Das Jugendverbandssystem hat den Anspruch, als politische Vertretungssystem die Interessen aller jungen Menschen zu repräsentieren. Trotz aller Beteuerungen der Öffnung für Selbstorganisationen junger Menschen minorisierter Bevölkerungsgruppen produziert dieses formal demokratisch organisierte System systematisch Ausschließungen und Teilhabeverwehrungen. Eine Form der Regulierung des Zugangs und der Zugehörigkeit zum Jugendverbandssystems stellen Prozessen der Legitimierung dar.

Ausgehend von einer Fallstudie möchten wir kenntlich machen, wie die Möglichkeiten von Teilhabe durch Prozesse der Legitimierung reguliert werden. Im Zentrum dieses Beitrags steht die Frage, wie Jugendselbstorganisation Mitglied im Jugendverbandssystem werden können. Hierbei verweist unser Fallbeispiel auf drei Themen der Regulierung

  1. 1.

    die Anerkennung,

  2. 2.

    die Gleichheit und

  3. 3.

    die Prüfung.

Der hier vorliegenden Analyse liegt eine Fallstudie einer Jugendselbstorganisation von BIPoCsFootnote 1 muslimischen Glaubens zugrunde, welche sich mit dem Begriff postmigrantisch beschreiben und hierüber kenntlich machen, dass sie sich explizit nicht als „Migrationsandere“ (vgl. Mecheril 2016, S. 11) verstehen. Mit dem Ziel der Anerkennung und Sichtbarmachung der eigenen Aktivitäten befindet sich die Jugendselbstorganisation im Prozess der Vereinsgründung, mit dem konkreten Anliegen, Mitglied in einem Landesjugendring zu werden (vgl. JSO #00:01:47-5#).Footnote 2 Dabei werden auf Seiten der Selbstorganisation mit einer potenziellen Mitgliedschaft mehrere Ziele verknüpft. Neben der Anerkennung und Sichtbarmachung der eigenen Aktivitäten geht es darum, sich jugendpolitisch zu engagieren, Entscheidungen zu beeinflussen und prägenden Einfluss auf die Jugendarbeit zu nehmen. Auf einer strukturellen Ebene geht es um die Möglichkeit einer finanziellen Regelförderung, wodurch die Kosten von Räumlichkeiten, hauptamtlichen Angestellten und Materialkosten gedeckt werden könnten. „Aber das wäre auf jeden Fall ein Ziel, dass man vielleicht eine eigene/so eine Geschäftsstelle hat, eine kleine vielleicht erst mal. (…) Vielleicht auch, dass wir in der … so ein bisschen auch anerkannt sind und dann einbezogen werden für bestimmte Debatten.“ (JSO #00:09:28-7#) Teilhabe, so lässt sich zusammenfassend sagen, bezieht sich in diesem Fall auf die Möglichkeit der Einflussnahme auf Entscheiden, die Repräsentation der eigenen Interessen und Positionen und dem Zugang zu Ressourcen.

Das Jugendverbandssystem

Das Jugendverbandssystem ist als formal demokratische Vertretungsstruktur in sog. Jugendringen auf lokaler Ebene, sowie auf Landes- und Bundesebene organisiert und ein staatlich anerkannter und geförderter Zusammenschluss von Jugendverbänden. Ausgestaltet wird diese Vertretungsstruktur durch die Jugendverbände und Selbstorganisationen junger Menschen, die als Mitglied in den Jugendringen aufgenommen werden und darüber mit Stimm- und Entscheidungsbefugnissen ausgestattet sind. Dieses System stellt dem (Selbst)Anspruch nach ein institutionalisiertes demokratisches Vertretungssystem aller in Deutschland lebenden jungen Menschen dar. Damit steht das Jugendverbandssystem für einen staatlich geförderten Berechtigungsraum, der den Zugang zu Teilhabe und Partizipation an Entscheidungs- und Willensbildungsprozessen sowie zu staatlichen Ressourcen der Jugendarbeit und ihrer inhaltlichen Ausgestaltung junger Menschen organisiert. Es ist daher eines der zentralen jugendpolitischen Vertretungssysteme für junge Menschen. „Die Jugendringe übernehmen die Außenvertretung auf den verschiedenen Ebenen, beispielsweise in den Jugendhilfeausschüssen. Dort vertreten sie nicht nur die Interessen von Kindern und Jugendlichen in Politik und Verwaltung, sondern gestalten auch die Rahmenbedingungen der Jugendarbeit mit.“ (Chehata 2021, i. E.)

Spätestens im Jahr 2004 wurde deutlich gemacht, dass das Jugendverbandssystem nicht in der Lage war, die gesellschaftliche Pluralität der Bunderepublik abzubilden. Der Deutsche Bundesjugendring (DBJR 2004, S. 2) sprach sich für die Öffnung der etablierten weißenFootnote 3 Strukturen aus. Dieser Aufruf zur Öffnung etablierter Strukturen muss auch verstanden werden als Eröffnung von Möglichkeiten der Teilhabe von Selbstorganisationen junger Menschen, die die Erfahrung teilen, als natio-ethno-kulturell ‚Andere‘ migrantisiert, fremdpositioniert und minorisiert zu werden. Dies wurde und wird unter dem Schlagwort „Interkulturelle Öffnung“ verhandelt, „(…) Jugendringe [kommen] nicht umhin, auch die Perspektiven von jungen Menschen mit Migrationshintergrund zu berücksichtigen und mit Migrantenorganisationen in Kontakt zu treten und zu kooperieren“ (Peucker et al. 2019, S. 64).

Das Jugendverbandssystem, die Regulation der Zugehörigkeit und die Frage der Legitimität

Das jugendpolitische Vertretungssystem, so wie es in einer repräsentativen Demokratie üblich ist, entspricht nicht der Summe aller junger Menschen, die im Bundesgebiet leben, sondern erhebt den Anspruch, diese zu repräsentieren. Analog zu demokratischen Ordnungen wird die Möglichkeit dieser Repräsentation an die Frage der Legitimität geknüpft. Daher wird der Zugang, die Mitgliedschaft und die Zugehörigkeit von Selbstorganisationen junger Menschen zu dem System der Interessenvertretung, beispielsweise auf der Ebene der Landesjugendringe, durch unterschiedliche Weisen der Regulation strukturiert. Verdeckt wird durch eine Rede der Öffnung hierbei das Detail, dass der Repräsentation per se eine Form der Exklusivität innenwohnt, die sich erst durch die Legitimierung begründen lässt. Das System der Vertretungsstruktur basiert auf dem Ausschluss derer, die repräsentiert werden sollen, denn es wird ja eben nicht davon ausgegangen, dass jede und jeder für sich selbst spricht. Die Exklusivität entsteht mit der im Akt der Repräsentation notwendigerweise verbundenen Produktion eines scheinbar kohärenten und einheitlichen Abbildes einer Gruppe von Menschen und deren Themen (vgl. Schaffer 2008, S. 83). Die Forderung nach Öffnung müsste sich also auf die Art und Weisen der Regulierung beziehen, unter denen die Möglichkeit zur (Selbst‑)Repräsentation eröffnet wird.

Formale Kriterien der Regulierung finden sich in den Vereinsatzungen des Bundes- und der Landesjugendringe, welche die Bedingungen einer Aufnahme als ein stimmberechtigtes Mitglied festlegen. Die Möglichkeit von Zugehörigkeit und Teilhabe wird formal an Kriterien wie Gemeinnützigkeit, Formen der Institutionalisierung, Anzahl der Verbandsmitglieder_innen, die überregionale Bedeutung der Jugendselbstorganisation festgemacht. „Für das jugendpolitische Vertretungssystem ist demnach zu fragen: Wer erlangt Vertretungsrecht als stimmberechtigtes Mitglied in den Jugendringen, wer nicht und welche Normalitätsvorstellungen liegen den Regularien zugrunde?“ (Chehata 2021, i. E.) Die Frage der Legitimität weist aber über diese formalen Kriterien hinaus. Im Prozess der Regulierung entstehen feldspezifische Orte der (Halb‑)Öffentlichkeit, wie beispielsweise Tagungen, Ausschuss- oder Mitglieder_innensitzungen, an denen neben den formalen Kriterien, auch Verfahren, Traditionen und diskursive Praktiken über die (Un)Möglichkeit von Teilhabe entscheiden. Dies verweist auf die Vielzahl an kleinen und großen Ereignissen, an denen die Öffnung oder Schließung des Berechtigungsraumes zum Gegenstand von diskursiven Kämpfen gemacht wird und die Legitimität einer potenziellen Zugehörigkeit einer Prüfung unterzogen wird.

Der Prozess der Legitimierung: Anerkennen und anerkannt werden

Zu den formalen Kriterien, die die Mitgliedschaft zu einem Landesjugendring regulieren, gehört die Tatsache, dass sich die Selbstorganisationen junger Menschen, in der Regel als eingetragener Verein oder analog hierzu in einer entsprechend formalisierten Form konstituieren müssen.Footnote 4 „Also offiziell sind wir noch nicht eingetragen, daran arbeiten wir gerade. (…) Aber weil die muslimische Jugendarbeit in [Bundesland] noch nicht so sichtbar und anerkannt ist (…) haben wir uns zusammengeschlossen und gesagt, dass wir gemeinsam, ja, das ändern wollen.“ (JSO #00:01:47-5#) Die „offizielle“ Anerkennung verspricht, Teilhabe und Sichtbarkeit zu erlangen. Dabei ist das Streben nach Anerkennung von Selbstorganisationen junger Menschen innerhalb dieser spezifischen Ordnung des Jugendverbandsystems unmittelbar mit der Anerkennung eben jener Ordnung verknüpft, welche eine vollständige Anerkennung bisher verunmöglicht hat. Mit dem Antrag auf Mitgliedschaft werden also nicht nur die Ordnung und deren Anforderungen akzeptiert, implizit werden sie darüber hinaus als sinnvoll und handlungsleitend angesehen. Diese scheinbare Kongruenz führt im Falle von minorisierten Positionen und deren gesellschaftliche Repräsentation und Teilhabe zu einem Paradox, da „(…) mehr Sichtbarkeit zudem die Affirmation genau jener Repräsentationsordnung [bedeutet], die sie minorisiert.“ (Schaffer 2008, S. 52)

Der Prozess der Legitimierung: Freiheit und Gleichheit

Die Aufnahme von Selbstorganisationen junger Menschen im Rahmen einer sog. „interkulturelle Öffnung“ wird überwiegend als kooperativer und solidarischer Prozess des schrittweise ‚legitim-Werdens‘ gedacht und gestaltet. Die Formalisierung der Organisationstruktur (bspw. Vereinsgründung), welche eine Selbstorganisation junger Menschen in ein ‚kollektives Subjekt‘ (bspw. juristische Person) überführt, ist Bedingung für die Anerkennung als legitime Akteur_in innerhalb der bestehenden Ordnung des Jugendverbandssystems. Das kollektive Subjekt wird dann zukünftig als Akteur_in handeln und die jungen Menschen werden lediglich als Funktionsträger ein abstrahiertes Abbild der Selbstorganisation repräsentieren (vgl. Alkemeyer et al. 2018).

Die jungen Menschen, die die Erfahrung teilen, als natio-ethno-kulturell ‚Andere‘ minorisiert, migrantisiert und fremdpositioniert zu werden, erleben in diesen Prozessen der Transformation eine Abstrahierung von ihren Erfahrungen, ihren Körpern, ihren Biografien und ihre gesellschaftlichen Positionen zugunsten der Hervorbringung eines ‚neutralen‘ kollektiven Subjekts. Das kollektive Subjekt ist eine Fiktion, da die Selbstorganisation selbstverständlich nach wie vor aus denselben Menschen wie zuvor besteht, es ist aber auch insofern real, als dieses kollektive Subjekt in den alltäglichen Praktiken auf Tagungen, Versammlungen und der öffentlichen Darstellung immer wieder in seiner Abstraktion hergestellt wird und werden muss (vgl. Bröckling 2004, S. 136). Der Prozess der Legitimierung, im Kontext der Öffnung von Zugehörigkeits- und Teilhabemöglichkeiten, bezeichnet also eine Transformation, bei der Selbstorganisationen als etwas adressiert sind was sie aber erst noch werden müssen, nämlich Akteur_innen, die auf gleiche Weise (wie die etablierten Verbände) berechtigt sind. Anders gesagt ermöglicht die Transformation die Hervorbringung eines kollektiven Subjekts, dem ‚auf Augenhöhe‘ begegnet wird und als ‚gleich‘ angesehen werden kann. Hierdurch wird diesen Selbstorganisationen in ihrer Abstraktion Wahlfreiheit, Handlungs- und Zurechnungsfähigkeit sowie Verantwortlichkeit unterstellt und eine Form von Gleichheit suggeriert, die Grundlage für bindende implizite oder explizite Vereinbarungen darstellt. Doch sollte man nicht aus dem Auge verlieren, dass es in der Öffnung der etablierten Strukturen des Jugendverbandssystems, ja eben darum geht, dass im gegenwärtigen Zustand die Möglichkeiten zur Teilhabe ungleich verteilt sind.

Man ist also nur gleich, weil „(…) man von allem absieht, was den einen von den anderen unterscheidet“ (Bröckling 2004, S. 136). Damit lässt sich die legitime Position der Teilhabe und Repräsentation als abstrakte, homogenisierte und im Hinblick auf Vereinbarungen als verantwortbare Position eines handlungsfähigen kollektiven Subjekts beschreiben. Die Gleichheitsfiktion hinter einem partnerschaftlichen und kooperativen Beziehungsaufbau ‚auf Augenhöhe‘ lässt sich im Hinblick auf lenkende Formen der Machtausübung anfragen. Denn eine solche Form der Beziehung zwischen Akteur_innen im Prozess der Legitimierung operiert über die ‚Freiheit der kollektiven Subjekte‘, in denen diese sich selbst verpflichten ‚alles Nötige zu tun‘, um als legitim angesehen zu werden (vgl. Schmidt und Diegmann 2018, S. 41). Es handelt sich um eine Form der Steuerung über Vereinbarungen anstelle von Anordnungen. Doch solcherlei Selbstverpflichtungen unter ‚Gleichen‘ werden zwar aus freien Stücken getroffen, basieren dennoch auf einem ‚milden lenkenden Zwang‘, da ja diese zugrundeliegende ‚Gleichheit‘ letztendlich auf einer gegenwärtigen Ungleichheit von Teilhabe- und Berechtigungsmöglichkeiten beruht.

Der Prozess der Legitimierung: Die Prüfung

Die Prüfung ist ein weiteres Element im Prozess der Legitimierung. Das kollektive Subjekt stellt hierfür die Voraussetzung dar. Die Prüfung im Prozess der Legitimierung findet an unterschiedlichen (halb-)öffentlichen Orten statt. Hierbei geht es darum, den Nachweis zu führen, dass die Jugendselbstorganisation in der Lage ist, sich entsprechend der im Feld der Jugendverbände als relevant betrachteten Themen und den an sie gestellten (häufig impliziten) Erwartung verantwortlich zu verhalten. „Also ja, vielleicht verspürt man einfach so einen Druck, sich irgendwie besonders offen auch darzustellen, was wir sowieso SIND. Aber das besonders kundzutun, was irgendwie so ein bisschen so paradox ist, weil wir das eigentlich wollen, weil wir das als selbstverständlich sehen. Aber trotzdem ist der Druck irgendwie da und sich auch so zu präsentieren, dass die Leute sagen ‚Okay, das sind auch nur (lachend) ganz normale Menschen (…)‘.“ (JSO #00:24:09-6#) Daher werden Gespräche geführt und Berichte verfasst; Prozesse, interne Debatten und Themen dokumentiert und für die Öffentlichkeit der Jugendverbände nachvollziehbar gemacht. Es werden Präsentationen gehalten, die eigenen Inhalte medial aufbereitet und Stellungnahmen veröffentlicht. Die Prüfung ist eine langfristige Möglichkeit, Phasen der Bewährung zu organisieren, sie ist ein Instrument zur Wissensproduktion durch ‚geregelte Beobachtung‘ (vgl. Foucault 1994, S. 239). In dieser Phase der Bewährung unterliegt dem kollektiven Subjekt die Selbstverpflichtung ‚Transparenz‘ herzustellen. Gemeint ist eine Form der Sichtbarkeit, welche es ermöglicht durch etwas hindurchschauen und damit den Blick in das Innere freigibt. Selbstorganisationen werden also zu Subjekten als auch Objekten gemacht. Objekt, weil sie Gegenstand der prüfenden Beobachtung sind, Subjekt, weil sie als handlungsfähige und verantwortliche Akteur_innen, sich freiwillig selbst verpflichten, Transparenzforderung nachkommen.

Schluss

Die (Un)Möglichkeit von Teilhabe verweist mit dem Prozess der Legitimierung auf drei Ebenen: Auf die asymmetrischen Formen der Anerkennung, auf die Gleichheitsfiktion der kollektiven Subjekte und auf die objektivierende verantwortlich machende und normalisierende Praxis der Prüfung. Diese eigentümlichen Eigenarten des Prozesses der Legitimierung führen dazu, dass die bestehende Ordnung des jugendpolitischen Vertretungssystems in diesem Prozess systematisch ausblendet werden kann. Während also die bestehende Ordnung unsichtbar gemacht wird, rücken im Akt der Öffnung die nach Teilhabe strebenden Selbstorganisationen junger Menschen, im Sinne einer freiwilligen Selbstverpflichtung, ins Feld der Sichtbarkeit. Die als notwendig erachtete Öffnung von Möglichkeiten der Teilhabe für Selbstorganisationen junger Menschen basiert auf der ‚Entdeckung‘ einer faktisch bestehenden Ungleichheit. Aber adressiert werden die Selbstorganisationen im Prozess der Legitimierung ‚auf Augenhöhe‘, wodurch die Möglichkeit von Teilhabe zu einer Frage der Gleichheit gemacht wird, die wiederum Voraussetzung und Gegenstand der normalisierenden und zuweilen sanktionierenden Beobachtungen der Prüfung ist.