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Seit einiger Zeit wird der Begriff „Haltung“ wieder vermehrt gebraucht, und damit ist alltagssprachlich in der Regel eine richtige bzw. gute Haltung gemeint. Welche Rolle aber spielt Haltung in professionstheoretischer Sicht und wie kann man Fachkräfte dazu bringen, über ihre Haltung nachzudenken?

Betrachtet man sozialberufliches Handeln aus einer professionstheoretischen Perspektive, wie etwa Dewe und Otto dies im Rahmen ihrer „reflexiven Sozialpädagogik“ tun, dann gerät die Forderung in den Blick, dass eine „Analyse der Institutionen der Sozialen Arbeit um die Analyse der logischen Struktur des professionellen Wissens und Handelns selbst zu vervollständigen“ (Dewe und Otto 2002, S. 198) sei. Mit dieser „Vervollständigung“ wird die Aufmerksamkeit auf das sozialberufliche Tun gelenkt, welches – soll es denn als professionell gelten – an die Fähigkeit zur „Relationierung und Deutung von lebensweltlichen Schwierigkeiten in Einzelfällen mit dem Ziel der Perspektiveneröffnung bzw. einer Entscheidungsbegründung unter Ungewissheitsbedingungen heraus“ (ebd.) gebunden ist. Und obgleich Entscheidungen der Fachkräfte bereits durch organisational formierte Interaktionsordnungen (vor)moduliert sind, so befinden sie sich dennoch in actu oft in hochkomplexen Situationen, die durch Unvorhersehbarkeit, Widersprüchlichkeit, konfliktreichen Zielvorstellungen aber auch durch unterschiedliche Annahmen und Erwartungen gekennzeichnet sind (vgl. Dewe und Otto 2011, S. 1137). Unter diesen Bedingungen sind Fachkräfte der Sozialen Arbeit – oft unter Handlungsdruck – aufgefordert, im Hier und Jetzt HaltungFootnote 1 zu zeigen, oder anders gesagt, eine Position einzunehmen, die sowohl für andere als auch für sich selbst in Begründungs- und Rechtfertigungszusammenhängen eingebunden sind und einer kritischen Prüfung ausgesetzt bleiben.

Im Zusammenhang eines Positionsbezugs – in Sachen Werte, Ideale, Standpunkte, Gesinnungen – kann bildhaft werden, dass Halt durch Haltung gewonnen werden kann. Ein Sachverhalt, der insbesondere in Zeiten der Verunsicherung und Krisen für Menschen einen hohen Stellenwert hat. Allerdings sind hier zwei Seiten zu beachten: Die Fachkraft nimmt eine Haltung ein, bezieht Stellung, hat einen Standpunkt und markiert darüber einen Ort, der aufgrund seiner Festigkeit und Kontur sowohl ihr selber als auch ihrem Gegenüber Sicherheit und Halt geben kann. Doch darf die dunkle Seite nicht ausgeblendet bleiben. Haltung kann durch Kritikverlust zu Konformismus, zu Mitläufertum, zu Verhärtung bis hin zu einem fanatischen Starrsinn führen. Diese wenigen Stichworte sind ein Fingerzeig darauf, dass Haltung nicht per se „gut“ ist, sondern als ein Ausdruck einer Ethik zu verstehen ist, die selber reflektiert werden muss.

Entsprechend wird im aktuellen Diskurs der Sozialen Arbeit Haltung zunächst ganz allgemein verstanden als ein Sichtbar- und Praktisch-Werden eines Ethos (vgl. Großmaß und Perko 2011), als ethische Praxis also. Damit steht sie in Bezug zu dem performativen Moment einer „Realisierung“ von ethischen Vorstellungen, Richtlinien und Maßstäbe eines „guten“ Handelns.Footnote 2 In dieser Wendung wird Haltung als Ausdruck eines sozialprofessionellen Ethos betrachtet, und es ist wahrscheinlich diese Sichtweise, die zur Popularität des Haltungsbegriffs in Theorie und Praxis Sozialer Arbeit beigetragen hat. Denn die Thematisierung und Diskussionen von ethischen Fragen (und damit auch so etwas wie ein Berufsethos) lässt sich als ein Seismograph gegenwärtiger gesellschaftlicher wie lebensweltlicher und eben auch professionsbezogener Verunsicherung, etwa durch eine „Krise des Sozialen“, verstehen (vgl. Wimmer 1996). Darin kommen gegenwärtige Krisenerfahrungen zum Ausdruck, die Fragen nach Orientierung auf den Plan rufen und damit auch Fragen nach Gestaltung des Ethischen sowie des Politischen auch in, mit und durch Soziale Arbeit stellen.

Den prominentesten Bezug in den Diskussionen um Haltung nimmt dabei die aristotelische Philosophie ein. Haltung wird hier im Rahmen der Nikomachischen Ethik (Aristoteles 1998) als hexis diskutiert, und bezieht sich auf den angemessenen Umgang mit Affekten. Dieser Diskussionsrahmen verweist auf zwei Aspekte, die für die gegenwärtige Auseinandersetzung um (professionelle) Haltung erhellend sind: Zum einen wird es möglich, einen Bogen zu Diskursen um Affekt, Emotion und Gefühl (Clough und Halley 2007) zu spannen, die in den letzten Jahren eine verstärkte Aufmerksamkeit erlangt haben und gleichlaufend eine ‚vergessene‘ Leib_Körper Dimension (Hünersdorf 2018) aufgreifen. Dabei wird nicht nur die Verfasstheit des Sozialen jenseits kognitivistischer Reduktion berücksichtigt, sondern auch das leib_körperliche Involviert- und Verstrickt-Sein der Sozialprofessionellen in die Situation mitgedacht. Zum anderen lässt sich der Rekurs auf Aristoteles vor dem Hintergrund einer Renaissance der Tugendethik (bspw. bei Ascombe 1974 oder MacIntyre 1987) nachvollziehen. In Abgrenzung zu einer Pflichtethik steht bei einer tugendethischen Konzeption das „Wollen der Person“ im Vordergrund.

Unter der Voraussetzung, dass Kontingenz, Zukunftsoffenheit und Unplanbarkeit die Zielorientierung der Pflicht zunehmend zu zersetzen droht, verschiebt sich der Fokus auf die (tugendhafte) Gestaltung der Situation mit offenem Ausgang (vgl. Lautermann und Pfriem 2006), womit Haltung als Merkmal professionellen Tuns augenscheinlich eine Aufwertung erfährt. Denn rückgebunden an ethische Maßstäbe soll nunmehr die Fachkraft mit ihrer Haltung eine Orientierung geben, die zugleich nicht (schlicht) auf eine universalistische Zielvorstellung abzielt, sondern der Offenheit der jeweiligen Situation Rechnung trägt.

In dieser tugendethischen Rahmung des Begriffs wird Haltung dann weniger als fachliche Kompetenz begriffen, sondern damit wird vielmehr insbesondere die Volitiven sowie Leib-sinnlichen Dimensionen der gesamten Persönlichkeit anvisiert. Haltung als Thematisierung der Dispositionen (professioneller) Personen, reiht sich dabei in eine traditionsreiche Auseinandersetzung professioneller Beziehungsgestaltung in der Pädagogik allgemein ein: ausgehend von Pestalozzi (2018, S. 19) gelinge Soziale Arbeit „wesentlich nur von Angesicht zu Angesicht, nur von Herz zu Herz menschlich“, ist es etwa Nohls „Bildung des Erziehers“ (Brezinka 1959) sowie beispielhaft auch die Gestalt der Lehrerpersönlichkeit (vgl. auch Fiegert und Solzbacher 2014), die hier Fragen nach den „guten, richtigen und erfolgreichen“ Eigenschaften der Sozialprofessionellen stellt.

Wenn es um Haltung geht, geht es (zumindest aus dem Blickwinkel der oben beschriebenen Perspektive) um die kritische Reflexion der Dispositionen der (je biografisch gewordenen) Subjekte, die die Auseinandersetzung mit der professionellen Rolle umgreift. Die einzelnen Beiträge des Schwerpunkts thematisieren unterschiedliche Aspekte dieser Auseinandersetzung mit Haltung als sozialprofessionellen Ethos’ und drehen sich damit auch um die Auseinandersetzung einer „Bildung der sozialprofessionellen Person“. Dabei kommen in den Aufsätzen von Gunzelin Schmid Noerr, Eva Georg sowie Michael Domes, Marcus Bahr und Sebastian Kist aus verschiedenen professionellen Kontexten qualitativ-empirisch gewonnene ‚Stimmen‘ zu Wort, wie Haltung gefasst werden kann. Die in den genannten Beiträgen als explorativ zu beschreibende Vorgehensweise spiegelt gewissermaßen die Auseinandersetzung mit einem Haltungsbegriff selbst wider, der sich auf die Erfahrung der eigenen Person bezieht und die Idee nicht von außen heranträgt, sondern vom Standpunkt schon gebildeter Haltung aus betrachten. Reiner Becker nimmt in seinem Beitrag Bezug auf einen performative Haltungsbegriff. Er erläutert, wie sich Haltung als Haltung zeigt und zugänglich wird und verweist auf die Notwendigkeit, diesen nicht nur in Krisenzeiten aufzurufen.

Fluchtpunkt der einzelnen Beiträge bilden die Auseinandersetzungen mit der Person selbst, den Bezug zu anderen und den professionellen und disziplinären Rahmen eines Berufsethos, die dabei immer wieder die Fragen nach (Un‑)Möglichkeiten von Bildungsräumen von Haltung in Studien- und Ausbildungskontexten aufgreifen.