbar, entlang welcher Kriterien und mit welchen Begründungen Eltern als „arm“ positioniert werden, welche klassistischen Zuschreibungen damit einhergehen und wie gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse in alltäglichen, organisational gerahmten Praktiken gestützt werden. Sie plädieren dafür, dass bei Forschungen in diesem Kontext eine Reflexion sowohl über analytische Heuristiken als auch eigene habituelle Bewertungsschemata unabdingbar ist.

Im Anschluss daran widmen sich Nadia von Heyden und Susanne Zeltwanger der Dethematisierung von Rassismuserfahrungen im Kita-Alltag und der Notwendigkeit, Räume für einen offenen rassismuskritischen Umgang zu schaffen. Auf Basis von Gruppendiskussionen mit pädagogischen Fachkräften stellen sie fest, dass ein offener und vorurteilsbewusster Austausch über ethnische Herkunft und Hautfarbe eine besondere Herausforderung für Pädagog_innen darstellt. Um einen rassismuskritischen Prozess in den Einrichtungen in die Wege zu leiten, müssen sich Träger, Leitung und pädagogische Fachkräfte ihrer Meinung nach sowohl professionell als auch persönlich mit rassistischen Wissensbeständen in der eigenen Sozialisation, in den Organisationsstrukturen sowie in der täglichen Praxis auseinandersetzen.

Elke Seilers Beitrag zu pädagogischen Herausforderungen im Umgang mit religiöser Vielfalt basiert auf den Erfahrungen aus der islambezogenen Bildungspraxis. Aus ihrer Sicht braucht es insbesondere im pädagogischen Feld ein Bewusstsein dafür, dass Religion nicht allein als Glaubensfrage zu verhandeln ist, sondern auch eingebettet ist in einen sozialen Kontext, den es aus einer dominanzkritischen Perspektive zu begreifen gilt. Ähnlich wie Kerle und Schäfer weist sie auf die Notwendigkeit einer selbstkritischen Reflexion der Fachkräfte bezüglich eigener Wahrnehmungen und vermeintlicher Zuschreibungen hin und zeigt exemplarisch auf, welche Reflexionsfragen für diesen Prozess hilfreich sein können.

Offene Fragen

Die Beiträge werfen einen Blick auf die Wirkungen fehlender Heterogenitätsreflexivität mit Blick auf jeweils eine Vielfaltsdimension. Zugleich wissen wir, dass im (pädagogischen) Alltag verschiedene soziale Kategorien zusammenspielen. Die Verwobenheit und das Zusammenwirken verschiedener Kategorien sowie deren Zusammenhang zu Macht- und Herrschaftsverhältnissen können aufgrund der Komplexität in den einzelnen Beiträgen nicht dezidiert aufgezeigt werden. Die intersektionale Perspektive, also das Wissen darum, „dass soziale Kategorien, wie Herkunft, Gender, Schichtzugehörigkeit, körperliche Beeinträchtigungen etc. nicht isoliert voneinander analysiert werden können, um die Hintergründe sozialer Ungleichheit zu verstehen“ (Bronner und Paulus 2021, S. 11) sollte dabei jedoch nicht aus dem Blick geraten. Sie mitzudenken ist erforderlich, um sich „Macht‑, Herrschafts- und Normierungsverhältnisse, die soziale Strukturen, Praktiken und Identitäten (re)produzieren“ (ebd.), angemessen anzunähern. Dabei geht es immer auch um die Verbindung von gesellschaftlichen Strukturen und dem individuellen Handeln in konkreten praktischen Zusammenhängen.

Was die Beiträge auch zeigen: Wenn professionelle Beziehungen zu stark pragmatischen Alltagszwecken unterworfen werden und wenn zu wenig Raum dafür da ist, sich von konkreten Handlungszwängen zu lösen und einen Schritt zurückzutreten, dann reduziert dies deutlich die Möglichkeiten, Interaktionen professionell und heterogenitätsreflexiv zu gestalten. Der Hinweis auf die Notwendigkeit einer heterogenitätsreflexiven Interaktionsgestaltung ist damit nie nur als Aufforderung an die individuelle Professionalität der Fachkräfte zu verstehen, sondern immer auch eine Aufforderung, die strukturellen Bedingungen zu reflektieren, welche die Begegnungen im pädagogischen Raum rahmen.