In den Angeboten der Beratung Betroffener rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt spielen sogenannte lokale Interventionen eine wichtige Rolle. Mit solchen Interventionen verbinden die Berater_innen einen gesellschaftspolitischen Veränderungsanspruch. Die praxisnahe wissenschaftliche Begleitung dieser Prozesse erlaubt es, Erkenntnisse zu den gesellschaftlichen Veränderungsmöglichkeiten lokaler Interventionen v. a. bei der Bekämpfung von Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus und anderen Formen von Menschenfeindlichkeit zu gewinnen.

Es ist ein Verdienst der spezialisierten Beratungsangebote für Betroffene von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, die Betroffenen nicht nur bei der unmittelbaren Bewältigung der Tatfolgen, sondern auch dabei zu unterstützen, ihre Perspektive in den gesellschaftlichen Diskurs einzubringen. In Zeiten eines sich lautstark artikulierenden Rechtspopulismus ist dies notwendiger denn je. Dass von rechter Gewalt Betroffene überhaupt ein fachlich fundiertes Unterstützungsangebot finden können, war jedoch nicht immer so. Denn zunächst standen die Täter_innen im Mittelpunkt staatlicher Präventionsstrategien.

Die progromartigen rassistischen, damals als „fremdenfeindlich“ bezeichneten Ausschreitungen Anfang der 1990er-Jahre v. a. in Ostdeutschland hatten die damalige Bundesregierung zunächst bewogen, ein erstes Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt (AgAG) zu starten. Dessen Ziel war es, Rechtsextremismus bei jungen Menschen in Ostdeutschland mit Mitteln der (Sozial‑)Pädagogik zu bekämpfen und vorzubeugen. Bereits dieses Programm ist, wie alle seine FolgeprogrammeFootnote 1, wissenschaftlich begleitet und evaluiert worden. Dabei zeigte sich, dass die Arbeit der Evaluierenden nicht nur dazu dient, erwartete und unerwartete Erträge dieser Programme sowie Bedingungen und Mechanismen ihres Zustandekommens zu ermitteln und bekannt zu machen (Hafeneger 2018, S. 1284), sondern auch dazu, solche Maßnahmen zu legitimieren oder zu delegitimieren.

Eine gestärkte Zivilgesellschaft

Der zunächst auf rechts(-extrem) orientierten jungen Menschen liegende Fokus der Präventionsmaßnahmen änderte sich Anfang der 2000er Jahre. Antisemitisch motivierte Anschläge auf einen S‑Bahnhof und die Synagoge in Düsseldorf im Jahr 2000 führten dazu, dass die damalige Bundesregierung einen „Aufstand der Anständigen“ gegen Rechtsextremismus, Rassismus sowie Antisemitismus ausrief. Mit ihm verband sich die Erwartung, dass sich neben staatlichen Repressions- und Präventionsmaßnahmen v. a. aus der Zivilgesellschaft heraus eine wirkungsvolle demokratische „Gegenkultur“ entwickelt. Die Anrufung der Zivilgesellschaft ist eine Zäsur in der Ausrichtung der Bekämpfung und Prävention von Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus.

Um das zivilgesellschaftliche Engagement zu unterstützen, verabschiedeten die Bundesregierung und einzelne Bundesländer seither eine Reihe spezieller Förderprogramme. Diese verfolgen bis heute zum einen das Ziel, die Entwicklung wirksamer pädagogischer Präventions- und Interventionsansätze gegen Rechts(-extremismus), Rassismus (vormals „Fremdenfeindlichkeit“) und Antisemitismus anzustoßen. Zum anderen wurden Beratungsstrukturen für die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und für die Unterstützung von rechter Gewalt Betroffener aufgebaut. Die Mobile Beratung steht seither Akteur_innen im kommunalen Kontext zur Seite, die sich von Aktivitäten der extremen Rechten bedrängt oder herausgefordert sehen. Die Betroffenenberatung unterstützt die von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt Betroffenen bei der Bewältigung der Tatfolgen und rückt deren Anliegen und Perspektiven ins öffentliche Bewusstsein.

Etablierung der Betroffenenberatung als langwieriger Prozess

Die Entwicklung dieser spezialisierten Beratungsstrukturen war bis 2007 im Wesentlichen auf Ostdeutschland begrenzt. Seitdem etablieren sich diese Strukturen sukzessive und mit kontinuierlich wachsender staatlicher Unterstützung im gesamten Bundesgebiet. Das ist primär auf eine stetig wachsende zivilgesellschaftliche und politische Aufmerksamkeit für entsprechende Problemlagen und Anerkennung ihrer Bearbeitungsbedürftigkeit zurückzuführen. Ebenfalls Impulse für diesen Strukturausbau hat nach unserer Überzeugung auch die kontinuierliche wissenschaftliche Begleitung und Evaluation der Betroffenenberatung geleistet. Die Wissenschaftler_innen konnten auf empirischer Basis nicht nur zeigen, dass ein bundesweiter Bedarf für solche Angebote besteht, sondern auch, dass mit den in Ostdeutschland erprobten Arbeitsansätzen erfolgversprechende Modelle für einen angepassten Strukturaufbau auch in den westdeutschen Bundesländern existieren (Bischoff et al. 2020, S. 96ff.). Mit ihren Empfehlungen hat die Evaluation dann u. a. dazu beigetragen, dass seit dem Bundesprogramm „Demokratie leben!“ ab dem Jahr 2015 in allen Bundesländern ein Mindestangebot an Betroffenenberatung bereitgehalten wird.

Eine zentrale Aufgabe der wissenschaftlichen Begleitung der Betroffenenberatung bestand darin, diese, wenngleich mit eher bescheidenen Ressourcen, in ihrer fachlichen Weiterentwicklung zu unterstützen. Dazu gehörte bspw., sich an der Fortschreibung von Qualitätsstandards zu beteiligen (VBRG 2018). Inzwischen sind diese Standards für alle im Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt zusammengeschlossenen Beratungsangebote eine wichtige Identifikations- und Orientierungsmarke. In der aktuellen Förderphase von „Demokratie leben!“ (2020 bis 2024) verfolgt die wissenschaftliche Begleitung auch weiterhin das Ziel, die Berater_innen in ihrer professionellen Entwicklung zu stärken. Außerdem sollen die Erträge, Chancen und Grenzen ihrer Arbeit sichtbarer gemacht werden.

Gesellschaftliche Bedrohung von Rechts als „Kontext“ der Unterstützungsarbeit

Im Rahmen ihres Auftrags, Menschen zu unterstützen, die von rechter, antisemitischer und rassistischer Gewalt betroffen sind, setzt sich die Betroffenenberatung auch mit rechtspopulistischen Erscheinungen auseinander. Rassismus, Antisemitismus und Antipluralismus, wie sie auch und gerade im Rechtspopulismus in Erscheinung treten, äußern sich insbesondere und auf unterschiedliche Art und Weise gegenüber Personen(-gruppen), die von jeher entweder direkt von (gruppenbezogener) Menschenfeindlichkeit betroffen sind oder sich ihr entgegenstellen. Das sind u. a. Menschen mit Fluchterfahrungen und Zuwanderungsgeschichte(n), jene die diese unterstützen, und solche, die sich der Ausbreitung rechter Einstellungen entgegenstellen. Die seit dem Jahr 2015 steigende Zahl an on- und offline erfolgenden Anfeindungen und Angriffen auf Geflüchtete und ihre Unterstützer_innen, Minderheiten, Politiker_innen, Journalist_innen etc. wird in verschiedenen Studien belegt (Wenzler et al. 2019). Empirische Befunde verweisen außerdem auf einen deutlichen Zusammenhang zwischen Rechtspopulismus und der Billigung von Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele (Küpper et al. 2021, S. 66).

Rechtspopulistische Akteur_innen ziehen in hohem Maße die Aufmerksamkeit von Öffentlichkeit, Medien und Politik auf sich. Mit ihrer Angst‑, Zugehörigkeits- und Polarisierungsrhetorik und ihren autoritär-populistischen Inszenierungen erzielen sie politische Erfolge und gewinnen an gesellschaftlichem Einfluss (Schroeder et al. 2020). Damit einher geht eine Verschiebung des öffentlichen Diskurses zur Zukunft der Bundesrepublik als demokratische Einwanderungsgesellschaft nach rechts. Das bleibt als gesellschaftlicher Handlungsrahmen für die Betroffenenberatung nicht folgenlos.

Zu diesem Rahmen zählt auch eine „Politik der Verharmlosung“ (Kleffner 2021, S. 28). Mit dem Begriff problematisiert Heike Kleffner, dass rechte, rassistische und antisemitische Gewalttaten von Teilen der Gesellschaft (nach wie vor) nicht angemessen wahrgenommen, sondern relativiert oder geleugnet werden (ebd.). Die Mitarbeiter_innen der Betroffenenberatung kritisieren die nicht in angemessener Art und Weise erfolgende Wahrnehmung und Bearbeitung rechter Gewalt nicht erst seit der Fluchtbewegung von 2015 und 2016. Sie war ein zentrales Motiv für die Gründung der Angebote.

Sichtbarkeit der Betroffenenperspektiven

Parteilichkeit, Empowerment, aufsuchendes und anwaltschaftliches Handeln sind leitende Prinzipien und Methoden der Sozialen Arbeit. Sie stecken damit auch den Möglichkeitsraum der Betroffenenberatung ab, Rechtspopulismus zu begegnen. Neben den individuellen Unterstützungsleistungen für die Betroffenen formulieren die Beratungsangebote den Anspruch, deren Perspektiven und Anliegen sichtbarer zu machen. Sie tun dies, indem sie die Wünsche und Bedürfnisse der Betroffenen(-gruppen) in deren Auftrag und zusammen mit ihnen bei relevanten, deutungsmächtigen Akteur_innen (z. B. Stadtspitze, Sicherheitsbehörden) vertreten. Dabei unterstützen sie die Betroffenen bei der Artikulation ihrer Interessen und stärken sie in ihrer Sprechfähigkeit. Damit erhoffen sie sich u. a., Veränderungen der Diskurse und Praktiken im lokalen Umgang mit rechter Gewalt zu erreichen. Diese Anliegen werden oft im Rahmen von lokalen Interventionen verfolgt.

Die Sichtbarmachung der Betroffenenperspektive durch die Beratungsangebote lässt sich in jene Aktivitäten der Zivilgesellschaft einordnen, mit denen die Spielräume für Rechtspopulist_innen und Rechtsextremist_innen verkleinert werden sollen. Dazu zählt u. a., dass sich Menschen mit den von menschenverachtenden Anfeindungen und Angriffen Betroffenen solidarisieren und sie unterstützen. Deutlich wird hierin, dass die Betroffenenberatung auch eine gesamtgesellschaftliche Veränderungsperspektive beinhaltet. Damit verfolgt sie einen gesellschaftspolitischen Anspruch, der in ihrer Verortung als (organisierte) Zivilgesellschaft und in der Sozialen Arbeit als kritische Handlungswissenschaft begründet ist. Die Perspektive der Gesellschaftsveränderung lässt sich für die Betroffenenberatung als antifaschistische und antirassistische Perspektive konkretisieren. Gesa Köbberling (2021, S. 164; Hervh. im Orig.) beschreibt dies als „eine Parteilichkeit in der Sache – […] gegen Rassismus und andere Dimensionen rechter Ideologie“. Das schließt rechtspopulistische Erscheinungen in jeglicher Hinsicht mit ein.

Empirische Befunde aus der wissenschaftlichen Begleitung der Betroffenenberatung zeigen, dass und wie die Berater_innen um die Chancen und Grenzen ringen, Veränderungsprozesse auf gesellschaftlicher Ebene anzustoßen (Haase 2021, S. 41). Mit ihrem gesellschaftlichen Veränderungsanspruch ist zweifelsfrei auch eine besondere Last verbunden. Diese „Last der großen Hoffnungen“ (Müller 1991) fordert die Berater_innen auf, sich im Beratungsfeld einen realistischen Wirkungshorizont zu erarbeiten und innerhalb des Handlungsrahmens Sozialer Arbeit erreichbare Wirkungsziele abzustecken. Hierbei kann die derzeit im Bundesprogramm „Demokratie leben!“ umgesetzte wissenschaftliche Begleitung der Betroffenenberatung einen bedeutsamen Beitrag leisten. In Wirkungsuntersuchungen sehen wir eine Strategie und Chance, die Berater_innen dabei zu unterstützen, eben jene Last zu bewältigen.

Nutzen von Wirkungsuntersuchungen

In diesen Untersuchungen ist es im ersten Schritt wichtig, mit den Berater_innen ihre Wirkungserwartungen aufzunehmen und zu diskutieren. Denn es ist die Profession selbst, die fachlich und erfahrungsbasiert definieren sollte und kann, was in ihrem Feld begründet als Wirkungen zu betrachten ist (Lüders und Haubrich 2006, S. 6). Wir haben hierbei die Erfahrung gemacht, dass sich die Perspektiven von Praxis und Wissenschaft gegenseitig irritieren und zugleich befruchten können.

Ziel der gemeinsamen Klärungsprozesse ist es, ein Modell von plausiblen Wirkmechanismen des Beratungs- und Unterstützungshandelns für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt zu entwickeln. Dieses Modell bildet die Arbeitsgrundlage für die empirischen Wirkungsuntersuchungen, die im Rahmen mehrerer sozialraumorientierter Fallstudien durchgeführt werden. Dabei erkundet die wissenschaftliche Begleitung die Wirkungen der Betroffenenberatung und ihr Zustandekommen näherungsweise auf der Basis von Wirkungszuschreibungen von Beratungsnehmenden, adressierten Akteur_innen und beurteilungsfähigen Beobachter_innen. Ihre (ggf. unterschiedlichen) Sichtweisen werden dann zueinander ins Verhältnis gesetzt. Auf diese Weise kann „multiperspektivisch“ erschlossen werden, was sich als Wirkung darstellt (Möller et al. 2020, S. 399). Die Wirkungsuntersuchungen ermöglichen Erkenntnisse zu der zentralen Frage: Was wirkt in der Betroffenenberatung wie und warum? Dabei rücken wir in der aktuellen wissenschaftlichen Begleitung in den genannten Fallstudien die oben genannte lokale Intervention als Schlüsselprozess der Betroffenenberatung in den Fokus.

Wie bereits angedeutet stellen lokale Interventionen eine raumbezogene Handlungsstrategie dar. Ausgangspunkt für eine lokale Intervention kann neben dem jeweils beratenen Einzelfall eine Häufung von rechten, rassistischen und antisemitischen Angriffen in einem konkreten Sozialraum und zugleich eine unzureichende Wahrnehmung dieser Problemlage durch Verantwortliche in Lokalpolitik und Verwaltung sein. Die Beratungsstellen bearbeiten hier ganz unmittelbar die „Politik der Verharmlosung“. Ein angestrebtes Resultat ist dann etwa, dass relevante deutungsmächtige Akteur_innen Verantwortung für die bzw. bei der Bearbeitung der jeweiligen Problemlage(n) vor Ort übernehmen und Betroffenen(-gruppen) mit unterstützen.

Anliegen der Wirkungsuntersuchungen in den untersuchten Fällen einer lokalen Intervention ist es, praxisrelevante Erkenntnisse vor allem hinsichtlich der sozialraumbezogenen Wirkungsmöglichkeiten in der Betroffenenberatung zu gewinnen. Wir sehen hier das Potenzial, Prozesse der weiteren Professionalisierung, Qualitätsentwicklung und Selbstbefragung (Reflexion) kritischer Praxis anzuregen. Indem wir rekonstruieren, wie durch professionelles Handeln individuelle und gesellschaftliche Veränderungen (Wirkungen) angestoßen werden und darüber die Chancen aber auch die Grenzen der untersuchten Interventionen aufdecken, bieten wir angesichts der „Last der großen Hoffnungen“ einerseits eine Gelegenheit der Entlastung und Ermutigung der Praxis. Andererseits erschließen wir die komplexen Vermittlungsprozesse zwischen individueller und gesellschaftlicher Ebene, machen sie versteh- und bearbeitbar(er). Darin sehen wir den konkreten Nutzen für die sich beteiligenden Beratungsstellen als Evaluierte und das Beratungsfeld insgesamt. Grundlage dafür ist ein partizipationsorientiertes Vorgehen in einer engen und vertrauensvollen Wissenschaft-Praxis-Kooperation (Möller et al. 2020, S. 415).

Als Mitarbeiter_innen in der wissenschaftlichen Begleitung eines auf die Stärkung von Demokratie gerichteten Förderprogramms können wir uns nicht auf eine rein beobachtende Rolle beschränken. Wir tragen selbst Verantwortung in diesem Stärkungsprozess. Im Bedarfsfall und mit unseren Möglichkeiten können wir, so die Hoffnung, die Professionellen auf der Basis empirisch gesicherten Wissens nicht nur in deren Professionalisierung unterstützen, sondern auch dazu beitragen, Versuche zur Delegitimation ihrer Arbeit abzuwehren und ihre materiellen und ideellen Arbeitsgrundlagen zu sichern. Möglichkeiten und Nutzen solcher Evaluationen sind aber nicht zuletzt davon abhängig, dass sowohl den Evaluierten für die Teilnahme als auch den Evaluierenden für die Durchführung des Evaluationsvorhabens hinreichend Ressourcen zur Verfügung stehen.

Als Evaluation sind wir nicht nur Wissenschaftsstandards, sondern auch den einschlägigen Standards der Gesellschaft für Evaluation (DeGEval) verpflichtet. Das bedeutet u. a., die eigene Arbeit an den Informationsbedürfnissen aller vorgesehenen Nutzer_innen, insbesondere auch der Auftraggeber_innen von Evaluation auszurichten und in der wissenschaftlichen Begleitung transparent, fair und unvoreingenommen zu sein. In der Praxis setzt das Reflexivität gegenüber der eigenen Rolle und Positioniertheit voraus. Zugleich müssen wir, bei aller Sympathie für die Anliegen begleiteter Akteur_innen, eine gewisse Distanz zu den Evaluationsgegenständen halten und sollten im Bedarfsfall fähig (und bereit) sein, uns in einen kritischen Diskurs mit den Begleiteten oder den Auftraggebenden von Evaluation zu begeben.