Ein effektiver Kinderschutz ist sowohl auf präventive wie intervenierende Maßnahmen angewiesen. Um Leid auf Seiten von Kindern und Jugendlichen möglichst schnell zu beenden, ist es erforderlich, Kindeswohlgefährdungen so früh wie möglich zu erkennen und in angemessener Weise darauf zu reagieren.

National wie international zeigt sich jedoch, dass die Entscheidung darüber, ob gesundheitliche Auffälligkeiten und medizinische Befunde auf eine Kindeswohlgefährdung hinweisen, mit großen Herausforderungen und viel Unsicherheit sowohl auf Seiten des medizinischen Personals als auch auf Seiten der Jugendämter (z. B. Ackermann 2017; Röding et al. 2021; Miehlbradt und Kindler 2020) behaftet ist. Dies ist angesichts der mit Anhaltspunkten für eine Kindeswohlgefährdung häufig einhergehenden Uneindeutigkeit medizinischer Befunde zwar nicht erstaunlich, kann aber unter Kinderschutzgesichtspunkten zu unnötigen Verzögerungen im Kinderschutzhandeln und damit auch zu gravierenden Folgen für die Minderjährigen führen. In Deutschland kommt es zu unterschiedlichen Maßnahmen, die einen Beitrag dazu leisten, diese Unsicherheiten zu verringern. So wurde beispielsweise mit der Verabschiedung des Bundeskinderschutzgesetzes (2012) ein expliziter rechtlicher Rahmen für die Zusammenarbeit im Kinderschutz geschaffen, der zuletzt im Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) 2021 weiterentwickelt wurde. In der Medizin wurde eine S3+Leitlinie zum Kinderschutz veröffentlicht (AWMF 2022), an deren Erstellung auch eine nennenswerte Anzahl von Vertreterinnen und Vertreter aus der Kinder- und Jugendhilfe beteiligt waren. Die Bundesländer haben länderspezifische Maßnahmen ergriffen und auf Bundesebene wurde eine medizinische Kinderschutzhotline für Angehörige der Heilberufe, Kinder- und Jugendhilfe und Familiengerichte (https://www.kinderschutzhotline.de/, Zugriff 04.11.2021), durchaus angeregt durch die Bayerische Kinderschutzambulanz, um die es in diesem Artikel geht, eingerichtet.

Die Bayerische Kinderschutzambulanz

2011 wurde die Bayerische Kinderschutzambulanz am Institut der Rechtsmedizin der LMU München als ein Baustein des Bayerischen Gesamtkonzepts zum Kinderschutz gegründet. Seither wird diese durch das bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales (StMAS) gefördert. Die Bayerische Kinderschutzambulanz ist ein landesweites Beratungsangebot, das sich an Ärzt_innen, Fachkräfte im Jugendamt, Eltern, betroffene Kinder und Jugendliche richtet und 24 h am Tag erreichbar ist. Folgende Leistungen werden von ihr angeboten:

  • „kostenlose Untersuchung von Kindern und Jugendlichen

  • (Foto‑) Dokumentation der Verletzungen

  • Sicherung und Aufbewahrung von Beweismitteln und Spuren

  • telefonische (auch anonyme) Beratung für Gewaltopfer und deren Angehörige, aber auch Beratung für Ärzt_innen, die Gewaltopfer behandeln

  • Vermittlung der Opfer an andere Kliniken (interdisziplinäre Vernetzung) zur weiteren diagnostischen und therapeutischen Versorgung und/oder sozial-therapeutischen Einrichtungen (z. B. Trauma-Ambulanz)

  • Überweisung der Kinder und Jugendlichen aus Klinik oder Praxis an die Untersuchungsstelle des Instituts für Rechtsmedizin der LMU.

  • Klärung von Fragen zur Erkennung von Gewalt an Kindern und Jugendlichen, vorwiegend für Ärzt_innen, aber auch für Jugendämter, Hebammen, Lehrerinnen und Lehrer und andere mit dem Gewaltproblem befasste Personengruppen

  • Hilfestellung bei der Anwendung des Art. 14 Abs. 6 des Gesundheitsdienst- und Verbraucherschutzgesetzes (GDVG), insbesondere Beratung hinsichtlich des Vorliegens gewichtiger Anhaltspunkte für eine Misshandlung, Vernachlässigung oder einen sexuellen Missbrauch eines Kindes oder Jugendlichen

  • geschützte online Plattform für Ärztinnen und Ärzte (www.remed-online.de), zur Kontaktaufnahme und Besprechung von Fällen“ (https://www.rechtsmedizin.med.uni-muenchen.de/wissenschaft/klinische_rechtsmed/ambul_kinder/index.html, Zugriff 31.10.2021).

Evaluationsidee

Das DJI evaluierte in der Zeit vom 01.06.2016 bis zum 31.05.2018 die Bayerische Kinderschutzambulanz. Ergebnisse dieser mit qualitativen und quantitativen Methoden durchgeführten Evaluation werden in diesem Beitrag vorgestellt. Die Evaluation wurde sowohl durch das StMAS als auch die Gemeinnützige JK-Stiftung für kompetente Elternschaft und Mediation finanziell gefördert.

Qualität und Stellenwert der Arbeit der Bayerischen Kinderschutzambulanz aus Sicht ihrer professionellen Nutzer_innen sowie ihr Beitrag zu einer verbesserten Zusammenarbeit im interdisziplinären Kinderschutz waren ebenso Gegenstand der Evaluation wie die Frage danach, ob die von der Bayerische Kinderschutzambulanz durchgeführten Fortbildungsveranstaltungen zu einer Erhöhung der Sensibilität für Kinderschutzfragen in medizinischen Kontexten beitragen. Da es sich bei der Evaluation nicht um ein Längsschnittdesign handelt, beruhen die Einschätzungen im Hinblick auf die Effekte der Fortbildungen auf Momentaufnahmen, was bei der Einordnung der Ergebnisse berücksichtigt werden muss.

Datenerhebung

Es wurden standardisierte Telefoninterviews mit allen Ärzt_innen durchgeführt, die zum Erhebungszeitpunkt bereits Beratungsleistungen der Bayerischen Kinderschutzambulanz in Anspruch genommen hatten. Daneben war eine Onlinebefragung von Ärzt_innen geplant, die vor der Aufgabe standen, eine Kindeswohlgefährdung einzuschätzen, aber auf das Angebot der Kinderschutzambulanz nicht zurückgegriffen haben. Diese konnte aufgrund fehlender Unterstützung aus der Ärzteschaft nicht durchgeführt werden.

Um die Kooperationserfahrungen der 96 Jugendämter in Bayern zu eruieren, erhielten diese einen Onlinefragebogen, der differenzierte Aussagen zu der Bayerischen Kinderschutzambulanz ermöglichte. Zusätzlich fanden Validierungsworkshops mit Fachkräften aus Jugendämtern statt. Ergebnisse der Online-Befragung wurden in diesem Rahmen an die Fachpraxis rückgekoppelt und mit ihr diskutiert. Ziel war es, auf diesem Weg zu belastbaren Aussagen zu kommen und in den Daten aufgetauchte Unklarheiten auszuräumen.

Zudem wurde untersucht, welchen Beitrag die Kinderschutzambulanz im Hinblick auf die örtliche Infrastruktur im medizinischen Kinderschutz und in der interdisziplinären Vernetzung mit der Kinder- und Jugendhilfe leistet und welche kooperationsfördernden Maßnahmen zur Optimierung des bestehenden Netzwerks existieren. Zum einen flossen hier Ergebnisse aus den Online-Befragungen mit Ärzt_innen und der Jugendamtsmitarbeitenden ein, zum anderen wurden qualitative Interviews mit Angestellten der Kinderschutzambulanz sowie mit Ärzt_innen und Jugendamtsmitarbeitenden geführt. Auch eine Analyse vorhandener Materialien (Sachberichte, Konzeptpapiere etc.) wurde durchgeführt.

Eine qualitative Befragung einer Stichprobe der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Fort- und Weiterbildungsangebote sowie gezielt der Chefärzt_innen, die an einer Veranstaltung teilgenommen haben, stellte einen weiteren Baustein des empirischen Programmes dar. Bei den Auswertungen zu den Effekten der Fortbildungsangebote wurden auch die Selbstevaluationsbögen einbezogen, die am Ende der Fortbildungen von den Teilnehmenden ausgefüllt wurden.

Evaluationsergebnisse

Die Bayerische Kinderschutzambulanz wird von ihren Nutzerinnen und Nutzern als spezialisierte Beratungsstelle wahrgenommen, die vor allem Unterstützung bei der Einschätzung von (gewichtigen) Anhaltspunkten für körperliche und/oder sexuelle Gewalt bietet. Sie wird im Besonderen in komplexen oder unklaren Kindeswohlgefährdungsfällen in Anspruch genommen. Neben der rechtsmedizinischen Expertise werden auch Hilfestellungen zu dem weiteren Vorgehen (z. B. Meldung an das Jugendamt? Wer ist meine Ansprechpartnerin?) oder Informationen über das jeweils andere Hilfesystem erwartet.

Die Evaluation zeigt, dass das systematische Wissen der Rechtsmedizinerinnen und Rechtsmediziner über die Kinder- und Jugendhilfe beschränkt ist. Es gilt insbesondere in Bezug auf die von den ratsuchenden Ärzt_innen gestellten, häufig sehr konkreten Fragen nach dem weiteren Vorgehen bei Anhaltspunkten auf eine Kindeswohlgefährdung. Vor diesem Hintergrund und damit der Brückenschlag zwischen der Bayerischen Kinderschutzambulanz und der Kinder- und Jugendhilfe noch besser gelingt, wurde 2018 eine Stelle für eine Sozialpädagogin/einen Sozialpädagogen geschaffen.

Inanspruchnahme

Zwei Kommunikationswege, telefonisch sowie über ein Online-Portal (remed-online), sind für Ärzt_innen und Jugendämter gleichermaßen relevant und werden von beiden Gruppen genutzt. Das Online-Portal bietet die Möglichkeit, sich datenschutzkonform über medizinische Diagnosen auszutauschen, Befunde und Bilder in Bezug auf die darin enthaltenden medizinischen Hinweise auf Misshandlung oder sexuelle Gewalt bzw. auf alternative Erklärung hin zu diskutieren und zu bewerten.

Eine der Fragen für die Evaluation war, inwiefern eine landeszentrale Beratungsstelle in einem Flächenland tatsächlich landesweit in Anspruch genommen wird. Für den in die Evaluation einbezogenen Zeitraum konnte keine regional ungleich verteilte Nutzung der Bayerischen Kinderschutzambulanz auf Seiten von Ärzt_innen festgestellt werden. Anders ist dies bei den Jugendämtern, denn für diese gilt: diejenigen, die räumlich näher an der Bayerischen Kinderschutzambulanz angesiedelt sind, nutzen diese tendenziell häufiger. Es zeigte sich, dass ein Drittel der 51 Jugendämter, die die Frage nach den in Anspruch genommenen Angeboten der Kinderschutzambulanz beantwortet hat, das Angebot einer körperlichen Untersuchung in den Räumlichkeiten der Bayerischen Kinderschutzambulanz wahrnahmen. Hierbei handelte es sich fast ausschließlich um Jugendämter, die sich in relativer räumlicher Nähe zur Bayerischen Kinderschutzambulanz befinden. In der Summe spricht vieles (u. a. die Nutzung des Angebots und die Zufriedenheit der Ratsuchenden) dafür, dass die Entscheidung eine landesweite Beratungsstelle einzurichten und diese so auszustatten, dass sie telefonisch und online, auch für weiter entfernte Jugendämter gut erreichbar ist, richtig war.

Betrachtet man die Gruppe der Ärzt_innen, die das Angebot nutzen genauer, so wird deutlich, dass niedergelassene Ärzt_innen – im Unterschied zu Klinikärzt_innen – sich bei einem Verdacht auf eine Kindeswohlgefährdung vermehrt von der Bayerischen Kinderschutzambulanz beraten lassen. Dies ist ein weiterer Hinweis darauf, dass Ärzt_innen in ihren Praxen bezogen auf den Kinderschutz häufig auf sich allein gestellt und mit unterschiedlichen Herausforderungen konfrontiert sind (Dittmann und Raabe 2018, S. 437 ff.), so dass die Bayerische Kinderschutzambulanz hier ein sinnvolles Unterstützungsangebot darstellt.

Positive Bewertung der Beratungsleistung

Die Beratungsleistungen der Bayerischen Kinderschutzambulanz werden von den befragten Nutzerinnen und Nutzer sehr positiv bewertet. Bei der Online-Beratung stimmen 84 % der Ärzt_innen und 94 % der Jugendämter der Aussage zu, sie seien gut beraten worden (der Anteil sehr gut 68 % bzw. 63 %). Besonders hervorgehoben wurden die abgegebenen Einschätzungen zu Anhaltspunkten für eine körperliche Misshandlung und/oder sexuelle Gewalt, die Unterstützung bei dem Bestreben (rechtliche) Handlungssicherheit zu erlangen sowie die erlebte Entlastung. Es ist anzunehmen, dass die Ergebnisse miteinander in Bezug stehen: Die durch die Kinderschutzambulanz erfahrene Hilfestellung führt zum Erleben erhöhter Handlungssicherheit und dieses wiederum zu einer Entlastung der Akteurinnen und Akteure. Die Jugendämter nehmen zudem eine Stärkung ihrer Position gegenüber den Personensorgeberechtigten sowie gegenüber Familiengerichten wahr. Die Beratungsergebnisse stellen einen „Baustein“ im Prozess der Gefährdungseinschätzung durch ein Jugendamt dar, der nicht nur die Funktion hat, eine schon bestehende Einschätzung zu rechtfertigen bzw. abzusichern, sondern dem eine wesentliche Bedeutung im Prozess der Einschätzung der Kindeswohlgefährdung zukommt.

Unerwartete Fortbildungseffekte

Noch immer ist der medizinische Kinderschutz in der ärztlichen und fachärztlichen Ausbildung ein eher randständiges Thema (Maier 2020, S. 10). Die Bayerische Kinderschutzambulanz soll mit ihrem Fortbildungsangebot dem fehlenden Wissen etwas entgegenwirken. Um eine möglichst große Multiplikatorenwirkung zu erzielen (Weitergabe des neu erworbenen Wissens an die Ärzt_innen in der Klinik), wurden in den Jahren 2013 bis inklusive 2016 Fortbildungsangebote gezielt für leitende Ärzt_innen in den Kinderabteilungen von Kliniken angeboten. Neben medizinischen Inhalten waren auch rechtliche Themen sowie Wissen über die Kinder- und Jugendhilfe Gegenstand der Fortbildungen.

In der Evaluation wurde von den Teilnehmenden das Fortbildungsangebot als gut beurteilt. Insbesondere diene es der Sensibilisierung für Kinderschutzfragen und der notwendigen interdisziplinären Zusammenarbeit, auch ermutige es zur Kooperation mit der Kinder- und Jugendhilfe. Vereinzelt wurde ein zu niedriges fachliches Niveau bei den im engeren Sinne medizinischen Fortbildungsinhalten bemängelt.

Neben den als positiv wahrgenommenen Lerneffekten werden weitere Effekte der Fortbildungen in den qualitativen Interviews mit Teilnehmenden beschrieben. Als einen positiven Effekt beschreiben Teilnehmende der Fortbildung, dass sie in ihren Kliniken die Zuschreibung eines Expertenstatus erfahren, der hilft, das Thema Kinderschutz besser zu verankern. Der Informationsfluss in Bezug auf vorhandene Materialien und Informationsquellen wird etwas verbessert (als Beispiele wurden Kitteltaschenkarten und Ärzteleitfaden genannt), aber der ursprünglich erhoffte Multiplikatoreneffekt ist nur sehr eingeschränkt eingetreten. Dies wird damit erklärt, dass die Fluktuation auf den Stationen und die Arbeitsbelastungen sehr hoch seien, hingegen die Zeiten für Fortbildungen eher gering.

In einem qualitativen Interview begründet eine Ärztin, warum die Fortbildungen auch die Handlungssicherheit erhöhten, folgendermaßen: Die Fortbildungen würden zu einer größeren Klarheit über die eigenen Zuständigkeiten im Kinderschutz beitragen. Damit würde auch deutlich werden, dass man nicht die gesamte Verantwortung allein trägt, was wiederum die Entscheidung erleichtere, sich auf Empfehlungen aus rein ärztlicher Sicht zu fokussieren – wohlwissend, dass auch noch andere Aspekte in die endgültige Entscheidungsfindung einzubeziehen sind.

Um die Reichweite des Fortbildungsprogramms zu erhöhen, wurden nach Ende der Evaluationsphase das Angebot zu einem Online-Fortbildungsprogramm „Kinderschutz Online“ (https://www.fortbildungsakademie-im-netz.de/fortbildungen/kinderschutz Zugriff 04.11.2021) weiterentwickelt.

Der Beitrag zur Vernetzung

Kinderschutz ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, zu deren erfolgreichen Bearbeitung eine interdisziplinäre Zusammenarbeit erforderlich ist. Dies gilt insbesondere, aber natürlich nicht nur, für eine Zusammenarbeit zwischen Medizin und Jugendhilfe. Insofern überrascht es nicht, dass es zu den Aufgaben der Bayerischen Kinderschutzambulanz gehört, dass sie zu einer besseren Vernetzung zwischen diesen beiden Handlungsfeldern beiträgt.

Knapp die Hälfte der Ärzt_innen, die das Angebot der Bayerischen Kinderschutzambulanz in Anspruch genommen haben, erhofft sich – so das Ergebnis der quantitativen Befragung – auch Hinweise auf eine Kooperation mit der Kinder- und Jugendhilfe. Die erhaltenen Hinweise wurden von mehr als drei Viertel als (sehr) hilfreich in Bezug auf das weitere Vorgehen und das Auffinden von Ansprechpartnern vor Ort empfunden. Die Beratung regte sie zu einer Vernetzung sowohl innerhalb des medizinischen Systems als auch mit der Kinder- und Jugendhilfe an. Über die verschiedenen Vernetzungsaspekte hinweg stimmen 83 % der Ärzt_innen der Aussage zu, dass sie sich durch die Bayerische Kinderschutzambulanz besser vernetzt fühlten.

Auch die Jugendämter profitieren laut eigenen Angaben im Sinne einer Anregung zu einer besseren Vernetzung durch die Hinweise der Mitarbeitenden der Bayerische Kinderschutzambulanz. So bestätigen in der quantitativen Erhebung ein Drittel der Jugendämter, dass sie durch die Beratung neue Kontakte in das Gesundheitswesen hinein geknüpft hätten.

Grenzen und Weiterentwicklungsbedarfe

Die Evaluation zeigt, die Etablierung einer landeszentralen Beratungsstelle zum Thema Kinderschutz bei einer Institution, die auch innerhalb des Gesundheitswesens über eine anerkannte Expertise verfügt, hat sich bewährt. Sie leistet einen wichtigen Beitrag in der bayerischen Gesamtkonzeption zur Verbesserung des Kinderschutzes.

Es wäre aber zu viel verlangt, würde man erwarten, dass eine solche Stelle alle Hindernisse in der Zusammenarbeit zwischen Gesundheitswesen und Kinder- und Jugendhilfe aus dem Weg räumen könnte und nicht selbst an ihre spezifischen Grenzen stoßen würde. In der Evaluation wurde deutlich, dass die Wahrnehmung der intermediären Funktion zwischen dem medizinischen Kinderschutz und der Kinder- und Jugendhilfe noch stärker in das Zentrum des Handelns gerückt werden könnte. Auch wenn es sehr gut nachzuvollziehen ist, dass eine Kinderschutzambulanz, angesiedelt bei einem rechtsmedizinischen Institut, ausschließlich besetzt mit Medizinerinnen und Medizinern, in ihrer Beratungsarbeit dazu neigt, innerhalb der ärztlichen Handlungslogik zu verbleiben, so wäre es einerseits wünschenswert, wenn sich der im Beratungsauftrag formulierte Brückenschlag hin zu einem kooperativen Kinderschutz noch stärker in der Team- und Arbeitsstruktur der Kinderschutzambulanz selbst niederschlagen würde; andererseits kann der Beitrag zur Vernetzung, nicht zuletzt aufgrund der heterogenen regionalen Strukturen, durch die Kinderschutzambulanz nur auf einer übergeordnete Ebene geleistet werden. Hierzu gehören beispielsweise Aufklärung über Unterstützungsmöglichkeiten durch die Kinder- und Jugendhilfe oder allgemeine Hinweise zu den Strukturen und Verfahrensweisen in den Jugendämtern. Die nach der Evaluation neu geschaffene Teilzeitstelle für eine Sozialpädagogin ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung, entsprechende Fortbildungen und Teamreflexionen für alle Mitarbeitenden der Kinderschutzambulanz wären ein weiterer möglicher Baustein.

Die Bayerische Kinderschutzambulanz muss sich wie alle anderen Einrichtungen und Angebote, die nur in Ausnahmefällen gebraucht werden, mit der Frage auseinandersetzen, wie es gelingen kann, die eigene Bekanntheit in Jugendämtern und Kliniken sowie bei niedergelassenen Ärzt_innen aufrechtzuerhalten. Obwohl es keinen Mangel an Anfragen gibt, zeigte die Befragung auch, dass bei den Adressaten nur ein eingeschränktes Wissen über die Bayerische Kinderschutzambulanz vorhanden ist. Dies gilt auch in Hinblick auf die Angebotspalette. So wurde deutlich, dass mehr als acht von zehn Ärzt_innen nicht von sich aus nach einer Beratung zu hinsichtlich Vernetzungsmöglichkeiten fragen. Es wäre also durchaus zu überlegen, inwiefern die Notwendigkeit zu kooperieren aktiver von den Mitarbeitenden der Kinderschutzambulanz in den Beratungskontakten angesprochen wird.

Die Evaluation zeigt auch, dass die Mitarbeitenden der Kinderschutzambulanz immer wieder Beratungsanfragen von Eltern(teilen) haben, die sich in strittigen Trennungs- bzw. Scheidungskonstellationen befinden und hoffen, sich durch Verdachtsäußerungen gegenüber dem anderen Elternteil Vorteile verschaffen zu können (Herrmann et al. 2016, S. 382). In diesem Zusammenhang fühlen sie sich fachlich stark gefordert und vor für sie ungewohnte Anforderungen gestellt. Dass es sich hierbei um eine relativ häufige Konstellation handelt, zeigt die Analyse von Brandau (2018). Die Mitarbeitenden verbringen viel Zeit mit der Beratung in dieser Konstellation, fühlen sich durch die Eltern häufig unter Druck gesetzt und empfinden es als Herausforderung, in dieser Situation eine objektive und neutrale Haltung zu bewahren. Die Beratung hochstrittiger Paare wird im Kontext professioneller Beratung als eine besonders anspruchsvolle Aufgabe angesehen (z. B. Walper et al. 2011), was ein weiterer Hinweis darauf ist, dass hier möglicherweise eine Grenze für ein rechtsmedizinisches Institut erreicht wird.