Der Aufstieg des dritten Sektors konnte die Demokratien im postsozialistischen Osteuropa nicht vor Rückschritten bewahren. Die Non-Profit-Vision des Vereinsleben nahm dem gemeinschaftlichen Leben seinen politischen Charakters und schuf eine entpolitisierte Zivilgesellschaft. Der große, aber unterfinanzierte Dienstleistungssektor war nicht in der Lage, die Schäden, die durch den kapitalistischen Übergang entstanden sind wirksam zu beheben. Hierdurch war es antidemokratischen Parteien und Bewegungen möglich, Ansätze einer liberalen Demokratie zurückzudrängen und den zivilgesellschaftlichen Raum zu verkleinern. Wie sieht eine neue Vision der Zivilgesellschaft aus, die Organisationen in die Politik einbindet und die Demokratie von einem elitären Ideal in ein populäres Instrument für Menschen aller Schichten verwandelt?

Am 29. November 1989, wenige Monate vor dem Zusammenbruch des sozialistischen Regimes, besetzten ein paar Dutzend Obdachlose eine Unterführung im Zentrum der ungarischen Hauptstadt Budapest und begannen ein fünftägiges Sit-in. Sie forderten öffentliche Wohnungen, sammelten Unterschriften und ihre Delegation traf sich mit dem Stadtoberhaupt. Einige Wochen später besetzten und blockierten sie einen der wichtigsten Bahnhöfe und gründeten eine kurzlebige Massenorganisation zum Schutz ihrer Rechte. Sie machten nur einen Bruchteil der zwei bis drei Millionen Menschen aus, die laut der Volkszählung von 1980 von Wohnungsmangel und Substandard-Unterkünften betroffen waren. Die neue demokratische Führung hörte jedoch nicht auf ihre Forderungen. Anstatt die ineffiziente Verwaltung des öffentlichen Wohnungswesens zu reformieren und arme Haushalte in staatliche Wohnungen umzusiedeln, privatisierte sie den öffentlichen Wohnungsbau und schuf Heime für Einzelpersonen und Familien in Not. Bis 1992 wurden landesweit etwa 2000 Heimplätze in 67 Einrichtungen eingerichtet und mehr als 237.000 Sozialwohnungen privatisiert. Zu diesem Zeitpunkt waren die Proteste zur Wohnungsfrage abgeflaut, und viele der Aktivisten wurden zu Klient_innen eines unterfinanzierten Obdachlosenhilfesystems (Sebály 2022).

Gehen wir in das Jahr 2020: Wenige Monate nach den ungarischen Kommunalwahlen kündigte der neue Bürgermeister von Budapest an, dass er Zwangsräumungen ohne angemessenen Ersatzwohnraum verbieten und eine gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft gründen werde, um erschwinglichen Wohnraum zu schaffen. Diese lang erwartete Entscheidung kam, nachdem sich sechs Oppositionsparteien bei einem Kandidatenforum bereits 2017 zu wichtigen wohnungspolitischen Maßnahmen verpflichtet hatten. Das Forum wurde von „The City Is For All“ organisiert, einer freiwilligen Organisation von Obdachlosen und Mieter_innen und ihren Verbündeten, die sich seit 2009 für die Durchsetzung eines Rechts auf Wohnen einsetzen. „The City Is For All“ organisierte mehrere Proteste, kommentierte regelmäßig Parteiprogramme, entwickelte wohnungspolitische Vorschläge und mobilisierte verarmte Wähler_innen vor den Wahlen. Die Mehrheit der Mitglieder_innen der Organisation waren Obdachlose und Mieter_innen von Sozialwohnungen, die mit einigen professionellen Verbündeten zusammen gearbeitet haben, die nicht direkt von der Wohnungskrise betroffen waren. Jahrelang vertraten Obdachlose von „The City Is For All“ ihre Interessen gegenüber den Medien und den Entscheidungsträger_innen.

Der Aufbau einer Organisation, welche die am stärksten ausgegrenzten und benachteiligten Bevölkerungsgruppen wirksam mobilisieren kann und ihre Beteiligung am öffentlichen Leben erleichtert, ist ein Schlüssel zu einer funktionierenden Demokratie. Dies erfordert eine völlig neue Vision der Zivilgesellschaft, die sich stark vom Non-Profit-Konzept unterscheidet, bei dem formelle, eingetragene Organisationen, die Zuschüsse und Projekte verwalten können und soziale Aufgaben vom Staat übernehmen und die bisher die Grundpfeiler einer starken Zivilgesellschaft sind. Während die erste Vision an die „Macht der Menschen“ glaubt, setzt letztere auf die „Macht der Fachleute“.

In Osteuropa haben mehrere Länder damit zu kämpfen, Autokratisierung rückgängig zu machen oder einen Verfall der Demokratie zu verhindern (Cianetti, Dawson, Hanley 2018, Lührmann, Lindberg 2019). Eines Tages wird dieser Kampf jedoch vorbei sein und die Menschen werden sich eine bessere, substantiellere Demokratie erarbeiten, die über die formalen Bedingungen der Rechtsstaatlichkeit hinausgehen. Ein partizipatorischeres und egalitäreres System erfordert einen neuen Ansatz zur Entwicklung der Zivilgesellschaft mit einer Theorie, wie einfache Menschen in die Politik einbezogen werden können (Sebály, Vojtonovszki 2016). Community Organizing ist ein solcher Ansatz. Sie stellt sich eine Gesellschaft vor, in der die Menschen in starken Basisorganisationen organisiert sind, die von den Betroffenen geführt werden und die ihre Interessen durch den strategischen Einsatz von Protesten und Verhandlungen durchsetzen können. Doch während sie für den sozialen Wandel kämpfen, verändern sich die Menschen auch. Sie gewinnen die Kontrolle über ihr Leben zurück und übernehmen eine Führungsrolle (Ganz 2009, Han, Oyakawa 2018, Whitman 2018). Dieser doppelte Effekt – die transformative Wirkung auf die äußere Welt und die Transformation des eigenen Selbst – macht die Organisation von Gemeinschaften zu einer Chance, die Qualität der Demokratie zu verändern. Ein paar Dutzend Beispiele aus Osteuropa könnten die Kraft dieses Ansatzes demonstrieren (Chmelík, Hughes, Hutniczak, Palas, Peric, Sebály, Tikász 2021). Aufgrund meiner Beteiligung erzähle ich die Geschichte von „The City Is For All“.

Eine Momentaufnahme der Entwicklung der Zivilgesellschaft in Osteuropa

In den Jahren 1989/90 spielte die Zivilgesellschaft eine entscheidende Rolle beim Fall des Eisernen Vorhangs. Menschen, die von verschiedenen Problemen betroffen waren, vom Wohnungskrise über die Umweltverschmutzung bis hin zur Arbeiterautonomie, erkannten die politische Möglichkeit, ihre Unzufriedenheit mit der Dysfunktionalität des sozialistischen Systems oder den autoritären Praktiken des sozialistischen Regimes zum Ausdruck zu bringen. Einige dieser Proteste waren umfassend und insbesondere schmerzhaft für die schwächer werdenden, alten Eliten. So zum Beispiel beim Gedenktag zum 21. Jahrestag des sowjetischen Einmarsches in die Tschechoslowakei am 21. August 1989, die Demonstrationen gegen den Bau der Gabčíkovo-Nagymaros-Staudämme in Ungarn in den Jahren 1988 bis 1990 oder die Wellen von Arbeiterprotesten in verschiedenen Ländern gegen benachteiligende Privatisierungen und die sich verschlechternden wirtschaftliche Bedingungen.

Als das alte Regime fiel, durchliefen die osteuropäischen Länder einen doppelten Übergang: politisch und wirtschaftlich. Um die neuen kapitalistischen Demokratien zu konsolidieren, brauchten die Staaten zuverlässige Partner, die auf die Schäden des wirtschaftlichen Übergangs reagieren und soziale Konflikte minimieren würden. Während sie die Hindernisse für die freien Märkte beseitigten, übertrugen sie einen Teil ihrer sozialen Verantwortung auf den entstehenden „dritten Sektor“ gemeinnütziger Organisationen (Dagnino 2011). Im Rahmen dieser Arbeitsteilung setzten die meisten zivilgesellschaftlichen Organisationen sozialpolitische Maßnahmen um, aber die öffentliche Politikgestaltung blieb unter staatlicher Kontrolle. Innerhalb weniger Jahre wurden Zehntausende von neuen Organisationen registriert. Dies war nicht nur gesetzlich vorgeschrieben, sondern wurde auch von internationalen Gebern gefordert, die den registrierten Status als Garantie für Transparenz und demokratische Arbeitsweise ansahen und oft sogar die am stärksten marginalisierten Gruppen (arme, arbeitslose Roma und Nicht-Roma-Gemeinschaften) aufforderten, eine juristische Person zu gründen.

Die Größe des dritten Sektors wuchs exponentiell, wies aber auch viele Schwachstellen auf. Die Geber entwickelten verschiedene Indizes zur Überwachung des rechtlichen Umfelds, der Kapazitäten, der öffentlichen Wahrnehmung und der Auswirkungen des Sektors (USAID NGO Sustainability Index, Johns Hopkins University’s Global Civil Society Index usw.). Gleichzeitig lieferten globale Erhebungen (z. B. der World Values Survey) einen Überblick über das Niveau der Mitgliedschaft in Organisationen aus der Vogelperspektive. Obwohl einige Länder besser abschnitten als andere, lautete die allgemeine Einschätzung, dass die Zivilgesellschaft in der Region schwach und die Menschen passiv sind (Howard 2011).

Diese Ansicht war vorherrschend, bis Forscher in den 2010er Jahren begannen, die Anzahl und Größe der Proteste im postsozialistischen Osteuropa anstelle von NGO-Kapazitäten und Organisationsmitgliedern zu betrachten (Ekiert, Foa 2017, Greskovits, Wittenberg 2016). Unter diesem Blickwinkel sahen sie eine lebendige Zivilgesellschaft, in der Zehntausende von Menschen Petitionen unterzeichnen, an Demonstrationen teilnehmen und sich unter anderem an Menschenketten, Streiks und Blockaden beteiligen. Ihre Ergebnisse bestätigten auch, worauf andere seit Ende der 1990er-Jahre hingewiesen hatten, nämlich dass es irreführend ist, die Zivilgesellschaft als ein normatives Konzept zu verwenden (Carothers, Barndt 1999). Stattdessen sollten wir besser anerkennen, dass die Zivilgesellschaft aus einer Mischung von Akteuren besteht, die das gesamte politische Spektrum repräsentiert und progressiv sein kann, aber auch diskriminierend und unpolitisch. Organisationen kämpfen um Anerkennung und Unterstützer, fördern Werte, die auch miteinander in Konflikt geraten könnten. Sie prägen die politische Kultur, indem sie sich aktiv an der Politik beteiligen oder ihr fernbleiben.

Die Erkenntnis, dass die Zivilgesellschaft nicht per se ein Hort des Guten ist, sondern ein Terrain des Kampfes, half dabei, die Ursachen für den vorübergehenden oder langfristigen Verfall der Demokratie in verschiedenen Ländern, einschließlich Osteuropa, zu verstehen (Youngs 2018). Die Mobilisierung der konservativen Zivilgesellschaft in Brasilien, Ungarn, Indien, Polen oder den USA, um nur einige zu nennen, trug zur Schwächung der Demokratie und zur Autokratisierung bei und zeigte einmal mehr, dass die Zivilgesellschaft gespalten ist entlang von Werten, die von den politischen Parteien verstärkt oder unterdrückt werden können.

Ein politischer Ansatz für den Aufbau der Zivilgesellschaft: Community Organizing

In einer Welt, in der die Ressourcen knapp sind, ist unser Leben von einem endlosen Kampf um Arbeitsplätze, Wohnraum, Lebensmittel, Geld usw. geprägt. Gewöhnliche Menschen brauchen viel Macht, um Einfluss auf politische und wirtschaftliche Akteure zu nehmen, die die Nutzung und Verteilung dieser Ressourcen maßgeblich kontrollieren. Dennoch halten die Führungspersonen in NGOs Macht oft für etwas Schlechtes, von dem sie sich fernhalten sollten, denn sie macht korrupt und böse. Macht ist weder gut noch schlecht, sondern eine Kraft, die wir auf tugendhafte oder böse Weise nutzen können. Wenn sie Macht als die Fähigkeit zu handeln betrachten, werden sie die Welt mit anderen Augen sehen.

Das ist die Aufgabe der Community Organizer. Diese Fachleute, die dabei helfen, eine lose Gruppe von Menschen mit gemeinsamen Interessen in eine Organisation zu verwandeln, die Macht und Politik ernstnehmen. Sie helfen den Menschen bei der Gestaltung der politischen Entscheidungen, die ihr Leben betreffen. Sie helfen ihnen, Führungsrollen zu übernehmen, gemeinsame Organisationen zu gründen und Proteste und Verhandlungen strategisch einzusetzen und zu nutzen. Um die Fähigkeit dieser gesellschaftlichen Gruppen zu verbessern, ihre Interessen in der Politik durchzusetzen, müssen die Community Organizer analysieren, wie Macht verteilt ist und wie man die gegebenen Machtverhältnisse in der lokalen oder nationalen Politik verändern kann. Saul Alinsky, die Ikone unter den amerikanischen Community Organizern, stellte sich in den 1960er-Jahren eine Gesellschaft vor, in der ein dichtes Netz dieser Basisorganisationen im ganzen Land eine stabile, schlagkräftige Struktur für einen groß angelegten sozialen Wandel bildet.

Alinsky und seine Anhänger haben weltweit einen großen Beitrag zur Entwicklung der Methode des Community Organizing geleistet, um die Bürgerbeteiligung zu verbessern. Dennoch war es eine jüngere Generation von Organizern, die, aus den Herausforderungen ihrer Vorgänger lernend, Community Organizing zu einer Theorie des Wandels ausarbeitete, die eine substanziellere Demokratie erreichen kann. Ausgehend von der Arbeit des britischen Politik- und Sozialwissenschaftlers Steven Lukes aus dem Jahr 1974 haben einige amerikanische Organizern des „Grassroots Policy Project“ einen Rahmen entwickelt, der die Macht dekonstruiert.

Diesem Rahmen zufolge hat Macht drei Dimensionen (Healey, Hinson 2018):

  • Die erste, die Entscheidungsmacht, ist für die Öffentlichkeit am sichtbarsten. Wenn Organisationen versuchen zu erreichen, dass sich ihre Forderungen und Interessen in der Politik widerspiegeln, wenden sie sich vor allem an diese Ebene der Macht. Sie setzen Verhandlungen und Proteste – inside and outside games – strategisch ein und nutzen die Hebelwirkung von Wahlzyklen, um Druck auf Entscheidungsträger_innen auszuüben. Dies ist die Macht, Forderungen durchzusetzen.

  • Die zweite Dimension der Macht besteht darin, die Agenda zu bestimmen. Diejenigen, die die Agenda bestimmen, kontrollieren die Debatten. Themen, die nicht auf die politische Tagesordnung kommen, werden nicht Gegenstand der Entscheidungsfindung sein. Dies ist die weniger sichtbare Seite der Macht, die Organisationen nur dann effektiv beeinflussen können, indem sie Allianzen um ein Thema herum bilden. Diese Dimension der Macht manifestiert sich in einem Netzwerk von Medien, politischen Instituten, kommunalen Organisationen, Interessenvertretungen, philanthropischen Organisationen, akademischen und kulturellen Einrichtungen und politischen Parteien, die sich hinter einem politischen Projekt vereinen. Eine solche Infrastruktur, die ein breites Spektrum von Akteuren umfasst, kann zur treibenden Kraft eines langfristigen sozialen Wandels werden.

  • Die dritte Dimension schließlich ist die Macht, den gesunden Menschenverstand zu formen. Dies ist die am wenigsten sichtbare Seite der Macht, die unser Weltbild definiert und die Grenzen unserer Vorstellungskraft festlegt. Nehmen wir zum Beispiel an, wir glauben, dass die Schaffung der Bedingungen für einen freien Markt zu einem wirtschaftlichen Aufschwung führen wird und dass eine gut funktionierende Wirtschaft die wirtschaftlichen Ungleichheiten beseitigen wird. In diesem Fall könnten wir akzeptieren, dass die Privatisierung von Sozialwohnungen und die Schaffung von Heimen kurzfristige Opfer für langfristigen Wohlstand sind. Dies war die vorherrschende Weltsicht zu Beginn der 1990er-Jahre im postsozialistischen Osteuropa, die sich nicht bewahrheitet hat. Stattdessen wurde der öffentliche Wohnungsbestand in diesen Ländern erheblich reduziert, und die Behörden hatten keine Mittel, um eine Wohnungskrise wirksam zu bewältigen.

Mit seiner ausgefeilten Methode der Partizipation und seinem ausgefeilten Machtkonzept bietet Community Organizing einen neuen Ansatz für den Aufbau der Zivilgesellschaft in Osteuropa für diejenigen, die glauben, dass das Heilmittel gegen den demokratischen Rückschritt eine substanziellere – egalitärere – Demokratie ist.

„The City Is For All“

„Große Organisierungskampagnen sind wie große Liebesaffären. Man beginnt, das Leben durch eine andere Linse zu sehen“, sagte Ai-jen Poo, eine amerikanische Gewerkschaftsorganisatorin, als sie ihre Arbeit in einem Artikel beschrieb (Poo 2010). Und so habe ich mich gefühlt, als ich mich den Bemühungen um den Aufbau von „The City Is For All“ anschloss, einer Basisorganisation von Obdachlosen, Mietern von Sozialwohnungen und ein paar erfahrenen Verbündeten. Gemeinsam gestalteten wir die ungarische Wohnungspolitik, stärkten die organisatorische Infrastruktur rund um den Wohnungsbewegung und änderten die Vorstellungen von Obdachlosigkeit. Die acht Jahre, in denen ich in diese Organisation eintauchte, führten dazu, dass ich ein professioneller Community Organizer wurde, und beeinflussten meine Entscheidung, einen Doktortitel zu erwerben.

The „City Is For All“ (AVM auf Ungarisch) wurde im August 2009 in Budapest von obdachlosen und nicht obdachlosen Teilnehmern einer Schulung der Obdachlosenorganisation „Picture The Homeless“ aus New York gegründet. AVM existiert noch heute und war fast zehn Jahren lang ein wichtiger maßgebender Akteur in der ungarischen Wohnungsbewegung. AVM ist nie registriert worden und arbeitet als informelle Aktivistengruppe. In der aktivsten Zeit bestand der harte Kern der Organisation aus 30 bis 40 Personen, die obdachlos waren oder denen eine Zwangsräumung drohte, sowie aus sechs bis acht professionellen Verbündeten, darunter auch ich, die nicht direkt von der Wohnungskrise betroffen waren. Wir arbeiteten in thematischen Arbeitsgruppen und wechselten zwischen intensiver Gemeinschaftsarbeit und direkten Aktionen ab.

Die Verbündeten waren sich sehr wohl bewusst, dass eine solche soziale Kluft zwischen den Mitglieder_innen eine echte Herausforderung für die Integrität der Gruppe darstellen würde und nicht allein durch guten Willen überbrückt werden konnte. Der Schlüssel zur Stabilität war eine ausgeklügelte Organisationsstruktur und ein tiefer Glaube an die Gleichheit der Menschen (Misetics 2017). Die Verbündeten wollten sicherstellen, dass Obdachlose die Mehrheit in der Organisation bildeten, und rekrutieren daher regelmäßig neue Mitglieder_innen. Die Mitglieder_innen hatten zahlreiche Möglichkeiten, durch Schulungen, die Organisation von Aktionen oder partizipative Aktionsforschung zu lernen. Bestimmte Personen der Organisation, z.B. Mediensprecher und Delegierte bei Entscheidungsträger_innen, die vor allem Obdachlose oder von Zwangsräumung bedrohte Menschen waren, erhielten zusätzliche Schulungen. Es hatte einen großen Einfluss auf die Politiker_innen dass sie einen politischen Vorschlag von Menschen hörten, deren Leben davon abhing.

AVM konnte mehrere Zwangsräumungen verhindern und erreichte einen Präzedenzfall, in dem entschieden wurde, dass Hütten nicht ohne ein ordentliches Verfahren abgerissen werden dürfen. Das erste langfristige „Housing First“-Programm, das Obdachlosen, die in Baracken leben, eine Unterkunft bietet, entstand aus einem von AVM organisierten Protest. Der größte politische Erfolg der Organisation war, dass der neu gewählte Bürgermeister von Budapest 2020 ankündigte, Zwangsräumungen ohne angemessenen Ersatzwohnraum zu verbieten und eine gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft zu gründen, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Diese Ergebnisse wurden durch beharrliches Organisieren in einem erdrückenden politischen Umfeld unter einer halbautoritären Regierung erzielt, die 2013 Obdachlosigkeit kriminalisierte um aus ihren Anti-Obdachlosen-Maßnahmen politisches Kapital zu schlagen versuchte.

Drei wichtige Institutionen der Bewegung sind aus der AVM hervorgegangen und haben die Infrastruktur der Wohnungsbewegung gestärkt (Udvarhelyi 2019):

  1. 1.

    „Streetlawyer“, eine Rechtsberatungsorganisation, die kostenlose Rechtshilfe für Bedürftige anbietet und 2010 als Rechtsberatungsstelle für Obdachlose gegründet wurde;

  2. 2.

    „From Street to Housing!“, eine Wohnungsagentur, die seit 2014 innovative Wohnungslösungen anbietet, das erste langfristige Housing First-Programm in Ungarn gestartet hat, zuvor unbewohnbare, leerstehende Sozialwohnungen renoviert und leerstehende Privatwohnungen nutzt; und

  3. 3.

    Die „School of Public Life“, ein Ausbildungsinstitut, das kostenlose Lernmöglichkeiten für zivilgesellschaftliche Führungskräfte, auch aus marginalisierten Gemeinschaften, anbietet und durch die partizipative Aktionsforschung in der Geschichte der ungarischen Wohnungsbewegung eine herausragende Rolle bei der Wissensproduktion spielte.

AVM ist ein beispielhaftes Modell für die Organisation armer Menschen und die klassen- und generationenübergreifende Zusammenarbeit. Durch die Arbeit von Obdachlosenrepräsentat_innen, die bereit sind, ihre Geschichten öffentlich zu erzählen, veränderte die Organisation nach und nach auch die Darstellung von Obdachlosigkeit in den Medien, beeinflusste die Einstellungen von Fachleuten, die mit Obdachlosen arbeiten, und beeinflusste das Denken mehrerer Entscheidungsträger_innen.

Und während wir die politischen Entscheidungen mitgestalteten, um unser Leben und das der anderen zu verbessern, veränderten wir uns auch. Obdachlose und nicht obdachlose Aktivist_innen durchliefen einen Wandel im Organisationsprozess, der ebenso politisch war wie unser Einfluss auf Regierungen und Gemeinden. Viele von uns übernahmen Führungsrollen in unseren Gemeinschaften oder anderen Organisationen, und zwei Mitglieder_innen wurden in einflussreiche Positionen in der Verwaltung von Budapest berufen. Mehrere obdachlose Mitglieder_innen bauten ein ganz neues Beziehungsnetz auf und erhielten Arbeit und eine Wohnung. Mir persönlich hat die Erfahrung geholfen, ein Kindheitstrauma zu verarbeiten und zu verstehen, wie häusliche Gewalt durch den fehlenden Zugang zu sicherem, erschwinglichem Wohnraum entsteht – ein Produkt systemischer Ungleichheit und nicht nur schlechter persönlicher Entscheidungen. Meine Arbeit bei AVM hat mir genug Mut gegeben, mich meiner Vergangenheit zu stellen und meine persönlichen Erfahrungen mit größeren politischen und sozialen Kämpfen zu verbinden.

Einige abschließende Gedanken

Community Organizing hat eine lange Tradition in den USA, von wo aus es sich in andere Teile der Welt verbreitet hat. Auch im postsozialistischen Osteuropa hat sie Wurzeln geschlagen und einige Erfolge vorzuweisen (Chmelík, Hughes, Hutniczak, Palas, Peric, Sebály, Tikász 2021). Mit seiner ausgefeilten Methode der Partizipation und seinem ausgefeilten Konzept der Macht könnte Community Organizing die Zivilgesellschaft in Osteuropa wirksam aufbauen und dazu beitragen, demokratische Rückschritte durch eine substanziellere – egalitärere – Demokratie zu ersetzen. Wie bei anderen innovativen Ansätzen kommt es jedoch auch hier auf Umfang, Disziplin und Engagement an. Wie Gordon Whitman in einer Veröffentlichung von Ariadne und dem European Community Organizing Network (ECON) schrieb: „Auch wenn der Kontext (und das Ausmaß) unterschiedlich sind, die Herausforderungen, denen sich Community Organizing in Europa und den USA gegenübersieht sind ähnlich: Wie kann man das Ausmaß und den Einfluss des Sektors vergrößern, ohne den Bezug zu dem disziplinierten Aufbau von Beziehungen zu verlieren, der Organizing für den Schutz und die Förderung der Demokratie so wichtig macht (Beckwith, Doane, Hughes, Sebály, Striethorst, Whitman 2019, S. 7). Community Organizing ist ein Beruf, der eine rigorose Ausbildung, ein tiefes Engagement für die Ermächtigung der Menschen und den Glauben an die produktive Kraft von Konflikten braucht, um seine transformative Wirkung zu entfalten.