Anders als nach den meisten übrigen Hochschulabschlüssen bedarf es in der Sozialen Arbeit ein Anerkennungsjahr. Was legitimiert die Strukturen des Anerkennungsjahres innerhalb der Sozialen Arbeit und was bringen diese mit sich?

Ein Berufsanerkennungsjahr gibt, so die Idee, Absolvent_innen der Sozialen Arbeit und vergleichbaren Studiengängen, die Möglichkeit, erste Berufserfahrungen unter Anleitung erfahren zu dürfen. Nach §4 (1) der SozHeilKindVO Niedersachsen gilt: „Die Personen im Berufsanerkennungsjahr sollen sich in die Praxis der Sozialen Arbeit und in die damit verbundenen Verwaltungstätigkeiten einarbeiten und ihre Fachkenntnisse vertiefen. Das Berufsanerkennungsjahr soll dazu befähigen, unter Anwendung der im Studium erworbenen Fachkenntnisse selbständig und eigenverantwortlich im Bereich der Sozialen Arbeit tätig zu sein und berufspraktische Aufgaben unter Berücksichtigung der ethischen, rechtlichen, organisatorischen und finanziellen Rahmenbedingungen wahrzunehmen. Im Berufsanerkennungsjahr wird eine berufspraktische Tätigkeit abgeleistet, die von Lehrveranstaltungen begleitet und in der ein Praxisbericht angefertigt wird.“

Das zweiphasige Modell lässt die Option für Studierende offen, nach ihrem abgeschlossenen Hochschulstudium eine Praxisphase von mindestens sechs Monaten in Vollzeittätigkeit zu durchlaufen, um dieses letztlich als Sozialarbeiter_in mit staatlicher Anerkennung abzuschließen. Die Forderung aus der beruflichen Praxis nach Berufseinsteiger_innen mit staatlicher Anerkennung ist hoch, die Zahl der Absolvent_innen, die sich gegen ein Berufsanerkennungsjahr entscheiden, folglich gering. Ein einheitliches System ist nicht vorhanden; es gibt sowohl länder- als auch hochschulabhängige Sonderregelungen.

Was kann Hochschule leisten?

Die Berufsfelder der Sozialen Arbeit sind geprägt durch eine Vielfalt an wissenschaftlichen Qualifizierungsorten, die den entsprechenden Zugang in die Fachpraxis ermöglichen. In der Quantität der Studienordnungen wird bereits ersichtlich, dass die Absolvent_innen eine Vielzahl an Methoden, Theorien und Handlungskompetenzen erlernen, die sie qualifizieren, in dem breiten Feld der Sozialen Arbeit tätig zu werden. Wie in anderen Branchen auch, gibt es jedoch im späteren Anstellungsverhältnis spezifische Gegebenheiten, die nicht dezidiert Teil der Ausbildung sein können. Der Anspruch an ein Studium, für die Vielzahl an möglichen Anstellungsverhältnissen ideal vorbereiten zu sollen, ist innerhalb des Rahmens eines generalistischen Studiums nicht zu erfüllen. Die Hochschulen ermöglichen eine fundiert theoretische Auseinandersetzung mit der Theorie und verabschieden im Idealfall Sozialarbeiter_innen, die sich kritisches Denken und Hinterfragen angeeignet haben und es zu nutzen verstehen. Eine subjektorientierte Haltung als Positionierung, geformt durch eine machtkritische, reflexive Auseinandersetzung während des Studiums. Für die praktische Einarbeitung ins Feld ist jedoch nicht die Hochschule, sondern die jeweilige Fachpraxis gefragt. Die dezidiert geforderten Kompetenzen unterliegen der Obhut der jeweiligen Mitarbeiter_innen. Die Tatsache, dass die Hochschulen während des Anerkennungsjahres weiterhin beteiligt sind und das Erlebte und Gelernte mittels Supervision, kollegialer Beratung und weiterer Reflexionsmethoden aufarbeiten, ist hierbei als Chance zu betrachten.

Begleiteter Berufseinstieg statt Sprung ins kalte Wasser

Bereits 1983 formulierte der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge, dass Sozialarbeiter_innen während ihres Anerkennungsjahres „zusätzliche Erfahrungen ermöglicht werden, deren Ausarbeitung sie zunehmend in eine verantwortliche Berufsrolle hineinwachsen lassen“ (vgl. Surkemper 2002, S. 18). Genannt werden unter anderem:

  • Gegebenheiten des beruflichen Alltags (z. B. geregelte Arbeitszeit, Terminverpflichtungen usw.)

  • Kollegialität

  • Diskretion

  • Umgang mit beruflichen Beziehungen.

Dies führe u. a. zu einer Befähigung, berufliche Beziehungen aufzubauen sowie Grenzen sozialer Hilfe aufzuzeigen (vgl. DV 1983, zit. n. Surkemper 2002, S. 19). Obwohl dies die anfänglichen Intentionen waren und seither viel Zeit vergangen ist, gelten die angeführten Punkte auch heutzutage als beachtenswert. Sie stellen Herausforderungen eines Berufseinstieges dar, sie sind universell übertragbar auf diverse Berufszweige und nicht zu limitieren auf die Soziale Arbeit. Reitemeier und Frey führen an, dass Berufseinsteiger_innen nicht über das Erfahrungswissen verfügen, das ihnen potenzielle Handlungssicherheit geben könne (vgl. Reitemeier und Frey 2013, S. 87). Hierbei ergibt sich jedoch kein legitimes Unterscheidungsmerkmal zu anderen Berufszweigen, was die teilweise stark abweichende Entlohnung rechtfertigten würde. Zugleich ist die Tatsache, dass es vermeintlich einer angeleiteten Situation bedarf, um Gegebenheiten des beruflichen Alltags zu erlernen, wie etwa die Gewöhnung an geregelte Arbeitszeiten, nach persönlichem Empfinden eine tiefgreifende Degradierung der Profession.

Entlohnung als Instrument der Wertschätzung

Gemeinsamer Kern der Kritikpunkte ist die allgemein geringe Reputation der Sozialen Arbeit. Nach der kapitalistischen Logik, innerhalb derer wir uns bewegen, ist die Anerkennung eines Berufsstands unmittelbar mit der Entlohnung verknüpft. Der Austausch mit Kolleg_innen zeigt, dass sowohl das Anerkennungsjahr als auch die darauffolgende Übernahme und somit Festeinstellung als sozialpädagogische Fachkraft häufig geprägt war von einem durch die geringe Entgelthöhe ausgelösten Frust. Eine angemessene Entlohnung als wesentlichen Aspekt der Arbeitsmotivation darf auch innerhalb der Sozialen Arbeit nicht unterschätzt werden. Es ist eine politische Haltung zu sagen, dass Arbeit einen Wert hat. Soziale Arbeit als Profession zu achten, bedeutet auch, eine angemessene monetäre Anerkennung zu leisten. Bereits zu Beginn der professionellen Laufbahn, trotz abgeschlossenen Hochschulstudiums, mit einer Vergütung nach TVöD SuE Praktikant_innen zu starten, ist keine günstige Voraussetzung für eine innere als auch äußere achtungsvolle Arbeitshaltung. Statt fachlich qualifizierte Arbeitskräfte gering zu entlohnen und dieses als „Praktikum“ zu denunzieren, sollten Arbeitergeber_innen einen Standard etablieren, in dem allen Berufsanfänger_innen ein Umfeld ermöglicht wird, in dem ein angenehmer Berufseinstieg realisierbar ist.

Praktikant_in vs. Arbeitnehmer_in

Der Arbeitsalltag von Sozialarbeiter_innen im Anerkennungsjahr und regulär angestellten pädagogischen Fachkräften ist kaum zu unterscheiden. Im Zuge des pädagogischen Alltags, beispielsweise in der Kinder- und Jugendhilfe, werden sozialpädagogische Tätigkeiten übernommen, die im Widerspruch zur tariflichen Einstufung als „Praktikant_in“ stehen: die Übernahme von Bezugsbetreuungen, das Verfassen von Entwicklungsberichten und die alleinige Verantwortung für mehrfach traumatisierte Kinder und Jugendliche im Schichtdienst. Es entsteht eine Diskrepanz zwischen der rechtlichen und somit entgeltlichen Einstufung einerseits sowie dem hohen Maß an tatsächlicher Arbeitskraft. Relevant hierbei ist zudem die Problematik des Fachkräftemangels. Aufgrund dessen sehen sich viele Arbeitgeber_innen in der Lage, Sozialarbeiter_innen im Anerkennungsjahr ein hohes Maß an Verantwortung zuzuschreiben. So wird der „Schonraum”, der das Anerkennungsjahr in seiner eigentlichen Form darstellt, gehindert.

Die Betrachtung neuer Arbeitnehmer_innen und deren Stellung innerhalb eines Teams gilt es zu überdenken: statt der Orientierung an möglichen Defiziten und fehlender Arbeitserfahrung ist die hohe fachliche Qualifikation, die Reflexionsfähigkeit und die Nähe zur Theorie zu schätzen.

Junge Absolvent_innen bringen die Kompetenz mit, vorhandene Routinen der Fachpraxis zu erkennen und gegebenenfalls zu optimieren. Das Veränderungspotential durch neue Kolleg_innen stellt eine Ressource dar, die es zu achten und zu nutzen gilt.

Rollendefinition während des Anerkennungsjahrs

Im Austausch mit Kommiliton_innen und Kolleg_innen wird sichtbar, dass die begleitenden Veranstaltungen der Hochschule während des Anerkennungsjahres als positiv wahrgenommen werden. Das Gespräch mit den Kommiliton_innen und Kolleg_innen wird als bereichernd empfunden; daraus kann neue Motivation gezogen werden. Zugleich wurde deutlich: das Dilemma, die Unsicherheit der Zugehörigkeit, ist zu erkennen. Die Vagheit lässt sich auch sprachlich wiedererkennen: Kommiliton_in oder Kolleg_in? Ein Zustand der Ungewissheit und Irritation, der stärker thematisiert, langfristig jedoch minimiert werden muss. Eine klar definierbare Rollenzugehörigkeit ist sowohl für die Identifikation als auch das Zugehörigkeitsgefühl der Mitarbeiter_innen bedeutsam. Gleichzeitig ist anzuführen, dass ein Austausch mit Gleichgesinnten, mit anderen Berufsanfänger_innen, als wertvoll betrachtet wird. Hieraus lassen sich mögliche Handlungsoptionen für die Zukunft der Sozialen Arbeit entwickeln: kollegiale Beratung und Supervision als zentrales Element des Berufseinstieg innerhalb der verschiedenen Praxisfelder. Die Verantwortung hierfür muss nicht ausschließlich bei den Hochschulen liegen. Eine Vernetzung der Träger, ein Austausch, der ein hohes Potenzial und Lernchancen eröffnet. So wird die fachlich hohe Kompetenz und Nähe durch den erst kürzlichen Hochschulabschluss ideal verbunden und genutzt mit den Bedarfen der Reflexion in der Fachpraxis.

Eine fortlaufende Anbindung an die ausbildende Hochschule lassen jedoch die Vermutung zu, dass es im Vergleich zu anderen Bereichen Differenzen geben muss, die über die ausführliche Anleitung hinausgehen. Reitemeier und Frey sagen, „Soziale Arbeit soll als Handlungspraxis eingeübt, um nicht zu sagen: trainiert werden“ (Reitemeier und Frey 2013, S. 85). Während des Berufsanerkennungsjahres werden praktische Handwerke erlernt, die über die theoretischen Grundlagen des generalistischen Studiums hinausgehen. Die Profession der Sozialen Arbeit ist „nicht in erster Linie ein Wissenssystem, sondern ein Handlungssystem; ihr Verhältnis zum Wissen definiert sich als Anwendung von Wissen unter Handlungszwang“ (vgl. Spiegel 2018, zitiert nach Kreft und Müller 2019, S. 53). Die Kritik gilt an dieser Stelle somit nicht den Inhalten der wissenschaftlichen Ausbildung, vielmehr ist die Art der Durchführung des Anerkennungsjahrs als solches zu reflektieren und zu überdenken. Die wiederkehrende Frage lautet, inwiefern das Anerkennungsjahr Gegenstand der Ausbildung oder bereits Teil der Berufstätigkeit ist (vgl. Surkemper 2002, S. 10). Im Zuge dessen scheinen Kenntnisse und Fertigkeiten vermittelt zu werden, die, anders als in anderen Branchen, eine Legitimation durch einen „Test“ (ebd.) notwendig machen. Hinzu kommt, dass die Art der Überprüfung eine Form innehat, die keinen kontrollierenden Charakter zu haben scheint. Am Ende des Anerkennungsjahres die Möglichkeit zu haben, das Erlebte auch schriftlich zu reflektieren, erscheint sinnvoll. Der Schreibprozess des Praxisberichts sowie das Kolloquium als solches haben das Potenzial, die Räumlichkeit des Anerkennungsjahres zu verlassen und die Transformation zu einem Arbeitsalltag abseits des Anerkennungsjahrs zu gestalten. Nichtsdestotrotz verhält sich die Form einer theoretischen, schriftlichen Auseinandersetzung mit der Praxis ohne jegliche Form der Bewertung als Ursache dafür, dass es von vielen Kommiliton_innen primär als tendenziell eher lästige Pflicht wahrgenommen wird, die neben einer (bis zu) 40-Stunden-Woche erledigt werden muss, statt als bewusst genutzte Möglichkeit der Reflexion.

Erlebtes methodisch aufzuarbeiten und adäquat zu reflektieren, ist gleichwohl eine Kernkompetenz der Sozialen Arbeit. Zumal ist es Aufgabe der tatsächlichen Ausbildungszeit, die Absolvent_innen angemessen auf etwaige Anstellungen vorzubereiten, um die Qualität der Sozialen Arbeit weiterhin gewährleisten zu können. Die Rechtfertigung für eine weitere Instanz der beruflichen Ausbildung in der derzeitigen Form ergibt sich für mich nicht. Zwar werden durch das Eintauchen in die Praxis bereichernde Lernerfahrungen gesammelt, ein geschlossener Aufbau professioneller Kompetenz kann jedoch nie gänzlich erreicht werden. Die Soziale Arbeit ist eine Profession, die quasi unendliche Lernchancen und -erfordernisse bietet, weshalb es den Status „ausgelernt“ nicht gibt. Genau dies ist jedoch ein vielfach geschätzter, wesentlicher Bestandteil der Sozialen Arbeit: Die Vielfalt der thematischen Auseinandersetzungen, die Möglichkeit, mit den unterschiedlichsten Menschen zusammenzuarbeiten und somit auch eine breite Bandbreite an Anstellungsmöglichkeiten als Grundlage einer lebenslangen, kritischen Auseinandersetzung mit dem eigenen professionellen Sein, was nicht durch die praktische Anleitung innerhalb einer Anstellung gewährleistet werden kann. Wenn das Anerkennungsjahr in seiner derzeitigen Form somit kein Garant für die umfängliche Qualifikation der Sozialarbeiter_innen ist, sind Veränderungen nötig.

Fazit

Das Anerkennungsjahr ist sehr facettenreich, die kritische Betrachtung dessen äußerst vielschichtig. Die berufliche Praxis ist geprägt von einem wertschätzenden und professionellen Umgang zwischen den Kolleg_innen und einer intensiven Beziehung zu den Klient_innen. Fraglich ist jedoch, inwiefern eine unterschiedliche Wahrnehmung dessen als Sozialarbeiter_in im Anerkennungsjahr oder als regulär angestellte Sozialarbeiter_in stattfinden würde. Die Vermutung liegt nahe, dass annähernd ähnliche, wenn nicht gar die gleichen Erfahrungen gesammelt werden, die einen Berufseinstieg als solchen rahmen, stets jedoch mit der differenten Entlohnung dessen. So sind die Sozialarbeiter_innen im Anerkennungsjahr mit den strukturellen Herausforderungen des Anerkennungsjahres als solchem konfrontiert, statt sich ganz auf die intensive Lebensphase „Berufseinstieg“ konzentrieren zu können.

Ein Blick in das Jahr 2035 eröffnet eine große Chance der Re-Strukturierung und Optimierung des Anerkennungsjahrs der Sozialen Arbeit. Aus der Corona-Pandemie wird hinsichtlich der mangelhaften Umsetzung der Digitalisierung, angefangen bei der technischen Ausstattung von Praxisstellen hin zu erfolgreicher digitaler Lehre, gelernt. Die wachsende kritische Selbstreflexion hinsichtlich ungleicher Machtverhältnisse eröffnet ein erhebliches Potenzial für die zukünftigen Sozialarbeiter_innen. Eine für mich unumgängliche Konsequenz ist somit auch die politische Auseinandersetzung mit der mangelhaften Wertschätzung der Sozialen Arbeit, die innerhalb der kapitalistischen Logik durch das Entgelt erbracht wird. Strukturen, die überwiegend für Arbeitgeber_innen vorteilhaft sind und von Berufseinsteiger_innen kritisiert werden, müssen verändert werden. Das System des Berufsanerkennungsjahres 2035 bedarf einer veränderten Denkweise und der Annahme von Kritik durch Absolvent_innen. Der Austausch mit anderen Berufsanfänger_innen der Sozialen Arbeit und der begleitete Einstieg in die Arbeitswelt ist gewinnbringend, muss jedoch anders gedacht werden. Ein kreativer Umgang mit Gegebenheiten und ein Umdenken bisheriger Konstellationen stellt eine Kernkompetenz der pädagogischen Praxis dar. Deren Anwendung ist auch hinsichtlich des Anerkennungsjahres gefragt.