Junge Menschen muslimischen Glaubens eignen sich im Rahmen ihres Engagements in ihren Jugendverbänden „safer spaces“ (Schutzräume) an, in denen sie sich über Rassismuserfahrungen, damit einhergehende Vulnerabilitäten und gesellschaftliche Privilegien austauschen und „diskursive Anrufungen“ um Migrations- und Islamthemen hinterfragen. Der gemeinsame Reflexionsprozess ermöglicht den engagierten Jugendlichen nicht nur strukturelle Exklusionsmechanismen kritisch zu diskutieren, sondern sich auch mit förderpolitisch bedingten Einengungen auseinanderzusetzen. Wie beschreiben die Jugendlichen diesen Prozess und in welchem Verhältnis stehen die Schutzräume zu einer jugendpolitischen Interessensvertretung in den Strukturen der Jugendverbandsarbeit?

Im Folgenden stütze ich mich auf Zwischenergebnisse meines Dissertationsprojektes. Die zitierten Aussagen im Beitrag stammen aus Expert_inneninterviews mit Mitgliedern und Vorständ_innen folgender Jugendverbände: Muslimisches Jugendwerk e. V., Bund der muslimischen Jugend (DITIB-Jugend), Milli Görüş Jugend (IGMG-Jugend), Bund der Alevitischen Jugendlichen in Deutschland e. V. und Stand up gegen Rassismus e. V. Gegenstand der Interviews ist eine organisationssoziologische Analyse und die Frage nach den Bedarfen, Positionen, Wahrnehmungen sowie Bewertungen der wahrgenommenen (institutionalisierten) Erwartungen, die an muslimische Jugendverbände gestellt werden.

„Diversität“ muslimischer Jugendverbände

„DIE muslimischen Jugendlichen SO gibt es einfach nicht! Daher gibt es auch nicht DIE muslimische Jugendarbeit!“. Mit diesem Satz betont ein Mitglied eines sich mit der Selbstbeschreibung „muslimisch“ positionierenden Jugendverbandes die Heterogenität der Lebensbiografien, Sozialisationsformen, Einstellungen und Identifikationsquellen junger, zivilgesellschaftlich engagierter Menschen muslimischen Glaubens. Folgend kritisiert das Mitglied die „Pauschalisierung“ von muslimischen Jugendlichen in öffentlichen Debatten und betont, dass damit „die Individualität der muslimischen Jugendlichen (wird) abgesprochen“ wird. So würden auch die vielfältigen Engagementformen und -inhalte in der muslimischen Jugendverbandslandschaft wenig sichtbar bleiben.

Im öffentlichen Islamdiskurs dominieren einseitige und defizitorientierte Erzähl- und Deutungsmuster (Hafez und Schmidt Sabrina 2020) und deutsche Medien scheinen eine Schwierigkeit damit zu haben, „verschiedene Konzepte von ‚Muslimsein‘ (…) zu akzeptieren und hybride Identitätsmuster als gesellschaftliche Wirklichkeit anzuerkennen“ (Weber 2015). Gleichzeitig liefert die Forschung über muslimische Jugendkulturen erkenntnisreiche Beschreibungen zur Vielfältigkeit individueller Biographien und ‚jugendkulturellen Stile‘ von jungen Muslim_innen. (vgl. El-Mafaalani und Toprak 2017; Limacher et al. 2019) So vielfältig die Lebenswelten von jungen Muslim_innen sind, so divers sind ihre gegenwärtigen zivilgesellschaftlichen Engagementformen in Initiativen, unabhängigen Vereinen oder in Jugendgruppen, die an etablierte Erwachsenenverbände und deren Dachorganisationen gebunden sind. (vgl. Greschner 2021).

Noch bis vor rund zehn Jahren dominierten die islamischen Spitzen- und Dachverbände wie die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB) oder die Islamische Gemeinschaft Milli Görüş (IGMG) als Träger muslimischer Jugendarbeit. Im Zuge einer kritischen Auseinandersetzung mit diesen Verbänden, setzte in den letzten fünf bis zehn Jahren in der muslimischen Organisationslandschaft eine intensive Umbruchsphase ein. Aus losen Initiativen von überwiegend Muslim_innen der zweiten oder dritten Einwanderungsgeneration entstanden Organisationen, die auf einem muslimischen Selbstverständnis gründen, allerdings inhaltlich und strukturell unabhängig von den Spitzenverbänden agieren (vgl. Greschner 2020). Diese Selbstorganisationen junger Muslim_innen begreifen sich als einen selbstverständlichen Teil der deutschen Zivilgesellschaft und gestalten auch Angebote der Jugendarbeit. (vgl. Hamdan et al. 2014).

Taner Beklen, Mitgründer des Muslimischen Jugendwerks, eines der prominenteren Beispiele für diese Entwicklung, konstatiert: „Die Arbeit der moscheegebundenen Jugendgruppen kann und will das Jugendwerk nicht leisten, da es weder rein religiöse Angebote unterbreiten möchte, noch eine religiöse Unterweisung für muslimische Kinder und Jugendliche leisten kann“ (Beklen 2020). Nicht nur das Muslimische Jugendwerk, sondern auch die bundesweit aktive Organisation JUMA e. V. oder die aus der Jungen Islam Konferenz entstandene Organisation „Zusammenhalt jetzt!“ aus Köln definieren sich in Abgrenzung zu den etablierten Moscheedachverbänden und heben diese Unabhängigkeit als ein identikatives Selbstbeschreibungsmerkmal ausdrücklich hervor.

Die empirischen Einblicke meiner Feldforschung zeigen, dass die in den „muslimischen“ Jugendorganisationen aktiven Jugendlichen höchst diverse biographische Bezüge zur und Vorstellungen von der Religion sowie deren Einfluss auf die eigene Jugend(verbands)arbeit haben. Diese gestalten sich nicht nur in den einzelnen Jugendverbänden unterschiedlich, sondern können innerhalb eines Verbandes auch stark variieren. Während beispielsweise eine der Vertreterinnen der DITIB-Jugend ihr Engagement gegen die Klimakrise in Anlehnung an ihren Glauben mit „Ehrfurcht gegenüber der Schöpfung“ begründet, orientiert sich demgegenüber eine Vertreterin vom Muslimischem Jugendwerk in ihrem zivilgesellschaftlichen Engagement gegen Rassismus an universellen Werten wie „Gleichberechtigung“ und „Chancengerechtigkeit“ (vgl. Greschner 2021). Einigkeit besteht zwischen den Organisationen darin, dass sie das „Muslimischsein“ als ein „Bindeglied“ und gemeinsamen „Erfahrungs- und Identitätsraum“ verstehen; denen sie unterschiedliche Facetten und Reichweite zusprechen (ebd).

„Safer Spaces“ in muslimischen Jugendverbänden und ihre Bedeutung für die Jugendlichen

Die überwiegende Mehrheit der Interviewpartner_innen hebt die Bedeutung von „safer spaces“ in der muslimischen Jugend(verbands)arbeit hervor. Im Folgenden wird beschrieben, wie die Jugendlichen diese Räume verstehen und welche sozialen Kategorien, intersektionalen Erfahrungen und ihre wechselwirkende Beziehung hier einflussreich sind. Engagierte, junge Menschen machen innerhalb der bestehenden gesellschaftlichen Machtverhältnisse Rassismuserfahrungen. Paternalistische Islamdiskurse, die sich unter anderem durch die Vermengung von Migrations- und Islamthemen abzeichnen, sind häufig der Nährboden für diese Erfahrungen. Nicht selten wird diesen Jugendlichen in ihrem Alltag die „selbstverständliche Zugehörigkeit und Gleichbehandlung abgesprochen“ (Drücker 2019). Auf die Anrufung als „Muslim_in“ oder „Migrant_in“ und die damit einhergehenden Subjektpositionierungen haben sie kaum Einfluss. Daher wird davon gesprochen, dass es innerhalb der komplexen gesellschaftlichen Realitäten keine „safe spaces“, sondern lediglich „safer spaces“ gibt. Denn Differenz- und die damit einhergehenden Machtverhältnisse, sind kontextunabhängig wirkmächtig. Somit gibt es auch keine Räume in der Gesellschaft, die sich von Zuschreibungen und Diskriminierungen freisprechen können. Es gibt jedoch „safer spaces“, die den Anspruch haben, ein Bewusstsein für Machtasymmetrien zu entwickeln und diesbezüglich sensibel zu agieren. Gleichzeitig besteht in Räumen, die rassismuskritisch agieren „kein automatischer Schutz vor Ausgrenzung hinsichtlich sexueller Orientierung, Geschlechtsidentität, Behinderung, Alter, etc., aber es sind Räume, in denen die Wahrscheinlichkeit, Rassismus zu erfahren, geringer ist“ (Rosenstreich 2020).

Die geschützten Räume im Rahmen der Jugendarbeit beschreibt ein Mitglied eines muslimischen Jugendverbandes als „heilsam“. Hier haben die Jugendlichen die Gelegenheit, sich gezielt und in Abwesenheit von Erwachsenen oder Menschen, die ihre Erfahrungen oder Emotionen in Frage stellen, über unterschiedlichste Erfahrungen mit Alltagsrassismus und aber auch struktureller Exklusion auszutauschen. Weiterhin können sie hier gesellschaftliche Zuschreibungen, die mit Kategorien wie „Religion“ oder „Kultur“ wirkmächtig verzahnt sind, kritisch hinterfragen.

Intersektionale Erfahrungen und ihre wechselwirkende Beziehung

Also ich wurde in der Schule beschimpft als die „dich will ich nicht unterrichten, weil du Muslima bist“. Also das ist halt dann schon sehr offensichtlich. Meiner Schwester wurde mal in der Stadt versucht, das Kopftuch abzureißen. Und das sind halt so Sachen, die mich auch bewegt haben, wieso auch anti-muslimischer Rassismus. Ich wollte ein Ort, wo wir darüber ehrlich reden. Also Erfahrungen teilen. Wie gehst du damit um? Wie geht die andere damit um? Aber das wichtigste auch, was können wir GEMEINSAM dagegen tun?

Die Intersektion von Kategorien wie Rassismus, Sexismus und Alter schlägt sich häufig auf die Diskriminierungserfahrungen der Interviewpartner_innen nieder. Den Bedarf nach Austausch seiner Rassismuserfahrungen beschreibt das Mitglied eines Jugendverbandes als einen wichtigen Beweggrund für sein Engagement in dem Jugendverband. Mit weiteren „muslimischen Mädchen“ über ähnliche Erfahrungen zu reflektieren und diese rassismuskritisch einzuordnen, sei hilfreich und der Wunsch sei, mehr Schutzräume für diese Gruppe zu ermöglichen. Das engagierte Mitglied weist darauf hin, dass die Rassismuserfahrungen von „muslimisch gelesenen Mädchen“ aus seinem Umfeld sich von den Erfahrungen muslimischer Männer und Jungs unterscheiden. In dem Zuge deutet das Mitglied auch auf das Alter hin und betont, dass das „jung (zu) sein“ eine zusätzliche Vulnerabilität mitbringe.

Die Jugendverbandsarbeit ermöglicht Erfahrungsaustausch, „Powersharing“ und die Entwicklung gemeinsamer Umgangsstrategien mit Rassismus. Dies eröffnet neue Perspektiven für das (non-formale) Lernen in diesen Jugendorganisationen. Indem sie mit ihren erlebnisorientierten oder politischen Bildungsaktivitäten diese Perspektiven nach außen tragen, möchten sie zu einer machtsensibleren Gesellschaft beitragen. Hier zeigen sich keineswegs Anzeichen einer möglichen Resignation; ganz im Gegenteil: Sie möchten mit ihren Bewältigungsstrategien anderen jungen Menschen ein Vorbild sein und die Botschaft vermitteln: „Du bist nicht allein!“

Förderpolitische Einengungen und strukturelle Exklusionsmechanismen

Sprich die Projektion der Gefahr auf „DEN Muslim“, den es so pauschal gar nicht gibt. Klar, Präventionsarbeit sollte stattfinden … Das ist sicher wichtig und wünschenswert. Ähm … Ist halt eben nur schief, all diese Erwartungen an uns …

Die förderstrukturellen Einengungen, welche für die muslimischen Jugendverbände bestehen, werden in der überwiegenden Mehrheit der Interviews problematisiert. Die Interviewpartner_innen bemängeln, dass die „Förderlogiken“ von „Sicherheitswissen und Negativannahmen“ geprägt seien und somit den defizitorientierten Blick auf die muslimische Jugend bestärken würden. Eine nähere Betrachtung der Finanzierungsgrundlagen der muslimischen Jugendverbände zeigt, dass ein wichtiger Teil ihre Projektmittel durch „Demokratieförder- sowie Präventionsprogramme“ des Bundes und der verschiedenen Länder bezieht. Ein nicht unbedeutender Teil der demokratiefördernden Modellprojekte der Förderphase 2014–2019 und 2020–2024 des Programms „Demokratie leben!“ und der Maßnahmen im Rahmen des Nationalen Präventionsprogramms gegen islamistischen Extremismus richtete sich an die Zielgruppe der muslimischen Jugendlichen. Muslimische Akteur_innen (sowohl moscheeverbandsabhängige, als auch -unabhängige Organisationen) wurden gezielt zur Einreichung von Projektkonzepten eingeladen (vgl. Greschner 2020).

Ähm, sind wir wirklich ein Verein, der demokratisch aufgestellt ist? Und, ähm, ja und bei muslimischen Jugendverbänden werden sie dann insbesondere prüfen, vor allem, wenn sie uns nicht kennen (lacht), ob wir extremistisch sind, was wir denn machen und ähm, was für ein Verständnis wir haben, vor allem auch, zu wem wir gehören. Ähm, das ist dann natürlich ein besonderer Blick, der, ähm, gerade bei konfessionellen oder gerade bei muslimischen Jugendverbänden dann meist, ähm, gemacht wird.

Neben förderpolitischen Einengungen sind Muslim_innen und das Thema Islam in einen sicherheitspolitischen Diskurs eingebunden und die Interviewpartner_innen sehen sich mit einem grundsätzlichen Misstrauen konfrontiert. Dieser zeichnet sich in der Notwendigkeit ab, seine demokratische Ausrichtung in der Öffentlichkeit stets zu betonen. In einem Interview konstatiert ein Mitglied eines Verbandes, dass es viele Momente der Verunsicherung in der Vereinsarbeit gibt, weil ihnen von außen selten Vertrauen entgegengebracht wird. Das Mitglied ergänzt, dass es sehr viel „Kraft, Anstrengung und Durchhaltevermögen“ braucht, um mit den oben beschriebenen Anforderungen umgehen und seine Existenz sichern zu können.

Die Tatsache, dass Organisationen junger Muslim_innen selten Teil der offiziellen Strukturen der Jugendverbandsarbeit, der Jugendringe, der Ausschüsse oder Gremien sind (vgl. Chehata 2015) und damit auch von Strukturförderung ausgeschlossen werden, erklären sie sich unter anderem mit einem antimuslimischen Misstrauen, welches, wie in anderen Teilen der Gesellschaft, sich auch in den offiziellen Strukturen der Jugendverbandsarbeit wiederfindet. Teilweise entscheiden sie sich daher auch gegen eine Förderung durch öffentliche Mittel oder eine Beteiligung an den offiziellen Strukturen der Gremienarbeit. Denn unter den bürokratischen und einengenden Förderpolitiken und -strukturen sehen manche der engagierten Jugendlichen ihren Anspruch auf Selbstverwirklichung, -entdeckung und -entwicklung als nicht realisierbar, oder befürchten durch die Beteiligung an den offiziellen Strukturen ihre Unabhängigkeit zu verlieren.

Fazit

Heute noch werden muslimische Jugendverbände in den offiziellen Strukturen der Jugendverbandsarbeit unter der Kategorie „Vereine junger Menschen mit Migrationshintergrund“ verhandelt. Viel zu selten sind sie in Jugendringen der Länder oder des Bundes als ordentliche Mitglieder vertreten. An den Fördermitteln und somit den damit einhergehenden Möglichkeiten können ihre Organisationen selten teilhaben. Wie oben bereits aufgeführt, wird dies durch eine förderpolitische Kultur flankiert, die von sicherheitspolitischen Diskursen geprägt ist und muslimische Jugendliche als „Risiko“ und „defizitär“ kategorisiert.

Aus der Perspektive einer jugendpolitischen Interessensvertretung bewirkt diese strukturelle Haltung einen massiven Teilhabedefizit. Gleichzeitig wissen wir: Auch muslimische Jugendverbände haben ein hohes Interesse, als gleichberechtigte Akteure der Jugendverbandsarbeit zu agieren (Jagusch 2011, 2019). Wie gelingt es den Jugendlichen also, unter diesen Umständen zu einer selbstbestimmten, ressourcenorientierten (Organisations)Identität zu finden und Resignation zu meiden? Auf der Ebene der Jugendverbände können die Synergieeffekte, die durch den Austausch innerhalb der Jugendlichen in ihren „safer spaces“ entstehen, eine mögliche Antwort darauf sein. Hier reflektieren die Jugendlichen bestehende Differenzkategorien, erproben Umgangsstrategien und tragen diese in ihre Jugendarbeit und weiter auf die jugendpolitische Bühne.