Im Folgenden werden zentrale Erkenntnisse zu den Formen der Einflussnahmen vorgestellt. Die drei Kategorien manifestieren sich bundesland- und handlungsfeldübergreifend in den in Abb. 1 aufgeführten Varianten. Sie spiegeln die verschiedenen Formen der Einflussnahmen wider und geben Aufschluss über thematische Nahtstellen und Angriffspunkte.
Im Material zeigt sich, dass extrem rechte Gruppierungen eigene Angebote vorhalten und entwickeln. In dieser ersten Kategorie lassen sich fünf Varianten differenzieren:
Karitative Inszenierungen dienen im Wesentlichen dem Transport politischer Botschaften und nicht der realen Suche nach Lösungen für soziale Problemlagen. Die wesentliche Form ist die Spendenübergabe durch extrem rechte Akteure, z. B. an Einrichtungen der Wohnungslosen- oder Jugendhilfe.
Lückenfüller bezeichnet ein tatsächliches Angebot, das aber nicht unmittelbar mit einer politischen Botschaft verbunden ist, bspw. Sportangebote für Jugendliche oder Unterstützung bei der Ausbildungsplatzsuche.
Bei Scharnierangeboten handelt es sich um Aktivitäten, die meist soziokulturellen Charakter aufweisen und die sowohl aus geschlossenen extrem rechten Szenen hinaus- wie in sie hineinreichen. Hier handelt es sich etwa um Kinder- und Familienfeste, Konzerte oder Ausflüge, die zunächst Anschluss suchen, dann aber deutliche Botschaften, z. B. völkische oder antidemokratische Inhalte, offenbaren. Wer von diesen Inhalten angesprochen wird, kann für weitergehende Aktivitäten in geschlossenen Szenen gewonnen werden.
Angebote der Identitätsformierung und Angebote der Problembearbeitung spielen sich innerhalb geschlossener Szenen ab und weisen keinen missionarischen Charakter auf. So dienen Ferienlager extrem rechter Verbünde, Kampfsportaktivitäten oder die Rituale von völkischen Siedlern der Ausprägung kollektiver Zugehörigkeiten. Organisierte Formen der Sozial- und Rechtsberatung oder der Gefangenenbetreuung dienen dagegen insbesondere der Festigung von Loyalität innerhalb der Szenen.
Die zweite Kategorie, externe Einflussnahme, subsumiert alle Versuche, in denen extrem rechte Akteur_innen gezielt auf etablierte Angebote Sozialer Arbeit einwirken und im Sinne ihrer Ideologien Themen, Strukturen, Personen, Angebote oder Konzepte beeinflussen wollen. Die Variante Strukturen angreifen umfasst z. B. Anfragen in den kommunalen Parlamenten oder im Landtag, in denen etablierte Angebote der Sozialen Arbeit, insbesondere deren Finanzierung oder bestimmte Inhalte oder einzelne Fachkräfte in Frage gestellt und delegitimiert werden. Soziale Arbeit ist durch solche Angriffe in hohem Maße verunsichert und es bedarf eines hohen Arbeitseinsatzes und deutlicher Positionierung seitens der Fachkräfte, solche massiven Einflussnahmen professionell zu bearbeiten. Unter der Variante Bedrohen werden teils offene, teils verdeckte Angriffe auf Fachkräfte und Einrichtungen der Sozialen Arbeit gefasst. Darunter fällt eine große Bandbreite von Aktivitäten, die von verbalen Beschimpfungen über anonyme Drohschreiben bis hin zu physischen Angriffen reichen. Auch besonders gewaltvolle Formen, wie z. B. Brandanschläge auf Jugendzentren und Einrichtungen der Migrationsarbeit, Belagerungen von Beratungsstellen sowie einzelne physische Angriffe auf Mitarbeiter_innen sind dokumentiert.
Während die ersten beiden Varianten darauf ausgerichtet sind, Bestehendes zu destabilisieren, dienen die sozialräumlichen Inszenierungen und das Agenda-Setting dazu, Angebote und Maßnahmen Sozialer Arbeit inhaltlich neu auszurichten. Dazu zählen etwa die Verbreitung neurechter Flyer, Graffitis und Sticker an ausgewählten Kindergärten, Schulen, Jugend- oder Nachbarschaftszentren. Die Variante Agenda-Setting ist dagegen stärker inhaltlich ausgerichtet. Sie umfasst bspw. Demonstrationen oder Öffentlichkeitskampagnen, die gezielt Themen angreifen und neue platzieren, etwa in den Kontexten von Migration, Kinderschutz, Sexualpädagogik oder diversitätssensibler Pädagogik.
Unter die Kategorie interne Praktiken werden schließlich alle Handlungsformen gefasst, die innerhalb etablierter Angebote der Sozialen Arbeit auf Themen, Strukturen, Personen, Angebote oder Konzepte einwirken. Sie manifestieren sich in fünf Varianten:
Erstens in der Präsenz einzelner Mitarbeitender, die zur extremen Rechten gezählt werden können und die sowohl durch ihre Präsenz und als auch durch direkte Handlungen agieren.
Zweitens wird von diskriminierender Sprache berichtet, die von Fachkräften ausgeht und anhand von kategorialen Abwertungen insbesondere entlang rassistischer Zuschreibungen erfolgen. Viele Fachkräfte berichten davon und sind besorgt, weil sie beobachten, wie z. B. rassistisches Vokabular aber auch diskriminierende Positionierungen in den letzten Jahren zugenommen haben – sowohl innerhalb der Teams der Kolleg_innen als auch bei Adressat_innen und Kooperationspartner_innen.
Das trifft auch auf die dritte Variante zu, die diskursiven Orientierungen, in denen z. B. neosoziale Ausrichtungen auf die ökonomische Nützlichkeit einzelner Personen deutlich werden.
Mit solchen Orientierungen gehen auch partielle oder totale Ausschlüsse aus Angeboten einher, z. B. wenn mit Verweis auf eine ethnische Zugehörigkeit bestimmte Unterstützungsleistungen erst gar nicht angeboten werden oder der Zugang zu solchen Angeboten beschränkt wird, ohne dass dafür ein rechtlich legitimer Grund besteht.
Die fünfte Variante, Unterlassen und Dulden, ist schließlich häufig eine Bedingung dafür, dass sich extrem rechte Diskurse und Praktiken entfalten können. Wenn Widerspruch und Positionierung gegenüber extrem rechten Denkweisen und Praktiken unterbleiben, werden Einflussnahmen ermöglicht und Diskursverschiebungen salonfähig gemacht.
Auch wenn Unterschiede in Ausmaß und Intensität der Einflussnahmen zwischen NRW und MV erkennbar sind (vgl. Gille et al. 2022), lässt sich länderübergreifend konstatieren, dass sich extrem rechte Einflussnahmeversuche in allen Regionen der beiden Länder sowie in städtischen und ländlichen Strukturen zu finden sind. Besonders besorgniserregend sind die Bedrohungen und gewaltsamen Übergriffe auf Einrichtungen und Personen, die in Feldern tätig sind, die an zentrale Themen der extremen Rechten anschließen, die insbesondere anhand der qualitativen Interviews rekonstruiert werden konnten: Angebote im Bereich der Migrationssozialarbeit, der Demokratieförderung oder der Förderung der Gleichstellung der Geschlechter. Neben den Fachkräften sind es insbesondere die Adressat_innen, für die diese Einflussnahmen eine Gefahr darstellen. Räume, die eigentlich als safe spaces gedacht sind, werden zu Orten, in denen (potenzielle) Adressat_innen und auch Fachkräfte angegriffen oder diskriminiert werden. Angriffe erfolgen dabei sowohl von außerhalb als auch innerhalb der Einrichtungen der Sozialen Arbeit. Damit verkleinern sich die Rückzugsräume der Adressat_innen und ihr Zugriff auf sozialstaatliche Ressourcen.