Kulturarbeit und ländlicher Raum scheinen zunächst ein Widerspruch an sich, wenn man bei Kulturarbeit an den Zugang zu Angeboten der Hochkultur denkt: Wieso das denn, da ist doch nichts …! Das stimmt zum Teil. Angebote der Hochkultur kommen meist aus der Stadt. Denen hält der ländliche Raum jedoch seine Kulturlandschaften und damit verbundenen Traditionen und Praktiken entgegen. Das ist „nicht nichts!“

Das Aufeinanderprallen von eher urban und eher ländlich gerahmten Kulturangeboten erzeugt oft Konflikte und Affekte, u. a. Gefühle von Fremdheit und Befremdung. Gerade in ländlichen Regionen scheinen Angebote Kultureller und politischer Bildung für Jugendliche fast wichtiger zu sein als in der Stadt.

Ein etwas weiterer Kulturbegriff

Der ländliche Raum befindet sich in Transformation – u. a. als Ergebnis einer verfehlten europäischen Landwirtschafts‑, Umwelt- und Energiepolitik, starker Zersiedelung durch Bau- und Verkehrsvorhaben und unkontrolliertem Landverkauf an global operierende Finanz-Konsortien, die zunehmend vormals landwirtschaftlich genutzte Flächen aufkaufen und deren Preise, auch für Verpachtungen, hochtreiben, was viele bäuerliche Familienbetriebe dazu zwingt, ihre Betriebe aufzugeben. Diese Entwicklung veränderte auch die Dörfer und ihre Infrastruktur sowie deren traditionelle, die Landschaft prägende Kultur. „‚Kultur‘ kann als die Art und Weise verstanden werden, wie der Mensch sich die Welt zu seiner gemacht hat und macht; Bildung kann demgegenüber als die Art und Weise verstanden werden, wie der Mensch sich selbst in der Welt gemacht hat und macht.“ (Fuchs und Liebau 2012, S. 28). Der Mensch gestaltet sich und seine Welt zunehmend urban: Gearbeitet wird jetzt in der Stadt, wo die Arbeitsangebote sind und wo auch die Kinder in Kindertageseinrichtungen und zur Schule gehen. Eingekauft wird auf dem Rückweg im Discounter mit dem großen Parkplatz.

Dieses urban orientierte, mobile Arbeits- und Familienleben auf dem Land, das sich aufgrund stetig steigender Miet- und Immobilienpreise insbesondere in den Speckgürteln der Städte ansiedelt, lässt nicht nur die Dorfläden, sondern auch dörfliche Grundschulen, Kindertageseinrichtungen und den wöchentlichen Gottesdienst verschwinden, den ÖPNV brauchen die organisierten Fahrten in Familienautos eher selten. Das Internet ersetzt den Schwatz im Dorfladen und die Stammtische der Dorfkneipe. Übrig bleiben oft nur noch freiwillige Feuerwehr und der Fußballverein, die dann die Kulturarbeit als Organisation des dörflichen Gemeinschaftslebens übernehmen. Der ländliche Raum mit seinen traditionellen Kulturlandschaften und damit verbundenen Kulturangeboten verändert sich. Dabei kann Kultur als symbolische Praxis durchaus sehr breit aufgefasst werden, wie der irische Kulturwissenschaftler Terry Eagleton betont: „Ohne Kultur können wir keine Schweinefarm betreiben und keine Kaserne leiten – nicht in dem Sinne, dass wir im Schweinestall Gustav Mahler pfeifen oder die Schriften von Diderot unter den Soldaten verteilen, sondern in dem Sinne, dass wir mit Werten und Bedeutungen umgehen. Man kann die Kultur als einen Sonderbereich der Zivilisation sehen, von Blaskapellen und Kindergärten bis hin zu Modeschauen und Basilisken. Doch sie bezeichnet auch die symbolische Dimension der Gesellschaft als Ganzes, welche diese vollkommen durchdringt, so allgegenwärtig wie der Allmächtige.“ (Eagleton 2017, S. 24)

Globale Transformationen

Dennoch zeigt sich auch der ländliche Raum zunehmend von den Auswirkungen der (technischen) Anforderungen des globalen, digital operierenden Kapitalismus geprägt, dessen „Hyperkultur“ von „Prozessen der Valorisierung und Affektintensivierungen“ (Reckwitz 2017, S. 17) begleitet wird. Dies ist als globale Entwicklung zu betrachten, die vom urbanen Raum ausgeht, sagt auch der Architekt Rem Kohlhaas, einst mit Delirious New York (1978) einer der Repräsentanten des Großstadtlebens. Kohlhaas sieht gravierende Veränderungen von vertrauten ländlichen Kultur-Landschaften, wie seine 2020 im New Yorker Guggenheim Museum präsentierte Ausstellung „Countryside: Future of the World“ zeigte. Zum einen sei das Land, so berichtet Niklas Maak, der die Ausstellung als Architekturhistoriker und Journalist zusammen mit Kohlhaas konzipierte, ein ‚vergessener Raum‘, in dem „sehr große Experimente stattfinden“ könnten, in dem man „frei von den Zwängen des Stadtlebens neue Lebensformen, neue Technologien ausprobieren“ könne (Maak zit. in Roelcke 2020) Zum anderen problematisiert Kohlhaas genau diese Beziehungen zwischen Globalisierung und ländlichen Regionen: „Seit zehn, 15 Jahren ändert sich das Land schneller und radikaler als die Städte. Die epochale Bedeutung dieser Transformation wird nicht erkannt […]. Mir wurde klar, dass wir das Land vergewaltigen, um unser Leben in den Städten erträglich zu machen.“ (Kohlhaas 2018, S. 15). Die Journalisten Claudius Seidl und Carolin Wedemann unternahmen 2017 zusammen mit Niklas Maak, von Kohlhaas’ Thesen beeinflusst, einen Vergleich der Entwicklungen von Großstädten und ländlichen Regionen in Deutschland. Sie beobachteten dabei eine zunehmende Verlagerung des traditionellen Dorflebens in Innenstadtbezirke (Kieze) von Metropolen, während gleichzeitig „die größten Gebäude der Gegenwart gar nicht mehr in den Metropolen gebaut [werden, B.A.] sondern auf dem Land. Es sind keine Flughäfen und Wolkenkratzer – sondern bis zu einem Kilometer lange Ställe für Massentierhaltung, es sind ‚Fulfilment-Centres‘, die Auslieferung von Amazon und anderen Online-Retailern. Es sind Rechenzentren und Serverfarmen, in denen die Datenmengen aus den Städten gespeichert werden, in Bauten, die so viel Energie verbrauchen wie eine Kleinstadt. Die Großrechner und Speicher, die enorme Hitze entwickeln und enorme Strommengen verbrauchen, werden mitten in die Landschaft verbaut. […] Deutlich sichtbar wird, dass die Voraussetzungen für das Leben, das wir in der Stadt führen, auf dem Land geschaffen wird: Der Strom, die Daten, das Essen, alles wird auf dem Land aufbewahrt oder hergestellt […]. Das Handeln des Städters, der im sägerauen Café sitzt und dies und das googelt und liked, wird in den Serverfarmen auf dem Land vorausberechnet und manipuliert.“ (Maak et al. 2017, S. 82f.)

Befremdungs- und Entheimatungsgefühle

Nach drei Corona-Jahren, die zugleich durch die Auswirkungen der Klimakrise von Hitze- und Dürre-Sommern geprägt waren, wurde der ländliche Raum für die Städter_innen, wenn sie es sich leisten konnten, zunehmend zum Erholungs- und Resilienzraum. Seit dem Ukrainekrieg Anfang 2022 wird im ländlichen Raum zudem der Ausbau der Erneuerbaren Energien und Stromtrassen massiv beschleunigt. Das Land, die vertrauten Landschaften, die vertraute Umgebung und damit verbundene vertraute Lebensweisen werden durch solche Bevölkerungszuzüge und die beschriebenen architektonischen und technologischen Eingriffe somit zunehmend verfremdet. Die nächste Umgebung wird als fremd und befremdend empfunden. Im Zuge solcher Prozesse der wachsenden räumlichen Unverbundenheit bzw. „Entwurzelung“ derartiger global gerahmter Arbeits- und Lebensformen wächst im 21. Jahrhundert in Europa und generell im Westen, insbesondere in den USA, so auch das – von rechtspopulistischen Politikern diskursiv befeuerte – Gefühl der „Überfremdung“, „Ent-Heimatung“ und des „Fremdseins im eigenen Land“ (Hochschild 2016). Auch in Deutschland mischen sich rechtspopulistische Politiker gerne in „Kulturkämpfe“ (Götz und Laudenbach 2019), um die öffentliche Finanzierung der Kultur und des Öffentlich-rechtlichen Rundfunks ein. Die rechtspopulistischen Parteien agieren, das listen Andrea Röpke und Andreas Speit in „Völkische Landnahme“ (Röpke und Speit 2019) auf, besonders gern und intensiv im ländlichen Raum: „Sie kaufen Gutshöfe, siedeln sich mit Familien und Gleichgesinnten in entlegenen Regionen an. Sie bewirtschaften Bauernhöfe, pflegen Land und Vieh, ökologisch und artgerecht, bringen sich in Vereinsleben, Eltern- und Umweltinitiativen ein, bemühen sich um Gemeinwohl, Kultur, Naturschutz. Sie pachten Jagdgründe, hegen den Wildbestand und pflegen den Wald […] Diese Strategie, durch Landnahme im vorpolitischen Raum eine kulturelle Hegemonie zu gewinnen, hat eine politische Intention: Sie wollen mit ihren Familien auch ihre völkisch-nationalistische Weltanschauung praktisch leben, ihre Kinder in der Natur und in ihrem Geiste erziehen, Brauch- und Volkstum wiedererwecken und oft Naturreligiösität ausleben. […] Für die Völkischen, die Verfechter einer elitären deutschen Gesinnungsgemeinschaft, spiegelt die angestrebte Lebensweise auf dem Lande die eigene Weltanschauung wieder.“ (Röpke und Speit 2019, S. 7 f.).

Die Autor_innen zitieren Kommentare von Anwohner_innen über ihre neuen Nachbar_innen „‚Wir dachten, das sind Ökos, also Linke … Die sehen doch auch so aus, in ihren selbstgemachten Klamotten‘“ (Röpke und Speit 2019, S. 7 f.). Die über Kleidung und Engagement für Naturschutz vermittelte Assoziationen zum bekanntem Öko-Aktivismus wirkt oft verharmlosend. In der Natur zelebrierte Brauchtumsfeiern älterer Siedlergemeinschaften würden in Regionen, in denen sonst nichts viel los ist, als ‚Ereignis‘, als schöne Abwechslung wahrgenommen und gern besucht; auch ehrenamtliches Engagement würde stets – ganz unpolitisch pragmatisch – begrüßt. „Hauptsache, die Zugezogenen zeigen sich heimatverbunden und bodenständig, nicht abgehoben und städtisch. ‚Die machen hier wenigstens noch was‘, sagen Dörfler ähnlich gleichlautend in Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Gemeinderäte und Verwaltungen in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt zeigten sich anfänglich erfreut, als ‚junge Familien‘, alte Höfe, verfallene Gemäuer oder ein geschichtsträchtiges Rittergut erwarben. […] Die Erleichterung über den Verkauf schwer absetzbarer Immobilien weicht vielerorts der Erkenntnis, dass aus Höfen und Gemäuern ‚nationale Ansiedlungen‘ oder neu-rechte Bildungseinrichtungen wurden.“ (Röpke und Speit 2019, S. 7 f.). Im Hintergrund basiert dieses Bild auf einem heiklen Umgang mit dem aufgrund der nationalsozialistischen Vergangenheit so ambivalenten, mittlerweile (post-)migrantisch gerahmten Heimatbegriff (vgl. Althans et al. 2019).

Die Autor_innen zitieren Kommentare von Anwohner_innen über ihre neuen Nachbar_innen „‚Wir dachten, das sind Ökos, also Linke … Die sehen doch auch so aus, in ihren selbstgemachten Klamotten‘“ (Röpke und Speit 2019, S. 7 f.). Die über Kleidung und Engagement für Naturschutz vermittelte Assoziationen zum bekanntem Öko-Aktivismus wirkt oft verharmlosend. In der Natur zelebrierte Brauchtumsfeiern älterer Siedlergemeinschaften würden in Regionen, in denen sonst nichts viel los ist, als ‚Ereignis‘, als schöne Abwechslung wahrgenommen und gern besucht; auch ehrenamtliches Engagement würde stets – ganz unpolitisch pragmatisch – begrüßt. „Hauptsache, die Zugezogenen zeigen sich heimatverbunden und bodenständig, nicht abgehoben und städtisch. ‚Die machen hier wenigstens noch was‘, sagen Dörfler ähnlich gleichlautend in Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Gemeinderäte und Verwaltungen in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt zeigten sich anfänglich erfreut, als ‚junge Familien‘, alte Höfe, verfallene Gemäuer oder ein geschichtsträchtiges Rittergut erwarben. […] Die Erleichterung über den Verkauf schwer absetzbarer Immobilien weicht vielerorts der Erkenntnis, dass aus Höfen und Gemäuern ‚nationale Ansiedlungen‘ oder neu-rechte Bildungseinrichtungen wurden.“ (Röpke und Speit 2019, S. 7 f.). Im Hintergrund basiert dieses Bild auf einem heiklen Umgang mit dem aufgrund der nationalsozialistischen Vergangenheit so ambivalenten, mittlerweile (post-)migrantisch gerahmten Heimatbegriff (vgl. Althans et al. 2019).

Zwischen den Kulturauffassungen im (groß-)städtischen und ländlichen Raum scheinen Welten zu liegen, wie auch die Theaterkritikerin Christine Dössel in ihrem Kommentar zum Berliner Theatertreffen 2022 aufzeigt. Dössel stellt ein nachlassendes Publikumsinteresse als „Entwöhnung“ und „Umgewöhnung“ auch des großstädtischen Publikums als Nachwirken der Corona-Pandemie fest. „Netflix ist in der Pandemie ein wichtiger Player geworden und das Sofa ein billiger Aboplatz.“ (Dössel 2022, S. 9) Angesichts der inhaltlichen Auswahl der Stücke 2022 merkt sie zudem eine starke Fokussierung auf die urban geprägten Perspektiven der Theater der Metropolen auf kulturelle Diversität, Queerness und Critical Whiteness an, die sie – zugespitzt – als Einengung auf den „Diskurs der Bubble“ wahrnimmt. Dössels Statement, „in der Auswahl eine generelle Entwicklung […] zur Blasenbildung im Namen des Korrekten, Woken und Guten“ wahrzunehmen, die „mit einer Tendenz zum Tunnelblick und oft auf Kosten des Spielerischen, Freien, Verrücktschönen“ einherginge, scheint enthält womöglich einen wichtigen Hinweis auch für die aktuellen Angebote Kultureller Bildung. Dössel gesteht dem Theatertreffen 2022 dabei durchaus zu, „richtige und wichtige Themen“ zu haben, die auf soziale Ungleichheit und Ungerechtigkeit hinweisen, es spräche die Zuschauer_innen mit seinen Ästhetiken aber oft nicht an: „Denn stell Dir vor, das Theater löst alle Probleme – und keiner geht hin.“ (Ebd.)

Das Forschungsprojekt „Wasteland“

Umso wichtiger erscheinen somit Institutionen Kultureller Bildung im ländlichen Raum und ihre Kulturangebote, Projekte und Initiativen, die sich in ihren Aktionen und Angeboten gewissermaßen als Scharnier zwischen den Kulturen, zwischen Land und Stadt verstehen lassen, die einerseits lokale Traditionen aufnehmen, andererseits an urbane Diskurse und Ästhetiken anknüpfen. Das in der BMBF-Förderlinie ‚Kulturelle Bildung im ländlichen Raum‘ forschende Projekt „Wasteland? Ländlicher Raum als Affektraum und Kulturelle Bildung als Pädagogik der Verortung“ untersucht, inwieweit Kultur- und Bildungsinstitutionen im ländlichen Raum dabei unterstützen können, Gefühle von „Be-Heimatung“ zu entwickeln oder – umgekehrt – Verlusterfahrungen von Zugehörigkeit, „Ent-Heimatung“ zu artikulieren. Ländliche Räume werden dabei als Affekträume verstanden, denen sich das interdisziplinär zusammengesetzte Wasteland?-Team mit ethnographischen und künstlerischen Methoden annähert.1 Das Projekt geht dabei davon aus, dass Erfahrungen von Ent- und Beheimatung schwer zu verbalisieren sind und dass das Gefühl des ‚Abgehängtwerdens‘ in infrastrukturschwachen ländlichen Räumen partizipativer Forschung bedarf, die andere als sprachlich-diskursive Artikulationsmöglichkeiten anbietet. Während der ersten beiden, stark von der Pandemie gerahmten Projektjahre wurde vorrangig in den Institutionen geforscht und dabei untersucht, wie dort jeweils in der Kulturarbeit mit den Corona-Bedingungen, mit dem Social Distancing und der zunehmenden Verlagerung der Arbeit ins Digitale umgegangen wurde; in den letzten beiden Jahren wird jeweils ganz körperlich, vorrangig im ländlichen, dörflichen Raum geforscht und untersucht, welche Initiativen Kultureller Bildung dort – mit oder ohne Bezug auf die Angebote der mit dem Projekt kooperierenden Institutionen – entstehen und wie sie wirksam werden. Das Projekt fokussierte dabei die unterschiedlichen NaturKultur-Landschaften in den drei Regionen als affektive Räume, als „affective landscapes“, die aus den individuellen, z. T. auch disziplinär oder biographisch geprägten Verwicklungen der Akteur_innen in die Landschaften der jeweils beforschten Region und in die Praktiken und Politiken, die sie prägen, entstehen.

Landschaftskommunikation, landschaftliche Bildung und Heim(ar)beit in Altranft – Beispiel 1

Das Wasteland-Team greift auf die schon etablierte Kulturarbeit von den kooperierenden Kulturinstitutionen vor Ort zurück. So hat gerade das Team um die Kulturwissenschaftler Kenneth Anders und Lars Fischer im Oderbruch-Museum Altranft in Brandenburg ein Konzept der Landschaftskommunikation (Anders und Fischer 2020) sowie ein Konzept ästhetisch-politisch gerahmter landschaftlicher Bildung entwickelt, wobei Letzteres sich besonders an Kinder und Jugendliche richtet: ‚Landschaft‘ wird dabei als geteilter Raum, auf zweierlei Weise geteilt verstanden: Als territorial/geopolitisch auf- und eingeteilter Raum, dessen Ressourcen aus unterschiedlichen Gründen und Interessen genutzt werden; aber auch als miteinander geteilten sozialen und emotionalen Raum, in dem die unterschiedlichen Nutzer sich Regeln geben und sich an diese halten müssen. Um diese Prozesse zu klären und zu unterstützen, wird deshalb landschaftliche Bildung „als raumbezogene Kulturelle Bildung“ definiert. „Sie will Menschen dazu ermutigen, sich ihren Raum sprachlich, handwerklich, ästhetisch und philosophisch als Ressource anzueignen. Sie zielt auf die Wahrnehmung, das Begreifen und Verstehen des menschlichen Lebensraums – seines Habitats – und begreift die Kommunikation über den geteilten Raum als schöpferische Tätigkeit. Landschaftliche Bildung soll dazu beitragen, sich mit den Spielregeln, die in den Raum hinsichtlich unseres Naturverhältnisses sowie unserer sozialen Praxis eingeschrieben sind, auseinanderzusetzen und diese nach ihren verschiedenen Möglichkeiten zu befragen. Indem sie den künstlerischen Ausdruck einer so ermöglichten Raumerfahrung fördert, entwickelt sie unser individuelles und kollektives Gestaltungsvermögen in der konkreten Welt.“ (Anders et al. 2020).

Dies artikuliert sich u. a. in der ‚vernetzenden‘ Arbeit des Museums mit ‚Jahresthemen‘, in denen jeweils bestimmte Aspekte der Landschaft herausgearbeitet werden (so 2016 Handwerk; 2017 Wasser; 2018 Landwirtschaft; 2019 Baukultur, 2020 Menschen; 2021 Eigensinn; 2022 Natur und 2023 Jugend). Die Jahresthemen, die die inhaltliche Grundlage für das jeweilige Museumsprogramm bilden, werden aus jeweils 20 bis 30 Befragungen von Menschen gespeist, die durch ihre eigene Praxis eigenes Erfahrungswissen beitragen können. Dies wird in den Ausstellungen des Museums und Werkstattbüchern dokumentiert, die zusätzlich durch künstlerische Arbeiten ergänzt werden, sowie durch Theaterprojekte und Salongespräche unterstützt.

Für Schulen wurde das landschaftliche Bildungsprojekt ‚Heim(at)arbeit‘ über Arbeits‑, Wirtschafts- und Lebensformen im Oderbruch entwickelt, das Mirjam Lewandowsky und Janna Wieland beforschten. Schüler_innen der achten und neunten Klassen nahe gelegener Oberschulen und Gymnasium besuchen dort einen Tag lang verschiedene Akteur_innen der Region und lernen deren Arbeitsorte durch eigenes Nachfragen kennen: Was machen Sie den ganzen Tag? Macht Ihnen Ihr Beruf Spaß? Warum sind Sie Bauer oder Fotograf geworden? Haben Sie ein Hobby? Warum arbeiten Sie im Theater oder was ist überhaupt ein Co-Working Space? Schüler_innen erhalten ein ‚Mitgebsel‘, das zusammen mit entstandenen Fotografien und Notizen in der Werkstatt des Museums aufbereitet wird. Die Zeichnungen, Drucke, Fotografien oder Objekte werden später in einer Ausstellung präsentiert. In den Schulen wird mit dem entstandenen Material weitergearbeitet. In den Reaktionen der Schüler_innen wurde oft eine emotionale Bindung an und durch Landschaft sichtbar; mal mit großer Nähe, mal mit weniger Zugehörigkeitsgefühl.

Land sehen: Partizipative Theaterarbeit an der Landesbühne Wilhelmshaven – Beispiel 2

Die Landesbühne Niedersachsen Nord ist heute neben dem ‚Theater für Niedersachsen‘ (Hildesheim) eine von zwei niedersächsischen Landesbühnen. Obwohl eigentlich ‚klassische Kulturinstitutionen‘, spielen beide Bühnen nicht nur an ihren Stammort und Verwaltungssitz, sondern versorgen darüber hinaus auch als ‚mobile Bühnen‘ ein großes Spielgebiet im ländlichen Raum. Im Fall der Landesbühne Niedersachsen Nord, die in den 1950er-Jahren noch bis in die Lüneburger Heide reiste, änderten sich die Spielorte anfangs jährlich. Heute präsentiert das Theater seine Inszenierungen in einer von 720.000 Menschen bewohnten Region, die von Ostfriesland über das Emsland bis in das Oldenburger Münsterland reicht. Schwerpunkte sind neben dem klassischen Schauspiel die ‚Junge Bühne‘ (julabü) für ein Jüngeres Publikum sowie partizipative Theater-Projekte, die theaterpädagogisch begleitet in Kinder- und Jugendclubs erarbeitet werden, wobei letztere, die in den Corona-Jahren in digitalen Workshop- und Kooperationsformaten entwickelt wurden. von Janna Wieland beforscht wurden. So im Jahr 2021 die Entstehung einer Performance und des Kurzfilms ‚By the Sea‘ des Jugendclubs zur gleichnamigen Land-Art Ausstellung der Wilhelmshavener Kunsthalle; der Theaterworkshop „TalentCampus 2021“, in dem Kinder und Jugendliche performativ Zukunftsszenarien entwickelt haben und in denen u. a. eine hohe affektive Bedeutung dieser Artikulationsmöglichkeiten beobachtet werden konnte. Sie begleitete auch die Entwicklung der Inszenierung ‚Land sehen‘, die in Kooperation mit den Jungen Bühnen der Theater in Wilhelmshaven, Bremen und Oldenburg theaterpädagogisch unterstützt wurde und ‚Hart am Wind‘, ein norddeutsches Theater-Festival für junges Publikum, das im Juni 2022 an den drei Spielorten gezeigt wurde. Thema war die eigenständig erarbeitete und im Stück artikulierte Sicht von Jugendlichen auf die Besonderheiten, Einschränkungen, aber auch Vorteile des Aufwachsens auf dem Land im Gegensatz zur Stadt. Es erzählt in einer multi-medialen Inszenierung von Bildern und Stereotypen zum Landleben.

Jugendliche Zukunfts-Visionen in der Gegenwartskunst im ländlichen Raum – Beispiel 3

Das MI, die Kunst- und Kulturtätigkeit der Arthur Boskamp-Stiftung bietet in der kleinen Gemeinde Hohenlockstedt in Schleswig-Holstein ein Programm zeitgenössischer Kunst, Kulturvermittlung und Alltagskultur, wie es auch die drei aktuellen Programme mit unterschiedlicher (internationaler, regionaler und lokaler) Ausrichtung widerspiegeln: M.1 kuratieren, Förderpreise und M.1 Lokal. Das regionale, sozial engagierte Kunst- und Aktionsprojekt HOLO_RAMPE, durchgeführt vom Kollektiv rampe:aktion, ermöglichte 2021 jungen Menschen eine spielerische und experimentelle Erkundung nicht nur der eigenen Verortung in Hohenlockstedt, sondern auch anderer möglicher Lebensweisen. Ausgangspunkt des Projekts war eine Laderampe am Stiftungsgebäude, die als „Zwischenraum“ – zwischen Stiftung und Ort – während der sechs Aktionswochen zu einem Ort künstlerischer Aktion wurde. Zwischen Protest, Film, Poesie, Graffiti, Bildender Kunst und Performance entstanden temporäre Räume und Situationen, in denen gesellschaftliche Verhältnisse spielerisch in Frage gestellt wurden.

Die im Forschungsprojekt geplante partizipative Forschung in Hohenlockstedt schließt an diese bereits etablierte Kunst- und Vermittlungspraxis der Stiftung an. Fiona Schrading entwickelte 2022 in Zusammenarbeit mit der Künstlerin und Kunstvermittlerin Insa Schülting ein Workshop-Format für Kinder und Jugendliche, in dem es um die Perspektive der jungen Menschen auf die Zukunft im ländlichen Raum ging. Wie passen ‚Zukunft‘ und ‚Land‘ zusammen? Welche Ideen und Vorstellungen gibt es konkret für die Zukunft in Hohenlockstedt? Kann in Zukunft eigentlich alles ganz anders sein? Ziel des Workshops war es, mit den Kindern und Jugendlichen einen Wagen zu einem möglichen „Zukunfts-Hohenlockstedt“ zu bauen, der ein Teil des Erntedankumzugs der jährlich stattfindenden Pellkartoffeltage in Hohenlockstedt wurde. Mit traditionell geschmückten Wägen präsentieren sich auf diesem Umzug die Ortschaften sowie die Vereine des Ortes. Der von den jungen Menschen entworfene Wagen knüpft an diese Tradition an und hat an ihr Teil – zugleich aber wird er Fragmente eines völlig anderen Hohenlockstedts zeigen und in die traditionellen kulturellen Praktiken des Ortes mit ganz anderen Ästhetiken, Visionen, Perspektiven intervenieren. Das Projekt „Welche Farbe hat die Zukunft? Holo in 100 Jahren“ versteht sich insofern einerseits selbst als ein Format kultureller Bildung, das in Kooperation mit der Kunst- und Kulturstiftung M.1, dem Jugendzentrum Hohenlockstedt sowie dem Kieler B2K-Büro, das aktuell für Hohenlockstedt einen Ortsentwicklungsplan konzipiert, durchgeführt wird – andererseits aber auch als eine künstlerische Intervention in die Ortsgeschichte.

Abb. 1
figure 1

Abb. 1

Abb. 2
figure 2

Abb. 2