Im Kampf gegen die „Clankriminalität“ fahren Sicherheitsbehörden schwere Geschütze auf, auch der administrative Ansatz wird angewendet. Weshalb „Clans“ und ihre Bekämpfung denjenigen in die Karten spielen, die sich als Hüter von „Recht und Ordnung“ inszenieren, und welche Rolle hierbei die irrationale „German Angst“ spielt, zeigt dieser Beitrag.

Berichte über Ausmaß und Intensität von „Clankriminalität“ und den entsprechenden polizeilichen Bekämpfungsmaßnahmen gehören nach Auffassung von Vertretern von Sicherheitsbehörden seit geraumer Zeit zu den „relevantesten sicherheitspolitischen Themen in Deutschland“ (Rohde et al. 2019, S. 275). Mitglieder der so genannten „Clans“ lebten „in gesellschaftlichen Parallelstrukturen, erkennen das staatliche Gewaltmonopol nicht an, erklären Straftaten zu internen Problemen, beherrschen ganze Straßenzüge und führen dazu, dass deutsche Stadtteile zu No-Go-Areas erklärt werden“ (Duran 2019, S. 297). Es werde „allerhöchste Zeit, dass … konsequent gegen Clans unter Einsatz aller rechtlichen Möglichkeiten vorgegangen wird“ (Fuchs 2019). Seiner Meinung nach konnte sich in Deutschland „sehenden Auges über Jahrzehnte eine weitere Subkultur entwickeln, die es mittlerweile regelmäßig in die Schlagzeilen der Presse schafft und auch die Politik zum Handeln zwingt. Kriminelle arabische Großfamilien agieren offen provokativ unter Verhöhnung unserer gesellschaftlichen Werte in Strukturen der Organisierten Kriminalität“ (a. a. O.).

Diese Formen der Berichterstattung und pseudowissenschaftlicher Auseinandersetzung mit dem Thema erfolgen ohne eine verlässliche Definition dessen, was als „Clan“ bezeichnet wird. Da ist von „kriminellen Familienstrukturen“ die Rede, und der BKA-Präsident Holger Münch definiert „Clans“ als „ethnisch abgeschottete Subkulturen“, die in der Regel patriarchalisch-hierarchisch organisiert sind und einer „eigenen Werteordnung“ folgen. Wer ihm diese Definition geliefert hat, bleibt ebenso unklar wie die empirische Grundlage, auf der diese Aussage erfolgt. Solche Verallgemeinerungen haben leider offensichtlich System. Auch und besonders dem BKA-Präsidenten sollte bekannt sein, dass diejenigen, die als Mitglieder „krimineller Clans“ bezeichnet werden, zum einen aus polizeilicher Sicht Tatverdächtige sind, deren Taten (noch) nicht vor Gericht bewiesen wurden. Ihm ist auch bekannt, dass generell mehr als 70 % aller Strafverfahren von der Staatsanwaltschaft eingestellt werdenFootnote 1, also rund drei Viertel der „Tatverdächtigen“ eben (nur) solche sind und bleiben. Es sind aber keine Täter, weil der Tatverdacht einer staatsanwaltschaftlichen oder gerichtlichen Überprüfung nicht standhalten konnte.

Zum anderen machen diese als tatverdächtig bezeichneten „Clanmitglieder“ nur einen Bruchteil aller Mitglieder von Familien aus, die diesen Clans zugerechnet werden könnten – und in der öffentlichen DiskussionFootnote 2 ebenso wie in der Meinung der Bevölkerung auch werden. Hier erfolgt also wissentlich eine Stigmatisierung ganzer Bevölkerungsgruppen. Die kriminellen Mitglieder arabischstämmiger Clans machen dabei nur einen Teil der sog. „Bandenkriminalität“ aus. Man kann davon ausgehen, dass deutlich weniger als 10 % der Mitglieder dieser Großfamilien tatsächlich von der Polizei als tatverdächtig registriert werden. Mit Aussagen wie „Clanfamilien sind Teil der organisierten Kriminalität“ wird zudem der Eindruck einer besonderen Bedrohung erweckt – gleichzeitig aber von anderen Bereichen der OK (länderübergreifende Wirtschaftskriminalität, systematischer Betrug der PKW-Hersteller u. a. m.) abgelenkt. Welche objektiven Fakten stecken hinter dieser polizeilichen (und politischen) Strategie und was ist möglicherweise der Grund für diese Vorgehensweise? Wie ist diese Diskussion um „gefährliche Clans“ im Zusammenhang mit dem Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zu sehen?

Der „administrative Ansatz“ zur Bekämpfung der „Clankriminalität“

Nachdem medial vermittelt wurde, dass Politik und Polizei zu wenig gegen die „Clankriminalität“ unternehmen (können), wurde und wird zunehmend ein sog. „administrativer Ansatz“ angewendet. Ursprünglich gegen die sog. „Rockerkriminalität“ entwickelt (vgl. Feltes und Rauls 2020), ist damit ein Vorgehen gemeint, mit dem vermeintlichen Straftätern die Nutzung der gesetzlichen administrativen Infrastruktur verwehrt wird und massive, öffentlichkeitswirksame Kontrollen von Verwaltungsvorschriften eingesetzt werden, um diese Gruppen zu beeindrucken. Dabei werden häufig Menschen von diesen Maßnahmen betroffen, denen keine Straftat nachgewiesen wurde. Politiker sprechen hier von einer Politik der „tausend Nadelstiche“.Footnote 3 Man will ganz offensichtlich Menschen, denen man unterstellt, eine Gefahr für unsere Gesellschaft zu sein, denen man Straftaten aber nicht oder nur schwer nachweisen kann, das Leben so schwer wie möglich machen. So finden regelmäßig öffentlichkeitswirksam begleitete Großrazzien unter Beteiligung kommunaler Behörden wie Ordnungs‑, Finanz- und Bauämtern sowie der Gewerbeaufsicht statt. Ziele der Razzia sind Shisha-Bars, Wettbüros, Spielhallen und Diskotheken.

Im „Lagebild Clankriminalität“ des LKA Nordrhein-Westfalen wird der administrative Ansatz als Konzept des interbehördlichen Informationsaustauschs und des abgestimmten Vorgehens definiert und ausdrücklich als „entscheidender Faktor für eine effektive Bekämpfung der Clankriminalität“ bezeichnet (LKA NRW 2018, S. 21). Dabei häufen sich Berichte über erhebliche Grenzüberschreitungen durch die Polizei. So schlug etwa ein ranghoher Beamter bei einer Razzia in einer Dortmunder Shisha-Bar im März 2019 einer offensichtlich Schwangeren ins Gesicht und drohte ihr, wie auf einem Handyvideo zu hören ist: „So, das ist tätlicher Widerstand, da geht’s in Bau jetzt für. Dann kannste die Schwangerschaft im Gefängnis machen. Drehst du jetzt noch einmal durch, hau ich dir was in die Schnauze. Hast du mich verstanden? Ein Mucks, dann hau ich dir ein paar ins Gesicht, dass du deine Zähne aufsammeln kannst.“Footnote 4 Als Ergebnis der Razzia werden drei Anzeigen benannt: eine wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte gegen die schwangere Frau, eine wegen Verstoßes gegen das Nichtrauchergesetz und eine wegen Steuerhehlerei.

Die Razzien werden regelmäßig damit begründet, dass Shisha-Bars als Aufenthalts- und Rückzugsort krimineller Clan-Angehöriger bekannt seienFootnote 5, wobei unklar ist, ob die Betreiber der Lokale oder deren Gäste Ziel der polizeilichen Maßnahmen sind. Sollten erstere das Ziel sein, muss angesichts der in Qualität und Quantität äußerst geringen festgestellten Verstöße die Verhältnismäßigkeit der aufwändigen Razzien bezweifelt werden. Sollten die Gäste das Ziel der Maßnahmen sein, stellt sich die Frage, ob und inwiefern deren Verstöße den Betreibenden zuzurechnen oder von ihnen zu verantworten sind. Man käme wohl kaum auf die Idee, bei einer Razzia in einem Edelrestaurant den Fund von etwas Kokain bei einem Gast (bei Razzien im „Clan“-Bereich bewegen sich die Drogenfunde in diesem geringen Zahlenbereich) dem Betreibenden der Lokalität zuzurechnen oder gar den Fund geringer Mengen Drogen dem Franchisenehmer einer McDonalds-Filiale.

Hintergründe der „Clankriminalität“

Können missliebigen Personen keine Straftaten nachgewiesen werden, dann hat die Polizei das Gefühl, „den Fuß nicht in die Tür“ zu bekommen und instrumentalisiert sämtliche (Sicherheits‑)Behörden für ein möglichst restriktives Vorgehen, nebst medienwirksamer Inszenierung – um Stärke zu zeigen. Diese Großeinsätze tragen wenig zur Aufklärung von Straftaten bei, wie Anfragen im Berliner Abgeordnetenhaus zeigten.Footnote 6 Es handelt sich um öffentlichkeits- und medienwirksame Maßnahmen, von denen oftmals Journalisten im Vorfeld informiert werden und von denen die Verantwortlichen genau wissen, dass das Ergebnis in keinem Verhältnis zum betriebenen Aufwand steht. Für eine solche Kontrolle kann man mit einem finanziellen Aufwand von fast einer halben Million Euro rechnen. Polizeiarbeit muss sich zwar nicht rechnen oder (betriebs-)wirtschaftlich sein. Dennoch gilt das Prinzip des vernünftigen Einsatzes von Steuergeldern auch hier, und bei dem immer wieder von Vertretern polizeilicher Gewerkschaften beklagten Personalmangel ist die Zweckmäßigkeit einer so erheblichen Kräftekonzentration zu bezweifeln – ganz von der Frage abgesehen, ob dieses Geld nicht anderenorts besser hätte eingesetzt werden können.

Die betroffenen, als „Clans“ geframte und damit auch diffamierten und stigmatisierten Gruppierungen, schauen auf eine jahrzehntelange Geschichte der Ausgrenzung zurück. Durch eine verfehlte Integrationspolitik, die den Betroffenen keine Möglichkeiten zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt ermöglichte, die betroffene Kinder ausschloss, weil für sie die Schulpflicht aufgehoben wurde, die durch Kettenduldungen ein Gefühl der Unsicherheit und des Nicht-Willkommen-Seins vermittelte, wurde überhaupt erst die Grundlage für „Clankriminalität“ geschaffen (so auch Zigmann 2015). Vor diesem Hintergrund ist es äußerst zweifelhaft, ob die Taktik der „tausend Nadelstiche“ dazu führt, dass junge Menschen in ihrer Findungsphase sich von kriminellen Angehörigen bzw. Bekannten distanzieren, wenn sie wöchentlich Zielscheibe polizeilicher Kontrollen werden. Es wäre sinnvoller, denjenigen, die sich eine legale Existenz aufbauen wollen, die Hand zu reichen, um so die tiefen, durch die Ausgrenzungsgeschichte bedingten Gräben zu überwinden, anstatt sie zu vertiefen. Gleichwohl bleiben die Stimmen, die nach einer „Null Toleranz“-Strategie in diesem Bereich rufen, unüberhörbar und lauter als solche, die die als Ursache der „Clankriminalität“ erkannte tiefe Spaltung überwinden wollen und auf die Beseitigung der sozialen Ursachen abstellen.

Rechtspolitischer Hintergrund

„Kriminelle Clans“ setzen sich gängigen Klischees zufolge laut und selbstbewusst in Szene, was zu einer Mythisierung führt, wie es u. a. in den Serien „4 Blocks“ und „Dogs of Berlin“ deutlich wird. Die Ablehnung von Zusammenarbeit mit Behörden wird ebenso als Grund dafür angesehen, gegen diese Gruppierungen, die sich nach Auffassung der Behörden außerhalb der Gesellschaft wähnen, massiv vorzugehen. „Clans“ dienen wegen ihrer Strukturen und ihres Auftretens nach außen hervorragend dazu, eine Projektionsfläche für „das Kriminelle“ zu bieten, an denen sich Politik und Behörden öffentlichkeitswirksam abarbeiten können.

Neben Zweifeln über das Vorliegen der rechtlichen Voraussetzungen einer Razzia muss man nachdenklich werden, wenn als „Erfolg“ der Razzien häufig unverzollter Tabak, Hygienemängel und ähnliche Verstöße genannt werden. Diese stellen meist Ordnungsverstöße und keine Straftaten dar. Rechtlich problematisch ist das Vorgehen, weil in ein- und demselben Sachverhalt zunächst die Mittel des Strafrechts anzuwenden versucht werden, bei deren Scheitern dann auf das Gefahrenabwehrrecht umgeschaltet wird. Dieses Vorgehen verkennt die unterschiedlichen Anknüpfungspunkte der Rechtsgebiete. Das System der Trennung von Straf- und Gefahrenabwehrrecht wird durch den administrativen Ansatz in seiner Grundausrichtung angegriffen. Der gesetzlichen Systematik entspricht es, dass zunächst durch das Gefahrenabwehrrecht die Begehung von Straftaten bzw. Rechtsgutsverletzungen verhindert werden soll, und nur bei dessen „Scheitern“, also wenn eine Straftat begangen wurde, das Strafrecht als ultima ratio einsetzt. Der administrative Ansatz ist daher Ausdruck einer ausschließlich am Ziel, und nicht am Recht orientierten Vorgehensweise der Sicherheitsbehörden auf der Suche nach einer Grundlage für ihr Handeln. Dabei werden auch das Rechtsstaatsgebots und das Prinzip der Gewaltenteilung missachtet, das den Bürger vor einer Konzentration staatlicher Macht und der daraus entstehenden Gefahr des Machtmissbrauchs schützen soll. Wenn von Ordnungsbehörden solche Maßnahmen als „Türöffner“ gesehen werden (Dogan und Lehnert 2019, S. 737), dann lässt dies schwerwiegende rechtsstaatliche Bedenken aufkommen.

Gesellschaftspolitischer Hintergrund: Die wabernde Angst der Deutschen

Insgesamt stellt sich die Frage, weshalb Sicherheitsbehörden in dieser Form gegen missliebige Gruppierungen vorgehen, obwohl man sich dabei am Rande der Legalität bewegt und ohne dass objektive Beweise für eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorliegen. Offensichtlich soll der Öffentlichkeit signalisiert werden, dass die Behörden für „Ruhe und Ordnung“ sorgen und alles „im Griff“ haben. Selbst in polizeilichen Veröffentlichungen wird zugegeben, dass „Clankriminalität“ in Bezug zur Gesamtkriminalität kaum ins Gewicht falle, das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung aber besonders stark betreffe (LKA Niedersachen 2020, S. 19). Dieser Tätigkeits- und Aktionsausweis wird für notwendig erachtet, um dieses Sicherheitsgefühl der Bevölkerung wiederherzustellen, denn die Diskussion über objektive und subjektive Sicherheit prägt seit geraumer Zeit die kriminalpolitische Debatte in Deutschland. Ein „Mehr“ an Sicherheit wird ständig versprochen, wobei weder definiert wird, wie dieses „Mehr“ aussehen soll, noch überprüft wird, ob dieses Versprechen auch eingehalten wird. Dunkelfeldstudien zeigen, dass nicht die objektive, individuelle Belastung durch Kriminalität, sondern das subjektive Unsicherheitsgefühl angestiegen ist. Allgemeine gesellschaftliche Ängste sind, ebenso wie eine allgemeine Unzufriedenheit mit politischen Entwicklungen, die Ursache für diesen Anstieg der Kriminalitätsfurcht.

Diese Ängste sind irrational und stehen in keinem Zusammenhang mit eigenen (Kriminalitäts‑)Erfahrungen, wie unsere Bochumer Dunkelfeldstudie zeigt (Feltes 2019a; Feltes und Reiners 2019). Der Langzeitvergleich zeigt, dass die Befragten eine zum Teil massive Zunahme der Kriminalität annehmen, obwohl diese zumindest in der PKS teilweise deutlich rückläufig war. Der Anteil derjenigen, die von einer Zunahme von Einbrüchen in der eigenen Wohngegend ausgehen, hat sich im Vergleich zu 1998 fast verdoppelt. Die Befragten überschätzen vor allem die Häufigkeit schwerer Straftaten. Besonders deutlich wird dies in Bezug auf die Tötungsdelikte Mord und Totschlag, deren Vorkommen um den Faktor 125 überschätzt wurde. Während Mord und Totschlag regelmäßig nur 0,04 % der polizeilich registrierten Straftaten ausmachen, vermuteten die Befragten den Anteil dieser Delikte bei fünf Prozent. Dabei spielt das eigene Erleben keine Rolle: Obwohl nur 0,3 % der Befragten angaben, im vergangenen Jahr Opfer eines Raubdeliktes geworden zu sein, halten es 21,6 % für wahrscheinlich, in den kommenden zwölf Monaten Opfer einer solchen Straftat zu werden. Die subjektive Kriminalitätsfurcht und die objektive Wahrscheinlichkeit, Opfer einer Straftat zu werden, klaffen weit auseinander.

Ungeachtet dessen kommt es immer wieder zu (bewusst oder unbewusst) falschen Erfassungen von Straftaten, indem z. B. die mehrfache Begehung der gleichen Tat (Sachbeschädigung, Diebstahl) unmittelbar hintereinander statt als eine Tat als mehrere Taten gezählt wird (vgl. Feltes 2014). Dies gilt auch für den Bereich der sog. „Clankriminalität“, wenn jugendspezifische Delikte wie mehrfaches Schwarzfahren von Personen mit Clan-Namen als „Clankriminalität“ gezählt werden, obwohl sie auch bei „biodeutschen“ Jugendlichen ubiquitär und keinesfalls „clanspezifisch“ sind. Diese Muster sind bekannt und werden dennoch beständig missachtet. Das gilt auch generell für den Umgang mit der „Ausländer- oder Migrantenkriminalität“, wo grundlegende Bedingungen bei der Zählweise und Interpretation missachtet werden, mit dem Ergebnis, dass immer wieder von einem weit überhöhten Anteil von Nicht-Deutschen an der Kriminalität die Rede ist. Tatsächlich aber ist die (ausländische) Herkunft kein kriminogener Faktor, die soziale Herkunft aber sehr wohl. Kriminalität ist keine Frage des Passes (oder der ethnischen Herkunft), sondern eine Frage von Lebenslagen.Footnote 7

Der Begriff der Inneren Sicherheit ist zu einem Synonym für alles geworden, was Bürgern und Politikern gleichermaßen Angst einzuflößen geeignet ist, oder von dem man glaubt, dass es dazu geeignet ist und man es daher für die Ausweitung staatlicher Eingriffsbefugnisse verwenden kann. Vielfach werden tatsächliche, angenommene oder unterstellte Gefahren genutzt, um symbolische Kriminalpolitik zu betreiben (Sack 2011). Diese Entwicklungen passten und passen in die gesamtgesellschaftliche Verfasstheit und die zunehmenden Ängste, die einhergehen mit der Bereitschaft, Einschränkungen von Bürgerrechten zu akzeptieren, wenn dafür „mehr Sicherheit“ versprochen wird, wie die jüngsten Beispiele während der „Corona-Krise“ zeigten. Eine wissenschaftlich seriöse Überprüfung, ob dieses Versprechen dann tatsächlich eingehalten wurde oder wird, erfolgt nicht. Dabei müsste Sicherheit als gemeinsame, gesamtgesellschaftliche Aufgabe definiert werden, die Gegenstand eines wertebasierten und moralisch beeinflussten (und beeinflussbaren) gesellschaftlichen Aushandlungsprozesses ist.

Das Strafrecht wird zunehmend zum Mittel gegen allgemeine gesellschaftliche Verunsicherung und das subjektive Sicherheitsgefühl gewinnt an Legitimationskraft für „law-and-order“-Kampagnen. Dies wird besonders in der Flüchtlings und Migrationsdebatte deutlich, wo jede Gelegenheit genutzt wird, Unsicherheiten den Migranten zuzuordnen und dies für politisch rechtsextreme Forderungen auszubeuten. In dieses Raster fügt sich die Diskussion um die „Clankriminalität“ bestens ein. Eine „wabernde Angst“ macht sich breit (Feltes 2019b). Die Deutschen glauben, in zunehmend unsicheren Zeiten zu leben. Das Thema Sicherheit bestimmt wesentlich den gesellschaftlichen und medialen Diskurs. Zeitgleich ist eine zunehmende soziale Differenzierung in der Gesellschaft festzustellen. Arme werden ärmer, Reiche immer reicher. Rund ein Drittel der Menschen bleibt den Wahlen fern. Sie fühlen sich nicht mehr durch die Politik repräsentiert und verlieren den Glauben an diese Gesellschaft und die Demokratie. Der Anteil der Menschen, für die Demokratie essentiell ist für eine Gesellschaft, geht beständig zurück (vgl. Foa und Mounk 2016). Zygmunt Bauman hat diesen Zustand der Verunsicherung bereits 2006 mit dem Begriff der „liquid fear“ umschrieben: In „liquid times“ (Bauman 2007) verlieren die Menschen die Zuversicht und das Vertrauen in die Steuerbarkeit ihrer eigenen Zukunft (vgl. Beilharz 2013). Ihr „liquid life“ (Bauman 2005) ist ein „precarious life, lived under conditions of constant uncertainty“ (a. a. O., 7).

Die regelmäßigen politischen Verkündungen, alles gegen „die Kriminalität“ zu tun, verunsichern die Menschen. Angst vor Kriminalität zu haben, ist ein Ventil, weil diese Angst im Vergleich zu den anderen Ängsten greifbar und personalisierbar ist. Die Menschen verlagern ihre allgemeinen gesellschaftlichen Ängste in einen konkreten, wie man glaubt, definierbaren Bereich: Die Kriminalität bietet sich hier an, und dies, obwohl es „die Kriminalität“ nicht gibt, nicht zuletzt, weil das Risiko, Opfer einer Straftat zu werden, von Alter, Geschlecht, Wohnort und sozialer Lage abhängig ist. Die Menschen leben in Städten der Angst, wobei es diffuse, auf nichts Konkretes gerichtete Ängste sind (Beck 2014). Diese Ängste klammern sich an alles, was ihnen angeboten wird, wider alle Vernunft, wider alle Erfahrung. Als Konsequenz entwickelt sich ein „Treibsand-Gefühl“ (Feltes 2019b, S. 9). Der (moralische) Kompass geht verloren, die Gesellschaft driftet auseinander, Individualismus und Egoismus werden zu alleingültigen Maßstäben. Grundlegende moralische Werte lösen sich auf, die Gesellschaft verliert an Zusammenhalt, Extreme nehmen zu und im Alltag spielt die Frage, warum es wichtig ist, die Demokratie zu schützen, keine Rolle mehr. Die Gesellschaft sucht sich Feindbilder, auf die sie ihre Ängste und Aggressionen abladen kann. Studien von Zick et al. (2019) zeigen, dass die herkömmliche gesellschaftliche Mitte zunehmend verloren geht. Die Menschen wenden sich einer vermeintlich neuen, radikalen „Mitte“ zu, die ihren Zusammenhalt aus der Abwertung von anderen schöpft. Hier fungieren die Maßnahmen gegen „Clankriminalität“ als mehrfacher Katalysator: Sie bieten neben den Migranten eine weitere, speziellere Zielgruppe an, der man die Schuld für die eigene Verunsicherung aufladen kann. Durch die Abwertung dieser Gruppe hebt man sich und seine eigene Gruppe an.

Dabei ist seit längerem bekannt, dass es Faktoren gibt, die Kriminalität und Verbrechensfurcht gleichermaßen zu reduzieren geeignet sind. Es handelt sich hierbei um soziale Integration und die sog. „collective efficacy“, eine besondere Form sozialen Kapitals (vgl. Morenoff et al. 2001; Taylor 2002). Soziale Integration bezeichnet das Ausmaß sozialer Bindung, „collective efficacy“ kann man verstehen als gemeinschaftliche Wirkkraft, bzw. die Bereitschaft, in der Gesellschaft selbst Verantwortung zu übernehmen und die Reziprozität von sozialen Beziehungen zu praktizieren. Die spannende Frage ist nun, ob und wie man diese Faktoren (wieder-)herstellen kann. Zumindest eines steht fest: Dadurch, dass ganze Bevölkerungsgruppen stigmatisiert und ausgegrenzt werden, verbessert sich der soziale Zusammenhang nicht. Dieser ist aber wesentlich für die Prävention von Kriminalität und für eine Gesellschaft, die positiv in die Zukunft sieht.