Ob die Diskussion um berufsintegrierende (duale) Studiengänge die Fachdebatte 2035 noch so stark tangiert, wage ich zu bezweifeln. Die Dynamik in der aktuellen Diskussion ist vor allem aus unterschiedlichen Zeitdiagnosen zu verstehen, die weniger mit dualen Studiengängen selbst zu tun haben: Nur wenige der Argumente Für oder Wider duale Studiengängen sind wahrscheinlich tatsächlich mit der Idee von berufsintegrierenden Studiengängen im engeren Sinne verbunden.

In diesem Schwerpunkt wird deutlich, dass Studium und Ausbildung Sozialer Berufe sich in einer Transformation befinden. Einige dieser Entwicklungen seien kurz vorab skizziert:

  • In den meisten Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit haben wir einen Fachkräftemangel. Der Druck auf alle Institutionen der Aus- und auch Weiterbildung ist hoch. In einigen Bereichen sprechen wir mittlerweile davon, aufgrund fehlender Fachkräfte das Angebot einschränken oder Fachkräftegebote bis zur Unkenntlichkeit dehnen zu müssen (Fischer und Graßhoff 2021).

  • Die Ausbildung von Fachkräften ist nicht nur eine Qualifizierung von Personal, sondern auch ein „Markt“. Wie immer in Zeiten, in denen „Märkte“ in Bewegung sind, gibt es Anbieternervosität. Inhaltliche Auseinandersetzungen und „Marketing“ sind nicht immer klar voneinander zu trennen.

  • Das Feld der sozialen Berufe ist das am stärksten wachsende Feld aller sozialer Dienstleistungen. Die Organisation und Struktur der Ausbildung, z. B. die universitären Studiengänge der Sozialpädagogik oder an den Hochschulen, sind jedoch vor allem in den 1970er und 1980er-Jahre entstanden. Nicht nur mit weniger Studierenden, sondern auch mit einer vermeintlich klaren disziplinären „Identität“. Mit der quantitativen Expansion ist auch eine Ausdifferenzierung der Ziele und Konturen von Ausbildung entstanden.

  • Die Diskussion um Professionalisierung in der Sozialen Arbeit, aber auch um Professionalität, hat sich verändert. Dominante Modelle einer „reflexiven Professionalität“ (Dewe und Otto 2001) lassen sich zumindest in der Empirie nur schwer finden. Der wissenschaftlich ausgebildete Praktiker (Lüders 1987) scheint eine Zielperspektive zu sein, der in der Praxis zumeist keine große Bedeutung beigemessen wird. Die neuere Forschung relativiert mehr die Bedeutung wissenschaftlichen Wissens (Thole et al. 2016): auch wenn professionell gehandelt wird, begründen die Fachkräfte dieses Handeln nicht mit wissenschaftlichem Wissen (zumindest nicht explizit, z. B. für die Beratung Schneider 2006).

Die unterschiedlichen Entwicklungen in der sozialpädagogischen Disziplin und Profession führen dazu, dass die Einschätzung zu berufsbegleitenden Studiengängen von Argumenten überlagert wird, die nicht direkt etwas mit dieser Form des Studierens zu tun haben. Zumindest die massive Kritik an dualen Studiengängen insgesamt (Otto, 2018) ist so nicht zu erklären. Das heißt im Umkehrschluss nicht, dass berufsbegleitende Studiengängen per se nur Vorteile bieten. Aber leider ist die Antwort wie so oft: Es kommt darauf an, wie man sie macht.

Dual Studieren – Was ist das überhaupt?

Das Label „dual“ ist keinesfalls klar zu bestimmen. Das Spektrum berufsintegrierender Studiengänge in riesig. Dennoch gibt es natürlich Richtlinien, vor allem bei der Akkreditierung. Ein Blick in die Musterrechtsverordnung der Akkreditierungsagentur zeigt folgende Kriterien: „Duale Studiengänge sind sogenannte Studiengänge mit besonderem Profilanspruch. Gemäß § 12 Abs. 6 MRVO 'ein in sich geschlossenes Studiengangskonzept aus, das die besonderen Charakteristika des Profils angemessen darstellt'. (…) Dementsprechend darf ein Studiengang als dual „bezeichnet und beworben werden, wenn die Lernorte (mindestens Hochschule/Berufsakademie und Betrieb) systematisch sowohl inhaltlich als auch organisatorisch und vertraglich miteinander verzahnt sind“.

Kern eines berufsintegrierenden Studiengangs ist damit die explizite, also auf der Ebene der Modulbeschreibungen systematisch hervorgehenden Verschränkung der „Lernorte“ Hochschule/Berufsakademie und „Betrieb“. Es geht also nicht nur um eine gute Verbindung von Theorie und Praxis, sondern der expliziten „Nutzung von Organisationen der Sozialen Arbeit als ‚Lernort‘“.

Völlig unabhängig der Frage von „dual“ sind aber ganz viele andere Aspekte, die zumindest in der Diskussion vermischt werden:

  • Die Trägerstruktur der Akademie bzw. Universität oder Hochschule in privater oder öffentlicher Hand. Duale Studiengänge müssen nicht mit einer Kommerzialisierung der Ausbildung einhergehen. Wir haben duale Studiengängen an allen ausbildenden Institutionen (auch Universitäten, z. B. der Studiengang Sozialen Dienste an der Stiftung Universität Hildesheim).

  • Duale Studiengänge bedeuten nicht automatisch die Praxisorganisationen als Partner der Ausbildung auf Augenhöhe zu beteiligen. Die Studiengangsverantwortung bleibt bei den Hochschulen. Allerdings muss die Kooperation mit der Praxis in dualen Studiengängen auch formal geregelt werden und hier gibt es sicher in der Landschaft Beispiele, welche die fachliche Autonomie der Hochschulen verkleinern.

  • Duale Studiengänge bedeuten nicht zwangsläufig eine Ko-Abhängigkeit von Praxispartnern über Studiengebühren. Die Finanzierungsmodelle dualer Studiengänge auch in der Sozialen Arbeit sind vielfältig.

Festzuhalten bleibt, dass im Kern duale Studiengänge vor allem systematisch den Lernort „Sozialen Dienst“ mit dem Lernort „Hochschule“ verschränken. Ich sehe hier für die Soziale Arbeit grundsätzlich sowohl Chancen als auch Risiken.

Chancen und Risiken dualer Studiengänge in der Sozialen Arbeit

Im Studium der Sozialen Arbeit ist immer das Verhältnis von Theorie und Praxis Thema. Das akademische Studium bereitet auf eine Praxis vor. Das Verständnis von Theorie und Praxis unterscheidet sich jedoch an vielen Standorten sehr stark. Selbst innerhalb von Studiengängen werden Studierende wohl kaum mit nur einem Professionsverständnis konfrontiert.

Aus meiner Sicht ist ein berufsintegrierender Studiengang ein guter Anlass, um die eigene Haltung in der Ausbildung als Ausbildungsinstitution zu bearbeiten. Wie verorten sich die Lehrenden in der Praxis? Wie werden in Lehrveranstaltungen Praxisbezüge hergestellt? Wie können Lehrende überhaupt mit der Praxis kommunizieren und wie nah oder fern sind sie an den aktuellen Fragen der Handlungsfelder?

Duale Studiengänge sind eine Chance, zumindest über Störungen Pfadabhängigkeiten in der Praxis zu irritieren. Wir sehen speziell bei den dual Studierenden, dass gerade über Diskussionen an der Hochschule u. U. Kleinigkeiten in Frage gestellt werden, oder naive Fragen bestehende Skripte unterbrechen. Das passiert sicher auch in anderen Studiengängen, aber in dualen Studiengängen ist die Kommunikation dichter und strukturell vorgesehen.

Wenn die Soziale Arbeit in Zukunft sich noch stärker von Professionalisierungsmodellen der klassischen Professionalisierungsdiskussion verabschiedet, so wird an allen Ausbildungsorten das Theorie-Praxis-Problem bearbeitet werden müssen. Die Idee, Novizen in unserem Fach mit ausschließlich wissenschaftlichem Wissen vertraut zu machen, idealtypisch fernab von allen handlungspraktischen Problemen, wird sich nicht bis 2035 halten. Nicht nur duale Studiengänge müssen sich mit diesen Fragen auseinandersetzen. Wenn man am Ende die strukturellen Vor- und Nachteile, die berufsintegrierende Studiengänge verbinden, zusammenfasst, so können vielleicht folgende Erfahrungen gebündelt werden:

  • Die Akkreditierung von dualen Studiengängen zwingt die Ausbildungsstandorte dazu, eine Position zu der Verschränkung von Theorie und Praxis einzunehmen. Man könnte polemisch anführen, dass auch das Nicht-Thematisieren und Kennenlernen von Praxis in einem rein akademischen Studiengang mit Professionalisierungsfolgen verbunden ist. Zumindest gibt es aus der biografisch angelegten Professionsforschung ja wenig Grund zu Euphorie, dass das Studium im Professionalisierungsprozess eine zentrale Rolle spielt (Schweppe 2006).

  • Die enge Bindung an Träger der Sozialen Arbeit muss sehr gut formal und rechtlich abgestimmt werden. Sonst kann in der Tat ein Dienstleistungsverständnis zwischen dem Träger und den Hochschulen entstehen, in dem eine kritische Distanz nicht mehr möglich ist. Die Hoheit über Bewertung von Prüfungsleistung muss zum Beispiel in der Hand der Hochschulen bleiben.

  • Die sehr frühe Nähe von Studierenden, vor allem im Bachelor, zur Praxis ist nicht immer sinnvoll. In einigen Bundesländern (z. B. Berlin) werden offenbar dual Studierende bereits im ersten Semester als Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe eingesetzt. Das ist im Sinne des Fachkräftegebots kaum zu erklären. Studieren braucht eine wissenschaftlich inspirierte, reflektierte Praxis, aber ebenso Phasen und Orte, in denen handlungsentlastet wissenschaftlich gearbeitet wird.

In der Perspektive des Jahres 2035 würde ich aber vor allem eine Herausforderung als größte beschreiben: Die Frage, welche Rolle öffentlich finanzierte Hochschulen und Universitäten insgesamt haben. Eine große Entwicklung kann hier weniger an der Frage von dual oder nicht dual festgemacht werden, sondern welche Rolle „Präsenzlehre“ insgesamt noch haben wird. Derzeit scheinen sich ja vor allem digitale Studiengänge am Markt zu etablieren. Im Gegensatz zur klassischen Präsenzlehre ist die Kohortengröße in diesen Studiengängen nahezu beliebig aufzustocken. Wenn dem Fachkräftemangel mit fast ausschließlich „Fernstudiengängen“ begegnet wird, so müssen sich Hochschulen und Universitäten hier neu profilieren. Infolge der Pandemie wird sich das Argument, dass die Ausbildung von sozialen Berufen nur in Präsenz funktioniert, wahrscheinlich nicht aufrechterhalten lassen. Je nach Kassenlage in 2035 stehen die „teuren“ Modelle klassischer Studiengänge vielleicht erheblich unter Druck. Eine gute Verzahnung des Studiums mit der Praxis kann hier vielleicht mit zur Profilierung beitragen.