Im Studium der Sozialen Arbeit ist immer das Verhältnis von Theorie und Praxis Thema. Das akademische Studium bereitet auf eine Praxis vor. Das Verständnis von Theorie und Praxis unterscheidet sich jedoch an vielen Standorten sehr stark. Selbst innerhalb von Studiengängen werden Studierende wohl kaum mit nur einem Professionsverständnis konfrontiert.
Aus meiner Sicht ist ein berufsintegrierender Studiengang ein guter Anlass, um die eigene Haltung in der Ausbildung als Ausbildungsinstitution zu bearbeiten. Wie verorten sich die Lehrenden in der Praxis? Wie werden in Lehrveranstaltungen Praxisbezüge hergestellt? Wie können Lehrende überhaupt mit der Praxis kommunizieren und wie nah oder fern sind sie an den aktuellen Fragen der Handlungsfelder?
Duale Studiengänge sind eine Chance, zumindest über Störungen Pfadabhängigkeiten in der Praxis zu irritieren. Wir sehen speziell bei den dual Studierenden, dass gerade über Diskussionen an der Hochschule u. U. Kleinigkeiten in Frage gestellt werden, oder naive Fragen bestehende Skripte unterbrechen. Das passiert sicher auch in anderen Studiengängen, aber in dualen Studiengängen ist die Kommunikation dichter und strukturell vorgesehen.
Wenn die Soziale Arbeit in Zukunft sich noch stärker von Professionalisierungsmodellen der klassischen Professionalisierungsdiskussion verabschiedet, so wird an allen Ausbildungsorten das Theorie-Praxis-Problem bearbeitet werden müssen. Die Idee, Novizen in unserem Fach mit ausschließlich wissenschaftlichem Wissen vertraut zu machen, idealtypisch fernab von allen handlungspraktischen Problemen, wird sich nicht bis 2035 halten. Nicht nur duale Studiengänge müssen sich mit diesen Fragen auseinandersetzen. Wenn man am Ende die strukturellen Vor- und Nachteile, die berufsintegrierende Studiengänge verbinden, zusammenfasst, so können vielleicht folgende Erfahrungen gebündelt werden:
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Die Akkreditierung von dualen Studiengängen zwingt die Ausbildungsstandorte dazu, eine Position zu der Verschränkung von Theorie und Praxis einzunehmen. Man könnte polemisch anführen, dass auch das Nicht-Thematisieren und Kennenlernen von Praxis in einem rein akademischen Studiengang mit Professionalisierungsfolgen verbunden ist. Zumindest gibt es aus der biografisch angelegten Professionsforschung ja wenig Grund zu Euphorie, dass das Studium im Professionalisierungsprozess eine zentrale Rolle spielt (Schweppe 2006).
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Die enge Bindung an Träger der Sozialen Arbeit muss sehr gut formal und rechtlich abgestimmt werden. Sonst kann in der Tat ein Dienstleistungsverständnis zwischen dem Träger und den Hochschulen entstehen, in dem eine kritische Distanz nicht mehr möglich ist. Die Hoheit über Bewertung von Prüfungsleistung muss zum Beispiel in der Hand der Hochschulen bleiben.
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Die sehr frühe Nähe von Studierenden, vor allem im Bachelor, zur Praxis ist nicht immer sinnvoll. In einigen Bundesländern (z. B. Berlin) werden offenbar dual Studierende bereits im ersten Semester als Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe eingesetzt. Das ist im Sinne des Fachkräftegebots kaum zu erklären. Studieren braucht eine wissenschaftlich inspirierte, reflektierte Praxis, aber ebenso Phasen und Orte, in denen handlungsentlastet wissenschaftlich gearbeitet wird.
In der Perspektive des Jahres 2035 würde ich aber vor allem eine Herausforderung als größte beschreiben: Die Frage, welche Rolle öffentlich finanzierte Hochschulen und Universitäten insgesamt haben. Eine große Entwicklung kann hier weniger an der Frage von dual oder nicht dual festgemacht werden, sondern welche Rolle „Präsenzlehre“ insgesamt noch haben wird. Derzeit scheinen sich ja vor allem digitale Studiengänge am Markt zu etablieren. Im Gegensatz zur klassischen Präsenzlehre ist die Kohortengröße in diesen Studiengängen nahezu beliebig aufzustocken. Wenn dem Fachkräftemangel mit fast ausschließlich „Fernstudiengängen“ begegnet wird, so müssen sich Hochschulen und Universitäten hier neu profilieren. Infolge der Pandemie wird sich das Argument, dass die Ausbildung von sozialen Berufen nur in Präsenz funktioniert, wahrscheinlich nicht aufrechterhalten lassen. Je nach Kassenlage in 2035 stehen die „teuren“ Modelle klassischer Studiengänge vielleicht erheblich unter Druck. Eine gute Verzahnung des Studiums mit der Praxis kann hier vielleicht mit zur Profilierung beitragen.