Raumordnungs‑, Stadtentwicklungs- und Wohnungspolitik dürfen nicht an den Kapitalverwertungsinteressen von (Groß‑)Investoren, sondern müssen an den Bedürfnissen der (potenziellen) Bewohner_innen von Stadtteilen orientiert sein. Ertragserwartungen von Finanzinvestoren und Wohnbedürfnisse von Mieter_innen sind weitgehend unvereinbar. Nirgendwo versagt das kapitalistische Wirtschaftssystem so eklatant wie bei der Wohnungsversorgung. Da sich der Markt als unfähig erwiesen hat, eine adäquate Wohnungsversorgung für alle Bevölkerungsschichten sicherzustellen, muss sie als öffentliche Aufgabe begriffen und vom Staat aus Gründen der sozialen Verantwortung für seine Bürger_innen gewährleistet werden, dass niemand wegen seines geringen Vermögens und seines zu niedrigen Einkommens auf der Strecke bleibt. Statt die „immobilienwirtschaftliche Landnahme“ deutscher Städte zu fördern, müssen Parlamente, Regierungen und Verwaltungen laut Andrej Holm (2014, S. 171 f.) den „Ausstieg aus einer profitorientierten Wohnungspolitik“ vollziehen. Dies fällt den politisch Verantwortlichen immer schwerer, weil die Macht der Immobilienwirtschaft und der großen Wohnungsunternehmen ständig wächst.
Der ehemalige Münchner Oberbürgermeister und spätere Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Hans-Jochen Vogel, hat bis zu seinem Tod im Juli 2020 immer wieder die zentrale Bedeutung des Bodens und der Bodenpreise hervorgehoben. Da es sich beim Grund und Boden um eine „Grundvoraussetzung menschlicher Existenz“ handle, die man nicht „dem unübersehbaren Spiel der Marktkräfte“ überlassen könne, müsse hier politisch angesetzt werden, wolle man das Problem der Preisexplosion im Wohnungsbereich lösen, meinte Vogel (Vogel 2019, S. 48): „Die Wertschätzung des knappen und unentbehrlichen Gutes Boden darf sich nicht länger in spekulativen Gewinnerwartungen ausdrücken, sollte vielmehr im Sinne einer nachhaltigen und gemeinwohlorientierten Nutzung erfolgen, die den Boden als wesentliche Grundlage der Daseinsvorsorge sowohl für die heutige Bevölkerung als auch für die kommenden Generationen anerkennt.“
Folgerichtig schlug der SPD-Politiker eine Kommunalisierung vor, d. h. die Überführung wohnbaurelevanter Grundstücke in Gemeindeeigentum. „Sie scheiden damit aus den Markt-Gütern aus, deren Preis mit der Absicht des Wertzuwachses und des Vermögensgewinnes nach den Regeln von Angebot und Nachfrage in die Höhe getrieben werden. Denn ihre Wertsteigerung kommt nur noch den Gemeinden zugute.“ (Vogel 2019, S. 71) Zu einer neuen und gerechten Bodenordnung gehörte für Vogel, dass eine Gemeinde wohnungsrelevantes Eigentum nicht mehr an Privatleute verkauft, sondern bloß noch in Erbpacht vergibt, damit sie die Kontrolle über den Boden behält.
Ergänzend befürwortete Vogel (2019, S. 33) die Einführung eines Planungswertausgleichs, was er mit „ganz elementaren Gerechtigkeitserwägungen“ begründete: „Es kann nicht angehen, dass Bodeneigentümer für jeden öffentlichen Eingriff Entschädigung erhalten, die Gewinne, die ihnen durch öffentliche Entscheidung, also beispielsweise durch die Zuerkennung von Baurecht, erwachsen, aber für sich behalten können.“ Mit einer Bodenwertzuwachssteuer könnte man die Spekulation mit Grundstücken weniger lukrativ machen und leistungslose Gewinne abschöpfen. Durch erweiterte Satzungsbefugnisse würden die Kommunen in die Lage versetzt, die Stadtentwicklung effektiver im Sinne des Gemeinwohls zu mitzugestalten.
Mit einer halbherzigen „Mietpreisbremse“ für Teilwohnungsmärkte, die CDU, CSU und SPD zum 1. Juni 2015 eingeführt, aufgrund unbefriedigender Erfahrungen mit diesem Instrument zweimal „nachgeschärft“ und gleichzeitig bis zum 31. Dezember 2025 verlängert haben, ist das Problem des Wohnungsmangels für Einkommensschwache jedenfalls nicht zu lösen. Die mancherorts geradezu skandalösen Zustände auf dem Mietwohnungsmarkt sollten vielmehr Anlass sein, über eine grundlegende Wende in der Wohnungspolitik nachzudenken.
Da sich Räumungsklagen und Zwangsräumungen ausgerechnet in den Großstädten mit ihren angespannten Mietwohnungsmärkten seit geraumer Zeit mehren (vgl. Holm 2014, S. 121), ist die Verankerung eines „Grundrechts auf Wohnraum“ in unserer Verfassung überfällig, für das der spätere Außenminister und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu Beginn der 1990er-Jahre in seiner juristischen Dissertation Das polizeiliche Regime in den Randzonen sozialer Sicherung. Eine rechtswissenschaftliche Untersuchung über Tradition und Perspektiven zur Verhinderung und Beseitigung von Obdachlosigkeit plädiert hat. Staat und Behörden müssten, forderte Steinmeier (1992, S. 394 f.), per Grundgesetzauftrag „zum Bau und Erhalt preisgünstigen Wohnraums für breite Bevölkerungskreise“ verpflichtet werden, und es dürfe keine Wohnung z. B. wegen aufgelaufener Mietschulden geräumt werden, bevor nicht „zumutbarer Ersatzwohnraum“ zur Verfügung stehe.
Zweckmäßiger als eine Wiederbelebung des sozialen Wohnungsbaus in der überkommenen Form wären
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die Ausweitung des öffentlichen Wohnungsbaus, sinnvollerweise ergänzt durch eine soziale Mietpreisgestaltung, sowie
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eine Wiederherstellung der Wohnungsgemeinnützigkeit, um die Aktivitäten genossenschaftlicher und kommunaler Wohnungsbaugesellschaften staatlicherseits zu stimulieren.
Würden sie dazu finanziell in die Lage versetzt, könnten deutsche Kommunen dem Vorbild der österreichischen Hauptstadt („Rotes Wien“) nacheifern und auch durch eigene Bautätigkeit mehr Wohnungen für auf einem preisbildenden Markt eher Chancenlose schaffen. Außerdem müssen die längst bestehenden Gestaltungsspielräume der kommunalen Wohnungspolitik konsequenter genutzt werden. Beispielsweise kann die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen durch Soziale Erhaltungs- bzw. Milieuschutzsatzungen und Nutzung des kommunalen Vorkaufsrechtes ebenso erschwert werden wie die Verdrängung einkommensschwacher Bevölkerungsschichten aus den Innenstädten mittels Luxusmodernisierungen.