Zusammenfassung
Der Beitrag beleuchtet die generalistischen Bildungsstrukturen Sozialer Arbeit und die daraus resultierenden Erfordernisse für ein reflexives, professionelles Handeln im Bereich Palliative Care im Sinne einer strukturierten Qualifizierung sowie im Verständnis eines lebenslangen Lernens mit entsprechend kontinuierlicher Kompetenzentwicklung.
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In den in Deutschland angebotenen Bachelor- und Master-Studiengängen im Bereich Soziale Arbeit spielt Wissen über Palliative Care derzeit noch kaum eine Rolle. So können Studierende nicht für das Thema interessiert, geschweige denn qualifiziert werden. Insofern sind auf dem Studium basierende Weiterbildungen erforderlich.
Der Deutsche Qualifikationsrahmen für Lebenslanges Lernen (DQR) umfasst „bildungsbereichsübergreifend alle Qualifikationen des deutschen Bildungssystems“ (Arbeitskreis DQR 2011, S. 3f.). Er differenziert in die zwei Kompetenzkategorien „Fachkompetenz“ (unterteilt in „Wissen“ und „Fertigkeiten“) sowie „Personale Kompetenz“ (unterteilt in „Sozialkompetenz“ und „Selbständigkeit“) und versteht die Methodenkompetenz als Querschnittskompetenz (vgl. Arbeitskreis DQR 2011). Die Erstausbildung für die Soziale Arbeit erfolgt gemäß dem Qualifikationsrahmen Sozialer Arbeit (QR SozArb) in Form eines grundständigen generalistischen Studiums (vgl. Fachbereichstag Soziale Arbeit FBTS 2016, S. 17), verbunden mit der Annahme der „Erweiterung und Vertiefung von Wissen, Fähigkeiten, Fertigkeiten, Kompetenzen und Haltungen mit der Möglichkeit zur Spezialisierung im Arbeits- und Forschungsgebiet“ (ebd.). Didaktisch bedeutet dies, dass mehr als die reine Wissensvermittlung, nämlich die Kompetenzentwicklung vordergründig und der Transfer des Gelernten mitberücksichtigt werden (vgl. Mai und Arnold 2018, S. 1821).
Gemäß der Kultusministerkonferenz (KMK) ist Weiterbildung als „Vierte Säule“ im Bildungswesen einzuordnen im Konzept des lebenslangen Lernens (vgl. KMK 2001, S. 3) und wird definiert u. a. als „die Fortsetzung oder Wiederaufnahme organisierten Lernens nach Abschluss einer unterschiedlich ausgedehnten ersten Bildungsphase und in der Regel nach Aufnahme einer Erwerbs- oder Familientätigkeit. Weiterbildung in diesem Sinne liegt auch vor, wenn die Einzelnen ihr Lernen selbst steuern und umfasst die allgemeine, berufliche, politische, kulturelle und wissenschaftliche Weiterbildung“ (KMK 2001, S. 4). Im Rahmen des Konzeptes eines lebenslangen Lernens gewinnt die Fort- und Weiterbildung an Bedeutung (vgl. Thole und Meyer 2021, S. 975). Anknüpfend an den QR SozArb dient Weiterbildung einer Aktualisierung, Erweiterung und Vertiefung von Wissen und Können auf der Basis und in Relation zu beruflichen Erfahrungen. Die Vermittlung eines Bewusstseins für die Notwendigkeit von lebenslangem Lernen bzw. die Einsicht, dass „Wissen immer an Nicht-Wissen gekoppelt ist“ (Thole und Meyer 2021, S. 975), sollte frühzeitig beginnen und die diesbezügliche Verantwortung auf der individuellen, organisationspolitischen bzw. Träger- und bildungspolitischen Ebene eingeordnet werden. Dies knüpft an ein Verständnis reflexiver Professionalität, welches „sich zwar unverzichtbar an theoretischen oder methodischen Wissensbeständen orientiert, diese Orientierung aber um die Fähigkeit zur politischen Reflexion von gesellschaftlicher und akteursbezogener Praxis erweitert“ (Dewe und Otto 2012, S. 213). Auch im QR SozArb werden die Notwendigkeit von reflexivem Denken und Handeln, eine ethisch reflexive Haltung sowie eine reflexive Wissensvermittlung beschrieben (vgl. FBTS 2016, S. 15).
Zusammengefasst folgen die skizzierten Bildungs- und Qualifizierungswege der Grundüberzeugung eines lebenslangen Lernens und sollten stark reflexive Anteile erhalten bzw. zur Reflexion im Sinne einer kontinuierlichen, lebenslangen Auseinandersetzung anregen. Bildung setzt somit eine entsprechende Haltung im Rahmen einer neuen Lernkultur, u. a. weg von einer stark frontal ausgerichteten Wissensvermittlung hin zu einer Kompetenzentwicklung, auf Seiten der Lehrenden und Bildungsinstitutionen voraus (vgl. Mai und Arnold 2018). Ebenso die Bereitschaft zum lebenslangen Lernen und der Ermöglichung von Teilhabe an entsprechenden Angeboten auf Seiten der Akteur_innen – Studierende und Fachkräfte Sozialer Arbeit sowie deren Institutionskontexte bzw. Arbeitgeber_innen. Die Sensibilisierung für eine solche Bereitschaft und Haltung sollte bereits im Bachelor-Studium – insbesondere durch die Lehrenden – praktiziert und gefördert werden sowie von den diversen Akteur_innen im Laufe einer Berufsbiographie konsequent weiter verfolgt werden.
Anforderungen, Kompetenzen und Qualifizierung Sozialer Arbeit im Bereich Palliative Care
Ausgehend von der Grundüberzeugung des lebenslangen Lernens stellt sich mithin das Verhältnis von Wissen und Können im Sinne eines professionellen Handels in den Mittelpunkt des fachwissenschaftlichen Kompetenzdiskurses, der sich in den 1970er-Jahren deutlich entwickelte (vgl. z. B. Braun 2020, S. 56ff.). In diesem Zusammenhang werden unterschiedliche Kompetenzmodelle diskutiert, die teils parallel und ohne wechselseitige Bezugnahme entstanden sind (vgl. Braun 2020, S. 106). Manche Kompetenzmodelle zeichnen sich durch eine normative Struktur aus, ohne empirische Fundierung auf Basis theoretischer Überlegungen (vgl. Braun 2020, S. 81f.).
Es gibt eine Vielzahl an Anforderungen an die Soziale Arbeit in Palliative Care (vgl. Kiepke-Ziemes und Wasner 2022). Wagner spricht in Bezug auf die psychosoziale Situation schwerstkranker, sterbender Menschen von Verlusten auf verschiedenen Ebenen, z. B. dem Verlust der Zukunft, von sozialen Rollen, der sozialen Sicherung, der Autonomie. Zudem stellen der Abschied von Nahestehenden, die Frage nach der Gestaltung der letzten Lebenszeit und dem Ort des Sterbens, die Regelung letzter Dinge Herausforderungen dar. In diesem Kontext ermöglicht bereits die grundständige Ausbildung in der Sozialen Arbeit in besonderer Weise zu unterstützen, beraten, organisieren und vermitteln (vgl. Wagner 2021, S. 81ff.). Für Nahestehende sind die Begleitung und Pflege von schwer kranken, sterbenden Personen oft nicht nur mit negativen Auswirkungen auf Gesundheit und Wohlbefinden verbunden, sondern mitunter auch auf die finanzielle und berufliche Lebenssituation. Es sind somit diverse Belastungsfaktoren zu verzeichnen (vgl. Brandstätter 2021, S. 88ff.). Mennemann sieht die Aufgabe Sozialer Arbeit in der Ermöglichung von teilhabe- und bedarfsorientiertem Sterben auf mitmenschliche Weise in einem Begegnungsraum (vgl. Mennemann 2019, S. 246ff.). Auch Schütte-Bäumner fokussiert die professionelle Beziehungsgestaltung im Sinne einer dialogisch konzipierten Beratung sterbender Menschen in ihrer Lebenswelt. Es gehe darum, die „Agency (Ermächtigung zum Handeln) der sterbenden Menschen und ihrer An- und Zugehörigen“ (Schütte-Bäumner 2017, S. 26) zu fördern. Zur Realisierung ist die Beratungs- und Kommunikationskompetenz, verstanden als Querschnittskompetenz, der Fachkräfte Sozialer Arbeit eine zentrale Anforderung. Insbesondere mit dem systemischen Beratungsansatz ergeben sich viele Potenziale für die Tätigkeiten in Palliative Care. Mit der Stabilisierung und Gestaltung von Versorgungssettings werden neben dem Einzelfallbezug auch fallübergreifend Unterstützungsstrukturen im Sinne umsorgender Netzwerke innerhalb des jeweiligen Sozialraums in den Blick genommen. Damit sind fallbezogen sowie fallübergreifend Netzwerkarbeit, Navigationskompetenzen sowie Koordinierungs- und Kooperationskompetenzen für die Vermittlung zwischen Schnittstellen bzw. Überwindung dieser bedeutsam. Besondere Anforderungen dürften ferner in der grundsätzlich interdisziplinären Ausrichtung liegen – ein geschärftes Profil und Professionalitätsverständnis Sozialer Arbeit sollte sich im relationalen Sinne innerhalb eines interdisziplinären Teams herausbilden bzw. zeigen. Zudem resultiert aus der Tätigkeit in Palliative Care die Kompetenzerwartung, sich mit der eigenen Endlichkeit im Sinne eines existenziellen Verlustes auseinanderzusetzen – mit den entsprechenden Auswirkungen auf das eigene professionelle Handeln (vgl. Krüger 2017, S. 114, 159).
Die „Task Force Soziale Arbeit“ der European Association for Palliative Care (EAPC) ermittelte – unter europaweiter Einbeziehung von Sozialarbeiter_innen verschiedener palliativer Versorgungssettings, internationaler Verbände und Expert:innen – die Vielfalt der Rollen, Aufgaben, Ausbildung sowie den interdisziplinären Beitrag von Sozialarbeiter_innen und definierte zehn Kernkompetenzen als übergeordneten Kompetenzrahmen Sozialer Arbeit in der Palliativversorgung für Europa (vgl. Hughes et al. 2014, 2015). Zudem führte sie eine europaweite Befragung zum Erhalt von Basisdaten zur Situation Sozialer Arbeit in Palliative Care durch (vgl. Bitschnau et al. 2020).
In der Lehre im Rahmen von Bachelor- und Master-Studiengängen ist es aktuell kaum bzw. oft lediglich extra-curricular umsetzbar, Wissen über Palliative Care zu vermitteln und Studierende für diesen Bereich zu interessieren, geschweige denn spezifisch zu qualifizieren. Während in Deutschland bislang eher Bestrebungen einer theoretischen Fundierung der Themen Sterben, Tod und Trauer in der Sozialen Arbeit zu verzeichnen sind (vgl. Krüger 2017, S. 147), werden z. B. in den USA Sterben und Tod als Querschnittsthemen Sozialer Arbeit angesehen und entsprechend in den Studiengängen fest integriert (vgl. Krüger 2017, S. 151ff.). Die umfassenden, hier lediglich skizzierten, Anforderungen in Palliative Care erfordern daher eine auf dem Studium aufbauende spezifische Weiterbildung (vgl. Kopitzsch und Kämper 2017, S. 13).
Etablierung eines nationalen Weiterbildungssystems für Palliative Care
Die Definition von Palliative Care der Weltgesundheitsorganisation (WHO) benennt neben der physischen auch die psychologischen, sozialen und spirituellen Dimensionen und betont, dass interdisziplinär auf eine bestmögliche Lebensqualität der Patient_innen und ihrer Familien hingewirkt werden soll (vgl. WHO 1990, S. 11f.). In den WHO-Leitlinien enthalten sind Angaben zur nationalen Umsetzung, u. a. zur Forschung auf dem Gebiet und spezifischen Qualifizierung aller in Palliative Care tätigen Fachkräfte (vgl. WHO 2002, S. 91ff.). Von der EAPC wurden zehn interdisziplinäre Kernkompetenzen und didaktische Empfehlungen für die Qualifizierung in Palliative Care sowie der diesbezüglichen Lehre und Vermittlung der Inhalte entwickelt (vgl. Krumm et al. 2015). Daran und orientiert am DQR wurde ein international anschlussfähiges, fächerübergreifendes Curriculum mit dem Ziel eines einheitlichen Qualitätsstandards für Palliative Care-Weiterbildungen in Deutschland als Grundlage für professions- und/oder settingspezifische Curricula erarbeitet. Im Ergebnis entstand die „Kompetenzbasierte berufsgruppenunabhängige Matrix zur Erstellung von Curricula für die Weiterbildung curricularer Bildungsinhalte in Palliative Care/Palliativmedizin (KoMPaC)“ (Fachreferat Curricula der Arbeitsgruppe Bildung 2017). Die bereits bestehenden Curricula der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) konnten den Kompetenzniveaus gemäß dem DQR zugeordnet und weitere entwickelt werden (vgl. Kopitzsch und Kämper 2017).
Spezialisierte Weiterbildung Sozialer Arbeit auf Grundlage eines Curriculums Palliative Care
Bislang existierte für die Soziale Arbeit in Palliative Care kein spezifisches Curriculum bzw. Weiterbildungsangebot, sondern lediglich das „Basiscurriculum Palliative Care – Eine Fortbildung für psychosoziale Berufsgruppen“ (vgl. Kern et al. 2004). Dieses wird nun abgelöst durch das Curriculum „Palliative Care für Soziale Arbeit“, auf dessen Grundlage in Kürze speziell auf die Soziale Arbeit abgestimmte DGP-zertifizierte Weiterbildungen angeboten werden können. Das Curriculum enthält zwei Teile: das „Basiscurriculum Soziale Arbeit in Palliative Care“ mit 120 Unterrichtseinheiten (UE) – bzw. 80 UE bei Anrechnung einer Weiterbildung auf Grundlage des „Multiprofessionellen Curriculums Palliative Care“ mit 40 UE (vgl. Kern et al. 2020) – sowie ein „Aufbaucurriculum Palliative Councelling“ mit 40 UE. Eine Weiterbildung nach diesem Basiscurriculum (120 UE) entspricht zudem den gesetzlichen Qualifikationsanforderungen für Koordinator: innen in Hospizdiensten gemäß § 39a SGB V mit beruflichem Hintergrund Sozialarbeit/Sozialpädagogik (vgl. Schütte-Bäumner et al. 2022). Das Curriculum soll zur Schärfung der zuvor benannten professionsspezifischen Kompetenzen der Sozialen Arbeit für den Einsatz im interdisziplinären Handlungsfeld Palliative Care beitragen. Basierend auf einem systemisch-konstruktivistischem Ansatz steht – unter Bezugnahme auf die verschiedenen Dimensionen von und den zehn EAPC-Kernkompetenzen in Palliative Care – der Erwerb von professionsspezifischem (Handlungs‑)Wissen sowie -kompetenzen im Fokus – und das für die Tätigkeit auf Einzelfall-, organisatorischer und Netzwerk-Ebene.
Fazit
Es ist kritisch anzumerken, dass die Entwicklung dieses und weiterer Curricula auf normativen, empirisch nicht fundierten Kompetenzmodellen zurückzuführen ist – u. a. auf Grundlage des DQR wurde mit dem Ziel einer Qualitätssicherung die KoMPaC entwickelt und ein zertifiziertes Weiterbildungssystem aufgebaut. Ohne empirische Forschung zu Kompetenzen und professionellem Handeln Sozialer Arbeit in Palliative Care besteht die Gefahr der Reproduktion eines theoretischen Zugangs mit fraglichem Nutzen für eine professionelle Handlungsfähigkeit im Praxisfeld. Dennoch war die Konzipierung eines spezifischen Weiterbildungscurriculums für die Soziale Arbeit auch aus berufspolitischen Gründen dringend geboten, so dass nunmehr die Handlungskompetenz Sozialer Arbeit in Palliative Care deutlich in den Vordergrund gerückt ist. Das Weiterbildungscurriculum wird einen wichtigen Beitrag zur weiteren Professionalisierung Sozialer Arbeit in Palliative Care leisten.
Literatur
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Lehmann, D., Schütte-Bäumner, C., Neupert, I. et al. Strukturierte Qualifizierung Sozialer Arbeit im Bereich Palliative Care. Sozial Extra 46, 376–381 (2022). https://doi.org/10.1007/s12054-022-00527-7
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