Wohnungslose Menschen galten lange als Feindbild rechter Akteur_innen. Zunehmend scheint sich hier ein Wandlungsprozess hin zu einer neuen Instrumentalisierung zu vollziehen.

Zwischen den Akteur_innen der WohnungsnotfallhilfeFootnote 1 sowie Phänomenen des RechtsextremismusFootnote 2 bestand und besteht ein komplexes Verhältnis (Böhm und Meyer 2022), das sich mittels den nachfolgend dargestellten sechs Dimensionen differenzieren lässt.

Rechtsorientierte Gewalt an wohnungslosen Menschen

In der Vergangenheit schienen wohnungslose Menschen zunächst ausschließlich ‚Opfer‘ rechtsextremer Täter_innen zu sein, was mit einem Blick auf die aktuelle Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) noch immer aktuell ist: Die PKS führt für das Jahr 2020 sieben Morde bzw. Mordversuche sowie rund 1620 Körperverletzungen an obdachlosen Menschen auf, die wegen ihrer „persönlichen Beeinträchtigung […] Opfer“ (BKA 2021) von Straftaten geworden seien. Zwar ermöglicht diese statistische Erfassung keinen direkten Zugriff auf die vorhandenen politischen Einstellungen der Täter_innen, gleichwohl ordnet die Bundesregierung (Deutscher Bundestag 2018, S. 4) „die weit überwiegende Mehrzahl der Delikte“ aus dem Bereich Gewalt an obdachlosen Menschen „dem Phänomenbereich PMK-rechts“Footnote 3 (BKA 2021, S. 4) zu.

Historische Kontinuität der Stigmatisierung wohnungsloser Menschen

Diese Gewalt gegen wohnungslose Menschen in der Gegenwart hat dabei eine traurig lange historische Tradition (Lutz et al. 2017, S. 13). Dabei hat „der Umgang mit Wanderarmen keine lineare Entwicklung genommen […]. Vielmehr lösten sich in der Geschichte liberale und restriktive Epochen ab […] [eine] lebensbedrohliche Zuspitzung bei der Stigmatisierung und Verfolgung“ (Simon 2020, S. 56) erfolgte schließlich mit dem Regierungsantritt der Nationalsozialist_innen und der so genannten Gleichschaltung von Fürsorge und Wohlfahrtspflege. Hier drückte sich das Ideal von „höherwertigem“ gegenüber „unwertem“ Leben (Meyer und Köttig 2022, S. 34) institutionell aus. Nach 1945 änderte sich die gesellschaftliche Perspektive auf wohnungs- und obdachlose Menschen weder in der BRD (Meyer und Köttig 2022) noch in der DDR (Herms 2016) kaum (Lutz et al. 2017).Footnote 4

Rechte Haltungen oder Einstellungen wohnungsloser Menschen gegenüber Dritten

In der gesamtgesellschaftlichen Wahrnehmung von wohnungslosen Menschen ist in den vergangenen Jahren eine weitere Facette hinzugetreten: Mit Beginn der sogenannten Flüchtlingskrise ab etwa 2014 mehrten sich Pressepublikationen, in denen von Verteilungskämpfen zwischen Geflüchteten und bereits langjährig in der BRD wohnungslosen Menschen gesprochen wird. Inwieweit wohnungslose Menschen, wie oft in solchen Pressepublikationen unterstellt (vgl. Al Dumani 2016), selbst rechte Haltungen teilen, ist empirisch wenig fundiert. Insgesamt ist aber anzunehmen, dass auch unter wohnungslosen Menschen rechte Haltungen oder Einstellungen vorhanden sind und dies auch bereits vor der so genannten Flüchtlingskrise der Fall war. Immerhin sind wohnungslose Menschen ein Spiegelbild der Gesellschaft und den ihn ihr vorhandenen Einstellungen (vgl. Zick 2021).

Rechte Haltungen von Tätigen im etablierten Feld der Wohnungsnotfallhilfe

In einer Studie zur Bedeutung der Neuen Rechten in der Sozialen Arbeit in Nordrhein-Westfalen (Gille und Jagusch 2019) geriet eine weitere Dimension in den Blick. Hier wurden drei Kategorien der rechtsextremen Einflussnahme auf die Soziale Arbeit herausgearbeitet:

  1. 1.

    Eigene Angebote von rechtsextremen Akteur_innen im sozialen Bereich,

  2. 2.

    Einflussnahme der rechtsextremen Szene auf Akteur_innen der Sozialen Arbeit und schließlich

  3. 3.

    interne Praxen der Sozialen Arbeit (siehe auch Jagusch et al. in diesem Schwerpunkt).

Mit Blick auf das Handlungsfeld der Wohnungsnotfallhilfe verweist die Studie auf thematische Positionierungen „mehrere[r] […] Mitarbeiter_innen […] unter anderem in der Wohnungslosenhilfe“ (Gille und Jagusch 2019, S. 80f.). Welche Rolle solche Positionen quantitativ spielen und wie diese mit berufsethischen Standards in Einklang zu bringen sind (Borrmann 2022), ist empirisch aktuell noch ungeklärt (Simon 2020).

Rassistischer und sozialdarwinistischer bundes- und europapolitischer Diskurs

„Der ‚Penner‘ habe doch nur allen auf der Tasche gelegen […]. Dahinter steckt eine menschenverachtende Perspektive auf Randgruppen der Gesellschaft und sozial Schwächere, die etwa als ‚Penner‘ oder ‚Schmarotzer‘ herabgewürdigt werden“ (Lenzen 2015, o. S.). Dieser hier zu Tage tretende Sozialdarwinismus basiere „auf dem Arbeitsethos und Leistungsprinzip der bürgerlichen Gesellschaft“ (Teidelbaum 2013, S. 15) und würde von großen Teilen der Gesellschaft für solche sozialen Randgruppen geteilt, die keiner geregelten Lohnarbeit nachgingen (Teidelbaum 2013, S. 16). Gerade die Abwertung wohnungs- und obdachloser Menschen scheint dabei in der deutschen Gesellschaft fest verankert (vgl. Malyssek und Störch 2009): Über acht Prozent der Befragten der Mitte-Studie werten wohnungslose Menschen ab und weitere 27,4 % stimmen entsprechenden Vorurteilen ‚nur‘ teils/teils zu (Zick 2021, S. 192). Neben Abwertungsprozessen durch sozialbedingte Indikatoren – über 24 % haben gegenüber langzeitarbeitslosen Menschen eindeutige oder zumindest tendenzielle (40,2 %) Vorurteile (Zick 2021, S. 192) – ist alles als „Fremd“ etikettierte scheinbar ‚gefährlich‘: Über 16 % äußern sich z. B. eindeutig oder teils/teils (27,7 %) negativ über Sinti_zze und Rom_nja (Zick 2021, S. 192).

Im Zusammenhang mit der Wohnungsnotfallhilfe sind entsprechende Skandalisierungen in den Medien (Schimek und Pasch 2021) besonders bedeutsam, weil einerseits europäische Regelungen durch rechte Gruppierungen in Frage gestellt werden können (z. B. Arbeitnehmer_innen-Freizügigkeit) und andererseits bestehende Diskriminierungen durch das aktuell gültige Sozialrecht zwar deutlich, aber nicht überarbeitet werden (Deckner 2018). So wird obdachlosen Menschen aus Osteuropa die Unterbringung oft schlicht verweigert (Deckner 2018). Hintergrund ist, dass so genannten EU-Ausländer_innen, die hier Arbeit suchen, erst nach fünf Jahren Anspruch auf Sozialleistungen haben. Wer keinen Anspruch auf Sozialleistungen habe, so der Umkehrschluss, habe auch keinen Anspruch auf eine öffentliche Unterbringung (Deckner 2018). Dies wird zwar vielfach beklagt (BAG W 2011), die rechtlichen Rahmenbedingungen wurden bisher allerdings nicht verändert.

Instrumentalisierung wohnungsloser Menschen durch rechte Akteur_innen

Im Rahmen einer qualitativen Inhaltsanalyse wurden Internet- und/oder Social Media-Auftritte von Akteur_innen aus dem rechten Milieu untersucht, die eigene Angebote im sozialen Bereich machen (Böhm und Meyer 2022)Footnote 5. Alle untersuchten Akteur_innen stellen sich als Stimme eines vermeintlich homogenen Volkes dar. „Dieses imaginierte Volksempfinden referiert auch auf einen gemeinsamen Anti-Institutionalismus und Anti-Elitarismus und damit auf klassische Elemente populistischer politischer Methoden“ (Böhm und Meyer 2022, S. 245). Regierungsparteien oder etablierte Sozialverbände verträten, im Gegensatz zu den Akteur_innen, nicht unmittelbar die Stimme der Bedürftigen des ‚eigenen Volkes‘, sondern legten ihren Fokus auf die Hilfe von als ‚fremd‘ markierten Geflüchteten.

In der Konstruktion der Adressat_innen zeigen sich schließlich Gemeinsamkeiten und Unterschiede: Lediglich die AfD-Mitglieder um Guido Reil und die Aktivist_innen von Dresdner Bürger helfen Dresdner Obdachlosen adressieren vor allem obdachlose Menschen. Die meisten anderen Akteur_innen richten sich allgemein an von Armut betroffene Menschen, hauptsächlich jedoch an als deutsch gelesene, marginalisierte und prekarisierte Lohnabhängige, Senior_innen oder Kinder.

Bei allen Unterschieden besteht bezüglich der Hilfeadressat_innen eine wesentliche Gemeinsamkeit zwischen den Akteur_innen: Der Hilfeanspruch wird nicht durch Menschen- oder Verfassungsrechte begründet, sondern durch bestimmte moralische oder ethnische Unterscheidungen. Die soziale Realität, unter der die aus der Sicht der Sprecher_innen Hilfewürdigen zu leiden hätten – auch hier eine Gemeinsamkeit –, sei wesentlich durch die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung verursacht worden. Staatliche Hilfe, zivilgesellschaftliche Unterstützung und Solidarität werden als begrenzte Ressourcen dargestellt. Die Situation von als deutsch markierten Armen habe sich massiv verschlechtert, weil Geflüchtete einen wesentlichen Teil dieser Ressourcen durch politische Entscheidungen für sich in Anspruch nehmen würden. Hilfewürdige Wohnungsnotfälle und Geflüchtete werden in allen Narrativen dichotom gegenübergestellt; die Möglichkeit, Wohnungslosen und Geflüchteten gleichzeitig Hilfe zu leisten, wird somit verunmöglicht. Die Geflüchteten werden unterschiedlich gezeichnet, gemeinsam ist den verschiedenen Erzählungen jedoch die Klammer, dass sie autochthone Deutsche aus dem Hilfesystem verdrängen und Konkurrent_innen darstellen.Die Sprecher_innen bezeichnen die Bundesregierung als Antagonisten, deren Flüchtlingspolitik die schlechte Lage der Hilfewürdigen verursacht oder immens verstärkt habe. Hier werden also letztlich zwei marginalisierte Gruppen einerseits als einander ausschließend konstruiert – Geflüchtete können nicht wohnungslos sein und Wohnungslose nicht geflüchtet – und diese werden dann andererseits gegeneinander ausgespielt.

Was bleibt?

Die zunehmende Instrumentalisierung von wohnungslosen und armen Menschen durch rechtsextreme Akteur_innen lässt sich sowohl mit Blick auf eine Verschiebung in der Handlung sowie den Narrativen rechtsextremer Akteur_innen feststellen. Wohnungslose Menschen sind nicht mehr nur Opfer von rechtsextremer Gewalt und Politik, sondern werden durch Akteur_innen als Hilfebedürftige adressiert und in eine rechtsextreme Erzählung über autochthone ‚Zukurzgekommene‘ und eine verfehlte Europa- und/oder Flüchtlingspolitik integriert.

Rechtsextreme Akteur_innen adressieren in den untersuchten Beiträgen vor allem autochthone deutsche Wohnungslose (Böhm und Meyer 2022). Forschung wäre dabei insofern in diesem Bereich vonnöten, um zu klären, welche Schnittpunkte es hier mit der Adressat_innenkonstruktion der etablierten Wohnungsnotfallhilfe gibt und inwiefern ausländische Wohnungslose aus dem System der Hilfen ausgeschlossen werden – etwa durch exklusive Hilfeangebote und rechtlichen oder lokalpolitischen Ausschluss. Vor dem Hintergrund eines sich nach rechts verschiebenden common sense und dem zunehmenden Interesse rechtsextremer Akteur_innen an der Wohnungsnotfallhilfe wäre aktuell insbesondere die Frage von Bedeutung, ob sich in Lobby- und Sozialverbänden, in der Selbstvertretung wohnungsloser Menschen und lokalpolitischen Initiativen Gegennarrative oder -strategien herausbilden, um dem Einfluss und der zunehmenden Institutionalisierung rechtsextremer Akteur_innen entgegenzutreten.