Mit Hilfe einer organisationstheoretischen Perspektive auf Soziale Arbeit und Justiz soll versucht werden, mögliche, bisher wenig beachtete Auslöser für die notorischen Probleme bei der Zusammenarbeit zu identifizieren. Hier treten eine Reihe von Problemen in der Zusammenarbeit auf, die in diesem Schwerpunkt von Sozial Extra fundiert beschrieben werden. Entlang dem Spannungsverhältnis von Prävention und Repression soll untersucht werden, wie sich diese Phänomene auf der Organisationsebene von Justiz und Sozialer Arbeit wiederfinden.

Dabei greifen die folgenden Überlegungen auf die Sicht der Theorie sozialer Systeme zurück, wie sie von Niklas Luhmann (Luhmann 1994) grundlegend formuliert und von Scherr (2001) und Bommes und Scherr (2012) auf die „Soziale Arbeit als organisierte Hilfe im Wohlfahrtsstaat“ (ebd. S. 147ff) sowie auf ihr Verhältnis zum Recht (S. 233ff) angewandt wurde.

Nach einem kurzen Einblick in die Besonderheiten von Funktionssystemen und Organisationen geht es im ersten Abschnitt um Problem und Entwicklung von Justizorganisationen. Es soll dabei der Frage nachgegangen werden, wozu eine Gesellschaft überhaupt Justizorganisationen benötigt und wie sich im Laufe der Zeit das Verständnis von Prävention und Repression darin entwickelt haben. Der gleichen Logik folgend soll danach ein Blick auf die Herkunft und Zielsetzung von Organisationen der Sozialen Arbeit geworfen werden.

Der zweite Teil der Überlegungen beschäftigt sich dann mit den Schnittstellen der Organisationen von Sozialer Arbeit und Justiz unter der Perspektive wechselseitiger Beeinflussung. Hier soll rekonstruiert werden, wie beide Organisationen aufeinander einwirken und Verfahren koproduzieren. Dabei steht im Fokus, warum der Streit zwischen beiden Akteuren geradezu funktional und zweckmäßig ist und kein Problem, welches in irgendeiner Weise wegzuorganisieren oder wegzudefinieren wäre.

Der Organisationsrahmen der Justiz

Nach Luhmann sind Soziale Systeme selbstreferenzielle Systeme und damit operational geschlossen. Sie schaffen ihre Elemente selbst und beziehen sich nur auf sich selbst. Im Typus der Organisation sind diese Elemente Entscheidungen (Luhmann 2000). Elementar für die Funktionsfähigkeit einer Organisation ist, dass sie an Funktionssysteme (strukturell) gekoppelt ist und diese Koppelung als oberste Priorität für die hier getroffenen Entscheidungen fungiert.Footnote 1 Ein Gericht ist an die Leitdifferenz des Funktionssystems Recht (Recht/Unrecht) gekoppelt. Wenn dort ein Urteil käuflich erworben werden kann, verliert es seine Funktionalität für die Gesellschaft. Welche Funktion erfüllt ein Gericht als Organisation, d. h. welches Problem wird dauerhaft mit dem Bestand der Organisation bearbeitet (nicht: gelöst)?

Das Rechtssystem ist nicht mit der Justiz gleichzusetzen. Dem Rechtssystem sind alle Kommunikationen zuzuordnen, die an der Leitdifferenz Recht/Unrecht anschlussfähig sind. Der Rechtsstaat stellt eine Schnittstelle von Politik und Recht dar, die Justiz ist Teil dieses Rechtsstaats. In der Feudalherrschaft des Mittelalters legte der Feudalherr sowohl das Recht fest und übte die Gerichtsbarkeit aus. Der Klassiker bei der Abweichung von Verhaltenserwartungen (Strafe) ist die abgestufte soziale Exklusion – vom Pranger über den Kerker oder die Verbannung bis zur Todesstrafe. Diese Form des Umgangs mit Abweichung kann als repressive Form gefasst werden. Sie bildet die repressive Art der „Bearbeitung“ von Abweichung den Vollzug von Exklusion. Als Prävention kann in diesem Zusammenhang die Androhung von Exklusion gefasst werden. Die sich differenzierende „Bepreisung“ von abweichendem Verhalten mit bestimmten Strafmaßen wurde u. a. mit der erhofften Präventionswirkung begründet (interessant hierzu: Genîzî und Rustichini 2000).

Mit dem Ende der Feudalherrschaft entsteht eine erste funktionale Differenzierung in Rechtsanwendung (Exekutive) und Rechtsauslegung (Judikative). Das gegenwärtige Arbeitsfeld „Justiz“ umfasst beide Bereiche des Rechtssystems. Die Organisation „Gericht“ hat, hier trifft die Metapher der blinden Göttin Justitia zu, keine eigene Beobachtungsfunktion für die Umwelt. Im Gerichtsverfahren werden die Beobachtungen durch die beteiligten Akteure eingeführt. Staatsanwaltschaften, Anwälte, Beklagte und Gutachter_innen produzieren die Wirklichkeit des Verfahrens, wobei das Gericht i. d. R. selbst keine Beobachtungen vornimmt.

In der Exekutive entstanden Organisationen zur Lösung des „Beobachtungsproblems“ der Differenz von Recht/Unrecht. Organisationen, deren Leitdifferenz die Beobachtung von Recht/Unrecht ist, sind Polizeien, Staatsanwaltschaften, Verfassungsschutz, Steuerfahndung, Zoll u. ä. Aufgrund der Komplexität der Beobachtungsaufgabe sind die Organisationen mit je spezifischen Lizenzen/Ermessen (Zwang, nachrichtendienstliche Mittel, Auskunftsrechte u. ä.) ausgestattet, die überhaupt erst die effektive Beobachtung erlauben. Da es aus konstruktivistischer Perspektive keine objektive Beobachtung gibt, werden Formen von Sanktionierung und Repression bereits in der Beobachtung mitprozessiert. Polizei und Staatsanwaltschaft beobachten/entscheiden über die Differenz Recht/Unrecht. Jedes individuelle „Wegsehen“ ist für diese Organisationen eine Gefährdung ihrer Funktion und gefährdet den Handlungs- (Ermessens‑)Spielraum der Organisation als Ganzes – sei es aus wirtschaftlichen Gründen (z. B. Bestechung) oder aus politischen Gründen (z. B. wegen vermeintlich „guter“ Gründe).

Neben der Funktion „Beobachtung“ hat sich das Subsystem „Vollzug“ entwickelt. Organisationen des Strafvollzugs sind zwar grundsätzlich an der Leitdifferenz Recht/Unrecht orientiert, ihre spezielle Lizenz zum Ermessen liegt zunächst im Zwang, hinzu kommt allerdings die pädagogische Differenz des Lernens/nicht-Lernens unter dem Aspekt der Rückfallprophylaxe. Mit der Zukunftsperspektive der Verhinderung von Rückfällen im Sinne einer „Resozialisierung“ (Bommes und Scherr 2012, S. 235f) kommt neben der repressiven Strategie eine präventive, pädagogische Komponente auf. Mit der politischen Modernisierung des Rechts wird an die traditionell auf Repression fixierten Organisationen der Justiz die Erwartung der Prävention herangetragen. In der Gerichtsbarkeit wird die Jugendgerichtsbarkeit mit explizit präventiven, (sozial-)pädagogischen Aufgabenstellungen ausdifferenziert. Dabei ist in Deutschland ein organisatorisches Mischwesen entstanden, indem die Jugendgerichte organisatorisch in die Amtsgerichte eingebunden sind und nicht über eigene Organisationen verfügen. Prävention kann somit als Ermöglichung von Teilhabe (Inklusion) beschrieben werden. Bei den Maßnahmen der Jugendgerichte steht nicht die generalpräventive „Abschreckung“, sondern der Erziehungsgedanke im Vordergrund.

Da die grundsätzliche Fragestellung dieser Überlegungen die Kooperation ist, stellt sich die Frage der Steuerung der Organisation, denn dauerhafte Kooperation entsteht nicht, sie muss entschieden werden. Auf welcher (politischen) Ebene werden in der Justiz Entscheidungen getroffen? Polizei, Staatsanwaltschaften, Gerichte und Strafvollzug entwickelten sich während der Industrialisierung als komplexer werdende Organisationen. Sie sollten primär den Bestand des Staates sichern. Die in der Monarchie eingerichteten Polizeibehörden und Gerichte wurden nach dem Ende des 1. Weltkrieges nicht aufgelöst. Auch sie wurden modernisiert und differenziert. Jedoch blieben sie in ihrer Tradition dem Modell autoritären Obrigkeitsstaats verbunden. Mit Einführung der zweiten Demokratie auf deutschem Boden wurden auch wieder Justizorganisationen unter alliierter Aufsicht gegründet. Nach den negativen Erfahrungen des zentralstaatlichen Nationalsozialismus wurde versucht, die Polizeibehörden explizit kommunal zu organisieren (Groß 2008). Gleichwohl blieben wesentliche Teile der Justiz in der traditionellen Verantwortung der Länder. Mit der Begründung einer rationaleren Organisation wurden die Polizeibehörden nach und nach wieder auf Landesebene angesiedelt, womit auch der alte „Staat“ wiederhergestellt war. Erhard Denninger brachte das Problem der organisatorischen Entwicklung im Arbeitsfeld der Justiz am Beispiel der Polizei schon 1968 auf den Punkt: „Aufgeklärter Absolutismus, konstitutionelle Monarchie, bürgerliche Republik, totalitäre Diktatur und demokratisch-sozialer Rechtsstaat – aber immer ein und dieselbe Polizei?“ (Denninger 1968, S. 12).

Der Organisationsrahmen der Sozialen Arbeit

Das universelle Risiko der Exklusion entsteht als Phänomen erst mit dem Ende der ständischen, der stratifizierten Gesellschaft (Luhmann 1981). Erst in funktional-differenzierten Gesellschaften ist das Individuum nicht mehr quasi-automatisch der Teil eines Standes und in die entsprechenden Kommunikationsstrukturen inkludiert. In funktional-differenzierten Gesellschaften wird die Sozialisation des Individuums in Rechts‑, Wirtschafts- und alle anderen Funktionssysteme zur Aufgabe und damit auch die Exklusion zum dauerhaften Lebensrisiko. Um an diesen Funktionssystemen unter den neuen Bedingungen der Lebensführung in der modernen Gesellschaft teilnehmen zu können, bietet die Soziale Arbeit den Individuen durch entsprechende Interaktionsformen organisierte Hilfe als „Zweitsicherung im Wohlfahrtsstaat“ (Bommes und Scherr 2012, S. 175f) an. Soziale Arbeit hat damit die Funktion, Exklusion zu vermeiden, (Re)Inkluskion zu ermöglichen und Exklusion zu verwalten. Was im Berufsfeld der Sozialen Arbeit unter dem Topos der „unvollständigen Profession“ diskutiert wird, ist der Unterschied zu Organisationen mit wissensbasierten Professionen wie der Medizin, in denen die Organisation durch die Codierung des Funktionssystems gesteuert wird. Die Beobachtung der Leitdifferenz krank/nicht-krank sichert die Anschlussfähigkeit von medizinisch-therapeutischen Kommunikationen. Die notwendige Differenz Inklusion/Exklusion findet sich in weltanschaulichen Hilfsorganisationen und in kirchennahen Organisationen – mit dem Problem, dass die Leitdifferenzen dieser Organisationen eben dann das Helfen oder die Barmherzigkeit sind. Diesen Organisationen ist gemeinsam, dass in der Regel keine Konditional-Programme vorgehalten werden, sondern Zweck-Programmen, die je spezifischen Zielsetzungen dienen.

Während sich in der Betrachtung von Justiz und Polizei die Traditionslinie des autoritären Staates zeigt, verdeutlicht sich in der Sozialen Arbeit ein traditionell ambivalentes Verhältnis zum Staat mit stark kommunaler Ausprägung. Zwar ist die Weimarer Republik durch einen Ausbau der frei-gemeinnützigen Wohlfahrt geprägt, d. h. jedoch nicht, dass die in der Monarchie sozialisierten Mitarbeiter_innen und Organisationsstrukturen in Frage gestellt wurden. Stärker noch trifft dies auf den Übergang vom Nazi-Regime in die Zeit der beiden deutschen Staaten zu. Abgesehen von den unmittelbaren Nazi-Organisationen und einigen verantwortlichen Leitungen blieben im Westen Mitarbeiter_innen und Organisationen in den Kommunen, den freien Trägern, den Ausbildungsstätten und Sozialversicherungen weitgehend bestehen. In der alten Bundesrepublik war bis in die 1960er-Jahre die Soziale Arbeit durch Diakonie und Caritas vor allem kommunal, kirchlich, unpolitisch und kostengünstig. Während in der DDR eine staatsnahes, an Betriebe und Verwaltungen gekoppeltes System der Sozialen Arbeit etabliert wurde, entwickelte sich mit dem Ausbau des westdeutschen Wohlfahrtsstaats die bereits in der Weimarer Republik entstandene Struktur aus öffentlichen und freien Trägern, nun unter stärkerer Berücksichtigung der nicht religiös geprägten Wohlfahrtsverbände, zu einem neo-korporatistischen System.

Prävention und Repression in der Sozialen Arbeit

Die Soziale Arbeit in Deutschland ist seit der Industrialisierung organisatorisch in zwei Hauptlinien aufgeteilt – einer stationären Organisation in Einrichtungen und einer ambulanten Organisation in Form von Diensten. In der Einrichtungs-Organisation kommunizieren Sozialarbeitende und Klient_innen in einem stationären Setting unter den Regeln der Organisation. Möglichkeiten und Grenzen der Interaktionen sind durch die Rahmenbedingungen der Einrichtung vorgegeben, dies galt für Armenhäuser und Anstaltspsychiatrien genauso wie es gegenwärtig z. B. in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen oder stationären Jugendhilfeeinrichtungen gilt. Die Gründung von Einrichtungen in kommunaler Trägerschaft war i. d. R. der polizeiliche Gedanke der öffentlichen Ordnung. Armenhäuser waren Organisationen der Repression und der Abschreckung.

Im Bereich der ambulanten Dienste steht die Kommunikation nicht auf den stabilen Strukturen der Verhaltensregeln einer Organisation. Der Ursprungsorganisationstyp, in dem sich historisch die Besonderheit eines Dienstes der Sozialen Arbeit entwickelt hat, ist das Elberfelder System (Hammerschmidt, Weber, Seidenstücker 2017). Hier treten erstmals Eingriffs- und Leistungsverwaltung in einem gemeinsamen Organisationstypus auf. Der Armenpfleger sollte nicht nur Kontrolleur sein, er sollte auch eine Vertrauensbeziehung zu den Armen aufbauen, um die Steuerungsziele (z. B. Ausgabendisziplin, Selbststeuerung, Hygiene) der Armenpflege zu erreichen. Dieser Organisationstyp bildet die Blaupause sozialer Dienste und findet sich in verfeinerter Form u. a. in den Arbeitsagenturen und ASDs wieder. Der Grundgedanke dieser Art von Sozialer Arbeit war polizeilicher Natur und folgte dem Prinzip der Repression, mit dem Elberfelder System bildete sich ein Teilsystem, in dem sich zur Repression die Prävention gesellte.

In den Jahren nach 1968 beginnt das revolutionäre, staatskritische Narrativ der Sozialen Arbeit (‑West). Ausgestattet mit neu entstandenen Ausbildungsstätten und den dort beschäftigten Wissenschaftler_innen wurde ein neues Bild der „professionellen“ Sozialen Arbeit entworfen und gelehrt. Dieses Bild stand und steht im Unterschied zu den vorhandenen Organisationen der Sozialen Arbeit, der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege. Professionell ausgebildete Sozialarbeiter_innen werden in Organisationen einsozialisiert, die seit Jahrzehnten Hilfe entweder aus religiösen, verwaltungsrechtlichen oder politischen Motiven legitimieren. Die durchaus selbstkritischen Resümees zur Professionalisierung von oben (Peters 2008) zeigen, dass auch in der Sozialen Arbeit das Beharrungsvermögen der Organisationen nicht zu unterschätzen ist.

Wie können sich Soziale Arbeit und Justiz beeinflussen?

Die hier gewählte steuerungsstheoretische Perspektive orientiert sich am Governance-Ansatz, der sich mit den Formen der Handlungskoordination und Kopplung selbstreferentieller, geschlossener Systeme auseinandersetzt (Weber 2014). Mit insgesamt sechs Governance-Formen (Hierarchie, Gemeinschaft, Verhandlung, Assoziation, Netzwerk und Wettbewerb) werden Konzepte wie Kopplung (lose und enge Kopplung) sowie spezifische Kommunikationsformen identifiziert. Zum Verständnis der Handlungskoordination zwischen Sozialer Arbeit und Justiz, sollen hier kurz exemplarisch die Formen Verhandlung, Hierarchie und Gemeinschaft skizziert werden.

Organisationen können in Verhandlungen in Interaktion treten. Verhandlungen basieren auf dem Kommunikationsmedium Macht. Eine enge Kopplung ist zu beobachten, wenn die Machtmittel (z. B. Zwangsmittel) ungleich verteilt sind, eine lose Kopplung in der Handlungskoordination liegt vor, wenn die Machtmittel gleich verteilt sind und auf Augenhöhe kommuniziert wird. Die Governance-Form Verhandlung beschreibt so z. B. das Verhältnis von öffentlicher und freier Wohlfahrtspflege im traditionellen Neo-Korporatismus. Durch Zwangsmittel können soziale Systeme im Extremfall zerstört werden, wodurch ein hoher Anreiz für Systeme entsteht, auf Macht-Kommunikation anschlussfähig zu kommunizieren, wenn die Alternative die Gefährdung des eigenen Fortbestands ist.

Ein Beispiel für die Governance-Form der Hierarchie bilden komplexe, staatliche Organisationen. Hier ist gegenüber Subsystemen in der Regel die Hierarchie als Governance-Form zu beobachten. Wobei auch hier lose Kopplung durch breite Ermessensspielräume beschrieben werden kann und enge Kopplung durch Muss-Normen. Das Justizministerium verfügt über eine enge Kopplung an die Staatsanwaltschaft (Weisungsbefugnis), jedoch nur eine lose Kopplung an die Gerichte (Berufung der Richter). Sozialarbeiter_innen sind in der Regel in Organisationskontexte in Hierarchien eingebunden (z. B. Jugendämter, enge Kopplung) und nicht mit professioneller Autonomie (lose Kopplung) ausgestattet wie Mediziner_innen in Krankenhäusern.

Die Governance-Form Gemeinschaft fußt wiederum auf gemeinsamen Werten, Vertrauen und Reziprozität. Enge Kopplung wird durch feste Vertrauensverhältnisse geschaffen, während lose Kopplung durch institutionelles Vertrauen, das durch Zertifikate dokumentiert wird, beschrieben werden. In hierarchischen Organisationen ist die Gemeinschaft der Feind der Hierarchie (Stichwort: kleiner Dienstweg oder brauchbare Illegalität). In Organisationen der Sozialen Arbeit ist die Gemeinschaft die Arbeitsgrundlage zwischen Sozialarbeitenden und Klient_innen. Die Gemeinschaft und die Herstellung enger Kopplung bilden die Grundlage des people processing. Auf der Organisationsebene bilden Interessenverbände (z. B. Wohlfahrtsverbände, Kommunalverbände, Gewerkschaften) Gemeinschaften in loser Kopplung und mit entsprechend eingeschränkter Handlungsfähigkeit. An diesen drei Beispielen wird deutlich, dass Repression als Grundlage der engen Kopplung bedarf und kommunikativ hohen Aufwandes bedarf.

Kooperation im Fall

Sowohl bei Gerichten, Staatsanwaltschaften und Polizei als auch bei sozialen Einrichtungen und Diensten werden Personen, die den je eigenen Beobachtungskriterien entsprechen, als „Fall“ konstruiert. Aufgrund dieser Konstruktion wird mitunter der Schluss gezogen, dass beide Organisationen die gleichen Ziele hätten, da man die gleiche Person als Fall liest/adressiert. Doch betrachtet man die Funktion der Justiz-Organisationen, so konstruieren diese in repressiver Tradition den Fall als Auslöser eines Konditional-Programms zur Exklusion, mit dem Abgleich von Fall und einschlägiger Rechtsnorm. Die Organisationen der Sozialen Arbeit konstruieren den Fall als Aufgabe zur Inklusion, mit höchst heterogenen Zweck-Programmen zur Verhinderung von Exklusion. Hier sind im Aufeinandertreffen bereits die Gemeinsamkeiten im Wesentlichen beendet.

Im jugendgerichtlichen Verfahren (Fallebene) ist die Governance-Form Verhandlung mit loser Kopplung zwischen den Organisationen zu beobachten, da es zwar die Norm gibt, dass die Akteure (Gericht, Jugendamt, Jugendgerichtshilfe) verhandeln müssen (sog. Zwangsverhandlungen), der Gesetzgeber kein Machtmittel (Voraussetzung für enge Kopplung) vorgesehen hat, dass es einem Akteur ermöglichen würde, seinen Willen mit z. B. rechtlichen Mitteln durchsetzen zu können. Das Gericht steht nicht in hierarchischem Verhältnis zur Jugendgerichtshilfe.

Auf Interaktionsebene wird dies umso deutlicher, da die Justizorganisationen im Kontakt mit dem Fall (Form Verhandlung) auf Zwangsmittel (enge Kopplung) zugreifen können, während Organisationen der Sozialen Arbeit in der Kontaktaufnahme (Form Verhandlung) auf Augenhöhe agieren (lose Kopplung) und enge Kopplung nur durch Vertrauen (Form Gemeinschaft) hergestellt werden kann.

Kooperation in Mehrebenen-Systeme

Justizorganisationen sind auf kommunaler Ebene, bedingt durch ihre Gestalt als Teil von Länder-Hierarchien, kaum kooperationsfähig. Sie verfügen nicht über kommunale Beobachtungs- und Steuerungsfunktionen, die die Grundlage für anschlussfähige Kommunikationen bilden. Diese kommunale „Blindheit“ wird deutlich, wenn auf Landesebene nach ökonomischen oder politischen Kalkülen Polizeibezirke oder Gerichtsbezirke (immer wieder neu) festgelegt werden. Hierbei spielen kommunale Grenzen nur eine Nebenrolle und werden nicht unter Kooperationsaspekten berücksichtigt.

Organisationen der Sozialen Arbeit sind dagegen auf zivilgesellschaftliche Strukturen in den Kommunen, den Stadtteilen oder Kirchengemeinden angewiesen und finden für Kooperationen mit Justizorganisationen in der Regel keine Ansprechpartner_innen auf kommunaler Ebene. Für eine Kommunikation auf Landesebene sind die Organisationen der Sozialen Arbeit auf die jeweiligen politischen Spitzenverbände angewiesen. Dies bedeutet aber, dass die Justiz-Organisationen mit den Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege, den Verbänden gewerblicher Träger und den kommunalen Spitzenverbänden in Kontakt treten müsste. Diese Verbände sind zudem nicht in Hierarchie zu ihren Mitgliedern, sondern nur in loser Kopplung als Gemeinschaften organisiert. Die Beobachtungen von Inklusion/Exklusion sowie das Verständnis von Prävention und Repression dieser Organisationen ist überdies höchst heterogen.

So erscheint es nicht ungewöhnlich, dass die Häuser des Jugendrechts (vgl. Riekenbrauk 2015; Schilling in diesem Schwerpunkt) zuerst in Kommunen gegründet wurden, in denen die politische Kommune in Verhandlungen mit der Landesebene auf eine enge Kopplung zurückgreifen kann und eine moderierende Funktion zwischen Justiz und Sozialer Arbeit einnimmt. Einer regelmäßigen Kooperation auf kommunaler Ebene, die der Moderation bedarf, stehen damit föderale Strukturen schlicht im Weg. Dies erschwert damit auch Versuche, Kooperationsnotwendigkeiten trotz loser Kopplung mit anderen kommunalen Akteuren (einschließlich Politik) z. B. in einem Abstimmungsgremien wie „kriminalpräventiven Räten“ oder in „Fallkonferenzen“ unter Berücksichtigung des Datenschutzes (Pütter 2022, S. 68ff., 98ff, 104ff) verbindlich zu machen.

Fazit

Dort wo Justiz und Soziale Arbeit aufeinandertreffen, treffen sich hierarchische Landesorganisationen mit einheitlicher Struktur, Konditionalprogrammen und repressiver Kultur auf kommunale Organisationen mit höchst heterogenen Zweckprogrammen und präventiven, pädagogischen Zielsetzungen. Zwar erscheint die Justiz aufgrund von Größe und Komplexität als „übermächtig“, tatsächlich zeigt sich in der Praxis der Fallbearbeitung kein hierarchisches Verhältnis von Organisationen der Justiz und der Sozialen Arbeit. Aufgrund loser Kopplung beider Organisationen besteht keine Notwendigkeit zur Kooperation. Das gemeinsame Tun von Justiz und Sozialer Arbeit ist unter den gegebenen Bedingungen mehr eine Koproduktion als eine Kooperation.

Versuche einer von beiden Seiten mit einer Vielzahl von Gründen und wie auch immer gut gemeinten, politischen Reorganisation müssen berücksichtigen, dass

  • sich in der Arena Organisationen befinden, die auf unterschiedlichen politischen Ebenen agieren (Länder und Kommunen), was die Handlungskoordination mit besonderen Schwierigkeiten belastet.

  • sie auf beiden Seiten auf Organisationen trifft, die dank ihrer operationalen Geschlossenheit mehrere Systemwechsel überdauert haben und von denen nicht sicher gesagt werden kann, dass sie in allen Teilen im demokratischen, sozialen Rechtsstaat angekommen sind.

  • die Organisationen, die durch ihre relevanten Funktionssysteme mit der Akzeptanz der je anderen Leitdifferenz quasi „Verrat“ an der eigenen Leitdifferenz begehen würden. Verschiebungen in jede Richtung des Kontinuums aus Prävention und Repression gefährden den Bestand und das Vertrauen und die Funktion, die von der jeweiligen Organisation erwartet wird.